Das Historiendrama – ein ebenfalls unterschätztes, filmisches Genre! (Teil 6)

0

Wiederholt haben renommierte Historiker die These aufgestellt, dass weltgeschichtliche Phänomene mehrheitlich direkt mit dem europäischen Lebensraum in Verbindung stehen. Historie ist demzufolge häufig besonders europazentriert, was zweifelsohne mit dessen Vorbildfunktion, aber in gleichem Maß mit dem fortwährenden Eingreifen unserer Vorfahren auf andere Kontinente zusammenhängen dürfte, denn nicht umsonst tragen auch Nordamerika und Australien in vielerlei Hinsicht eine unverkennbar europäische Handschrift. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, dass nahezu alle, bisher im Rahmen der Reihe rezensierten Historiendramen Ereignisse aufgreifen, die sich entweder auf unserem Heimatkontinent ereigneten oder aber die innerkontinentale Perspektive direkt implizieren. Deswegen wird es Zeit, sich nun in der sechsten Episode mit Werken zu beschäftigen, deren Handlungen und Protagonisten geografischer „weiter östlich“ zu lokalisieren sind.

Asien, bekanntlich der mit Abstand flächengrößte und bevölkerungsreichste Erdteil, bietet ein dankbares, wenn auch sowohl in akademischer als auch filmischer Hinsicht bisher recht spärlich genutztes Reservoir. Die hierfür ausgewählten Filme sollen nachfolgend zeigen, dass ein Einblick in fremdartige, fernöstliche Materien mehr als lohnenswert sein kann, sofern die Regisseure sich adäquat mit asiatischen Kulturen und Mentalitäten auseinandersetzen. Genau dann hat Asien auch auf der Leinwand weit mehr zu bieten als nur Kung Fu und Bollywood-Singsang…

Gandhi (1982)

1„Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg.“ … „Auge um Auge führt nur dazu, dass die ganze Welt erblindet.“ … „Stärke entspringt nicht physischer Kraft, sondern unbeugsamen Willen.“ Dies alles sind eindrucksvolle Worte des als Mohandas Karamchand Gandhi in der indischen Küstenstadt Porbandar zur Welt gekommenen Mannes, der gemeinhin besser unter seinem Beinamen „Mahatma“, welcher in Sanskrit so viel wie „die große Seele“ bedeutet, bekannt ist. Gandhi maß nur rund 1,63 Meter, ist dennoch zweifelsohne eine der größten Lichtgestalten des 20. Jahrhunderts, erlangte durch seine Tätigkeit als Anwalt, Schriftsteller, Pazifist, Philosoph, Morallehrer, und revolutionärer, gewaltfreier Widerstandskämpfer globale Berühmtheit und genießt sogar mehr als 65 Jahre nach seinem Tod, auch außerhalb von Südasien, ausgeprägte Verehrung. Gandhis Person und seinen Lebensumständen im Rahmen eines Films gerecht zu werden, war zweifelsohne ein schwieriges Unterfangen, das leicht hätte schief gehen können, doch mit seiner fünften Regiearbeit hat der Brite Richard Attenborough ein außergewöhnlich reflektiertes Filmporträt fertiggebracht, das sich ausnahmslos jeden seiner acht Oscargewinne redlich verdient hat.

2

In epischer Breite wird sein unvergleichbarer Weg bis hin zu dessen Deklarierung als „Bapu“, dem Vater der Nation, in anschaulicher Form thematisiert. Keine wichtige Station seiner Vita zwischen 1893 und 1948 wurde dabei außen vor gelassen. Sein tragisches Lebensende bildet den Erzählrahmen, was dramaturgisch geschickt gewählt worden ist. Angefangen mit seinem basalen, humanitären Wirken in Südafrika über die aufkeimende Gegenwehr der Kolonialherren, die zwei Inhaftierungen nach sich zog, die Rückkehr in seine Heimat, in der er die Idee des „zivilen Ungehorsams“ realisierte und die stringenten Ambitionen, Menschen unterschiedlicher Weltansichten miteinander zu versöhnen, strebt die Handlung konsequent bis zur letztendlich erreichten Unabhängigkeit Indiens vom britischem Empire. Gandhis Ideen wird in Dialogen mit Originalwortlauten viel Platz zugestanden, was besonders essentiell ist, darüber hinaus verdeutlicht, dass Nächstenliebe ein Kennzeichen aller Religionen darstellt. Die angelehnte, extravagant ruhige Erzählweise spiegelt exakt das wider, was den Menschen Gandhi und sein existenzielles Lebensverständnis ausgemacht hat, und zwar epistemologische Geradlinigkeit, innere Ruhe und Besonnenheit sowie ein Dasein ohne große charakterliche Brüche. Im Gegensatz zu vielen Kritikern sehe ich es nicht als verwerflich an, dass es auch lange Szenen gibt, in denen Gandhi und seine Familie beim Weben gezeigt werden. Gegenteilig war es sogar wichtig, um einen alltäglichen Blick von ihm zu erhalten. Die Notwendigkeit, etwaige Sachverhalte hinzuzukonstruieren bestand nicht, denn sowohl Gandhis Person als auch der historische Kontext beinhaltete genug Dramatik, Emotion und Spannung, was sich in dem hervorragend lancierten Originaldrehbuch widerspiegelt und Unterdrückung anprangert.

