Das Historiendrama – ein ebenfalls unterschätztes, filmisches Genre! (Teil 1)

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Unser geschätzter Kollege Heiko hat sich bekanntermaßen seit Längerem äußerst gekonnt, unterhaltsam und reflektiert einer Filmkategorie im Besonderen, nämlich den romantischen Komödien, gewidmet. Nun bin ich mal so frei, daran anzuknüpfen und ein weiteres Genre ins Zentrum der Diskussion rücken, das häufig genau so belächelt und unterschätzt wird wie die vorgestellten Romanzen. Die Rede ist von Historienfilmen. In einer Zeit, in der sich ganze Massen entweder gar nicht dafür erwärmen oder sich jedoch vorrangig deswegen als „geschichtsinteressiert“ bezeichnen, weil sie sich einige, zumeist oberflächliche, mittelalterliche Romane oder aber vorderhand von Sex und Gewalt triefende Serien wie „Spartacus“ zu Gemüte geführt haben, drängt sich die Frage auf: Was macht eigentlich eine gelungene, historische Filmproduktion aus – und was dagegen nicht?

Die Verarbeitung geschichtlicher Sujets für Fernsehen und Leinwand hat mich schon seit dem Schulalter äußerst begeistert und noch heute ziehe ich einen gelungenen Historienfilm den meisten fiktionalen Werken vielfach vor – und das nicht nur deswegen, weil ich derzeit in den letzten Zügen Geschichtswissenschaft studiere. Dies führ sicherlich dazu, dass mir eine größtmögliche historische Akkuratesse besonders am Herzen liegt, gerade in Werken, die dies augenscheinlich für sich beanspruchen. Überaus signifikant sind für authentische Biographien und Epochendarstellungen natürlich die jeweiligen Rollenzeichnungen und -besetzungen, aber auch, dass dem Zuschauer der jeweilige, sich naturgemäß von der Gegenwart unterscheidende Zeitgeist korrekt illustriert wird. Gerade daran scheitert es aus meiner Sicht unglücklicherweise relativ häufig, obgleich einige künstlerische Freiheiten generell nicht als Fehler angesehen werden sollten.

Deshalb möchte ich nun beziehungsweise in den noch folgenden Ausgaben konkret auf drei Historienfilme zu Sprechen kommen, welche sich qualitativ in meinen Augen zwischen Meistwerk und Katastrophe bewegen. In dem ersten Teil der Reihe wird es um die filmische Beleuchtung einzelner Lebensabschnitte von zwei bedeutenden, britischen Monarchen und dem wohl größten Feldherren der Weltgeschichte sowie meine ganz subjektive Sicht darauf in der Rolle eines Nachwuchshistorikers gehen…

Der Löwe Im Winter (OT: The Lion In Winter)

Was für ein Film! Unter der Regie des anfangs als renommierter Cutter arbeitenden Briten Anthony Harvey ist ein Werk entstanden, dass vor annähernd einem Jahrzehnt mein Interesse an brisanten Zeitaltern der Geschichte und gleichermaßen an großartigen Schauspielerleistungen vollends entbrennen ließ. Um es sogleich klarzustellen: Meine punktuelle Vergabe liegt nicht nur an Katharine Hepburn. Ja, ich verehre sie als Darstellerin zutiefst, aber für die Genialität von „Der Löwe Im Winter“, ein Titel, der überdies viele Deutungen zulässt, sind sämtliche andere gestalterische Faktoren verantwortlich, die den mittlerweile 45 Jahre alten Film auszeichnen.

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Weihnachten im Jahre des Herren 1183… Auf der Burg von Chinon an der Loire, bis zum Hundertjährigen Krieg vom englischen Königreich annektiert, steht der alternde Regent Heinrich II. vor der Aufgabe unter seinen drei legitimen Söhnen einen Nachfolger auszuwählen. Richard, Geoffrey und John streben den Thron allesamt an. Er holt seine im Exil lebende Gemahlin Eleonore von Aquitanien, mit dem ihn eine bemerkenswerte Hassliebe verbindet, anlässlich des Festes auf die Residenz. Diese wiederum sieht die Chance über den ältesten Sohn wieder zurück an die Macht zu gelangen, sodass sich eine Fehde entwickelt, in dessen Verlauf auch der blutjunge, französische König Philipp hineingezogen wird.

