Von den bisher im Zuge dieser Reihe näher beleuchteten siebzehn Filmen widmeten sich in der Tat lediglich zwei Werke lesbischen Protagonistinnen. Es ist somit im Zuge des Gleichbehandlungsgrundsatzes an der Zeit, für einen quantitativen Ausgleich zu sorgen und vier Produktionen vorzustellen und / oder in Erinnerung zu rufen, in denen die jeweils nicht ohne Komplikationen und Schranken verlaufende Liebe zweier Frauen im Fokus steht. Klare Empfehlungen können immerhin für 50 Prozent dieser Produktionen der letzten Dekade ausgesprochen werden.
In diesem Sinne: This one’s for the ladies!
Carol
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Ganze 63 Jahre sollte es dauern, bis mit „Salz Und Sein Preis“ eins der bedeutendsten und couragiertesten Werke der Autorin Patricia Highsmith über eine autobiographische, lesbische Liebesgeschichte seinen Weg erstmals auf die Leinwand fand. Was Todd Haynes der in der konservativen McCarthy-Ära angesiedelten Vorlage entlockt hat, ist gleichermaßen beeindruckend und bittersüß wie unverfälscht. Innerhalb von gerade einmal fünf Wochen gedreht, bewegt sich das Werk nahe am makellosen Gesamtkunstwerk. Mit poetischer Kraft, geduldiger Ruhe und ohne jedweden Anflug von Pathetik inszeniert, wurde die seinerzeit undenkbare Liebesgeschichte zwischen Carol und Therese mit enormem Fingerspitzengefühl für psychologische Feinheiten ausgestattet, der trotz seiner unspektakulären Wirkung selbst Hartgesottene im Kern erschüttern dürfte. „Carol“ schildert nicht nur den heutzutage inflationär verwendeten Begriff der „Liebe auf den ersten Blick“, die selten geradlinig oder gänzlich widerstandslos realisieren verläuft. Analog zum Roman verlaufen die Personenentwicklungen der beiden Frauen exakt entgegengesetzt und die grundlegende Intention hängt weniger mit der Verurteilung von Homophobie zusammen als mit der Schwierigkeit der Selbstemanzipation, was den primären Reiz des nuancierten und grandios dialogisierten, sorgfältigen und symbolistischen Drehbuchs bildet. Es kommt zweifellos keiner Übertreibung gleich, dass „Carol“ neben der betörenden Aufmachung sowie niemals zufällig gewählten Stilmitteln den vielleicht gelungensten Soundtrack des letzten Jahrzehnts bietet, der die Seele streichelt und die Atmosphäre zu einer geschlossenen Einheit verbindet. Herzstück des Ganzen sind die überragenden Darbietungen von Cate Blanchett und Rooney Mara, deren Harmonie beinahe anfassbar ist und wiederholt zu Tränen rührt. Obwohl die Gefahr zum Overacting gegeben war, überzeugt besonders Blanchett durch eine erhabene Kontrolle über ihr facettenreiches Spiel und festigte damit ihren Ruf als wandelbarste Schauspielerin unserer Zeit. Bedauerlicherweise hat die Academy of Motion Arts & Sciences seinerzeit die Besonderheit dieses zeitlosen Films mit Arthaus-Anleihen anscheinend nicht erkannt, da er leider in allen sechs nominierten Kategorien leer ausging.