3Das Publikum erfährt ferner, dass Versuche zur Überwindung der Apartheid nicht erst mit Mandelas Auftreten unternommen wurden und welche Wirkung Hungerstreiks und Protestmärsche erzielen können. Auch der Umstand, dass Gandhis Überzeugungen sich nicht mit seinem von Hass motivierten Attentat verflüchtigt haben, wurde vortrefflich beleuchtet, gleiches trifft auf die Rivalität zwischen den Anhängern dreier Weltreligionen innerhalb des multikulturellen Staates zu. Aufgrund der Akkuratesse ist dem perfektionistischen Regisseur der Drahtseilakt geglückt, bezüglich des Protagonisten die Synthese von Mythos und Logos ausgewogen erkennbar werden zu lesen, ihn somit nicht nur zum Gott zu verklären, sondern als Menschen, der sich selbst nie als überlegen betrachtete. Dass stellenweise Parallelen zum christlichen Messias zutage gefördert wurden, war sicher gewollt und ist legitim, geschah aber deshalb nicht in übertriebener Weise, weil offensichtlich wird, dass er (in Kontrast zu Jesus von Nazareth) schon zu Lebzeiten breite Ergebenheit erfuhr und sich nicht einer speziellen Glaubensgemeinschaft zuordnete, was ebenfalls einbezogen wurde. Ebenso finden wir differenzierte Charakterzeichnungen seiner Zeitgenossen wie Jawaharlal Nehru, Vater von Indira Gandhi, der ab 1947 das Amt des ersten Premierministers bekleidete. Zweifelsohne ist die Laufzeit schon recht gewaltig, jedoch erscheint die mir auch als ein Stück weit erforderlich, um einer Zeitspanne von über fünf Jahrzehnten adäquat gerecht werden zu können. Weggelassen hätte aus meiner Sicht im Prinzip keine einzige Sequenz, doch eventuell wäre es effizient gewesen, manche Gespräche einfach etwas kürzer zu fassen.

4Erhaben ist des Weiteren die berauschende Wirkung auf sämtliche menschliche Sinne. Die Originalschauplätze geben ein ungemein hohes Maß an sozialem Kolorit her. Teilweise können zeitgenössische Fotografien und die filmischen Bauten kaum auseinandergehalten werden, wofür dem verantwortlichen Szenenbildner – zum nunmehr dritten Mal gebühren die Lorbeeren Stuart Craig – zu danken ist. Die verschiedenartigen Kleidungselemente sind ebenfalls herausragend. Zudem wird anhand von „Gandhi“ ersichtlich, welche Wirkung eine abwechslungsreiche Kameraarbeit generieren kann. Ein Beispiel dafür ist die beeindruckende Begräbnisszene, welche im Übrigen die Filmsequenz mit den bis dato meisten, und zwar annähernd 300.000 Statisten, darstellte. Nicht nur die Farbenfrohheit und die Heterogenität der multiethnischen Bevölkerung eines Staates, der demnächst die chinesische Volksrepublik hinsichtlich der Personenzahl überflügeln wird, konnte gerade dadurch vortrefflich verdeutlicht werden, sondern ebenfalls die dokumentarische, niemals jedoch in Nüchternheit abfallende Atmosphäre. Zugegeben sei bei der Betrachtung, dass Fenton & Shakur mit den beiden Scores aus „Sophies Entscheidung“ und „E.T.“ starke Konkurrenz hatten, dennoch sehe ich deren Kompositionen vor den Genannten. So stellt der Titel „Salt“ einen der Gründe dar, warum ich Gänsehaut hatte. Auch dadurch wurde die Kennzeichen der (aus westlicher Sicht) andersartigen, mystisch-traditionellen Welt, aber auch jene des Aufbruchs in eine neue, dynamische, unaufhaltsame Ära akustisch hervorragend wiedergegeben.

