Cinderella

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Seit einigen Jahren erfreut sich die Inszenierung von familienorientierten Realverfilmungen, die auf traditionellen Märchenstoffen aus Europa und den davon inspirierten, weltbekannten Zeichentrick-Meisterwerken aus dem Hause Disney basieren, wieder gesteigerter Beliebtheit. Nachdem erst im vergangenen Sommer „Maleficent“ veröffentlicht wurde und sich eine neuerliche Adaption von „Die Schöne Und Das Biest“ bereits in der frühen Produktionsphase befindet, hat sich das Multitalent Kenneth Branagh nun dem erklärten Lieblingsmärchen von Amerikanern und Deutschen angenommen. Mit diesem farbenprächtigen Rührstück beweist er vor allem eines, und zwar, dass er sowohl als Schauspieler in „Hamlet“, „Harry Potter Und Die Kammer Des Schreckens“ sowie „My Week With Marilyn“ als auch auf dem Regiestuhl mit viel Herzblut zu überzeugen weiß. Der inzwischen geadelte Brite zeichnet sich vor allem durch seine Affinität für Shakespeares Vermächtnis aus, was auch in „Cinderella“ eindeutig zutage tritt, denn speziell die Dialoge und die Ausformung der höfischen Kultur verströmen ein hohes Maß an klassisch-britischem Zeitgeist.

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Die altbekannte, im konkreten Falle besonders melodramatisch-romantisch angehauchte Geschichte um das liebenswerte, verwaiste Mädchen, das von seiner gehässigen Stiefmutter und deren unausstehlichen Töchtern zur Dienstmagd degradiert wird und dennoch vom königlichen Ball träumt, offeriert einfach eine unvergängliche und bezaubernde Relevanz. Endlich einmal wieder wurde ein Märchen der Gebrüder Grimm, das wiederum einer Erzählung von Charles Perrault nachempfunden wurde, in vielerlei Hinsicht originalgetreu, ohne düstere Komponenten, jedoch mit einigen legitimen und äußerst amüsanten Neueinfällen auf die Leinwand gebracht. Freilich wird einem die Intention, seinen Mitmenschen stets mit Freundlichkeit entgegenzutreten, bisweilen wie eine Keule um die Ohren gehauen, doch insbesondere die Erweiterung des sozialen Gefüges auf unterschiedliche Ethnien steht symbolisch für die Gewährung von Toleranz, während einige, gegen Ende gelagerte, gut durchdachte Szenen ein ungewöhnlich hohes Maß an Tiefgründigkeit beinhalten. Während die berückenden, visuellen Effekte wohldosiert eingesetzt worden, stellt vor allem die Ballszene ein reizüberflutendes Meer aus Lichtern, akribisch gefertigten Kulissen, atemberaubenden Kostümen und künstlerischer Extravaganz dar, das mit Licht und Schatten spielt und zum Träumen einlädt und folglich ähnliche Qualitäten wie die Ausstattung in „Der Große Gatsby“ verströmt. Einen weiteren Pluspunkt sehe ich darin, dass den menschlichen Eigenarten deutlich mehr Raum zur Entfaltung zugestanden wird als Ellas tierischen, wenngleich äußerst liebevoll animierten Freunden, die in der Zeichentrickversion von 1950 das Geschehen nahezu im Alleingang bestimmen. Auch den eingängigen, für Disney-Verhältnisse fast schon reduzierten Klängen kann man im Zusammenspiel mit dem schönen Song „Lavender’s Blue“ Einiges abgewinnen.

CINDERELLA

Vor allem ist es aber das Ensemble, das fast auf ganzer Linie überzeugen kann. Lily James, bekannt aus „Downton Abbey“, liefert als titelgebende Hauptdarstellerin, für die ursprünglich Emma Watson vorgesehen war, eine weitaus überzeugendere und feinfühligere Performance ab als beispielsweise Lily Collins und Elle Fanning, die in „Spieglein, Spieglein“ und „Maleficent“ jeweils den Part der Prinzessinnen übernahmen. Bezüglich der darstellerischen Fähigkeiten von Cate Blanchett erübrigen sich langsam jedwede Erklärungen, denn sie beweist in der Rolle der bösartigen Lady Tremaine eindeutig, dass sie in der Tat zu den wenigen Schauspielerinnen unserer Zeit gehört, die imstande sind, wirklich jeder Filmfigur ein hohes Maß an Tiefe zu verleihen – ganz gleich, ob sie nun eine erhabene Königin, ein manisch-depressives Individuum oder eine amouröse Hausfrau verkörpert. Zudem hat mir Bonham Carter, die den Part der sympathischen, wenn auch fahrigen Fee – entgegen zeitweiliger Befürchtungen – durch ihre gewinnbringender Art und einen Schuss Selbstironie beinahe genauso gut gefallen wie in der Rolle eines Bösewichts. (Witziger Weise hätten sie und Blanchett auch jeweils entgegengesetzt besetzt werden können.) Lediglich das Engagement eines glaubhaft agierenden Prinzen scheint sich in Hollywood-Kreisen schwierig zu gestalten, denn Richard Madden fehlte es stellenweise an Ausdruck.

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Allen Kritikern, die gerade die unbestreitbar kitschigen und bezüglich der Personenzeichnungen überzeichneten Züge beanstanden, sei schlussendlich mit Nachdruck entgegengehalten, dass Disney-Werke genau dieses kennzeichnende Momentum seit Jahrzehnten mit Erfolg und Absicht zelebrieren. Entstanden ist meines Erachtens eine farbenprächtige, erfreulicherweise angemessen konventionelle Neuinterpretation, die mithilfe ihres Übermaßes an Herz, Esprit und Charme Menschen jeden Alters gleichermaßen ansprechen und verzaubern dürfte, aus meiner Sicht aber auf keinen Fall an „Auf Immer Und Ewig“ aus dem Jahr 1998, die für mein Empfinden mit Abstand schönste und vielschichtigste Aschenputtel-Verfilmung, heranreicht. Ich bin mir dennoch verhältnismäßig sicher, dass sich zumindest Kostüm- und Produktionsdesigner in der kommenden Saison berechtigte Hoffnungen auf einen Oscar machen dürfen.

USA / UK 2015 - 105 Minuten Regie: Kenneth Branagh Genre: Märchen / Fantasy / Romanze Darsteller: Lily James, Richard Madden, Cate Blanchett, Holliday Grainger, Sophie McShera, Helena Bonham Carter, Stellan Skarsgård, Derek Jacobi, Nonso Anozie
USA / UK 2015 – 105 Minuten
Regie: Kenneth Branagh
Genre: Märchen / Fantasy / Romanze
Darsteller: Lily James, Richard Madden, Cate Blanchett, Holliday Grainger, Sophie McShera, Helena Bonham Carter, Stellan Skarsgård, Derek Jacobi, Nonso Anozie
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