Bereits in der zweiten Episode meiner „kleinen“ historischen Werkreihe möchte ich die Grundidee von Heiko, und zwar drei Filmbeispiele unterschiedlicher Qualität unter die Lupe zu nehmen, ausnahmsweise leicht abändern. Es wird dieses Mal nämlich sogar um vier Produktionen gehen, was deswegen notwendig ist, da mit Anne Frank eine bedeutende Person der jüngeren Geschichte zweifach in verschiedenen Jahrzehnten von Regisseuren porträtiert worden ist, und das aus meiner Sicht in stark divergierender Art und Weise. Des Weiteren sollen DER filmische Klassiker schlechthin, und zwar „Vom Winde Verweht“ im Zentrum der Betrachtung stehen sowie auch das von Patrick erwünschte filmische Porträt „Quills – Macht Der Besessenheit“ über den Marquis de Sade, einen der wohl kontroversesten Franzosen der Welt- und Literaturgeschichte.
Vom Winde Verweht (OT: Gone With The Wind)
Welche bis in die heutige Zeit ungesagten Worte kann man zu diesem, vor nunmehr ganzen 75 Jahren entstandenen Mammutprojekt, dessen Produktion für damalige Verhältnisse eine Unsumme von 4 Millionen US-$ verschlungen hat und das Studio fast in den finanziellen Ruin geführt hätte, eigentlich noch hervorbringen? Fest steht jedoch eines: „Vom Winde Verweht“, einer der frühesten abendfüllenden Farbfilme, ist inflationsbereinigt das kommerziell erfolgreichste Kinowerk aller Zeiten ist – und das hat in der Tat mindestens einhundert berechtigte Gründe. Zunächst kommt es aus meiner Sicht äußerst selten vor, dass eine (ohnehin großartige) literarische Vorlage mit ähnlicher Güte für die Leinwand adaptiert wird. Margaret Mitchells 1939 erschienener und sogar mit dem Pulitzer-Preis geadelter Roman ist bereits an sich eine kleine, verschriftlichte Sensation, wenn man ihm auch attestieren muss, dass man den weit über tausendseitigen Wälzer sicherlich nicht im Vorbeigehen lesen kann. Im konkreten Falle jedoch muss die zugehörige, ebenso raumgreifende Verfilmung sogar als noch „besser“ betitelt werden, weswegen es mir auch erneut nicht möglich sein wird, mich kurz zu fassen. 🙂
„Vom Winde Verweht“ kann sicherlich schwierig einem einzelnen Genre zugeordnet werden, schließlich bietet er eine vollkommene Mischung aus Literaturverfilmung, Drama, Romanze, Kriegsepos, Familiensaga und natürlich auch Historienfilm über einen spannenden, bis dato überhaupt nicht thematisierten Abschnitt angloamerikanischer Geschichte. Während die erste Hälfte primär von den Umbrüchen des Bürgerkriegs (1861 – 1865), einen der wenigen innerkontinentalen Konflikte überhaupt, geprägt ist, verlagert sich die Handlung im Folgenden fokussierend von der Gesellschaft rund um den US-Bundesstaat Georgia als Ganzes auf Belange ausgewählter, zwischenmenschlicher Beziehungen und Tragödien beziehungsweise nicht zuletzt auf eine Liebe, die von so vielen, schwerlich steigerbaren Schicksalsschlägen und Missverständnissen geprägt ist, das sie bekanntermaßen nur zum Scheitern verurteilt sein kann. Dennoch wünscht man sich stets, dass die beiden doch noch zueinander finden und leidet mit ihnen mit. Aufgebaut wie eine Mischung aus einer klassischen, antiken Tragödie und einem Orchesterwerk, zu dem unter anderem eine Ouvertüre und eine Reprise gehört, bringt es das Werk auf insgesamt vier Stunden Laufzeit. Vier Stunden, die schlicht und ergreifend purem cineastischem Genuss entsprechen, der niemals ins Bedeutungslose oder Langatmige abdriftet und von Höhen und Tiefen sowie retardierenden Momenten geradezu lebt. Sicherlich spricht dieser nicht jeden Menschen gleichermaßen an – schon gar nicht die oftmals konzentrationsunwillige Jugend des 21. Jahrhunderts, dennoch finde ich, dass es einem wirklichen Versäumnis gleichkäme, wenn man sich nicht wenigstens ein Mal auf das komplette Epos um Scarlett O’Hara und Rhett Butler einlassen würde.