Die dichte Fokussierung auf exakt diese royalen Intrigen schafft eine durchgängige, düstere Spannung und wurde wirkungsvoll, gleichermaßen unterhaltsam und vor allem äußerst nah an dem tatsächlichen, historischen Forschungsstand orientiert beleuchtet. Hass, Machtwahn, gegnerische Bündnisse und sogar eine Prise schwarzen Humors bestimmen jeden der fein nuancierten, messerscharfen und hochintelligenten Dialoge sowie die geschilderten, klimaxartigen Auseinandersetzungen. Einfach jeder Satz hätte wortwörtlich im 12. Jahrhundert gewählt werden können, wodurch die zeitkontextuelle Lebensart und der Umgangston von Dynasten hervorragend zur Geltung kommt. Hinzu kommt, dass geschichtliche Vorgänge wie etwa der politisch unsichere Status Aquitaniens korrekt eingebunden werden. Gleiches trifft auf die Zeichnung der einzelnen Charaktere zu, sodass das Drama einer besonders anspruchsvollen Geschichtsstunde gleicht, in dessen Verlauf die Beweggründe der Handelnden freigelegt werden.

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Die beiden Hauptdarsteller liefen hier, das dürfte nicht in Frage zu stellen sein, ihre jeweiligen Karrierebestleistungen ab! Hepburn lebt die Rolle der mächtigsten Frau des Mittelalters, welche zuerst den Herrscher Frankreichs ehelichte und dann aus taktischen Gründen dessen Erzfeind, anstatt sie nur zu spielen – mit Raffinesse, Vielschichtigkeit und solcher Inbrunst, dass man niederknien möchte, zunehmend aber auch eingeschüchtert ist. In ihrer langen Karriere traf sie bekanntlich oft auf Schauspieler, die ihrer Präsenz und Andersartigkeit nicht annähernd standhalten konnten. O’Toole allerdings, der zum zweiten Mal mit dem Monarchen verschmolz und darüber hinaus ganze 25 Jahre jünger als seine Filmfrau gewesen ist, tat ebendies auf beeindruckende Art und Weise, sodass „Der Löwe Im Winter“ vor allem eins ist: Ein historisches Schauspiel-Duell der Extraklasse, das seinesgleichen sucht! Die Chemie der beiden ist als essentiell anzusehen. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, muss ich erneut verständnislos fragen: Wie konnte es nur dazu kommen, dass sich Hepburn diesen Oscargewinn mit Barbra Streisand teilen musste?! Das hätte eine klare Sache werden müssen, denn meiner Meinung nach ist ihre Verkörperung der Eleonore von Aquitanien das mit Abstand Intensivste, was eine menschliche Person jemals vollbracht hat. Und auch O’Toole hätte den lang ersehnten Oscarerfolg erleben sollen, denn er verleiht der Person einen ungeheuren Facettenreichtum. Davor kann man nur den Hut ziehen! Da gibt es weit mehr als nur eine Szene, die dauerhaft im Gedächtnis bleibt. Doch auch Anthony Hopkins brilliert bereits in seinem allerersten Filmauftritt auf ganzer Linie und spielt Richard Löwenherz absolut überzeugend. Vor allem dessen Selbstanspruch als der Überlegene unter den drei Söhnen wird von ihm besonders gut verdeutlicht. Hinzu kommen weitere, überzeugende Darstellungen – besonders Timothy Dalton und Jane Merrow gaben hier ihr Bestes.

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In vielen historischen Filmen ist die Ausstattung entweder unter- beziehungsweise übertrieben, oder aber unzeitgemäß. Hier jedoch wurde ideal ausstaffiert. Die Kostüme sind zwar besonders aufwendig, die Szenenbilder dagegen passen mithilfe einer gewissen Zurückgenommenheit perfekt in die – man möchte sagen „rustikale“ – Ära des Hochmittelalters. Abgerundet wird das Ganze durch eine effektvolle Kameraarbeit sowie nicht zuletzt durch eine fantastische, filmmusikalische Untermalung voller Dramatik. Der dafür verantwortliche John Barry zählt für mich nicht umsonst (neben Max Steiner, John Williams, Alexandre Desplat und ganz besonders Philip Glass) zu meinen persönlichen Lieblingskomponisten aller Zeiten.