5Das Herzstück des Ganzen bildet natürlich der fantastische Hauptdarsteller. So hätte die Transformation Kingsleys mit Gandhi hätte nicht besser ausfallen können, was umso erstaunlicher ist, da es sich hierbei um sein erstes (!) Filmengagement handelte, das zu jenen Darstellungen gehört, an die man sich dauerhaft erinnern wird. Sein Gespür für den realen Charakter ist ergreifend, so dass er den Filmverlauf nahezu im Alleingang trägt, und das nicht nur, weil der diesem zum Verwechseln ähnlich sieht, sondern auch weil er mit ihm gemeinsam alterte. Nicht von ungefähr würde ich das Filmjahr 1982 als Sensationsjahr betiteln, denn mit Meryl Streep und Ben Kingsley gewannen die beiden besten Performances des Jahrzehnts in den zwei Hauptdarstellerkategorien. Zudem ist Hattangadi in der Rolle der treu ergebenen Ehefrau die bisher einzige Darstellerin aus Asien, die je einen BAFTA bekam – und das nicht von ungefähr, denn sie punktet ebenfalls mit Zurückgenommenheit und Authentizität. Erwähnt sei neben souveränen Darbietungen von Candice Bergen, John Gielgud sowie Roshan Seth auch das Debüt von Daniel Day-Lewis als britischer Prolet.

6Schlussfolgernd werden wir durch diesen Dreistünder also Zeuge eines extraordinären Mannes, dessen Philosophie in unsteten, politischen und sozialen Zeiten wie den heutigen wieder mehr Gehör finden sollte, indem man ihn beispielsweise im Unterricht stärker thematisiert. Leider wird Gandhis Weltanschauung wohl immer Utopie bleiben, dennoch wird seine Intention derzeit von der pakistanischen Aktivistin und kürzlich mit dem Friedensnobelpreis geehrten Malala Yousafzai weitergetragen. Ein großer Dank gebührt Attenborough für dieses außergewöhnliche und faktengetreu umgesetzte Meisterwerk, das sogar die Herzen von Geschichtshassern eroberte und zu den besten Biopics überhaupt gezählt werden kann. Analog zu Gandhis Vita ist auch die Filmbiographie ein Abgesang auf den Feudalismus des Kastensystems und ein zeitloser Appell für die Freiheit, der von jedem einmal gesehen werden sollen.

UK / IND 1982 - 181 Minuten Regie: Richard Attenborough  Genre: Historienfilm / Drama / Biographie Darsteller: Ben Kingsley, Roshan Seth, Candice Bergen, John Gielgud, Richard Griffiths, Rohini Hattangadi, Saeed Jaffrey, Martin Sheen, Geraldine James, Ian Charleson, Amrish Puri, John Mills, Günther Maria Halmer
UK / IND 1982 – 181 Minuten
Regie: Richard Attenborough
Genre: Historienfilm / Drama / Biographie
Darsteller: Ben Kingsley, Roshan Seth, Candice Bergen, John Gielgud, Richard Griffiths, Rohini Hattangadi, Saeed Jaffrey, Martin Sheen, Geraldine James, Ian Charleson, Amrish Puri, John Mills, Günther Maria Halmer

 

Anna Und Der König (OT: Anna And The King)

Nicht weniger als fünf Biographien, drei opulente Hollywood-Produktionen, eine beliebte Fernsehserie und ein Broadway-Musical basieren auf der Lebensgeschichte der britischen, wahrscheinlich in Bombay geborenen Anna Harriette Edwards (1831 – 1915), und das, obwohl sie ihres Zeichens „lediglich“ Englischlehrerin war. Zu einer historisch bedeutsamen Persönlichkeit wurde sie nämlich erst dadurch, dass sie ab 1862 – mittlerweile trug sie den ehelichen Nachnamen Leonowens – die annähernd fünfzig Nachkommen des Herrschers von Siam aus der Chakri-Dynastie, „Rama“ Mongkut, unterrichtete. Die filmische Version von Andy Tennant, dem wir auch die herzerweichende Romanze „Auf Immer Und Ewig“ verdanken, ist die am spätesten entstandene und gleichzeitig, verglichen mit den komödiantischen Vorgängern „Anna Und Der König Von Siam“ (1946) sowie „Der König Und Ich“ (1956), die aus meiner Sicht gelungenste, was zahlreiche Gründe hat.