Aus rein überlieferungsbezogener Sicht kann jedenfalls absolut nichts bemängelt werden. Die Epoche wurde sowohl inhaltlich, formal als auch visuell hervorragend getroffen, die Einflechtung der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fraktionen wirkt dennoch zu keinem Zeitpunkt für den Zuschauer übertrieben politisch, gleichwohl wird man aber dem Umstand gewahr, dass sich die gesellschaftliche Entwicklung durch die Kriegswirren verselbständigte. Natürlich könnte man, wenn man denn möchte, kritisch anmerken, dass die Politik der Konföderierten Staaten unter Jefferson Davis, allen voran natürlich die konsequenten Versuche zur Beibehaltung der Sklaverei, ein wenig zu positiv dargestellt worden sind. Allerdings spielt auch hieran die Perspektive eine Rolle, da wir den Bürgerkrieg sowie dessen Vor- und Nachwirkung aus der Sicht ausgewählter Südstaatler, welche die Afroamerikaner ohnehin mehrheitlich als Angestellte behandelt haben, geboten bekommen. Die anfänglich grenzenlose Arroganz der selbsternannten Kavaliere konnte dagegen, wegen ebendieser Kontrastierung äußerst realistische Züge annehmen. Interessanterweise gibt es eine Masse an Gesichtspunkten, die sich mühelos auf die Realität übertragen lassen. Rassentrennung ist schließlich kein geschichtliches Phänomen, sondern leider Gottes noch immer ein aktuelles. Und auch die Verquickungen der Liebe zwischen den vier Protagonisten sind etwas, das in heutiger Zeit in ähnlicher Form passieren könnte, schlagen infolgedessen eine Brücke in die heutige Zeit. Ich bin sicher, dass (außer mir) viele andere mit der Situation der Protagonistin vertraut sind, einem Menschen unbedingt habhaft werden zu wollen, um schlussendlich festzustellen, dass man sich dabei völlig verrannt hat.
Keine andere Produktion dieser Epoche besticht annähernd vergleichbar mithilfe seiner Aufmachung. Wir haben es hier, um es nochmals zu unterstreichen, mit einem Werk von 1939 zu tun, und wenn man dies im Hinterkopf behält, ist die Raffinesse der Gestaltung umso beeindruckender und zeugt von einem hohen visionären Grad. So sind die detailreichen Kostüme ein optischer Augenschmaus, zeitbezogen bis ins kleinste Detail korrekt und wirken schon beinahe nicht mehr, als seien sie lediglich Verkleidungen. Gleiches trifft auf jede einzelne der aufwendigen Kulissen zu, welche sicherlich dazu beigetragen hat, dass die Vorbereitungen für den Dreh sich über Jahre erstreckten. Eine Vielzahl der Aufnahmen ist im Studio entstanden, allerdings sieht man ihnen das eben zu fast keinem Zeitpunkt wirklich an, wenn man von der kurzen Sequenz, in der Atlanta in Flammen steht, absieht. Hinzu kommen großartige, nah an der Vorlage orientierte Dialoge, bis in die Tiefe durchdrungene Charakterzeichnungen, wohl dosierte humoristische Passagen, hervorragende und auf den Kontext bezogen visionäre Kameraeinstellungen und die vielleicht beste jemals komponierte, musikalische Untermalung. Die passenden, extrem abwechslungsreichen Klänge von Max Steiner können einfach nur als wahr gewordener, akustischer, vielleicht sogar bis heute unerreichter Traum betitelt werden.
Was das Projekt aber in Sphären erhebt, die weder davor noch danach in selber Weise erreicht wurden, sind die darstellerischen Leistungen. Das Ensemble wurde nach ebenfalls zeitaufwändiger Suche bis zur allerkleinsten Gastrolle (!) perfekt besetzt. Insbesondere die zuvor beinahe unbekannte Vivien Leigh hat hier etwas Erhabenes geleistet. An die darstellerische Komplexität konnte sie in meinen Augen erst ganze zwölf Jahre später durch ihre Rolle in „Endstation Sehnsucht“ zumindest ansatzweise anknüpfen und man muss zutiefst bedauern, dass sie in ihrer von Krankheit und psychischen Problemen durchzogenen Karriere nur rund 15 Mal vor der Kamera stand. Sie transportierte in der Rolle der Scarlett jede menschliche Eigenart völlig authentisch, sei es nun Frustration, Freude, Verführungsversuche, Leidenschaft, Trauer, Missgunst, Verzweiflung oder Eifersucht sowie besonders die charakterliche Entwicklung einer jungen, in einer Zeit von massiven Ressentiments lebenden Frau, welche sich von der kleinen, egoistischen Naiven zum selbstbewussten Familienoberhaupt entwickelt. Als männlicher Gegenpart brillierte Gable mit unvergleichlichem Charme und Glaubhaftigkeit, der für seine Darbietung als reicher Blender wie geschaffen war. Und die als Melanie Hamilton besetzte Olivia de Havilland – ursprünglich war sie für Leighs Part vorgesehen – bewies hier, dass sie auch ohne Errol Flynn an ihrer Seite hervorragende Arbeit leisten konnte. Sie überzeugte als herzensgute, fast schon zu vertrauensselige „Konkurrentin“ O’Haras ebenfalls in jeder einzelnen Sekunde. (Witzigerweise ist sie diejenige der Hauptcharaktere, die im Südstaatendrama verstirbt, heute aber das einzige noch lebende Ensemblemitglied ist.) Vor allem sind es aber auch Ona Munson als Prostituierte Belle Waltling, Thomas Mitchell als wahnsinnig gewordener Vater Scarletts sowie Butterfly McQueen als unbekümmerte und für Lacher sorgende Sklavin Prissy, welche mit ihren Auftritten wunderbare Akzente setzten – und natürlich auch die Sympathieträgerin Hattie McDaniel.