„Der Löwe Im Winter“, von welchem es mehrere Adaptionen in späteren Dekaden gibt, erhielt insgesamt sieben wohlverdiente Oscar-Nominierungen in den wichtigsten Kategorien und wurde letztlich für die überragende Hauptdarstellerin, das adaptierte Drehbuch und die Original-Musik gewürdigt. Für mein Empfinden hätten aber auch O’Toole, die Kostüme und der Film in seiner Gesamtheit den Goldjungen erhalten sollen, eigentlich sogar müssen. Der damalige Best-Picture-Gewinner „Oliver!“ erscheint jedenfalls als schwacher Sieger, angesichts dieses ebenfalls nominierten Meisterwerkes, das ich hiermit gleich zu Beginn als den perfekten Historienfilm und einen Meilenstein der Filmgeschichte bezeichnen möchte.

GB 1968 - 129 Minuten Regie: Anthony Harvey Genre: Historienfilm / Drama Darsteller: Katharine Hepburn, Peter O’Toole, Anthony Hopkins, Nigel Terry, John Castle, Jane Merrow, Timothy Dalton, Nigel Stock
GB 1968 – 129 Minuten
Regie: Anthony Harvey
Genre: Historienfilm / Drama
Darsteller: Katharine Hepburn, Peter O’Toole, Anthony Hopkins, Nigel Terry, John Castle, Jane Merrow, Timothy Dalton, Nigel Stock

 

Die Schwester Der Königin (OT: The Other Boleyn Girl)

Im nächsten, zu analysierenden Machwerk steht ebenfalls ein englischer Regent im Mittelpunkt der Handlung, und dieser dürfte einen weitaus höheren Bekanntheitsgrad genießen als der soeben porträtierte Monarch, der mehr als drei Jahrhunderte vor ihm auf dem Thron saß. Heinrich VIII. – ein Name, um den sich zahlreiche Legenden ranken. Bekannt geworden vor allem als blutrünstiger Despot, der sich seiner sechs Ehefrauen willkürlich und gewaltsam entledigte. Vieles davon ist natürlich erdacht und von Laien entkontextualisiert worden, weshalb es umso schöner war, einen Historienfilm schauen zu dürfen, der ein differenziertes Bild des Tudor-Königs im Zusammenspiel mit seinen ersten zwei Gemahlinnen und den Umständen eines der bedeutsamsten europäischen Ereignisse der Frühen Neuzeit, der Trennung des englischen Königshauses von der päpstlichen Autorität, zeichnet. Die grundlegende Perspektive ist im Film „Die Schwester Der Königin“, wie der Name suggeriert, reizvoller Weise mal eine ganz andere…

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Erzählt wird die extrem spannende Phase zwischen 1525 und 1536 nämlich aus der Sicht der Boleyn-Frauen, welche per Zufall an den Hof kamen. Die jüngere Mary wurde rasch zur Mätresse Heinrichs, weil dieser nach Zerstreuung suchte, denn Katharina von Aragon hatte den gewünschten Sohn noch immer nicht zur Welt gebracht. Ihre Schwester Anne sieht allerdings ihre Chance gekommen, drängt Mary beiseite und möchte mit Taktik und erotischer Anziehung erreichen, dass der König die Ehe annullieren lässt, sodass sie die Möglichkeit hätte, ihm als rechtmäßige Gattin den notwendigen Thronfolger zu schenken. Dieses Vorhaben gelingt, denn mithilfe der Suprematsakte erwirkte Heinrich die Scheidung von Katharina, brach dadurch aber mit der Römischen Kurie, wodurch es zur Gründung der Anglikanischen Kirche kam. Annes Leben endet jedoch, wie jedem bekannt sein dürfte, als in Ungnade Gefallene abrupter als von ihr erwartet.