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Regie: Todd Haynes
Genre: Romanze / Drama / Literaturverfilmung
Darsteller: Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Jake Lacy, Cory Michael Smith, John Magaro, Carrie Brownstein, Kevin Crowley
The Kids Are All Right
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Ein elegant und unterhaltsam zwischen Komödie und Drama pendelnder Film, den man insbesondere an grauen Wintertagen gern aus dem DVD-Regal fischt, ist „The Kids Are All Right“, über den „Die Zeit“ seinerzeit treffend reüssierte, dass es sich um „wunderbares Schauspielerinnenkino“ und „ein kleines Meisterstück der Dialogregie“ handelt. Vier Oscarnominierungen und zwei Golden Globes waren der Lohn für ein Werk, welches die beiden, grundverschieden tickenden Lesben Jules und Nic porträtiert, die jeweils ein biologisches Kind haben, das durch ein- und denselben Samenspender gezeugt wurde. Dass die Pubertierenden Laser und Joni natürlich irgendwann an den Punkt gelangen, ihren Erzeuger kennenlernen zu wollen, dürfte auf der Hand liegen und so kommt es auch. Dies zu beobachten, ist ähnlich unterhaltsam und augenzwinkernd wie die Szene, in der das lesbische Pärchen des Nachts Schwulenpornos schaut, um sich in Fahrt zu bringen oder Diskussionen darüber, ob ein autoritärer oder nachsichtiger Erziehungsstil das Nonplusultra darstellt. Trotz einiger überspitzter Bonmots im Hinblick auf Regenbogen-Familien verliert insbesondere die Ausgestaltung des Drehbuchs nie seine feinfühligen und wohltuenden Qualitäten, die stets wirken wie unmittelbar aus dem Leben gegriffen. Cholodenko gelingt es, sämtlichen Charakteren und ihren Beweggründen genügend Raum zur Entfaltung zu verleihen und aus etwas Alltäglichem etwas Besonderes herauszukitzeln. Neben erstklassigen Dialogen und einer für Genremaßstäbe außergewöhnlichen Musikgestaltung ist es vor allem das großartige Ensemble, das dem Genremix seine Raffinesse verleiht, denn sowohl die noch immer oscarlose Annette Bening als pflichtbewusste, überfürsorgliche Ärztin sowie Julianne Moore als unentschlossener Gegenpol liefern gleichermaßen großartige Darbietungen wie Mark Ruffalo in einer seiner bis heute charmantesten, lockersten Rollen. Letzten Endes ist „The Kids Are All Right“ trotz seiner Leichtfüßigkeit und seiner allgegenwärtigen Feel-Good-Attitüde ein veritabler Tribut für die stetig steigende Anzahl an gleichgeschlechtlichen Eltern und liefert 107 Minuten voller Kurzweile und Substanz.
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Regie: Lisa Cholodenko
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Annette Bening, Julianne Moore, Mark Ruffalo, Mia Wasikowska, Josh Hutcherson, Yaya DaCosta, Eddie Hassell, Zosia Mamet
Blau Ist Eine Warme Farbe (OT: La Vie D’Adèle)
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Vielfach als cineastischer Geheimtipp des lesbischen Kinos bezeichnet und seinerzeit mit der „Goldenen Palme“ in Cannes ausgezeichnet, sorgte die unter der Regie eines Tunesiers entstandene Comicadaption „Blau ist eine warme Farbe“ jedoch auch für Aufschreie – nicht nur aufgrund einiger Liebesszenen, bei denen die Grenze zur Pornografie nahezu fließend verläuft. Der unvoreingenommene Zuschauer wird zum Beobachter einer Romanze zwischen der Schülerin Adèle und der etwas älteren Emma, der man sich geduldig über einen Erzählzeitraum von mehreren Jahren nähert. Trotz phasenweise starker Dialoge im Hinblick auf dem Pfad zur Selbstfindung und -akzeptanz, ist die Laufzeit schlicht und ergreifend mindestens eine Dreiviertelstunde zu lang geraten, und obwohl das Gebotene gerade in den ruhigen Szenen seine größte Wirkung entfaltet, mag es sich nicht so recht erschließen, worin die Notwendigkeit bestand, die beiden Damen eine gefühlte Ewigkeit beim Nudelverzehr zu beobachten. Wirkungsvoll und überaus authentisch herausgearbeitet wurden dagegen Aspekte wie die häufige Homophobie unter Gleichaltrigen oder aber die noch immer an der Tagesordnung befindliche Praxis, die eigene Partnerin aus Scham vor den Eltern als „eine Freundin“ zu verkaufen. Insbesondere Adèle Exarchopoulos trägt entscheidend dazu bei, das Interesse am Leben zu erhalten, denn trotz ihrer Unerfahrenheit spielte sie die Hauptrolle absolut überzeugend und voller Courage und Authentizität. Auch Léa Seydoux, die später zum ersten Bondgirl avancieren sollte, das Auftritte in mehr als einem 007-Film absolvierte, lieferte eine solide Darbietung, kann Exarchopoulos‘ Qualität jedoch in Summe nicht standhalten. Beide Damen erklärten indes unabhängig voneinander, nie wieder mit dem Regisseur arbeiten zu wollen, denn dieser zwang sie angeblich, das Liebesspiel mehr als 20 Mal zu wiederholen. Genau diesen Druck merkt man dem ausufernden Akt wiederholt an und man muss sich daher wiederholt fragen, wie weit Kunstformen gehen dürfen. „Blau ist eine warme Farbe“ ist nicht nur aufgrund dessen ein ambitionierter Film mit starken Einzelsequenzen, der durchaus meisterhaft hätte werden können, wenn man sich für einen klareren Fokus entschieden hätte.