Dieses, von mir gut und gern 30 Mal angesehene, zeitlose Meisterstück gewann im Jahr 1940 neben zwei Sonderpreisen völlig zu Recht ganze acht Oscarstatuetten – ein Rekord, welcher erst zwanzig Jahre später knapp überboten werden konnte, darunter als „Bester Film“, für die Regieleistung Flemings, seine überirdische Hauptdarstellerin, das Drehbuch, die Kulissen und – gemessen an der Zeit eine absolute Sensation – für die Nebenrolle McDaniels, welche zur ersten dunkelhäutigen Oscarpreisträgerin überhaupt wurde, an der Premierenvorstellung aber traurigerweise nicht teilnehmen durfte. Es liegt nahe, dass „Vom Winde Verweht“ auch für das Kostümdesign ausgezeichnet worden wäre, wenn es diese Kategorie bereits gegeben hätte. Als überaus schade sehe ich es, dass Clark Gable sich Robert Donat geschlagen geben musste und die Filmmusik bei der Verleihung keine Berücksichtigung gefunden hat, obschon „Der Zauberer Von OZ“ dahingehend natürlich auch herausragend, wenn auch nicht derart monumental ist. „Vom Winde Verweht“ ist einfach ein filmisch-fehlerfreier, noch dazu unter schwierigen Bedingungen entstandener, immer wieder genießbarer Meilenstein der Historie. Aus ihm stammen überdies zahlreiche geflügelte Worte, die heute zum Volksgut der amerikanischen Bevölkerung gehören. Wenn es in unserer Bewertungsskala 11 Punkte gäbe, dann würde ich sie vermutlich an diesen, auf nahezu allen Ebenen unübertreffbaren Film vergeben, der sowohl als außergewöhnliche Liebesgeschichte als auch als Schilderung einer überaus dynamischen, folgenreichen Phase der Neuzeit funktioniert. Vor diesem Werk kann ich mich nach wie vor nur so tief wie möglich verneigen!
Quills – Macht Der Besessenheit (OT: Quills)
„Quills“ – der Filmtitel bezieht sich passender Weise auf die vom Hauptcharakter verwendeten Schreibfedern – ist eines dieser nicht allzu häufig vorkommenden, unangenehmen Werke, das überaus lange nachwirkt und als vieles bezeichnet werden kann, mit Sicherheit aber nicht als herkömmliche, „leichte Kost“. Der Marquis de Sade (1740 – 1814), Namensgeber des Sadismus und mit vollständigem Namen Donatien-Alphonse-François de Sade heißend, wird bereits seit mehreren Dekaden häufiger filmisch porträtiert – und das nicht nur in den Low-Budget-Sexfilmchen, welche zeitweilig im Nachtprogramm von VOX liefen. Kaufmans Leinwandadaption schildert hingegen die letzten zwanzig Lebensjahre des Mannes, der zugleich Adliger, Schriftsteller erotischer Romane, extravaganter Philosoph und vehementer Kirchengegner gewesen ist sowie die Begleitumstände zwischen der sich radikalisierenden Phase der Französischen Revolution und der Kaiserzeit unter Napoleon Bonaparte, in welcher de Sade sein Dasein als Autor in der Psychiatrie von Charenton-Saint-Maurice fristete. Weil seine Werke von der Obrigkeit als „anstandswidriger“ Affront empfunden und rasch verboten worden sind, hilft ihm die Waschfrau Madeleine le Clerc bei der Verbreitung seiner brisanten Manuskripte, während der Psychiater Royer-Collard sowie der Anstaltsleiter Abbe de Coulmier dies aus völlig unterschiedlichen Motiven zu verhindern versuchen.
Schon die direkte Eröffnungssequenz ist, trotz oder gerade wegen eines extremen Maßes an Ironie und Symbolismus, schlichtweg eine Meisterleistung, weil sie sowohl als historische Heranführung bestens fungiert, aber auch gewissermaßen als Warnung. Skizzierte Aspekte der menschlichen Sexualität wie Masochismus, Nekrophilie und Gruppenorgien oder aber auch korrekt zitierte Passagen aus „Justine“ setzen zuallererst eine gewisse geistige Reife seitens des Publikums voraus. Doch um rein erotisierte, teilweise pervers anmutende Sujets geht es in „Quills – Macht Der Besessenheit“ bei Weitem nicht nur, sondern vor allem um die Obsession eines speziellen Mannes, sich in erster Linie mithilfe seiner Zeilen uneingeschränkt auszutoben sowie die Wirkung von Gedankengut, das nicht den damaligen gesellschaftlichen Konventionen entsprach, sodass man fortwährend gebannt hinsehen muss. Die „Lüsternheit“ der „niederen“, französischen Bevölkerung nach persönlichen wie sexuellen Freiheiten und die Ablehnung jedweder Repressalien wurde nämlich überaus realistisch dargestellt, denn diese hatte unter dem Ancien Régime sowie durch die fehlgeschlagene Revolution Traumatisches erlebt. Insbesondere der Umgang mit der zeitkontextuellen Zensur gelang demzufolge perfekt und kann als Symbol gesehen werden, wie signifikant sich Sexualität und Religiosität (trotz der Einflüsse der Aufklärung) im seinerzeit erzkatholischen Frankreich gegenüberstanden. Gleiches trifft auf die Korrektheit der damaligen, noch immer archaischen Folterprozeduren zu. Hinzu kommt des Weiteren, dass die Lebensart trotz einiger Spitzen voller gewollter Provokation mithilfe angemessener, punktgenauer und fesselnder Dialoge unterstrichen werden konnte und auch deshalb gegenwartsrelevant erscheint, weil es unter der heutigen Zivilisation allem Anschein nach mehr denn je darum geht, die Palette an stark divergierenden, individuellen Fantasien auszuleben. Bekanntlich liegen Lust und Schmerz ja doch näher beieinander als man gemeinhin vermuten würde.
