Die Verführten (OT: The Beguiled)

Ungewöhnlich lange betrug die Zeit des Zögerns im Hinblick auf die Inaugenscheinnahme der Literaturverfilmung „Die Verführten“, die bereits im Rahmen der Filmfestspiele an der Côte d‘Azur uraufgeführt worden ist und seitdem nur eine äußerst limitierte Kinoveröffentlichung erfuhr. Sofia Coppolas vor nunmehr 11 Jahren unternommener Ausflug ins historische Genre namens „Marie Antoinette“ bildete in der Tat den Hauptgrund dafür, denn dieses Werk hatte abgesehen von exklusiven Kostümen leider auf qualitativer Ebene nicht viel zu bieten. Dass Coppola in Cannes jedoch als erst zweite Frau überhaupt den Preis für die „Beste Regieleistung“ entgegennehmen durfte, erweckte andererseits gleichermaßen Ehrfurcht als auch Neugier. Zweifelsohne erfordert die nunmehr siebente Kinoproduktion der gebürtigen New Yorkerin sowohl Einlassungsbereitschaft als auch Geduld, die letzten Endes Belohnung erfahren, denn die Neuadaption stellt eine düstere, ungeahnt moderne Parabel für die Bedeutung von Geschlechtersolidarität und die möglichen Konsequenzen enttäuschten Verlangens dar. Massenkompatibel mag der Anderthalbstünder sicher wieder einmal nicht sein, nichtdestotrotz merkt man ihm in angenehmer Weise an, dass darin auch nicht die vordergründige Zielsetzung bestand.

Angesiedelt in der Ära des folgenreichsten Krieges in der angloamerikanischen Geschichte, die bereits „Vom Winde Verweht“ und „Betty Und Ihre Schwestern“ vortrefflich illustrieren konnten, trägt das Gebotene unverkennbare, kammerspielartige Charakteristika und fokussiert – abgesehen von entfernt ertönenden Schüssen – nicht das geschichtliche Gesamtkonstrukt als solches, sondern vordergründig das zunehmende, psychologische Chaos von vier der lediglich acht agierenden Figuren. Der bereits 1971 unter dem Titel „Betrogen“ über die Leinwand flimmernde Roman „A Painted Devil“, in dem ein verwundeter Unionssoldat in einem entlegenen Mädchenpensionat auf dem Gebiet der Konföderierten Staaten landet, wird perspektivistisch ins genaue Gegenteil gekehrt und gerät zum anspruchsvollen, in vielerlei Hinsicht emanzipatorischen und demaskierenden Vexierspiel, das von seiner wohl platzierten, gelungenen Dialogen lebt. In fast schon furchterregend entschleunigender Manier beginnt mit zunehmender Genesung des vermeintlichen Deserteurs ein regelrechtes Schaulaufen der anfangs tugendhaften Damen um die Aufmerksamkeit und erotischen Avancen des Unbekannten, die als Ausdruck ungeahnter Sehnsüchte sowie emotionaler Leere verstanden werden kann und moralische Fragen aufwirft. Unbestreitbar nimmt der Weg bis hin zur unvermeidlichen Eskalation wegen der Aktionsarmut der ersten Hälfte zu viel Raum in Anspruch, worin auch der hauptsächliche Makel der Produktion besteht, demgegenüber weiß insbesondere die optische Sphäre nahezu vollständig zu überzeugen. Vor allem der meisterhafte Einsatz von enggehaltenen Kamerabewegungen und der von Finsternis durchzogenen Lichtgestaltung, die nur an markanten Stellen mittels Kerzen schemenhaft erhellt wird, erinnert durch ihre visuelle Kraft mehrfach an eine fesselnde Mischung aus „Das Piano“ und „The Others“ und egalisiert den Umstand, dass die musikalische Untermalung der französischen Band Phoenix ebenfalls überaus reduziert gehalten worden ist. 2017 scheint darüber hinaus ganz offensichtlich das Jahr der großartigen Ensembleleistungen zu sein, denn neben „Mord Im Orient-Express“ und „The Party“ kann auch „Die Verführten“ als vortrefflich besetztes Darstellerkino punkten, das nicht nur Theaterliebhabern unbändige Befriedigung verschaffen dürfte. Der in einer Phase der Karriere-Reanimation befindlichen Nicole Kidman gelingt es nicht nur, einen perfekten Südstaatenakzent zu imitieren, sondern auch eine ihrer bisher eisigsten Performances zu entbieten, der es in keiner Sekunde an Glaubwürdigkeit und Biss mangelt. Besonders überraschte zudem die feinfühlige, nuancierte und qualitativ enorm optimierte Darbietung von Elle Fanning, während Kirsten Dunst genauso auftrat, wie man sie als Zuschauer gerne sieht. Ein weiteres Lob geht neben den Nachwuchsdarstellerinnen jedoch an den einzigen Mann im Munde, denn Farrell offeriert wie bereits in „Fräulein Julie“ ein präsentes, authentisches und gekonnt zwischen Verführung und Rage pendelndes Auftreten.

Insbesondere im Hinblick auf das grandios in Szene gesetzte, spannende Finale überflügelt „Die Verführten“ seinen Vorgänger um Längen und legt eine spezielle, allerdings stimmige Synthese von ethischen Gleichnissen und Interaktionen frei, die der literarischen Basis neue Lesarten hinzufügt. Größere Oscarchancen bestehen aufgrund des frühen Starttermins vermutlich nicht, jedoch erscheint zumindest eine Nominierung für die exzellenten Kostümkreationen einer bis dato recht unbekannten Designerin im Bereich des Möglichen. Schauspielerisch erhaben und inszenatorisch trotz (oder gerade wegen) des sparsamen, aber erlesenen Einsatzes von Stilmitteln betörend, ist das Drama möglicherweise nicht allumfassend perfekt, liefert jedoch einen stichhaltigen Beweis dafür, dass kreative Frauen viel häufiger auf dem Regiestuhl Platz nehmen sollten.

USA 2017 – 93 Minuten
Regie: Sofia Coppola
Genre: Historiendrama / Kammerspiel
Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning, Angourie Rice, Oona Laurence, Emma Howard, Addison Riecke
Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Filme, Oscar Contender, Reviews. Fügen Sie den permalink zu Ihren Favoriten hinzu.