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Regie: Abdellatif Kechiche
Genre: Drama / Erotik
Darsteller: Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux, Salim Kechiouche, Jérémie Laheurte
A Perfect Ending
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Abgeschlagenes Schlusslicht des heutigen Quartetts bildet eine Independent-Produktion, die trotz eines provokanten Trailers nicht einmal in der Lage war, ihre Produktionskosten wieder einzuspielen, was sich im Nachhinein auch nicht als verwunderlich erwies, denn „A Perfect Ending“ wird seinem hochtrabenden Titel nicht nur in keinem Belang gerecht, sondern ist bezüglich seines Skripts und der Inszenierung von vorn bis hinten an Naivität und Dilettantismus kaum zu überbieten. Schon der basale Plot erweist sich als Inbegriff von Klischees, denn natürlich ist es eine vom Ehemann vernachlässigte Mittvierzigerin aus der High Society, die schlecht behandelt wurde, noch nie einen Orgasmus erleben durfte und sich deswegen auf Anraten ihrer lesbischen Freundinnen kurzerhand eine Escort-Dame bestellt, um dies zu ändern. Das Feuer der Damen lodert jedoch weitestgehend auf Sparflamme, denn zwischen den beiden Darstellerinnen möchte sich nicht der Funke einer Chemie einstellen und viele der Szenen wirken, als hätte die Regisseurin bereits nach einem Take abgesegnet. Während die „erotischen“ Momente vielfach an einen Softporno erinnern, bewegt sich vor allem die Dialoggestaltung auf Augenhöhe mit einer überhastet produzierten Nachmittags-Reality-Show. Selten zuvor habe ich überdies einen Film sehen müssen, in dem die musikalische Untermalung so deplatziert eingesetzt wurde wie in diesem und vielfach dafür sorgt. Dass sich selbst die kürzesten Nackenhaare sträuben. Einzig und allein der mittlerweile verstorbene Filmvater aus „Kevin – Allein Zu Haus“ brachte gelegentlich, wenn auch vergeblich einen minimalen Hauch an schauspielerischer Klasse ins Ensemble ein, jedoch gleicht seine Rollenzeichnung einer einzigen Karikatur, mit der man scheinbar schwarzweißmalerisch gegen die „bösen Männer“ zu Felde ziehen wollte. Nach einer Laufzeit von 110 Minuten und eines hohen Maße an Langeweile und Fremdscham ist man somit vor allem darüber froh, das Gebotene überstanden zu haben, das dem Genre ähnlich viel Mehrwert beschert wie „Fifty Shades“.
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Regie: Nicole Conn
Genre: Liebesdrama
Darsteller: Barbara Niven, Jessica Clark, John Heard, Morgan Fairchild, Rebecca Staab, Kerry Knuppe, Imelda Corcoran, Mary Jane Wells, Michael Adam Hamilton, Bryan Jackson