The Purge – Die Säuberung (OT: The Purge)

The Purge

Wir schreiben das Jahr 2022, mehrere Wirtschaftskrisen haben die USA erschüttert und die Kriminalitätsrate erreicht ein nie dagewesenes Ausmaß. Um das Problem zu lösen, haben die „neuen Gründer“ Amerikas ein neues Konzept umgesetzt. Einmal pro Jahr sind in einer Nacht sämtliche Verbrechen, einschließlich Mord, legal. Weder die Polizei noch andere sichernde Institutionen, wie Krankenhäuser oder Feuerwehr, sind während der „Säuberung“ (engl. „The Purge“) zu erreichen, jeder ist auf sich gestellt. Und tatsächlich: Die Säuberung bringt die erhoffte Wirkung. Die Verbrechensrate reduziert sich auf praktisch Null, die Wirtschaft floriert, das neue Amerika frohlockt. Schnell hat sich die Säuberung als festes Ritual gesellschaftlich etabliert und wird als Ventil akzeptiert. Das aggressive und gewalttätige Potenzial, das über ein Jahr unterdrückt und angestaut wird, kann sich in einer Nacht ungehemmt entladen.Der Film beginnt am Vorabend der Purge-Nacht: James Sandine (Ethan Hawke, oscarnominiert für Training Day) ist Verkäufer von Sicherheitssystemen und die Säuberung hat ihn zu einem vermögendem Mann gemacht, dementsprechend lebt er mit seiner Frau Mary (Lena Heady, bekannt aus Games of Thrones) und den beiden Kindern in einer schwer gesicherten Villa. Doch diesmal läuft die Nacht der Säuberung nicht wie geplant. Als Sohn Charlie einen verletzten nach Hilfe schreienden Obdachlosen in die abgeriegelte Villa hereinlässt, eskaliert die Situation. Eine junge Gruppe sektenartiger Säuberungsfanatiker will den Eindringling, der sich im Haus der Sandines versteckt hat, unbedingt herausholen.

Natürlich kann man das Konzept, auf dem der Film aufbaut, logisch leicht untergraben. Eine Nacht, in der alle Verbrechen erlaubt sind, wie soll das praktisch tatsächlich funktionieren? Keine wirkliche Demokratie würde etwas derartiges jemals beschließen wollen. Doch man muss sich nur die Diskussion in den USA um Waffenbesitz und staatliche Verantwortung ansehen und schon wankt diese Annahme in meinen Augen gewaltig. In „The Purge“ wird diese Sicht zugespitzt und die Gesellschaft als schützendes und bewahrendes Konstrukt verschwindet zunehmend, zurück bleibt nur der einzelne Mensch mit all seinen Gelüsten, Trieben und Sorgen. Wer etwas besitzt, der muss die Kraft oder die Mittel haben, es zu verteidigen. Klingt das nicht eigentlich gerecht? Hat Darwin uns nicht gelehrt, dass die Natur nun einmal so funktioniert?

Wer in der Welt von „The Purge“ keine Knarre unterm Kopfkissen hat, der ist folglich selbst schuld. Man kann es diesem Film hoch anrechnen, dass er die Idee der Säuberung als Allegorie für Konzepte des gesellschaftlichen Gemeinwesens konsequent beibehält. Die Idee wird also nicht als bloße Grundidee verheizt, um daraufhin möglichst blutige Gewalttaten aneinanderzureihen. Zwar reduziert der Film den eigentlichen Schauplatz der Handlung auf das belagerte Haus der Sandines, erlaubt aber mittels Fernseh- und Radioeinblendung immer wieder den Blick darauf, wie die Gesellschaft mit der Säuberung umgeht: Es werden zum Beispiel Purge-Partys gefeiert, die Medien berichten begeistert wie von einem Sportereignis und viele – darunter auch der an die bösen Jungs aus „Funny Games“ und „Uhrwerk Orange“ erinnernde pervers-höfliche Yuppie-Anführer (hervorragend: Rhys Wakefield) – begehen die Säuberung mit einem geradezu religiösen Eifer. Wer einmal im Jahr vollends die Sau rauslassen darf, der kann die restlichen 364 Tage ein friedlicher Bürger sein. Das Tier im Menschen, das einmal im Jahr von der Leine muss – auch das ist ein Gedanke, der erst einmal einen unglaubwürdigen Beigeschmack hat. Aber auch hier zeigt der Film, dass die quasi-religiöse Rechtfertigung sich letztendlich auch nur als Fassade für kleinbürgerliche Gehässigkeiten entpuppt.