7Illustriert wird das siamesische Königreich, eine absolutistische Monarchie, die sich in der Zeit ihrer größten Ausdehnung auf die heutigen Staaten Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam erstreckte und gerade im letzten Drittel des 19. Säkulums einen geisteswissenschaftlich-politischen Umbruch erlebte. Schrittweise befreite Siam sich von der Kontrolle des „großen Bruders“ China und setzte stattdessen, begründet durch die westlich orientierte Bildung, welche Mongkut als erster asiatischer Herrscher überhaupt im Kloster erhalten hatte und hier detailliert beschrieben wird, auf Prosperität, Vernunft und Wirtschaftsbündnisse mit den imperialistischen Reichen Frankreich und Großbritannien, die fortwährend versuchten, Anspruch auf das fruchtbare Territorium am Mekong zu erheben. In ebendiese, dynamische Phase fällt die Anstellung Leonowens’ als höfische Gouvernante, die sich in „Anna Und Der König“ kontinuierlich über die tief verwurzelten Konventionen der fremden Sozietät hinwegzusetzen versucht, sich dabei allerdings unweigerlich die Sympathien des König erarbeitet. Insgesamt setzten die Macher das Sujet größtenteils faktengetreu um, wenngleich viele Historiker anzweifelten, dass Anna ein derart hohes Maß an Einfluss auf den König besessen habe. Allerdings erscheint der Kurswechsel unter Mongkut und Chulalongkorn, seinem direktem Nachfolger, genau aus diesem Grund besonders plausibel. Dass Leonowens eine Frau von großer Standfestigkeit und Courage gewesen sein muss, beweist zumindest eine Reihe an zeitgenössischen Quellen. Ein etwaig romantisches Verhältnis hingegen ist – das muss trotz des dramaturgischen Effekts eingestanden werden – größtenteils erdacht. Nichtsdestotrotz wird ebendies in der Adaption von 1999 nur zart angedeutet, also nicht als Faktum verkauft und sogar insofern entzaubert, als dass der Landesvater weniger durch Charme als aufgrund von Beharrlichkeit gewonnen wird. Die unbändige und tragische Liebe findet sich glücklicherweise in Form zweier anderer Figuren. Insbesondere im ersten Filmdrittel kommt die grenzenlos imperialistische Denkweise der Engländer anhand von Leonowens’ Person besonders gut zum Tragen, welche sich aber abmildert und die Charakterentwicklung auf beiden Seiten ermöglicht.

8Besonders befriedigend war ebenfalls die Einwebung von problematischen Aspekten wie beispielsweise der Putschversuch aus den eigenen Reihen der royalen Feinde – ein Handlungselement, der in keiner der vorangegangenen Produktionen berücksichtigt worden ist. So orientierten sich ebenfalls die Charakteristika des Daseins als Konkubine sowie das Vorhandensein der „Lieblingsfrau“ des Ramas an Tatsachen sowie auch dessen Angebot an Abraham Lincoln, Elefanten zur Beendigung des Bürgerkriegs entsenden zu wollen. Auch werden bisweilen buddhistische Weisheiten eingeflochten, die aber nie erdrückend oder deplatziert wirken. Während die beiden Vorgänger den Fokus ausschließlich auf die komödiantische Romantisierung der beiden Hauptcharaktere legten wurden hier demzufolge auch kontextuelle Umstände nicht einfach ausgeblendet, weswegen Tennants Film eher ein soziales Drama als amouröse Litanei darstellt. Die Dialoge, teilweise in Originalsprache, überzeugten ebenfalls, jedoch fehlte es meines Erachtens gelegentlich an Stringenz, was aber durch wohldosierte Amüsements über gegenseitige, gesellschaftliche Vorurteile beinahe wieder ausgeglichen werden konnte.

