Westen

FFLU Westen Review


Wir schreiben das Jahr 1978. Die promovierte Chemikerin Nelly Senff (Jördis Triebel) schafft es mit ihrem Sohn Alexej die DDR aus Ost-Berlin Richtung Bundesrepublik zu verlassen, ein Freund aus West-Berlin hatte an der Grenze ihren neuen Ehemann gemimt. Zwei Jahre zuvor war ihr damaliger Freund, ein renommierter Physiker, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Doch endlich im Westen angekommen landen die Beiden erstmal in einem Notaufnahmelager der BRD und das Leben dort ist nicht sonderlich besser als in der alten Heimat.

Denn Nelly muss zuerst zwölf verschiedene Behörden anlaufen, und dort Stempel sammeln, um endgültig in die BRD einreisen zu dürfen. Doch Viele der Insassen sitzen hier schon seit Monaten oder gar Jahren fest. Und auch Nellys Antrag wird bereits bei der zweiten Untersuchung abgelehnt. Nelly soll dem amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter John Bird (Jacky Ido) erzählen, warum sie aus der DDR in den Westen fliehen wollte. Als Nelly jedoch offen einräumt, dass ihr Weggang keinerlei politische Motivation hatte, sondern rein persönliche Gründe, wird sie fortgeschickt und soll am nächsten Tag wieder kommen. Aber auch da bekommt sie ihren Stempel nicht, denn die Amerikaner möchten nur hören, dass Nelly dem Regime den Rücken kehren wollte. Tag für Tag sitzt Nelly nun erneut in diesem Büro und muss diverse Verhöre über sich ergehen lassen, denn die CIA hegt den Verdacht, dass Nellys Freund gar nicht gestorben ist, sondern seinen Tod nur vorgetäuscht hatte und mittlerweile als Spitzel für die Staatspartei arbeitet. Und Nelly ebenfalls. Zu allem Überfluss zeigt John Bird neben den Verhören auch noch privates Interesse an Nelly.
Moralische Unterstützung erhält sie im Lager nur durch ihre polnische Zimmernachbarin Krystina (Anja Antonowicz), sowie den Eigenbrötler Hans Pischke (Alexander Scheer), den sie aber alsbald selbst für einen Spion hält. Doch Andreij versteht sich bestens mit Hans. …

„Westen“ ist ein wichtiger kleiner Film über ein doch eher unbekanntes Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte. Denn Nelly muss leider erfahren, dass die freiheitlich-demokratische Bundesrepublik in gewissen Belangen auch nicht viel besser war als die „Deutsche Demokratische Republik“. Die Begrüßung „Willkommen in der Freiheit“ wird für sie bald zum Hohn, als sie in dem Zwischenlager im Niemandsland festsitzt und auch jeden Tag von Politikern und Geheimdienstlern bedrängt wird. So stellt sich für die Hauptfigur bald die Frage nach ihrer Identität. Denn auch auf der anderen Seite des „antifaschistischen Schutzwalls“ ist Nelly bald in einem Alltag aus Angst, Verfolgung und Misstrauen gefangen.
Dieser Film kann vielleicht dazu beitragen die letzten Reste der „Mauer in den Köpfen“ der Deutschen abzubauen, denn so wie im Osten „nicht alles schlecht“ war, war bei uns auch nicht alles gut! Am Ende sind bzw. waren wir schon immer gleich.
„Westen“ rüttelt auf, ohne jedoch anzuklagen, er stellt nur einige Parallelen her, über die man auch lange nach dem Kinobesuch noch sinniert. Und das ist ja bekanntlich immer ein sehr gutes Zeichen für einen Film.

Jördis Triebel hat übrigens im Mai für diese Rolle beim Deutschen Filmpreis die Lola als Beste Darstellerin erhalten. Und das völlig zurecht! Sie legt ihre Nelly als einfache Frau an, die des Kämpfens einfach müde ist und dennoch weiterkämpfen muss, mit allen Ängsten, Sehnsüchten und Niederlagen, mit denen sie konfrontiert wird. Das tut sie dabei so intensiv und zugleich unaufgeregt, dass es eine wahre Freude ist ihr zuzuschauen.


D – 2013 – 1 Std. 42 Min.
Regie: Christian Schwochow
mit Jördis Triebel, Tristan Göbel, Alexander Scheer, Anja Antonowicz, Stefan Lampadius & Jacky Ido
Genre: Drama

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