Ratched

Erster deutscher Trailer zur neuen Serie „Ratched“ online Filme.de
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In dem Lucia State Hospital geht man mit der Zeit, denn Dr. Richard Hanover (Jon Jon Briones), der die psychiatrische Anstalt leitet, nutzt nur die neuesten Methoden und Techniken, um seine zahlreichen Patienten und Patientinnen von ihren Geisteskrankheiten zu heilen. Doch zuletzt kommt es immer wieder zu seltsamen Vorkommnissen, die seinen guten Ruf und damit das Schicksal des Hauses bedrohen. Glücklicherweise ist Mildred Ratchet (Sarah Paulson) aber da, eine neue und überaus eifrige Schwester, die für alles einen Rat hat – sehr zum Leidwesen von Oberschwester Betsy Bucket (Judy Davis), die so gar nicht glücklich über die junge Konkurrenz ist. Dabei hat Ratchet ganz andere Pläne, es geht ihr weniger um die Anstalt oder die Patienten. Vielmehr ist sie wegen Edmund Tolleson (Finn Wittrock) gekommen, der zuvor vier Priester brutal ermordet hat und dessen Schuldfähigkeit nun festgestellt werden soll…

Momentan scheint es in Mode gekommen zu sein Serienableger von erfolgreichen Nebenfiguren zu machen, bei der neuen Netflix-Serie Ratched hingegen überwiegt dann schon die Verwunderung. Warum sollte man Jahrzehnte nach dem Buch Einer flog über das Kuckucksnest von Ken Kesey bzw. der oscargekrönten Filmumsetzung mit Jack Nicholson und Louise Fletcher eine Serie über die fiese Oberschwester machen wollen, die in der Anstalt die Patienten terrorisierte?

Dabei handelt es sich im Fall von Ratched nicht direkt um ein Spin-off. Vielmehr hatte Evan Romansky die Idee zu erzählen wie ein Mensch zu einem Monster werden kann. Diese Entwicklung verläuft dabei alles andere als geradlinig. Wenn wir die Titelfigur kennenlernen, dann ist sie noch sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite merkt man schnell, dass sie keinerlei Skrupel hat, wenn es um das Verfolgen ihrer Ziele geht: Sie intrigiert, ruiniert, schreckt auch vor größeren Opfern nicht zurück. Gleichzeitig ist sie schockiert von den Behandlungen der Anstalt, welche alles andere als menschenwürdig sind.

The women of 'Ratched' on Netflix open up about Hollywood - Los Angeles Times
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Alles Zutaten um ein spannendes Drama machen zu können, welches noch lange nachwirkt. Tatsächlich gelingt es Hauptdarstellerin Sarah Paulson sehr gut, sowohl die warmherzige, als auch eiskalte Seiten ihrer Figur zu verkörpern. Sie ist gleichzeitig grausam und einfühlsam, rätselhaft und direkt. Doch auch wenn Ratched im Mittelpunkt steht und diverse Geschichten vorantreibt, passiert um sie herum so viel, dass man zuweilen vergisst, wessen Geschichte hier eigentlich erzählt werden soll. Da gibt es Geschichten um Patienten und Patientinnen, innerhalb der Anstalt wird intrigiert, neue Figuren sorgen für brenzlige Situationen. Außerdem versucht sich die Serie noch an einem Gesellschaftsporträt der späten 40er, zeigt Behandlungshorror, korrupte Politiker und gleichgeschlechtliche Liebe, die damals noch als Geisteskrankheit wahrgenommen wurde.

Das ist schon relativ viel Stoff, zumal Ryan Murphy (Pose, American Horror Story, Glee), der die Serie letztendlich entwickelte, keine wirklich einheitliche Linie fährt. An der einen Stelle ist die Serie so lustvoll absurd, dass man meint, Ratched sei eigentlich eine Pechschwarze Komödie, dann wieder werden persönliche Dramen ausgepackt, die ab und an schon arg überladen und die  wirken. Das Ergebnis ist ein Wechselbad der Gefühle, das unterhaltsam, aber selten ganz Rund wirkt, auch wenn das Produktionsdesign erstklassig ist und bis in die Nebenrollen interessante doppelbodige Figuren geschrieben wurden,.