Die Quellenlage über den aus einer Seitenlinie der bourbonischen Königsfamilie stammenden Marquis, der sich (wie im Film geschildert) vordergründig als „homo perversio“ bezeichnete, ist – abgesehen von einigen, heutzutage erhaltenen Schriftstücken – leider verhältnismäßig dünn, besser gesagt uneindeutig, weswegen es für die Macher schlicht und ergreifend notwendig war, sich in irgendeine Richtung zu positionieren. Der geschichtliche Rahmen – unabdingliche Grundvoraussetzung für den Erfolg eines historischen Werkes ist inhaltlich wie inszenatorisch völlig einwandfrei. Gelegentliche Unzulänglichkeiten gibt es demgegenüber allerdings wiederholt. So ist als ein kleiner, bezogen auf die Datierung, geschehener Fehler, zu nennen, dass de Sade zur Zeit der napoleonischen Herrschaft noch verheiratet war, doch in der Tat hatte sich seine Ehefrau Renée Pélagie bereits 1790 wegen unzähliger sexueller Eskapaden rechtskräftig von ihm scheiden gelassen. Zudem entstammt auch die Art der Schilderung seines Ablebens eher dem Reich der Fantasie als den Tatsachen, kann nichtsdestotrotz wohl aber extrem metaphorisch aufgefasst werden. Der Unterschied, warum einige der Überlieferungsabänderungen jedoch nicht derart krass ins Gewicht fallen wie üblich, obwohl in der Einleitung erwähnt wird, es würde sich um eine wahre Geschichte halten, dass Inkorrektheiten sich allesamt auf abgeänderte Details aus der Vita de Sades beziehen, nicht aber auf den Gesamtkontext. Die Kostümierungen aller sozialen Schichten wurden jedenfalls hervorragend gestaltet und auch das abwechslungsreichen Szenenbilder sowie die Masken wirken weder über- noch untertrieben und spiegeln daher den Zeitgeist für die Augen optimal wider. Auch an der dramatischen, für zusätzliche Spannung sorgenden Filmmusik von Stephen Warbeck und der cinematographischen Arbeit gibt es nichts zu kritisieren, lediglich die Cutter waren für meinen Geschmack etwas zu sparsam.
Besonders bemerkenswert ist ein weiteres Mal die Bandbreite darstellerischer Optima, denn alle vier vorherrschenden Ensemblemitglieder (Rush, Caine, Phoenix, Winslet) hätten gut und gern für den Oscar nominiert werden sollen, wenn es wirklich nach Leistung gegangen wäre. Die Performance von Geoffrey Rush als sich verschlimmernde, personifizierte Verschmelzung von Genialität und Perversion ist beängstigend und sensationell zugleich, stellt somit aus meiner Sicht dessen Darstellung in „Shine“ sogar eindeutig in den Schatten – und dafür hat er ja bekanntlich schon den Academy Award erhalten. Es schaudert einem beinahe, das anzusehen, was Rush hier abliefert. Vor allem die Chemie zur von ihm entflammten Wäscherin erfreute das Herz vieler Filmfans, da gerade Winslet es geschafft hat, Zerbrechlichkeit und Neugier miteinander glaubhaft ins Gleichgewicht zu bringen, dabei aber erneut zeigte, dass ihre Darstellungen nahezu nie ins leicht erreichbare Eindimensionale rutschen. Des Weiteren hätte ich zuvor nicht erwartet, dass Joaquín Phoenix als emotional zerrissener Abt derart gut funktionieren würde und vor allem seine Schlusssequenz war beeindruckend. Den Preis für die beste Nebenrolle hätte in diesem Jahr jedoch zweifellos Michael Caine, wenn auch zum bereits zweiten Mal in Folge, erhalten, weil seine dominierende Präsenz und absolut überzeugende Boshaftigkeit und Doppelmoral in der Rolle eines Vertreters aus der Oberschicht das perfekte Gegengewicht zur Hauptfigur bildete. Wenn man Caine besetzt, weiß man eigentlich schon im Vorab, dass Perfektion dabei herauskommen wird.
Wieder einmal liegt der Verdacht nahe, dass der Academy die Thematik einfach zu anrüchig gewesen sein dürfte, denn drei Oscarnominierungen erscheinen doch recht wenig für einen radikalen, ungewöhnlichen, aber auf nahezu allen Ebenen gelungenen und konsequenten Film, der einen als Zuschauer sicherlich dazu bewegt, sich intime Fragen zu stellen. „Quills“ ist nicht zuletzt ein mehr als solides Gesellschaftsporträt des beginnenden, modernen Zeitalters, das sowohl erregen als auch abstoßen kann, vor allem aber ein von gnadenlos guten Schauspielern profitierendes Drama mit äußerst geringen, punktuellen Abzügen aufgrund vermeidbarer, inhaltlicher Flüchtigkeitsfehler.
