
Ihre Stimme ist legendär, ihre Launen aber auch: Ma Rainey (verkörpert durch Oscarpreisträgerin Viola Davis) gehört in den 1920ern zu den ganz Großen des Blues, ihre Platten werden in Massen gekauft. Das weiß sie auch, als sie eines Tages das Studio betritt, um neue Lieder aufzunehmen. So lässt sie jeden dort spüren, wer das Sagen hat, darunter auch Irvin (Jeremy Shamos), ihren Manager, den sie regelmäßig in seine Schranken verweist. Während die meisten pflichtbewusst ihren Anweisungen folgen, um die Arbeit möglichst schnell hinter sich zu bringen, wagt Kornettist Levee (Chadwick Boseman), der selbst Ambitionen auf eine eigene Band hat, wiederholt Widerspruch, was die angespannte Situation noch weiter eskalieren lässt…
Heutzutage ist Gertrude Rainey, besser bekannt unter dem Namen Ma Rainey, eher etwas in Vergessenheit geraten. Doch vor rund hundert Jahren war die Sängerin eine Ikone, gehörte zu den ersten Afroamerikanern, die professionell Blues-Alben aufnahmen, wurde zu einem maßgeblichen Einfluss auf zeitgenössische, aber auch nachfolgende Künstlerinnen. Hinzu kommt ein turbulentes Privatleben, welches allein schon Grund genug wäre, ein Biopic über die „Mother of Blues“ zu drehen. Wer sich dies von Ma Rainey’s Black Bottom erhofft, wird aber enttäuscht. Der Netflix-Film beschränkt sich zudem auf wenige Stunden in einem Tonstudio und die Geschichte selbst ist fiktiv.

Das macht den Film jedoch weder beliebig noch belanglos. Vielmehr ist das Drama, welches auf deinem Theaterstück von August Wilson (Fences) basiert, ein teils sehr bitteres Zeitdokument, welches die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den 1920ern festhält. So ist Ma Rainey zwar ein Star, ihre Auftritte zogen ein großes Publikum an, mit ihren Platten ließ sich jede Menge Geld verdienen. Gleichzeitig macht sie sich keine Illusionen darüber, dass auch nur irgendjemand im dem Musikgeschäft, am wenigsten die Weißen, sich für sie als Menschen interessieren. Sie ist eine Ware, deren Wert sich allein aus ihrem Nutzen ergibt.
Entsprechend gestalten sich auch die Aufnahmen. Sich ihrer momentanen Macht bewusst, wenn alle von ihr abhängen, nutzt sie jede sich bietende Gelegenheit, um die anderen zurechtzuweisen, sie zu beschimpfen, jeder zweite Satz ist eine Drohung, alles hinzuschmeißen und wieder wegzugehen. Das ist erwartungsgemäß beeindruckend von Viola Davis gespielt, die selbst den Verzehr einer gewöhnlichen Cola zu einem Statement machen kann, aber es ist auf Dauer auch ein wenig eintönig, wie Ma Rainey auf diesen dauernden Machtkampf reduziert wird, wie sie nicht wirklich mehr sein darf als eine anstrengende Diva.

Bei den übrigens Figuren sieht es größtenteils nicht wirklich anders aus. Weder bei den ebenfalls afroamerikanischen Bandmitgliedern noch den Weißen lässt sich sonderlich viel Persönlichkeit finden, sie werden alle nur durch den unterschiedlichen Zugang zu den Aufnahmen definiert. Die eine große Ausnahme ist die Figur des Levee, der sich in dem System nicht wirklich verorten lässt. Auch er rebelliert gegen die Bevormundung durch die Weißen, will sich ihnen nicht unterordnen. Gleichzeitig interessiert ihn der Kampf von Ma Rainey jedoch herzlich wenig, sieht sie nicht als potenzielles Vorbild oder Verbündete, sondern als Hindernis, um seine eigenen Träume zu verwirklichen. Denn anders als die große Sängerin, jagt er diesen noch nach, hat sich nicht mit dem Status Quo arrangiert – was ihn zu einer gleichermaßen inspirierenden wie tragischen Figur macht.
Stärker noch als Davis bleibt daher der letztes Jahr verstorbene Chadwick Boseman (Black Panther) in Erinnerung. Voller Leidenschaft kämpft er in dem stickigen, klaustrophobischen Setting gegen seine Fesseln. Zusammen mit seinem Auftritt in Da 5 Bloods scheint eine Doppelnominierung und ein Awardregen, inkl. Oscar nur noch Formsache. Nennenswerte Auftritte haben auch die Veteranen Colman Domingo und Glynn Turman, die vor allem im letzten Drittel Auftrumpfen dürfen. Darstellerisch, sowie Produktionstechnisch gibt es auch keine Abstriche, die Kostüme, das Make-up und Hairstyling ist alles on Point, lediglich der Inszenierung merkt man an, dass es sich ursprünglich um ein Theaterstück handelt. Größter Wehrmutstropfen ist aber wie schon ausgeführt, die Eindimensionalität, die mit der Figur der Ma Rainey einhergeht, was wirklich schade ist. Zumindest eine klitzekleine Entwicklung wäre hier wünschenswert gewesen. Nichts desto trotz wird Ma Rainey´s Black Bottom bei der kommenden Oscarverleihung groß aufwarten und einige Gewinne einfahren, dafür ist die Produktion insgesamt zu gelungen, um ignoriert zu werden, auch wenn sie persönlich etwas hinter meinen persönlichen Erwartungen geblieben ist.

Regie: George C. Wolfe
Genre: Drama, Musikfilm
Darsteller: Chadwick Boseman, Viola Davis, Glynn Turman, Colman Domingo, Michael Potts, Jeremy Shamos, Taylour Page, uva.