Lynch und Ich: Der Elefantenmensch

DIE FILME VON DAVID LYNCH



Nachdem sich Eraserhead zum Kultfilm entwickelte, machte sich David Lynch an die Arbeit für seinen zweiten Film: Die Verfilmung der Geschichte von John Merrick, dem „Elefantenmensch“. Produziert wurde das ganze – nachdem kein Studio Interesse an Stoff bekundete – von Mel Brooks, der bis dahin eher mit Komödien und Parodien Erfolge feierte und mit dem Stoff in eine komplett andere Richtung ging. Die Schauspieler waren klangvoller (Anthony Hopkins, John Hurt, Anne Bancroft, John Gielgud) und auch das Budget war mit 5 Mio. Dollar um einiges höher geworden, als noch bei seinem Debüt. Was blieb war aber das filmen in Schwarz-Weiß. Und auch wenn Der Elefantenmensch ein britischer Film ist und sein Einstieg in das Mainstreamkino, merkt man doch, dass es ein David Lynch-Film ist; und dass er sich sehr weiterentwickelt hat.

Erzählt wird die bekannte Geschichte des sogenannten „Elefantenmensch“ Joseph Carey Merrick, der vom Chirurgen Frederick Treves in das Royal London Hospital gerettet wird. Nach einiger Zeit stellt Treves erstaunt fest, dass der junge Mann trotz seines deformierten Äußeren einen wachen Verstand hat, langsam anfängt zu sprechen und sogar lesen kann. Langsam entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden und auch gegenüber anderen Menschen, wie dem Direktor Carr Gomm und noch viel mehr der Theaterschauspielerin Mrs. Kendal. Aber trotzdem bleibt er auch in der eigentlichen Sicherheit des Hospitals nicht vor der Verachtung und des Spots der normalen Bevölkerung gefeilt und wird zum bizarren Anschaungsobjekt degradiert.

Es wäre etwas gemein wenn ich sagen würde, dass Lynch im Mainstream angekommen ist, aber man merkt schon, dass er seinen im Eraserhead zelebrierten Wahnsinn auf einige wenige Traumsequenzen von Mellick und seiner Entführung auf das Festland reduziert hat. Trotzdem ist Lynch keine Sekunde überfordert mich dem Stoff, sondern erzählt eine sehr schöne und anrührende Geschichte, wobei er sich natürlich voll und ganz auf seine Schauspieler verlassen kann.

Am meisten sticht dabei natürlich John Hurt heraus, der im Jahr zuvor für seinen Leistung in 12 Uhr nachts – Midnight Express für den Oscar als Bester Nebendarsteller nominiert war. Was er unter der dicken Maske des Elefantenmenschen an Emotionen und Gefühle an das Publikum vermittelt, ist kaum in Worte zu fassen und wäre Robert De Niro in Wie ein wilder Stier nicht gewesen, wäre er sicher mit dem Oscar als Bester Hauptdarsteller nach Hause gegangen. Als zweiter Hauptdarsteller brilliert Anthony Hopkins und auch Sir John Gielgud und Anne Bancroft können in ihren Nebenrollen überzeugen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch den restlichen Nebencast wie Freddie Jones als ehemaliger Besitzer von Merrick, Michael Elphick als Nachtportier der Besuchergruppen in das Zimmer von Marrick schmuggelt und sich an seinem Unglück bereichert.

Es sind die gemeinsamen Szenen zwischen Hurt und Hopkins, die mehr als alle anderen das Herz und die Seele des Films sind. Es geht einem sehr nahe, wenn man sieht wie aus dem verstoßenen und auf sein entstelltes Äußeres reduzierter John Merrick im Laufe der Zeit ein Mitglied der Gesellschaft wird. Zwar verbringt er die meiste Zeit in seinem Zimmer, aber er kann kommunizieren und bastelt sogar ein Model der gegenüberliegenden Kirche. Merrick ist – wie er selber sagt – kein Monster, sondern ein Mensch. Geradezu Herz brechend in eine Szene, in der Merrick bei Frederick Treves und seiner Frau eingeladen ist, Mrs. Treves sich nett vorstellt und Merrick daraufhin in Tränen ausbricht, weil er es noch nie erlebt hat, dass eine so hübsche Frau nett zu ihm war. Hier ist nochmal gesagt, dass John Hurt unter einer dicken Maske steckte und jede Emotion auf den Punkt spielen konnte. Einfach nur großartig.

Sinnbildlich für den Film steht auch die dramatische Verschleppung von Merrick auf das Festland, dem eine aus dem Ruder gelaufene „Besichtigungstour“ durch einige Sensationsgierige vorausgegangen war. Der oben erwähnte Nachtportier überraschte Merrick – der sich gerade in einem feinen Ausgehrock gekleidet frisierte (der Frisierkasten war mit sein wichtigster Besitz) – in seinem Zimmer und erniedrigt ihn zur Belustigung einiger Männer und Frauen. Bei dieser Gelegenheit wird Merrick von seinem alten Besitzer auf das Festland verschleppt und erst mit der Hilfe von den Künstlern eines Wanderzirkus (ein Kleinwüchsiger, ein sehr großgewachsener Mann und ein Wolfsmensch) gelingt ihm wieder in die Flucht in das heimische London und das Hospital. Hier zeigt Lynch sehr eindrucksvoll, dass es gerade die „normalen“ Menschen sind, die zu abstoßenden Monstern werden und die ausgestoßenen „Kreaturen“ die wahren Herzensmenschen sind, die Mitgefühl und Aufopferungsbereitschaft zeigen. Und wer glaubt, dass genau so etwas in der heutigen Zeit ja nicht mehr vorkommt, der sollte nur mal einen Blick in das TV-Programm der Privaten werfen.

Mit seinem zweiten Film spielte Lynch ein Einspielergebnis von 26 Millionen Dollar ein und konnte sich über acht Oscar-Nominierungen freuen: Bester Film, beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch (an dem auch Lynch beteiligt war), bester Hauptdarsteller (John Hurt), beste Kostüme, beste Kamera, beste Musik und den besten Schnitt. Leider ging er bei der späteren Verleihung komplett leer aus, aber Lynch hatte ein Meisterwerk für die Ewigkeit geschaffen und seinen Fuß fest in die Tür Hollywoods gestellt. Der nächste Film konnte kommen.

USA – 1980 – 2 Std. 5 Min.
Regie: David Lynch
mit Anthony Hopkins, John Hurt, Anne Bancroft, Sir John Gielgud und Wendy Hiller
Genre: Drama, Biografie

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