Das Tagebuch Der Anne Frank (OT: The Diary Of Anne Frank)
Die Tagebuchaufzeichnungen der Anne Frank wurden bisher weit mehr als 35 Millionen Mal verkauft, in mehr als 70 Sprachen übersetzt und verkörpern die Grässlichkeit des Faschismus wohl besser als alle Beweise der Nürnberger Prozesse zusammen, weil die Urheberin symbolisch für das unbegreifliche Unrecht steht, das unzähligen, anonymen Juden geschehen ist. Wegen der Intention, der jugendnahen Sprache und des ungemeinen, symbolischen Wertes habe ich vor Kurzem meine Examensarbeit zu eben dieser Ganzschrift und deren Verwendungsmöglichkeiten im schulpraktischen Kontext geschrieben, mich demzufolge intensiv mit der Person Anne Frank beschäftigt sowie deren Vermächtnis, das in die Weltliteratur einging, auseinandergesetzt. Zwar kannte ich die früheste Verfilmung ihrer Geschichte bereits in einzelnen Ausschnitten, doch erst vor Kurzem habe ich mir das unter der Regie von George Stevens entstandene Drama, das als Klassiker der 1950er gilt, in Gänze zu Gemüte geführt. Im Anschluss war ich leider, auch aufgrund des neu gewonnenen Sachverstandes, aus mehreren Gründen ziemlich ernüchtert.
Die Art der Darstellung ist dermaßen sachlich, teilweise sogar spannungsarm und gleicht dadurch einer Abfolge von dokumentarischen Bildern und Dialogen ausgewählter Tage der über zweijährigen Phase (1942 – 1944), in der sich Annes vierköpfige Familie, Familie van Pels und der Zahnarzt Fritz Pfeffer vor den nationalsozialistischen Besatzern in der Prinsengracht versteckten. Ein erstes riesiges Problem ergibt sich daraus, dass man zwar Notiz von den durch die anfangs 13-Jährige geschilderten, alltäglichen Ereignissen und Streitigkeiten unter beengten Verhältnissen sowie der Bedrohung, jederzeit von der Gestapo entdeckt und deportiert zu werden, nehmen kann, aber sehr selten wirklich die Gelegenheit hat, mitzufühlen, was angesichts des unglaublich traurigen Hintergrundes schon fast halsbrecherisch erscheint. Dies liegt zum einen daran, dass der nüchterne Stil dies verhindert und mehrere Charaktere recht oberflächlich gezeichnet worden sind, aber auch an einer nicht unbeträchtlichen Anzahl an eklatanten, historischen Fehlern.
Zunächst fällt auf, dass die Kulissen, mögen sie auch noch so ambitioniert gefertigt worden sein, als alles zu erachten sind, aber sicherlich nicht am Originalgebäude orientiert. Da ich bereits die Möglichkeit hatte, das Anne-Frank-Haus im letzten Jahr zu besuchen, musste ich mich schon sehr wundern, wie weit die jeweiligen Schauplätze voneinander abweichen und nach dem Kausalzusammenhang fragen. Das Hinterhaus bestand nicht, wie suggeriert, aus nur einem einzigen, großen Raum, sondern erstreckte sich auf mehrere, auf drei Etagen zu lokalisierende Einheiten. Zwar wurde die Anfangssequenz tatsächlich in Amsterdam gedreht, aber mit den Innenräumen, in welchen die komplette Filmlaufzeit spielt, hat das Gezeigte herzlich wenig zu tun. Schließlich fehlten auch die zahlreichen Poster von Filmstars, welche Anne, eine einstmals passionierte Kinogängerin an die Wände tapezierte, sodass ein wichtiger Aspekt ihrer Persönlichkeit dadurch vorenthalten wird. Nun könnte man meinen, dass allein diese szenenbildnerischen Abweichungen nicht wirklich ins Gewicht fallen würden, dennoch gesellen sich dazu eine Vielzahl an weiteren Ärgernissen. Ferner wird nämlich suggeriert, dass es nur zwei Helfer, und zwar Miep Gies und Victor Kugler gegeben hätte, doch in Wirklichkeit halfen auch Johannes Kleiman und Bep Voskuijl, die acht Untergetauchten zu verstecken und mit dem Nötigsten zu versorgen. Hinzu kommt, dass Erstere das (obendrein komplett anders aussehende) Tagebuch bis zum Kriegsende nicht im Hinterhaus aufbewahrte, die acht Juden keinesfalls am selben Tag im Versteck eintrafen, die jüngste Frank-Tochter nicht erst im Hinterhaus damit begann, sich der imaginären Kitty schriftlich mitzuteilen und sich die Beteiligten auch nicht mit den Anne’schen Pseudonymen ansprachen. Wie so oft wurde zu allem Überfluss eine in der Form nicht existente Liebesgeschichte konstruiert, denn Anne berichtete in ihrem Tagebuch zwar davon, Peter nach und nach sympathisch und anziehend zu finden, die epische Platzierung des Kusses im Film wurde aber stark aus dem Zusammenhang gerissen. Dies alles zeugt unglücklicherweise in erster Linie davon, dass das amerikanische Produktionsteam mit dem Überlieferungsmaterial mehr als lapidar umgegangen ist, obwohl dieses bereits verfügbar gewesen ist. Zugute gehalten werden, können dem Film zweifelsohne die Arbeit der Kostümbildner und die Einhaltung eines stimmigen, erzählerischen Rahmens. Beispielsweise kann man dem Verlauf des Zweiten Weltkrieges ausreichend folgen, indem richtiger Weise gezeigt worden ist, wie die reformjüdischen Personen die Radiosendungen der Alliierten verfolgten und dadurch zeitweise Hoffnung schöpfen konnten oder auch, dass Passagen aus dem Diarium sinngemäß, wenn auch aus Copyright-Gründen nicht wortwörtlich, eingeflochten worden sind. Ebenso erachte ich es als legitim, dass der Film mit dem Augusttag im Jahre 1944 endete, als die Untergetauchten verhaftet worden sind, da der Filmtitel ohnehin suggeriert, es gehe vorrangig um Annes schriftstellerische Tätigkeit.
