…und dann gab ich „Es war einmal in Amerika“ nur 7 von 10 Punkten

Ich liebe Spiel mir das Lied vom Tod. Charles Bronson als Mundharmonika, Claudia Cardinale als Jill McBain, Jason Robards als Cheyenne und natürlich Henry Fonda als Frank. Dazu die grandiose Musik von Ennio Morricone die im großen Ganzen aus den jeweiligen Erkennungs-Lieder der vier Hauptfiguren besteht. Once Upon A Time In The West, Farewell To Cheyenne, Finale und natürlich Man With A Harmonica der die Szene im Film untermalt bei der ich die meiste Gänsehaut bekomme und zu den besten 8,5 Minuten der Filmgeschichte zählen: Achtet nur mal auf den Blick nach oben von Henry Fonda um abzuschätzen ob er von der Sonne geblendet werden würde beim Schuss. Er zeigt eine Regung, die Charles Bronson in seinem konzentrierten Verlangen nach Rache nicht zeigte. Er hatte seinen Gegner die ganze Zeit im Auge und es entfaltete sich über den Zeitraum von 8 Minuten ein Drama ganz nach Shakespeare: Wir erfahren die Hintergründe und den Antriebsmotor für Mundharmonikas Suche nach Jack; wir erfahren was für ein abgrundtief sadistischer Mann Jack war und noch immer ist; und wir wissen dass einer im Staub landen wird. Der Rest ist Filmgeschichte.

Bei Es war einmal in Amerika hatte ich diese ganzen Gefühle irgendwie nicht. Keine Frage: Sergio Leone hatte nach Spiel mir das Lied vom Tod und Todesmelodie seine Amerika-Trilogie zu einem guten Abschluss gebracht. Robert De Niro und James Woods spielten ihre Rollen grandios und man konnte Jennifer Connelly in ihrer ersten Rolle sehen. Aber vor allem die erste Hälfte des Films mit den Jugendjahre konnten mich einfach nicht so begeistern wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte. Mit dem Wechsel in das Jahr 1932/33 sowie später in das Jahr 1968 wurde der Film zwar besser, aber der ganz große Moment war mich für mich einfach nicht dabei. Ein guter Film! Ohne jede Frage. Aber mehr auch nicht. Vor allem war ein ein wenig zu lang. Das hatte z. B. Der Pate – Teil II mit einer ähnlichen Laufzeit von rund 200 Minuten deutlich besser gemeistert.

Es waren diese Gedanken die mir durch den Kopf schossen als ich die Straße entlang auf dem Weg nach Hause ging. 7 von 10 Punkte hatte ich dem Film gegeben. Mehr war einfach nicht drin gewesen. Wie die anderen wohl reagieren würden? Ich wusste es nicht.

Musste man einem Klassiker so oder so 10 von 10 Punkte geben? Eben weil er ein Klassiker ist? Ich bin der Meinung: Nein. Jemand der mit Western nichts anzufangen weiß, wird Spiel mir das Lied vom Tod keine 10 von 10 Punkte geben. Oder ein SciFi-Hasser wird den Teufel tun und 2001: Odyssee im Weltraum mit der Höchstwertung beehren.

Ich bog in meine Straße ein und hatte nur noch ein paar Meter zu meiner Wohnung. Doch stoppte ich sofort und blickte ungläubig auf die Menschenansammlung vor dem Haus. Was war denn hier los? Ich ging langsam weiter und vernahm auf einmal die vertraute Stimme von Patrick: „DA IST DAS SCHWEIN!“

Sofort drehten sich dutzende Köpfe in meine Richtung und in diesem Moment wusste ich wie es ausschaut wenn in den zwei Augen eines Augenpaares der blanke Hass loderte; und ich rede von vielen, vielen, vielen Augenpaare.

„Er hat dem Klassiker nur 7 von 10 Punkten gegeben!“, schrie eine Frau und schon warf ein anderer Mann den ersten Stein nach mir der mich knapp verfehlte. Mein Körper war zur Salzsäule erstarrt, meine Füße schwer wie Blei. Ich blickte wie Henry Fonda in den Himmel und wurde von der Sonne geblendet. Nein: Es war nicht die Sonne. Es war Blut, das mir von der Stirn in mein linkes Auge lief. Weitere Steine trafen meinen Körper, ich fiel auf die Knie und hielt meinen Oberkörper fest umklammert der von starken Wellen des Schmerzes umspült wurde.

„Noodles lässt grüßen.“, murmelte Heiko, der aus dem Mob herausgetreten und die wenigen Meter zu mir hin gegangen war.

Hätte ich es verhindert können, wenn ich Es war einmal in Amerika 10 von 10 Punkte gegeben hätte? Vielleicht. Aber es wäre nicht die Wertung gewesen, die der Film verdient gehabt hätte.

Ich schaute auf und lächelte Heiko schwach an. Dann wurde es um mich herum dunkel.

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