Dieser bühnengerechte, erzählerische Rahmen des Filmes wurde tatsachenorientiert umgesetzt und ist in sich stimmig. Die Verantwortlichen hielten sich an grundsätzliche Details der Fülle an zeitgenössischen Überlieferungen, obschon einige, größtenteils legitime, künstlerische Freiheiten erkennbar sind. Beispielsweise ist die in der Tudor’schen Forschung verhältnismäßig neue Inzest-Thematik geschickt eingebracht worden. Da nicht geklärt werden konnte, ob Anne Boleyn ihren Bruder zum sexuellen Akt überredet hat, um auf diese Weise möglichst schnell erneut schwanger zu werden und dem Zorn des Gatten zu entgehen, wird ebendiese Handlung hier lediglich angedeutet, aber nicht mit aller Macht als Faktum verkauft. Die Wesenskennzeichen der Schwestern wurden besonders realistisch eingebunden und bewusst miteinander kontrastiert: Mary als schweigsame, bescheidene, schüchterne Frau, Anne dagegen als ehrgeiziges, von einem hohen Maß an Kalkül und Selbstbewusstsein getriebenes Gegenstück – kurz gesagt, als die „Interessantere“. Kritisch anmerken muss ich jedoch, dass das vermittelte Bild, alle am Hof agierenden Männer seien im Kontrast zu den gezeigten Frauen die „Bösen“ leider einer recht einseitigen Anschauungsweise entspricht, die durchaus hätte vermieden werden können. Hinzu kommen hörenswerte, wenn auch manchmal nicht konsequent genug fortgeführte Dialoge, welche nichtsdestotrotz aber dazu führen, dem Zuschauer mit dem höfischen Verhalten, aber auch dem Zugzwang von Henry, einen royalen Erben in die Welt zu setzen, konfrontieren. Einige Sequenzen haben beinahe monumentale, gänsehautfördernde Qualitäten. Die Gerichtsszene von Katharina ist eine ebensolche, welche mit wunderbaren Tönen untermalt worden ist. Darüber hinaus sprechen die detailgetreuen, opulenten Adelskostüme, Masken und Szenenbilder ebenfalls für eine akribische Arbeit aller Beteiligten und erfreuen nicht nur das Auge von Historikern, sondern auch Laien.

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Auch auf darstellerischer Ebene kann man überaus zufrieden sein. Scarlett Johansson, die eigentliche Hauptdarstellerin, macht ihre Sache, entgegen meiner damaligen Erwartungen, erstaunlich gut und brilliert vor allem in den emotionalen Filmmomenten einer jungen Frau, die von ihrer eigenen Verwandten derart hintergangen wird, ihr aber dennoch stets zur Seite steht. Auf Dauer kann sie, wie allem Anschein nach auch im „wahren“ Leben, ihrer selbstbewussten Schwester Anne, verkörpert durch Natalie Portman, aber nicht ganz standhalten. Deren Rolle kann definitiv nach den oscarnominierten Performances in „Black Swan“ sowie „Hautnah“ als ihre mit Abstand Stärkste betitelt werden. Portman agiert genau so wie ich mir das ältere Boleyn-Mädchen im Original vorgestellt hätte und transportiert negative Emotionen und den zunehmenden Druck genau so gekonnt wie ihre anfänglichen Verführungsversuche. Selbst Eric Bana meistert seine Aufgabe, die Darstellung des Tudor-Monarchen, ebenfalls weitestgehend souverän, beinahe charmant und zeigt, dass dieser vermutlich nicht nur den sexbesessenen, mordlustigen Herrscher abgegeben hat – so wie es oft behauptet wird. Bekanntlich gibt es keine historische Persönlichkeit, die komplett „schlechten“ oder „guten“ Wesens ist – und gerade dieses Momentum wurde von allen Schauspielern schicklich in Szene gesetzt. Des Weiteren sind Kristin Scott Thomas, Ana Torrent und Eddie Redmayne als weitere Highlights anzuführen, die den ansprechenden Cast abrunden.

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Herausgekommen ist zweifelsohne ein smarter, sehenswerter Historienfilm über einen kontroversen, schicksalhaften Abschnitt der Geschichte, welcher nur minimale Defizite aufweist und mit Sicherheit jedem als Heranführung an das Sujet dienen kann. Ich persönlich könnte mir jedenfalls vorstellen, einzelne Ausschnitte im späteren Unterrichtsgeschehen zu verwenden. Dass das Drama allerdings keine einzige Nominierung bei etablierten Filmpreisveranstaltungen erhalten hat, ist als überaus schade und ungerechtfertigt zu erachten, liegt sicherlich aber auch daran, dass in der gleichen Saison mit „Abbitte“, „La Vie En Rose“ sowie „Elizabeth – Das Goldene Königreich“ mehrere ebenfalls opulent ausgestattete Historienfilme veröffentlicht worden sind. Und allen Kritikern, die meinten, „Die Schwester Der Königin“ würde eher einer Seifenoper ähneln, muss ich abschließend mit folgender Frage entgegentreten: War das Leben und Leiden Heinrichs VIII. am Hof von London einer solchen denn derart unähnlich?