In schauspielerischer Hinsicht hätte ich mir ebenfalls weitaus mehr erhofft. Primär die Hauptdarstellerin Millie Perkins war insofern eine komplette Fehlbesetzung, weil sie sich bei Drehbeginn bereits in ihren frühen Zwanzigern befand, das reale Vorbild allerdings bereits im Alter von 15 Jahren (!) im KZ Bergen-Belsen umkam. Um als Zuschauer in die Psyche einer derart facettenreichen Heranwachsenden eindringen zu können, ist bereits dieser Faktor ein absolutes Hindernis, denn Perkins war schlichtweg zu reif, um eine Pubertierende unter derartigen Bedingungen adäquat und authentisch verkörpern zu können. Sie bemühte sich zwar zusehends, dabei blieb es jedoch bis zum Schluss. Selbst mit Audrey Hepburn, die ursprünglich als Hauptrolle vorgesehen war, wäre der Film wahrscheinlich auch nicht besser geworden. Joseph Schildkraut, der den erfreulicherweise akkurat getroffenen Filmvater spielte, machte seine Sache allerdings überzeugend – genau wie Richard Beymer weitestgehend. Sowohl die Darstellung Ed Wynns als auch der von ihm verkörperte Fritz Pfeffer (oder von mir aus auch Albert Dussel) waren wiederum arg überzeichnet worden. Warum nun Shelley Winters allerdings für diese unterfordernde Performance als Auguste van Pels den ersten ihrer zwei Oscars erhalten hat, ist mir völlig schleierhaft. Sicherlich hat sie zwei und drei solide Einzelaktionen, in denen sie die individuellen Verzweiflungen der Gefangenen spürbar werden lässt, doch ansonsten dachte ich abschließend: „Das war es jetzt schon? Dann besteht ja doch noch Hoffnung, dass ich vielleicht auch mal einen gewinne…“
Ich könnte mir folglich vorstellen, dass die Produktion gerade deshalb bei der Academy derart erfolgreich war, weil man sich als Ziel gesetzt hatte, ein internationales Zeichen gegen den erst kurz zurückliegenden Terror der Nationalsozialisten zu setzen und das Andenken der ermordeten Jüdin in Ehren zu halten. Qualitativ gerechtfertigt waren höchstens ein oder zwei der tatsächlich acht erhaltenen Nominierungen. George Stevens’ Produktion wird dem kurzen, aber nicht minder beeindruckenden Leben Annes, einer Person, die zugleich ein greifbares Sinnbild für sechs Millionen Glaubensangehöriger darstellt als auch ein unvergleichliches, historisches Zeugnis hinterlassen hat, unglücklicherweise nicht gerecht. Gerade weil ihr Tagebuch von ihrem Vater zum Entstehungszeitpunkt des Films bereits ganze zehn Jahre erstveröffentlicht war, entzieht es sich meinem Verständnis, warum hier ein derart peripheres, fehlerhaftes Bild gezeichnet worden ist. Vor allem die grundlegende Intention des Werkes, die ansprechende Leistung von Joseph Schildkraut, die streckenweise gelungene Filmmusik, einige gut dialogisierte Einzelszenen sowie die mithilfe der Schwarzweißaufnahmen entstandene düster-lakonische Stimmung sorgen dafür, dass der Film meines Erachtens zu keinem ganzheitlichen Fiasko geworden ist. Das deklamierte Meisterwerk konnte ich allerdings dennoch beim besten Willen nirgends erkennen, so leid es mir unter Umständen auch tun mag.