Ratched, Ratched - Staffel 1 mit Sharon Stone und Brandon Flynn
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Leider rutscht das Team um Ryan Murphy all zu oft durch American Horror Story bekannte Schockmomente und Figurenallianzen, so dass Ratched bisweilen eher wie ein Serienableger davon wirkt. Was schade ist, denn die Darstellerriege kann sich wirklich sehen lassen. Sharon Stone, Judy Davis und Amanda Plummer verkörpern ihre schwulligen Rollen mit zum größtenteils anbetungswürdiger Hingabe, während Cynthia Nixon (Sex and the City) einmal mehr beweist, was für eine erstklassige Dramadarstellerin in ihr steckt. Auch Corey Stoll und Harriet Sansom Harris lassen trotz kleineren Parts einen bleibenden Eindruck. Nur Sophie Okonedos schizophrene Figur ist dermaßen überzogen, dass selbst so eine hochkarätige Schauspielerin wie sie es ist, ihren multiplen Persönlichkeiten Tiefe zu verleihen. Zu oft wird in den Charakteren hin- und hergesprungen und der Sinn ihrer Figur erschließt sich auch am wenigsten.

Wie schon bei Murphys Hollywood ist seine neue Serie eine knallbunte Zeitreise, die mit geradezu verschwenderischer Detailfreude eine vergangene Ära wiederaufleben lässt. Dazu trägt auch die Musik von Mac Quayle bei, die sich überwiegend bei alten (Hitchcock-)Klassikern bedient. Das ist für alle Filmnerds natürlich eine Ohrenschmaus und macht eine abschließende Bewertung umso schwieriger.

„Ratched“ will erzählen, wie Oberschwester Mildred zu einem solchen Monster werden konnte, verliert sich aber in meiner Meinung nach zu vielen Erzählsträngen und Ambitionen, so dass am Ende trotz grandioser Optik und Darstellern nicht viel mehr als oberflächliche Unterhaltung mit einigen wirklich gelungenen Schockmomenten bleiben. Die zum Teil tiefgehenden Szenen wirken durch die vielen blutigen Allianzen mitunter befremdlich, so dass kein rundes Gesamtbild entsteht. Diese Willkürlichkeit und Oberflächlichkeit verhindern leider, dass aus diesem interessanten Stoff mit viel Potential mehr wird, als eine weitere Staffel American Horror Story. Schade, denn zum größten Teil funktionieren die einzelnen Episoden für sich genommen sehr gut, aber in Zeiten großer Serien muss auch der Gesamtplot stimmig wirken. Zum einmaligen Anschauen reicht es aber letztendlich dennoch, dafür machen die typischen sexualisierten Dialoge von Ryan Murphy dann doch zu viel Spaß. An sein Meisterwerk Pose kommt Ratched allerdings bei weitem nicht heran. Eine zweite Staffel wird es dennoch geben, ob die nötig ist, ist fraglich.

Folgen-/Wertungsübersicht:

  1. Pilotfolge (7,5/10)
  2. Eispickel (7,0/10)
  3. Engel der Barmherzigkeit, Teil 1 (7,0/10)
  4. Engel der Barmherzigkeit, Teil 2 (7,5/10)
  5. Der Ball (7,5/10)
  6. Das Puppentheater (8,0/10)
  7. Die Liste (7,0/10)
  8. Mildred und Edmund (6,0/10)

Gesamt: 7,2/10

USA 2020 – 8×60 Minuten
Creator: Ryan Murphy
Genre: Drama / Horror
Darsteller: Sarah Paulson, Judy Davis, Cynthia Nixon, Finn Wittrock, Sharon Stone, Amanda Plummer, Corey Stoll,  Harriet Sansom Harris
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