Insgesamt möchte „The Purge“ aber wohl vor allem als Kapitalismuskritik verstanden werden. Denn wer sind die großen Gewinner dieser Säuberung? Die Reichen, die sich Waffen und Alarmanlagen leisten können, um sich in ihren stattlichen Villen vor der ungesühnten Gewalt verschließen zu können, ausreichend mit Geld versorgt, um das Leid der Welt draußen hinter Stahltüren an sich vorbeiziehen zu lassen. Und die materiell Schwachen? Denen bleibt nur Flucht, Versteck oder der eigenen Angriff. Dass die Säuberung also vor allem die, die nichts haben, trifft beziehungsweise ausradiert, ist daher nur konsequent. So wird auch klar, warum die Wirtschaft dieser Welt wieder floriert: Man hat sich ganz einfach der Masse an Ex-Konsumenten, die sich das Konsumieren nicht mehr leisten können, entledigt und reduziert so gleichzeitig die Notwendigkeit, minderbemittelte Teile der Gesellschaft durch Sozialsysteme unterstützen zu müssen. Gleichzeitig hat man so noch eine wunderbare Angriffsfläche, an der man sich das Abreagieren der einen Mordlust schönreden kann. Doch auch die teuerste Sicherheitsanlage kann nicht verhindern kann, dass sich der Zorn der Säuberung auch auf die Reichen richtet.

Neben der interessanten Grundthematik schafft das Werk einen Querschnitt über verschiedenste ethische Prinzipien und schafft es aufzuwühlen, Diskussionen auszulösen und Bilder zu schaffen, die man so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Seit längerer Zeit wird mit „The Purge“ wieder ein Horrorfilm/Thriller abgeliefert, der psychologische Tiefe besitzt und sich von anderen Horrorfilmen ablenkt. Natürlich hätte man noch feiner differenzieren und eine noch schärfere Systemkritik bzw. finstere Zukunftsvision zeichnen können, aber da es sich bei „The Purge“ nicht um ein Drama, sondern um einen Psychotriller mit Horrorelementen handelt, sei dies verziehen. Auch, dass die Todesarten nicht sonderlich kreativ sind und man die inneren Konflikte der Figuren (minderjährige Tochter hat einen älteren Freund, der Vater hat etwas gegen dieses Bündnis) noch weiter ausbauen hätten können, um größere Entwicklungsbögen zeichnen zu können, möge man verzeihen. So bleibt es bei einem spannenden, gut gespieltem und kurzweiligen Horrorthriller mit nicht zu stark aufgespielter Systemkritik, bei dem zwar noch mehr herauszuholen gewesen wäre, der aber in seiner Gesamtheit über das Mittelmaß weit hinausreicht.

Die teilweise doch recht harsche Kritik an dem Film kann ich nicht wirklich teilen, da das Werk kein absolutes Weltbild zeichnet oder extrem moralisierend in Szene gesetzt wurde, sondern in erster Linie unterhalten möchte. Natürlich kann man die Diskurs auslösende „Säuberung“ nicht vollkommen ausblenden, aber manchmal sollten Kritiker bzw. Publikum lieber darüber nachdenken, warum diese bei solchen Themen eine meist von der Gesellschaft auferlegte moralisierende Position einnehmen und alles zu Tode analysieren. Wobei das gerade bei diesem Film durchaus seinen Reiz hat, den Filmgenuss als solchen aber nicht allzu schmälern sollte, da handwerklich, trotz relativ geringem Budget, nichts auszusetzen ist.

Wertung70

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