Anne Frank – Die Wahre Geschichte (OT: Anne Frank – The Whole Story)
Anne Frank – die Zweite! Vor nunmehr 13 Jahren entstand eine weitere, von nunmehr fünf existierenden Verfilmungen des Sujets. Diese ist jedoch, um es vorweg zu nehmen, Lichtjahre besser als „Das Tagebuch Der Anne Frank“ von 1959 und wurde zu Recht mit mehreren Golden-Globen-Nominierungen bedacht sowie ganzen 10 Nennungen bei den Emmy Awards. Meine Präferenz liegt – das möchte ich vehement betonen – sicherlich nicht nur daran, dass man sich enger an die tatsächlichen Zusammenhänge gehalten hat. Kurz gesagt könnte ich aber proklamieren: Das, was im Vorgänger misslungen ist, glückte anhand dieses Beispiels vollends, obwohl ich gestehen muss, dass mich das erwartungsaufbauende Adjektiv innerhalb des Untertitels „Die Wahre Geschichte“ vor der ersten Sichtung der TV-Produktion für einen kurzen Augenblick zusammenzucken ließ – zum Glück wirklich nur für einen sehr kurzen…
In dem Zweiteiler geht es um einen bedeutend längeren Zeitraum, genauer gesagt um den Zweiten Weltkrieg in seiner Gesamtheit, denn der Zuschauer erfährt, wie sich die Situation der im niederländischen Exil Lebenden seit 1940 durch Kinoverbote, aufgezwungene Schulwechsel, Enteignungen, das Tragen des Judensterns Stück für Stück verschlimmerte, bis es letztlich zur Notwendigkeit, sich zu verstecken und eine Flucht vorzutäuschen, kam. Darüber hinaus reißt die Filmhandlung aber auch nicht schon mit der Verhaftung, sondern erst nach den furchtbaren Ereignissen in den letzten Kriegsmonaten ab, durch welche sieben der acht Untergetauchten ihre jungen Existenzen lassen mussten, wobei der Fokus hier nur noch auf die vier weiblichen Protagonistinnen gerichtet ist. Im Verlauf der Geschichte werden jedoch keinerlei Belange dazuerfunden, stattdessen hält man sich auffallend nah an die Hauptquelle, also das Tagebuch, sowie verschiedene Zeitzeugenberichte und andere Artefakte aus der Nazizeit. Vor allem die Hinterhaus-Requisiten entsprechen dem Original bis in kleinste Details, und das, obwohl die TV-Produktion ironischerweise gar nicht in den Niederlanden, sondern überwiegend in der Tschechischen Republik gedreht worden ist. Mit Ausnahme des Umstandes, dass die Deportierten nicht zuerst im Stammlager von Auschwitz ankamen, sondern in Birkenau und des erneut eingeflochtenen Kusses zwischen Anne und Peter existieren keinerlei Abweichungen. Des Weiteren werden für die Vita des Mädchens und deren Familie bedeutsame Eckpunkte nicht einfach unter den Teppich gekehrt. Zu nennen sind exemplarisch die zu Beginn erhaltene Mitteilung zum Arbeitseinssatz an Margot, der Umstand, dass Otto Frank Hitler anfangs fälschlicherweise nur als kurzes „Strohfeuer“ ansah, Anne im Versteck ihre Freundinnen Hannah Goslar sowie Jacqueline van Maarsen schmerzlich vermisste, sie sich ihrer beliebten Schwester häufig unterlegen fühlte sowie ihre ausgeprägte Begeisterung für Theater und Musik und das eigens anvisierte Ziel, Schriftstellerin zu werden. Gleiches trifft auf die Personenkonstellationen (samt den vier Helfern und den mutmaßlichen Verrätern) zu, durch welche darüber hinaus eindringlich verdeutlicht wurde, dass die überlieferten Stimmungslagen der Individuen sich von Tag zu Tag unterschieden, wodurch weder ein positivistischer noch ein übertrieben negativer Eindruck der Situation entsteht. Es war signifikant zu zeigen, dass sich die acht Juden an manchen Tagen darüber stritten, ob das Essen auch wirklich gerecht verteilt wurde, jedoch mindestens in selben Maß, dass sie bis zum Schluss an einem Strang zogen. Szenen voller Hoffnung wechseln sich somit mit solchen der Dramatik ausgewogen ab. Die Bilder sprechen für sich, ohne dem Publikum Emotionen aufzwingen zu wollen.
Zudem entspricht es der Wahrheit, dass die Franks keine strengjüdischen Praktiken pflegten, sondern sich eher als liberale Reformjuden verstanden. Aus diesem Grund wirkt die Hauptfigur während der gesamten Laufzeit weder in erster Linie als Jüdin, Verfolgte oder gar eindimensional als Opfer, sondern primär als das, was sie selbst sein wollte, und zwar eine Pubertierende, die dennoch verstanden und ernst genommen werden wollte, die gerade im Begriff war, erwachsen zu werden und genötigt war, sich urplötzlich in einer verändernden Lebenswelt zurecht zu finden, was sich anhand der geschilderten Sorgen, aber auch der hoffnungsvollen Zukunftsvisionen manifestiert. Dies schafft nicht nur für Mädchen im selben Alter eine enorme Identifikationsmöglichkeit. Besonders beeindruckt war ich überdies, dass man Gespräche geboten bekam, in denen Anne und ihr über alles geliebter Vater sich über die Schuldfrage des deutschen Volkes unterhalten. Dabei wurde herausgestellt, dass weder eine Person oder gar eine ganze Nation entweder ausschließlich „gut“ oder „schlecht“ sei, was sich eklatant von jenem Schwarz-Weiß-Denken abhebt, welches uns NS-Filme für gewöhnlich offenbaren. Die abschließenden vierzig Minuten sind für den Zuschauer aufgrund seiner unbeschönigenden, dennoch mit sehr sensiblen Klängen unterlegten Bilder beinahe eine strapaziöse Qual, vielleicht umso mehr, wenn man als Deutscher geboren wurde. Dennoch war diese Schonungslosigkeit notwendig, denn sie kommt den unbeschreiblichen, systematischen Vorgängen in Konzentrationslagern samt den Selektionsprozessen augenscheinlich ziemlich nahe. Ich benötigte nach dem Abspann, zusätzlich bewirkt durch die textuelle Erklärung der jeweiligen Einzelschicksale, jedes Mal aufs Neue einige Zeit, um wieder zu mir zu finden, und das ist etwas, was ebendiese Verfilmung grundlegend von dem Vorgänger unterscheidet, weil hier die Gelegenheit offeriert wird, Anteil zu nehmen, welches ich als Hauptintention des Spielfilmes erachte. Daran ändert auch der einzige historische Fehler nichts. Die Deportierten fahren durch verschneite Landschaften Richtung Osten, obwohl der letzte Transport aus den Niederlanden sich im September ereignete, doch dies kann eher als eine Metapher für die Kälte angesehen werden, die in Gestalt von Auschwitz immer näher kam.