9Hinzu gesellen sich wunderschöne, authentische, detailreiche Filmbauten der Oscarpreisträgerin Luciana Arrighi, welche mithilfe einer gleitenden, malerisch-fotografischen Kameraarbeit beinahe ätherische Qualitäten erhalten und darüber hinaus als die größten und aufwendigsten seit „Cleopatra“ gelten. Bewusst wurde hier mit wechselnden Farbschemata und Schattierungen sowie den atemberaubenden Landschaften von Malaysia gearbeitet, um inhaltliche Kontraste zu verdeutlichen. Auch die viktorianischen wie fernöstlichen Kostüme wurden zu Recht mit einer Nominierung bedacht und sind ein Augenschmaus höchster Güte. Zum nunmehr dritten Mal muss George Fenton mit lobenden Worten bedacht werden, denn er hat erneut herrliche und zum Gesehenen passende Klänge arrangiert, was ihm zu Recht eine Golden-Globe-Nominierung einbrachte.

10Darüber hinaus hatte Jodie Foster angesichts dieses Filmes die wertvolle Möglichkeit, in einem für sie ungewöhnlichen Rollenmuster zu überzeugen – und genau das tat sie. Sie hauchte Leonowens gleichermaßen kämpferisch-feministische wie damenhaft-sanfte Züge ein und ist scheinbar tief in die Psyche des realen Vorbildes eingedrungen, weshalb die ihren Job auch besser machte als Irene Dunne und Deborah Kerr. Man sieht ihrem glaubhaften Spiel bis zum Schluss jedenfalls sehr befriedigt zu und auch die so essentielle Chemie zu ihrem männlichen Gegenpart stimmte. Der in Hongkong geborene Yun-Fat ist der erste Südostasiate in der Rolle des Königs Mongkut, die im direkten Vergleich zu Rex Harrison und Yul Brynner seriöser, widersprüchlicher und glaubhafter angelegt worden ist. Ein kleines Manko stellt sicherlich der Umstand dar, dass er rund zehn Jahre zu jung für die Verkörperung war und dem Monarchen auch optisch nicht besonders glich. Des Weiteren gibt Bai Ling als königliche Konkubine, die aus Liebe zu einem Mönch ins Kloster eintritt, eine kurze, aber sehr intensiv gespielte Nebendarstellung. Hinzu kommt eine erfrischend Darbietung des blutjungen Tom Felton, der seinen Durchbruch später als Draco Malfoy erlangte.

11Im Gegensatz zu den Kritikern empfand ich „Anna Und Der König“ also in der Tat als erfreulichen, überdurchschnittlichen Film, weil er eine „runde Sache“ bildet. Freilich ist er letztlich rund eine Viertelstunde zu lang geraten, dennoch überwiegen andere Vorzüge bei Weitem. Entstanden ist gerade wegen der notwendigen Akzentverlagerung ein geschichtlich-melodramatisches, optisch und darstellerisch überzeugendes, unterschätztes, wenn auch nicht perfektes Porträt über ein Land, das sich trotz der engen Verwurzelung mit seinen Traditionen auf dem Weg zu einem souveränen Staat befand. Dennoch bietet es gleichermaßen Momente für jede Altersklasse und Interessengruppe. Als überaus traurig muss es folglich erachtetet werden, dass der Film in Thailand aufgrund der unverständlichen Brandmarkung als „Majestätsbeleidigung“ nicht öffentlich gezeigt werden durfte…

USA / IL 1999 - 148 Minuten Regie: Andy Tennant Genre: Historiendrama / Romanze Darsteller: Jodie Foster, Chow Yun-Fat, Tom Felton, Bai Ling, Syed Alwi, Randall Duk Kim, Keith Chin, Geoffrey Palmer, Bill Stewart, Deanna Yusoff
USA / IL 1999 – 148 Minuten
Regie: Andy Tennant
Genre: Historiendrama / Romanze
Darsteller: Jodie Foster, Chow Yun-Fat, Tom Felton, Bai Ling, Syed Alwi, Randall Duk Kim, Keith Chin, Geoffrey Palmer, Bill Stewart, Deanna Yusoff

Der Eroberer (OT: The Conqueror)

