Der Schock ist groß, als die Leiche von Chase Andrews (Harris Dickinson) gefunden wird. Offensichtlich ist der junge Mann den Feuerwachturm hinuntergestürzt. Doch wie kam es dazu? Und hat eventuell jemand nachgeholfen? Der Verdacht fällt rasch auf die Außenseiterin Kya Clark (Daisy Edgar-Jones), die bei der lokalen Bevölkerung unter dem Namen Marschmädchen bekannt ist. Schon immer war die junge Frau, die in den Sümpfen aufgewachsen ist und dort allein lebt, den anderen unheimlich. Außerdem soll sie dem Verstorbenen zuvor gedroht haben. Tatsächlich wird sie bald des Mordes angeklagt, wobei ihr der Pflichtverteidiger Tom Milton (David Strathairn) zur Seite steht und nach einem schwierigen Anfang zu ihrem Vertrauten wird…
In den letzten Jahren ist der Drang der Menschen, ein Leben in der unberührten Natur zu führen, stetig gewachsen. Schon vor der Corona-Pandemie, die bei vielen das Bedürfnis des Ausbruchs weckte, sehnten sich immer mehr danach, alles hinter sich und lassen und irgendwo ganz einfach zu leben, fernab von den zivilisatorischen Zwängen. Dass dies in den meisten Fällen nicht sonderlich realistisch ist, tut dem Trend keinen Abbruch. Auch Delia Owens profitierte von diesen Sehnsüchten, als sie 2018 mit fast 70 Jahren ihren ersten Roman Der Gesang der Flusskrebse veröffentlichte. Das Buch war monatelang in den Bestsellerlisten zu finden. Bis heute hat es sich rund 15 Millionen Mal verkauft. Klar, dass dieser Erfolg auch anderweitig ausgeschlachtet werden musste. Und tatsächlich ist die gleichnamige Verfilmung doch recht profitabel, obwohl sie ohne große Stars auskam und das Budget überschaubar blieb.
Der Schauplatz dürfte damit wesentlich zusammenhängen. Regisseurin Olivia Newman inszeniert die Sümpfe als idyllischen Rückzugsort, an dem unsere Heldin sein darf, wer sie will. Die gelegentlichen Ausflüge in die „reale“ Welt enden oft mit Enttäuschungen, auch weil Kya dort als Außenseiterin gilt. Der Gesang der Flusskrebse erzählt deshalb auch die Geschichte, wie Menschen mit Leuten umgehen, die anders sind. Wobei Kya noch nicht mal wirklich anders ist. Es gibt keine Szene, in der tatsächlich klar wird, was an ihr nicht stimmen soll. Der Spitzname Marschmädchen hat mehr von Kindererzählungen, etwa zu alten sonderbaren Frauen, die bestimmt Hexen sind. Nur weil sie eben gern für sich bleiben. So wie die Protagonistin die Einsamkeit vorzieht. Das gilt nicht nur heute als verdächtig, wenn unser Privatleben gefälligst online breitgetreten werden muss. Schon in den 1960ern – die Haupthandlung spielt 1965 – sind für sich lebende Menschen Anlass zum Misstrauen.
Wie Kya es geschafft hat, so lange allein zu leben, wird dabei nie richtig klar. Ohnehin sollte man bei der Geschichte vieles lieber nicht hinterfragen. Der Film ist nicht für Zuschauer und Zuschauerinnen gedacht, die rational an das Gezeigte herangehen. Stattdessen versucht das Drama stärker, die emotionale Seite zu bedienen, etwa bei den Romanzen der jungen Frau. Ungewöhnlich dabei ist, wie Der Gesang der Flusskrebse dieses Drama mit Coming-of-Age-Elementen und eben einer Krimi-Rahmenhandlung verbindet. Die Suche nach Wahrheit hinter dem Tod von Chase wird zum Anlass, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Als reiner Krimi ist der Film dabei nicht so wahnsinnig interessant. Die Handlung ist so sehr auf Kya fokussiert, dass es keinen Raum für alternative Erklärungen gibt. Die Auflösung des Falls ist nicht wirklich eine, auch wenn man zumindest erfährt wer Chase tatsächlich umgebracht hat.
Die Mischung aus den verschiedenen Genres ist, gemeinsam mit den reizvollen Bildern, durchaus ein Grund, warum man sich den Film mal anschauen kann. Die Darstellung von Daisy Edgar-Jones (Fresh) als einfühlsame und doch selbstbestimmte Einsiedlerin ist ein weiterer. Während beim Drumherum also einiges ist, das einen erahnen lässt, weshalb der Roman ein solcher Erfolg wurde, so ist die Geschichte von Der Gesang der Flusskrebse doch eher nichtssagend. Natürlich darf man die feministischen Züge sympathisch finden oder auch, wie eine Außenseiterin sich behaupten kann. Das allein ist aber kein vollwertiger Ersatz, zumal die Figurenzeichnung jetzt auch nicht die ambitionierteste ist. Das Interesse von Owens, die als Zoologin und Umweltschützerin aktiv war, gilt dann doch eindeutig mehr dem Setting als den Menschen, die sich darin bewegen.
„Der Gesang der Flusskrebse“ kombiniert Coming-of-Age-Drama, Romanze und Krimi, wenn eine junge Einsiedlerin in den Sümpfen des Mordes verdächtigt wird. Die Mischung ist ungewöhnlich, zudem gut gespielt und schön bebildert. Richtig interessant ist die Geschichte aber nicht, da sowohl die Figuren wie auch der Kriminalfall nicht viel hergeben. Trotzdem verlässt man den Kinosaal mit dem Gefühl einen guten Film gesehen zu haben und auch der Endcreditsong von Taylor Swift weiß ebenfalls zu gefallen.