Die ideal forcierten, gut platzierten Dialoge passen vor allem zum temporären Kontext, bringen die zentralen Leitthemen des erstaunlich umfangreichen Tagebuches zum Ausdruck und wirken, gemessen an der Ausnahmesituation, nie wirklich überladen oder konstruiert. Gerade sind es auch die Rückblenden, Alpträume und Fliegerbombenangriffe, welche Einzelzustände stets in Verbindung zu dem hielten, was sich in ihrer Außenwelt abspielte. Neben der angesprochenen szenenbildnerischen Gründlichkeit sind auch die passenden, verschieden gearteten Kostüme, die Kameraarbeit, der Ton, die Masken – vor allem in den Sequenzen, in denen Anne und Margot sich in Bergen-Belsen mit Typhus infizierten und schlussendlich elendig verhungerten – und ganz exklusiv die zu Herzen gehende, musikalische Gestaltung als hervorragend zu loben.
Auch das Ensemble übersteigt den Cast um Perkins, Schildkraut und Winters meines Erachtens um ein Vielfaches, woran vor allem die sorgfältige, nicht bloß flüchtig-schemenhafte Durchleuchtung der jeweiligen Beweggründe der Handelnden maßgeblich verantwortlich ist. Hannah Taylor-Gordon liefert hier eine – für dieses junge Alter – absolut seltene Glanzleistung ab, denn ihr ist es in erster Linie zu verdanken, das man gebannt bei der Sache bleibt und die von ihr verkörperte Anne als die facettenreiche, extrovertierte und ihrem Alter auf geistiger Ebene weit voraus gewesene Person erscheint, die sie allen Überlieferungen zufolge auch war. Sie ist mit ihrem realen Vorbild nicht nur optisch erstaunlich verwachsen und überzeugte vor allem durch Mimik und Gestik. Umso beeindruckender mutet es an, dass die vierzehnjährige Hauptdarstellerin vorab selbst darauf bestanden hatte, für die beeindruckenden und Angst einflößenden Auschwitz-Szenen komplett nackt aufzutreten und sich die eigenen Haare vor laufender Kamera abschneiden zu lassen. Auch der von mir ohnehin verehrte Ben Kingsley brillierte als deren Vater, da er ebenso wie dieser zurückhaltend, warmherzig und stets in erster Linie um das Wohl seiner Töchter besorgt mit enormer Authentizität agierte. Er gewann dafür zu Recht den Screen Actors Award. Brenda Blethyn empfand ich als weiteres darstellerisches Highlight, denn sie verlieh der durch die Hand Annes oftmals ungemein einseitig und negativ beschriebenen Person eine nachvollziehbare Vielschichtigkeit und rührte mich zweifach zu Tränen. Man könnte buchstäblich sagen, dass Shelley Winters damals den Oscar einheimste, der eigentlich Brenda Blethyn für ebenjene Rolle gebührt hätte, sofern der Film seinen Weg in Lichtspielhäuser gefunden hätte. Auch die deutsche Tatjana Blacher gefiel mir als Edith Frank einfach wunderbar, denn ihr ist es gelungen, die wohl pessimistischste der acht auf dem Dachboden Verweilenden und von der fortwährenden Zurückweisung ihrer jüngsten Tochter hart Getroffenen nachfühlbar darzustellen. Des Weiteren boten auch Holger Daemgen als personifiziertes Feindbild jenes SS-Mannes, der die Verhaftung einleitete und Joachim Król in der Rolle des Hermann van Pels überaus sehenswerte Performances.
„Anne Frank – Die Wahre Geschichte“ erscheint mir infolge all dieser Ausführungen als eine unglaublich nachwirkende, und noch dazu originalgetreue Produktion sowie als eine Sternstunde sogenannter Miniserien. Sie ist sowohl Dokumentarfilm, im Einklang mit persönlicher Tragödie als auch Historienfilm über das wohl schlimmste Kapitel der Weltgeschichte, nichtsdestotrotz dürfte der Film leider den wenigsten bekannt sein. Für das Verständnis und die Durchdringung des beeindruckenden Charakters dieser jungen Frau, die ihren Wunsch, zu einer populäre Autorin zu avancieren, leider erst posthum erreichen konnte, leistet Dornhelms Arbeit jedenfalls neben dem Tagebuch als solches einen bemerkenswerten Beitrag. Zusammen mit Spielbergs „Schindlers Liste“ ist es in meinen Augen der mit Abstand ehrlichste, intensivste und gelungenste Film über den Holocaust, der jemals entstanden ist. Obwohl (oder gerade weil) in unserem Forum des Öfteren kritisiert wird, es gäbe zu viele baugleiche Werke über die NS-Zeit, möchte ich dazu aufrufen: Schaut euch dieses bei Gelegenheit unbedingt an und überzeugt euch vom Gegenteil!