GB 2008 - 115 Minuten Regie: Justin Chadwick  Genre: Historienfilm / Drama Darsteller: Natalie Portman, Scarlett Johansson, Eric Bana, Jim Sturgess, Kristin Scott Thomas, Mark Rylance, David Morissey, Eddie Redmayne, Juno Temple, Ana Torrent, Benedict Cumberbatch
GB 2008 – 115 Minuten
Regie: Justin Chadwick
Genre: Historienfilm / Drama
Darsteller: Natalie Portman, Scarlett Johansson, Eric Bana, Jim Sturgess, Kristin Scott Thomas, Mark Rylance, David Morissey, Eddie Redmayne, Juno Temple, Ana Torrent, Benedict Cumberbatch

 

Alexander

Nun aber zu einem aus meiner Sicht prädestinierten Filmbeispiel, das möglicherweise zu erklären vermag, warum eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Kinogängern dem Genre des Historienfilmes feindselig oder aber gänzlich uninteressiert gegenübersteht. Ich hatte bei der damaligen Sichtung des Epos‘ „Alexander“ zwar ohnehin nicht erwartet, einen Monumentalfilm à la „Ben Hur“ präsentiert zu bekommen, doch im Gegenzug auch nicht, dass er die (eben aufgrund einer Fülle an historischen Unzulänglichkeiten) ebenfalls vielfach von mir gescholtenen Gattungsvertreter „Troja“ und „Gladiator“ meilenweit (!) unterbieten würde.

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Alexander der Große dehnte sein Reich in unfassbarer Geschwindigkeit auf 90 Prozent der damals bekannten Welt bis an die Grenzen des Ganges aus. Auf gesicherte Fakten aus der beeindruckenden Vita des Griechen und derer gibt es, gemessen an dessen Lebenszeit im vierten vorchristlichen Säkulum erstaunlich viele, wird allerdings entweder gar nicht oder absolut unzureichend, d.h. schemenhaft und zusammenhanglos, eingegangen. Stattdessen besteht er nahezu nur aus Dialogen zwischen vereinzelten Schlachtszenarien. Und zwar aus Konversationen, die entweder ein krampfhaft bemühtes Pathos, dem kein Ensemblemitglied gerecht werden kann, oder aber auch eine gewisse, moderne Trivialität in sich tragen. Ich bin nun wirklich niemand, der sich generell gegen Dialoglastigkeit stemmen würde, aber hier war ich nach spätestens einer halben Stunde Laufzeit echt genervt. Besonders erstaunlich mutet es an, dass es den Machern in der Gesamtlaufzeit von ganzen drei Stunden – der Final Cut bringt es sogar auf 215 Minuten – dennoch nicht gelungen ist, auf den Punkt zu kommen oder einen roten Faden erkennbar werden zu lassen. Hinzu wurden bezüglich der theatralischen Personenkonstellation einfachste Grundregeln nicht befolgt, den man hat weder die Möglichkeit, sich in den Hauptcharakter hineinzuversetzen, noch gibt es einen überzeugenden Gegenspieler.

Stones ambitioniertes Projekt scheitert auch an der (Fehl-)Besetzung des Protagonisten kläglich! Colin Farrell konnte sich nie in seine gewichtige Rolle einfinden, zeigt eigentlich nur zwei Gesichtsausdrücke und rattert seinen Text hölzern, völlig unglaubhaft (und in der Originalfassung in einem befremdlichem Dialekt sprechend) herunter. Dass der dargestellte Feldherr ins Licht eines trinksüchtigen, cholerikerischen Schönlings gerückt wird, entbehrt ebenfalls jeglicher Grundlage, sodass Darstellung und Figurenzeichnung gleichermaßen als willkürlich und fehlgeschlagen betrachtet werden müssen. Doch auch der Rest des Ensembles enttäuscht auf nahezu ganzer Linie. Selbst Anthony Hopkins agierte ungewöhnlich passiv, fast schon gelangweilt. Er fungiert als Erzähler der Rahmenhandlung, doch das, was er sagt, wirkt irgendwann überladen und passt darüber hinaus nicht zu dem im Film offerierten Bild des Makedoniers. Auf schauspielerischer Ebene gibt es im Prinzip nur einen Lichtblick, und zwar Christopher Plummer in der Rolle des Aristoteles, welcher es aber mit seiner überzeugenden, kurzen Darstellung nicht schafft, den Gesamteindruck zu steigern. Val Kilmer und Angelina Jolie, witzigerweise spielt sie seine Mutter, ist aber lediglich ein Jahr älter als Farrell, haben dagegen maximal auf der Ebene des „Overactings“ brilliert. Letztere hat in „Der Fremde Sohn“ gezeigt, dass sie glaubhaft schauspielern kann, doch hier schreit sie im Prinzip ihren Text heraus. Über die Bewertung der Besetzung Rosario Dawsons, einer Afroamerikanerin (!) als persische (!) Geliebte Alexanders, möchte ich an dieser Stelle lieber Stillschweigen bewahren.

