Die Entdeckung Der Unendlichkeit (OT: The Theory Of Everything)

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2013 und 2014 bescherten mir „Liebe“ und „Der Butler“ jeweils die allerersten und noch dazu äußerst befriedigenden Kinobesuche. Dieser Trend setzt sich im noch jungen Jahr 2015 nahtlos fort, denn „Die Entdeckung Der Unendlichkeit“ hat mir – entgegen meines Verdachts – vor Augen geführt, dass es inmitten der aktuellen, aus meiner Sicht bisher mediokren Filmsaison noch Werke gibt, an die ich mich zweifelsohne auch nach der Oscarverleihung gern erinnern werde. Interessant ist dies, weil ich mich bis dato weder mit der Vita noch mit den wissenschaftlichen Errungenschaften Stephen Hawkings näher beschäftigt habe, doch in James Marshs Drama wird genau dafür ausreichend Raum geschaffen, indem man den Fokus nicht ausschließlich auf seine kosmologischen Errungenschaften, sondern primär auf emotionale Aspekte seines beeindruckenden Lebens legte…

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Basierend auf den Memoiren von Jane Hawking, werden die Jahre zwischen 1963, also der Zeit, in der Stephen und Jane sich als Studenten kennenlernten, und dem fast drei Dekaden späteren Veröffentlichungsjahr des Buches „Eine Kurze Geschichte Der Zeit“ thematisiert. In ausgewogener Mischung wird der Zuschauer durch die elegante Regieführung und ein stimmiges Drehbuch gleichermaßen Zeuge biographischer wie amouröser Elemente rund um die zu keinem Zeitpunkt idealisierte Entwicklung der Beziehung der beiden Hauptakteure und des durch ALS ausgelösten, körperlichen Verfalls des Mannes, dessen Intelligenz bis zum heutigen Tag unbesiegt blieb. Erfreulicherweise wurden physische Fachtermini auf ein verstehbares Niveau heruntergebrochen. Einen weiteren Vorzug bildet die eloquente Synthese von milder Erzählatmosphäre, einer angemessenen und intelligenten Dialogisierung mit geschmackvollen, humoristischen Ausschmückungen sowie der visuell reduzierten Inszenierungsart. Gerade deswegen wurde auch der Lebensstil der Briten im Laufe der Zeit hervorragend getroffen, hinzu kam der ansprechend fotografierte Dreh an Originalsets wie der malerischen Cambridge-Universität sowie zeittypische Kostüme. Die Arbeit der Make-Up-Artisten hat es zu Recht auf die Oscar-Shortlist geschafft und wird hoffentlich auch nominiert werden, denn die Darsteller kommen den realen Vorbildern extrem nahe. Ferner war es die konsequente Beibehaltung von Stilmitteln und Metaphern, angelehnt an das Prinzip der Rotation, welches mir über die Maßen gut gefallen hat, gleiches trifft auf die wunderschön in Szene gesetzte Schlusssequenz zu, die das allgegenwärtige Momentum der Zeit noch einmal resümierend aufgreift sowie auch die gekonnte, personifizierte Kontrastierung von Wissenschaft und Glauben. Ein verkraftbares Manko stellt eine vielleicht um zehn Minuten zu lang ausgedehnte Laufzeit dar, was jedoch durch markerschütternde Augenblicke wie beispielsweise die „Croquet-Sequenz“ wieder wettgemacht wurde. Als nichts anderes als herausragend kann dagegen die brillante Filmmusik des Isländers Jóhannsson bezeichnet werden, die mich neben der ohnehin emotionalen Handlung mehrfach so sehr ergriff, dass die Tränen literweise flossen. Eine solch nachhallende, akustische Untermalung kam mir zuletzt in „Philomena“ zu Ohren.

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Oftmals wird man bei hochgesteckten Erwartungen, was die Darsteller anbelangt, bitter enttäuscht, doch dies war im konkreten Beispiel nicht ansatzweise der Fall. Eddie Redmayne, der bisher fast ausschließlich in opulenten Historiendramen wie „Die Schwester Der Königin“ und „Les Misérables“ in Erscheinung trat und darin bereits einen Teil seines Könnens unter Beweis stellen konnte, liefert in der Hauptrolle jedoch allumfassend Außergewöhnliches ab! Er fand sich in den herausfordernden, teilweise recht fremdartigen Charakter ein und hat es geschafft, mit ihm und seinen inneren Gefühlsregungen zu verschmelzen und besonders in der zweiten Hälfte nur mit Mimik und Gestik so zu fesseln, dass einem erlaubt wird, an seinem Schicksal Anteil zu nehmen. Felicity Jones gab ebenfalls ihr Bestes und überzeugt in der Rolle der Jane Hawking mit Authentizität, doch der Leistung ihres Gegenübers kann sie aus meiner Sicht nicht ganz standhalten, wenngleich eine Nichtberücksichtigung derzeit unwahrscheinlich erscheint. Wie gewohnt zeigte auch der von mir hochgeschätzte David Thewlis eine ansprechende Leistung, während auch die mir zuvor unbekannten Ensemblemitglieder Maxine Peake und Charlie Cox aufgrund ihres empfindsamen Agierens sehenswerte Akzente setzen konnten.

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Somit kann Marshs Filmbiographie vordergründig als ein leises und poetisches, aber nicht minder anspruchsvolles Melodram von hohem Symbolwert angesehen werden, das selbst denjenigen zutiefst zu Herzen gehen dürfte, die (wie ich) von der Physik nicht den blassesten Schimmer haben… „Die Entdeckung Der Unendlichkeit“ – den deutschen Titel erachte ich im Übrigen als weitaus besser – ist ein harmonisches Werk, das dem porträtierten Wissenschaftler gerecht wird, dem Publikum aber auch aufzeigt, welch großen Stellenwert der Überlebens- und Schaffenswille in Relation zur Aufopferungsbereitschaft einnimmt. Ich hoffe deshalb sehr, dass die Filmmusik und der grandiose Hauptdarsteller in einer Woche mit dem Golden Globe ausgezeichnet werden und möchte bis dato von der mit Abstand besten Produktion der Saison sprechen.

UK 2014 - 123 Minuten Regie: James Marsh Genre: Drama, Biographie, Romanze Darsteller: Eddie Redmayne, Felicity Jones, Charlie Cox, David Thewlis, Charlotte Hope, Maxine Peake, Emily Watson, Georg Nikoloff, Abigail Cruttenden, Enzo Cilenti
UK 2014 – 123 Minuten
Regie: James Marsh
Genre: Drama, Biographie, Romanze
Darsteller: Eddie Redmayne, Felicity Jones, Charlie Cox, David Thewlis, Charlotte Hope, Maxine Peake, Emily Watson, Georg Nikoloff, Abigail Cruttenden, Enzo Cilenti
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