Weder im schulischen Unterricht noch im Rahmen des Studiums wurde ich bisher jemals explizit mit dem Wirken des zwischen 1162 und 1227 lebenden Mannes, der den Geburtsnamen „Temüdschin“ trug, konfrontiert. Freilich kennt man ihn heute vorrangig unter dem Titel „Dschingis Khan“, und selbst das wohl auch eher im Zusammenhang mit einem Siegel’schen Musikprojekt aus den 1980ern. Das Leben des Großkahns ist, gemessen daran, dass er im Hochmittelalter existierte, verhältnismäßig gut überliefert, sodass wir wissen, dass er die mongolischen Stämme zu einem gigantischen Großreich vereinigte, das vergleichbar groß war wie das heutige Russland. Erst vor Kurzem hörte ich von einer diesbezüglichen Verfilmung aus der klassischen Hollywood-Ära, jedoch überraschender Weise im selben Atemzug, dass dieser trotz hohen Budgets und teilweiser Starbesetzung seinerzeit von Kritikern und Publikum gleichermaßen zerrissen worden ist. Viele bezeichnen sie sogar als eine der schlechtesten Produktionen mit historischem Hintergrund aller Zeiten. Deshalb war ich gespannt darauf, mir anhand von „Der Eroberer“ ein eigenes Urteil zu bilden, gerade weil es schwer vorstellbar war, dass ein Werk aus den 50ern einen kompletten Reinfall entspricht. Doch in der Tat hatte die Mehrheit der Zeitgenossen voll und ganz Recht!

12Geschildert wird mit dem Eroberungszug gegen die in der Nähe des Baikalsees angesiedelten Merkiten lediglich eine einzige, noch dazu recht unbedeutende Schlacht des Mongolenführers. Dies an sich wäre schon eine sehr dünne Grundlage für ein reflektiertes Porträt gewesen, doch man konzentrierte sich stattdessen weniger auf territoriale Gewinne oder seine Persönlichkeit als auf die widerspenstige Liebesgeschichte des Khans zu Bortai, welche hier als unterworfene Kriegsgefangene charakterisiert wird. Leider wurde dabei übersehen, dass ebendiese Frau nicht zur feindlichen Volk gehörte, sondern eine Tochter von einem seiner Generäle gewesen ist, welche bereits im Alter von zehn Jahren mit Temüdschin verheiratet worden ist. Eingeführt werden auch die Tataren, welche ihn festnahmen und Bortai befreiten, doch hierauf stützt sich bereits der nächste historische Blackout, denn die Volksgruppe – obendrein war sie muslimisch geprägt – lebte im 13. Säkulum ganze 3000 Kilometer weiter westlich. Darüber hinaus wurde der Mongole, über den man aus historischer Perspektive nichts lernen kann, erst ein Jahrzehnt später offiziell zum titeltragenden Alleinherrscher erhoben, welcher das Reich von Korea bis ans Kaspische Meer erweiterte, sodass man von einer kompletten Realitätsverzerrung sprechen muss. Über die Einführung einer Wehrpflicht und die Verbreitung der mongolischen Kultur wird demgegenüber kein Wort verloren. Diese grundlegenden, kontextuellen Entgleisungen allein weisen darauf, dass man sich nicht einmal mit Eckpunkten des kurzen Abschnittes länger als einen Atemzug auseinandergesetzt hat.

13Der weitestgehende Dilettantismus zeigte sich sogar auf visueller Ebene überdeutlich. Das Make-Up ist besonders miserabel geraten, denn man sieht förmlich, dass der Darstellerriege ein zentralasiatisches Gesicht künstlich aufgeschminkt worden ist. Zudem wirken die Jurten und Orte nicht annähernd so, als befände man sich inmitten der Steppe, sondern sehr stoisch und konstruiert, man möchte auch sagen kostengünstig. Das Annehmbarste waren die farbenprächtigen Kostüme, womöglich aber deshalb, weil es sich meiner Kenntnis entzieht, wie die Zentralasiaten im Mittelalter gekleidet waren. Auch abseits der Gestaltung wurde es schnell mehr als offensichtlich, dass Dick Powell, welcher sich zuvor als Film-Noir-Schauspieler etabliert hatte – in seiner Funktion als Regisseur dermaßen krampfhaft versucht hat, einen ernsten Eindruck zu erwecken, dass im Endeffekt genau Gegenteiliges erreicht worden ist. Angesichts der sinnarmen, bruchstückhaften, aus der englischen Literatur kopierten und teilweise selten debilen Wortwechsel, die so gar nicht zur Epoche passen wollten, musste ich mir jedenfalls mehr als einmal das Lachen verkneifen. Hinzu kommt ein völlig hanebüchenes Finale. Die unspannende Handlung verkommt aber schon früher rasch zum albernen, plumpen Abklatsch eines Sandalenfilms mit hineingequetscher Western-Symbolik. Revolver wurden hier, bildlich gesprochen, gegen Schwerter ausgetauscht und die Wildwestprärie gegen die gobische Wüste, was eindeutig auch mit dem begrenzten Besetzungsmuster des Hauptdarstellers zusammenhängt. Nicht nur sein aufgeklebtes Bärtchen, sondern auch Mimik und Gestik wirken dermaßen unstimmig, dass man am liebsten schreien würde: Hol dir lieber deinen Cowboyhut und zieh endlich Leine!

