Judy

© Pathé

Exakt 50 Jahre nach dem Tod von Judy Garland, die vom American Film Institute auf Platz 8 der erfolgreichsten Filmstars aller Zeiten gewählt wurde, wagte man sich an eine Adaption ihrer Vita und beschränkte sich größtenteils auf die Schattenseiten ihrer Karriere. Zahlreiche Mythen ranken sich um die als Frances Ethel Beth geborene Dame, welche nicht nur in der schwulen Community seit Jahrzehnten glorifiziert wird. Trotz großer Erfolge war wohl keine andere Leinwanddiva so unfähig mit Rückschlägen umzugehen wie Garland, was sich unter anderem darin zeigte, dass sie Suizidgedanken entwickelte, nachdem sie sich für ihre oscarnominierten Rollen jeweils Grace Kelly und Rita Moreno geschlagen geben musste. Seit dem 02. Januar flimmert das gleichnamige Porträt nunmehr auch über die deutschen Kinoleinwände und darf mit Fug und Recht als erste große Überraschung des frischen Jahres angesehen werden, die mit einer galaktisch guten Schauspielleistung aufwartet und der Dargestellten obendrein ein überaus feinfühlig inszeniertes, würdiges Denkmal setzt.

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In einem ihrer letzten Interviews sagte die von Alkohol- und Tablettensucht gezeichnete Garland: „Wenn ich eine Legende bin, warum bin ich dann so einsam?“ Insbesondere dieser Fragestellung geht Regisseur Goold in seiner erst zweiten Leinwandproduktion nach und beweist sowohl Faktentreue als auch ein enormes Gespür für die Psyche einer zerbrochenen Seele, die zwischen ihren Kindern, Geldsorgen und der Aufrechterhaltung des Ruhms hin- und hergerissen ist. Genau wie eine Reihe anderer Biopics ist auch in „Judy“ das Skript voll und ganz auf die Belange seiner Protagonistin zugeschnitten. Dies mag Renée Zellweger ein enormes Maß an Raum zur ungehinderten Entfaltung geben, lässt die Erzählweise jedoch gelegentlich einen Hauch zu konventionell anmuten. Dafür entschädigt jedoch die optische Aufmachung vollends, die sich im Hinblick auf Kostüme, Maskenarbeit und Szenenbilder hinter „Rocketman“ und „Once Upon A Time … In Hollywood“, welche exakt dieselbe Ära aufleben lassen, absolut nicht zu verstecken braucht. Die ebenfalls aufwendig gestalteten Rückblenden in die Drehzeit des Meilensteins „Der Zauberer Von OZ“ verlangen vom Publikum mitunter filmgeschichtliches Hintergrundwissen ab, heben aber mit Nachdruck heraus, unter welch unmenschlichem Druck die Stars der goldenen Hollywood-Ära durch die Übermacht der Studios standen. Lobenswert ist auch die Einflechtung dessen, dass Garland schon zu Lebzeiten eine Ikone der Schwulen war, jedoch geschah ebendies in leicht klischeehafter Weise. Demgegenüber wird der Zweistünder einerseits von eindringlichen Dialogen und gelungen arrangierten Musikeinlagen durchzogen. Dass die Hauptdarstellerin in ebenjenem Jahr geboren wurde, als das reale Vorbild verstarb, birgt eine gewisse Ironie in sich, denn auch im Hinblick auf die Performance lässt sich vielfach zwischen der Porträtierten und der Porträtierenden kaum differenzieren. Entgegen aller Befürchtungen gelingt es ihr, eine überragende, tiefempfundene Performance zu liefern, ohne dabei ins Overacting zu verfallen. Ebendies stellte insbesondere deswegen keine leichte Aufgabe dar, da Garlands Verhalten gerade in ihren letzten Lebensjahren zwischen Zwangsmechanismen, Resignation, Affektiertheit, Arroganz und Gebrochenheit schwankte. Zellweger jedoch meistert all diese Facetten zugleich. Speziell die Szene, in der sie vergeblich auf ein liebes Wort ihrer zweitgeborenen Tochter wartet und der Augenblick, in dem sie mit „Over The Rainbow“ den vielleicht bedeutendsten Musicalklassiker der Geschichte zum Besten gibt, avancieren zu magischen Momenten. Aufgrund ihrer Präsenz und des nachfühlbaren Herzbluts verzeiht man auch, dass Zellwegers stimmliches Timbre nicht jene Rauchigkeit der echten Judy erreicht. Darüber hinaus erweisen sich auch Michael Gambon und Jessie Buckley als gewinnbringende Besetzungen, dennoch überstrahlt die Hauptdarstellerin alles und jeden und darf sich berechtigte Hoffnungen auf ihre zweite Oscarstatuette machen.

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Die melancholische Musikbiographie verdeutlicht nicht zuletzt, dass Garlands unglückseliges Lebensende aufgrund ihrer Vorgeschichte einer gewissen Unvermeidbarkeit unterworfen war. Unabhängig davon, ob der Zuschauer sich allerdings näher mit ihrem Werdegang beschäftigt hat oder nicht, trifft das Gebotene mitten ins Mark und hinterfragt außerdem den sprichwörtlichen Weg über den Regenbogen. In der finalen Szene möchte man auf die in den Raum geworfene Frage „Ihr werdet mich nicht vergessen, oder?“ am liebsten emsig mit dem Kopf schütteln, während sich wohl selbst hartgesottene Individuen dabei erwischen dürften, ein Tränchen von der Wange zu wischen.

USA 2019 – 118 Minuten
Regie: Rupert Goold
Genre: Biographie / Musikfilm
Darsteller: Renée Zellweger, Finn Wittrock, Rufus Sewell, Michael Gambon, Jessie Buckley, Darci Shaw, Richard Cordery, Bella Ramsey, Lewin Lloyd, Gemma-Leah Devereux, Andy Nyman, Gus Barry
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