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Zwar muss ich gestehen, dass auch ich in Bezug auf die antike Geschichtsschreibung ebenfalls nicht der allergrößte Experte bin, dennoch wird hieran jedem Laien recht schnell deutlich, dass Stone an den Haaren herbei gezogene, künstlerische Freiheiten als „Wahrheiten“ darstellt. Allen voran der inkonsequente Fokus auf Alexanders bisexuelle Neigungen, für die es erneut keinerlei wissenschaftliche Belege gibt, muss diesbezüglich kritisiert werden. Hinzu gesellen sich weitere eklatante Fehler auf allen Ebenen! So wird Latein mehrfach als gängige Umgangs- und Schriftsprache hervorgehoben. Dabei wurde scheinbar völlig vergessen, dass Rom 300 v.Chr. noch ein unbedeutender Stadtstaat war und das Griechische die uneingeschränkte Vormachtstellung innehatte. Der Film suggeriert weiterhin, dass hellenistische Krieger wie gestriegelte Topmodels ausgesehen haben. Die Oberkörper derer wurden in der Antike jedoch – man höre und staune – weder im Fitnessstudio herantrainiert noch komplett enthaart, so wie es dem heutigen Modeideal entspricht. Die Männer dienen hier, fernab dem Kontext, somit vorrangig als Blickfänge. Erschwerend hinzu kam, neben der sich manifestierenden Langeweile, dass den Jahreszahlen mehrfach falsche Ereignisse, Abfolgen und Schlachten zugeordnet wurden, sodass mein Ärger mit jeder Minute stieg.

Des Weiteren enttäuschte auch die sonst so gelungene optische Sphäre. Vor allem die Vegetation und einzelne Szenenbilder sahen äußerst plastisch aus – so, als würden sie bei Berührung umstürzen. Nun hätte man erwarten können, dass wenigstens die Schlachtszenen für die Langatmigkeit entschädigen würden. Das ist aber auch nicht der Fall, denn die zwei größeren Kriegssequenzen offerieren sicherlich gute Ansätze, sind dennoch extravagant hektisch geschnitten worden, sodass es rasch in den Augen schmerzt. Inszenatorisch kann lediglich die gelungene, wenn auch leider oft nicht zu dem Gesehenen passende Filmmusik von Vangelis mit lobenden Worten bedacht werden sowie teilweise das Kostümdesign.

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Letzten Endes war ich jedenfalls überaus froh, auch wenn es makaber klingen mag, als es soweit war und der Titelheld den Tod fand, denn dann war der quälend lange, durchgängig misslungene Film glücklicherweise auch alsbald vorbei. Die einmalige, historische Persönlichkeit hätte zweifelsohne eine besser durchdachte Leinwand-Biographie verdient gehabt. Im konkreten Falle stimmten Kritiker und das Interesse des Publikums wenigstens einmal eindeutig überein, denn „Alexander“ spielte nicht einmal seine (nicht ganz unbeträchtlichen!) Produktionskosten wieder ein, sodass dies Stones größtem finanziellen Flop entsprach. Zudem sprechen sechs Nominierungen im Rahmen der Verleihung der „Goldenen Himbeere“ für sich, von denen allerdings (überraschender Weise) keine „gewonnen“ werden konnte. Deshalb möchte ich mich einem treffenden Zitat von John Venable anschließen, der feststellte: „Diesen Film zu schauen, ist wie im Unterricht eines Geschichtslehrers zu sitzen, der nicht einmal gut erzählen kann.“ Dem muss nichts mehr hinzugefügt werden…

USA / GB / D / NL 2004 - 176 Minuten Regie: Oliver Stone Genre: Monumentalfilm / Historienfilm Darsteller: Colin Farrell, Angelina Jolie, Jared Leto, Anthony Hopkins, Christopher Plummer, Val Kilmer, Rosario Dawson, Erol Sander, Jonathan Rhys Meyers
USA / GB / D / NL 2004 – 176 Minuten
Regie: Oliver Stone
Genre: Monumentalfilm / Historienfilm
Darsteller: Colin Farrell, Angelina Jolie, Jared Leto, Anthony Hopkins, Christopher Plummer, Val Kilmer, Rosario Dawson, Erol Sander, Jonathan Rhys Meyers
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