Tár

© Universal Pictures

17 Jahre sind seit „Little Children“, der letzten Regietätigkeit von Todd Field, ins Land gezogen. Während sein erst dritter Kinofilm namens „Tár“ hierzulande im Rahmen der 73. Berlinale seine Premiere erlebte, liegt die Uraufführung bereits fast ein halbes Jahr zurück. Wie so oft, erwiesen sich die Filmfestspiele von Venedig als sicherer Indikator für unbändige Qualität. Obwohl die darin illustrierte Geschichte um die lesbische Dirigentin Lydia Tár, welche als erste Frau ein renommiertes, deutsches Orchester leitet, rein fiktiven Naturells ist, wirkt die auf die Protagonistin zugeschnittene Handlung surreal existenzialistisch und entfaltet insbesondere in der finalen Phase einen abrupten, Thriller-artigen Sog voller Manie und (mutmaßlichen) Machtmissbrauch.

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„Tár“, gedreht inmitten der dritten Corona-Welle, setzt nicht nur Komponisten wie Mahler oder Beethoven ein würdiges Denkmal, sondern zeichnet sich durch den gesteigerten Fokus auf lange Dialog- und Interviewszenen aus, die nicht jedermanns Sache sein dürften. Nachwirkend und zutiefst unbequem inszeniert, erinnert speziell die Gestaltung an eine fesselnde Mischung aus „Eyes Wide Shut“, „Nymphomaniac“ und „Black Swan“, bildet jedoch durchgängig eine Produktion aus eigenem Recht. Erlesene, in Sepiatöne getauchte Drehorte (u.a. in der Dresdner Philharmonie), eine geduldige Kameraführung, markante Schnitte und eine ausgezeichnete Akustik greifen dabei wie Zahnräder ineinander.

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Was der reduziert-mysteriöse Trailer bereits erhoffen ließ, hat sich nunmehr vollends bestätigt: Cate Blanchett erklimmt nach zweieinhalb Jahrzehnten voller großartiger Performances einen neuen Karrierezenit und liefert etwas, das vielschichtig, einzigartig sowie elektrisierend ist und wohl von keiner anderen Aktrice in dieser Art & Weise dargeboten hätte werden können. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sie in etwas mehr als zwei Wochen nicht ihre dritte Oscartrophäe entgegennehmen sollte. Keiner anderen Darstellerin (nicht einmal Meryl Streep oder Katharine Hepburn) ist es bisher gelungen, drei Goldjungen innerhalb von nicht einmal 20 Jahren zu erringen. Auch Nina Hoss beweist eindrucksvoll, dass sie nicht von ungefähr zu den begabtesten, deutschsprachigen Schauspielerinnen gezählt wird und man ist als Betrachter fast wehmütig, dass man sie nur rund 20 Minuten bewundern darf, gerade weil zwischen den Damen trotz des Changierens zwischen zwei Sprachen eine unfassbare Chemie besteht. Dass dem übrigen Ensemble nicht allzu viel Raum zur Entfaltung zugestanden wird, stellt den einzigen, kleinen Kritikpunkt dar.

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Entstanden ist ein (trotz der immensen Lauflänge) dichtes, eloquentes und Geduld einforderndes Werk über die zeitlose Kraft klassischer Musik, das vor allem dem Durchhaltevermögen von Frauen in männerdominierten Branchen Tribut zollt und dessen größter Trumpf darin besteht, sich im Hinblick auf seinen Stil komplett abseits des Mainstreams zu bewegen und aufzeigt, wie schnell selbst die angesehenste Reputation ruiniert werden kann. Sechs Oscarnominierungen waren der verdiente Lohn für „Tár“.

USA / D 2022 – 158 Minuten
Regie: Todd Field
Genre: Drama / Musikfilm / Psychostudie
Darsteller: Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémie Merlant, Adam Gopnik, Julian Glover, Mark Strong, Sophie Kauer, Allan Corduner
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