14Nicht einmal die Darsteller – kein einziger von ihnen stammte aus Asien – konnten die hier vorzufindende, filmische Katastrophe ersten Grades abwenden. Bezüglich des Engagements von John Wayne stimme ich den Kritikern zu, denn auch ich noch nie eine derartig krasse Fehlbesetzung gesehen! Ich wüsste zu gern, wer sich für ihn entschieden hat. Er spielte komplett am (obendrein viel jüngeren) Vorbild vorbei und gab sich aufgrund von mangelndem Timing, unglaubwürdigen Gesichtsausdrücken und konsequenten Ermüdungserscheinungen teilweise der Lächerlichkeit preis. Ich persönlich erachte Wayne ohnehin als einen der wenigen Oscarpreisträger, die – trotz mäßigen Talents und einer aufgeprägten Facettenarmut – hochgejubelt wurden, doch niemand kann am konkreten Beispiel ernsthaft bestreiten, dass es sich nicht um eine grottenschlechte Darbietung handelt, die nicht mal zur Belustigung beiträgt. Das Potential von Susan Hayward und Agnes Moorehead – beide Damen erhielten in ihrer Karriere jeweils eine Handvoll Oscarnennungen – wurde dagegen komplett verschenkt. Lediglich Letztere war halbwegs in der Lage, gegen das stupide Drehbuch anzukämpfen, während Hayward reserviert agierte und das restliche Ensemble erschreckend beklagenswerte, eindimensionale Auftritte absolvierte. Grundsätzlich beschlich mich des Öfteren das Gefühl, als habe man stets den ersten Take in die Endfassung übernommen, um auf diese Weise möglichst schnell fertig zu werden.

15Es mag vielleicht geschmacklos klingen, aber das mit Abstand Interessanteste an diesem belanglosen, schlecht durchdachten Desaster sind die tragischen Entstehungshintergründe. Sämtliche Außenaufnahmen wurden nämlich unweit eines Atomwaffentestgeländes in Utah gedreht, wo zum gleichen Zeitpunkt – ob ebendies in Kenntnis oder Unkenntnis des Filmteams geschehen ist, konnte bis heute nicht umfassend geklärt werden – die Atombombe „Dirty Harry“ gezündet worden ist, deren giftiger Niederschlag in selbiger Windrichtung zu Boden ging. Es liegt somit äußerst nahe, dass die Welle an freigesetzter Radioaktivität für die Krebserkrankungen Waynes, Haywards, Mooreheads sowie etwa fünfzig Prozent der Filmcrewmitglieder verantwortlich gewesen sein dürfte, denn auch für die Dekoration wurde mutmaßlich kontaminierter Sand verwendet. Dieser Film sollte – genau wie die Herstellung und Verwendung von nuklearen Waffen – für immer vor der Zivilisation ferngehalten werden!

USA 1956 - 111 Minuten Regie: Dick Powell Genre: Historiendrama / Abenteuer / Biographie Darsteller: John Wayne, Susan Hayward, Pedro Aremdáriz, Agnes Moorehead, Thomas Gomez, John Hoyt, William Conrad
USA 1956 – 111 Minuten
Regie: Dick Powell
Genre: Historiendrama / Abenteuer / Biographie
Darsteller: John Wayne, Susan Hayward, Pedro Aremdáriz, Agnes Moorehead, Thomas Gomez, John Hoyt, William Conrad
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Artikel, Historienfilme, Reviews. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.