Früher hatten David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) ein sehr enges Verhältnis, die Cousins waren quasi unzertrennlich. Doch das hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Spätestens als David Frau und Kind bekam, verschob sich sein Lebensschwerpunkt, seither sehen die beiden sich kaum noch. Das soll sich nun aber ändern, gemeinsam reisen die beiden jüdischen US-Amerikaner nach Polen, die Heimat ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter. Tatsächlich wollen sie deren früheres Zuhause anschauen. Aber auch sonst soll die Reise ihnen dabei helfen, eine stärkere Beziehung zu ihren Wurzeln aufzubauen. Harmonisch ist der Trip, den sie gemeinsam mit der von James (Will Sharpe) geleiteten Reisegruppe unternehmen aber nicht. Vielmehr müssen sie sich auch damit auseinandersetzen, wie unterschiedlich sie geworden sind…
Nachdem Jesse Eisenberg als Schauspieler spätestens durch seine Darstellung als Mark Zuckerberg in David Finchers Meisterwerk The Social Network immer gefragter wurde und zahlreichen Hollywoodproduktionen mitspielte, war auch für ihn irgendwann die Zeit gekommen, sich als Regisseur zu versuchen. Sein Debütfilm When You Finish Saving the World erhielt dabei 2022 ganz ordentliche Kritiken, ohne aber größeren Eindruck zu hinterlassen. Bei seinem zweiten Anlauf hinter der Kamera sieht das anders aus. Ein Blockbuster ist A Real Pain sicherlich nicht geworden. Die Kritiken sind dafür herausragend, der Film wurde seit dem Debüt in Sundance Anfang 2024 auf zahlreichen Festivals gezeigt. Die Tragikomödie war zudem kürzlich für vier Golden Globes im Rennen, darunter als bester Film. Am Ende gab es immerhin eine Auszeichnung für Kieran Culkin als bester „Neben“darsteller.
Natürlich lässt sich mal wieder über Sinn und Zweck der Kategorie Nebendarsteller streiten, wenn der Schauspieler praktisch in jeder Szene zu sehen ist und der Film wie schon Eisenbergs Debüt von dem schwierigen Verhältnis zweier Familienmitglieder handelt. Und doch passt die Würdigung irgendwie zu dem Film selbst. So beschreibt A Real Pain mit Benji einen Mann, der in seinem Leben nichts auf die Reihe bekommen hat, es aber immer wieder schafft, andere in seinen Bann zu ziehen. Immer wieder gibt es Szenen, in denen sich der kriselnde Cousin völlig daneben benimmt, ihm die anderen Teilnehmenden der Reisegruppe dennoch hinterherlaufen – und David völlig missachtet danebensteht. Entsprechend kompliziert und komplex ist das Verhältnis der beiden dann auch.
Der Titel ist dabei sehr clever gewählt. Auf der einen Seite bezieht sich A Real Pain auf Benji, der mit seinen irrlichternden Meinungen und dem starken Sendebewusstsein furchtbar auf die Nerven gehen kann, „a real pain in the ass“ also. Gleichzeitig steht er für die Wunden und Unsicherheiten, zuweilen sogar Depressionen, die alle beteiligten mit sich herumtragen. Benji ist verletzt, dass David sich entfernt hat. Dieser wiederum kommt nicht mit etwas klar, das sein Cousin getan hat und erst spät angesprochen wird. Und selbst die anderen Teilnehmenden der Gruppe tragen etwas mit sich herum, die Reise nach Polen wird für sie zu einer Möglichkeit, einmal Abstand zu gewinnen. Herzerweichende Momente gibt es auf diese Weise immer wieder, das kann alles schon richtig weh tun – auch weil trotz der überzeichneten Figuren ihre Probleme viel Identifikationsfläche bieten.
Und doch ist der Film sehr lustig. Ob es die Entgleisungen von Benji sind, der starke Kontrast zwischen den Figuren oder die diversen absurden Situationen, die sich Eisenberg für seine Figuren ausgedacht hat: Das ist alles sehr unterhaltsam und auch spannend, da man nur darauf wartet, dass die nächste Verrücktheit ansteht. A Real Pain ist dabei auch sehr gut gespielt. Klar, ambitioniert ist die Darstellung des Regisseurs, der für steife Neurotiker bekannt geworden ist, nicht. Aber das funktioniert ebenso gut wie die Leistungen beim restlichen Ensemble, das immer wieder eigene Gelegenheiten zum Glänzen bekommt. Zusammen machen sie den Mix aus Drama, Komödie und Roadmovie zu einem schönen, warmherzigen und letztendlich lebensbejahenden Film, der inmitten des Grauens Impulse liefert weiterzumachen, die Zukunft zu suchen, ohne dabei die Vergangenheit zu vergessen.
Fazit: A Real Pain begleitet zwei ungleiche Cousins auf ihrer Reise nach Polen, wo sie sich der Vergangenheit stellen und sich wieder näherkommen. Das ist oft lustig, teilweise aber auch herzerweichend, wenn eine Reise Menschen zusammenkommen, die Wunden mit sich herumtragen. Die Identifikationsfläche ist dabei trotz der überzeichneten Figuren groß, das sehr gute Ensemble hat tolle Arbeit geleistet, auch wenn am Ende der große Aha-Moment fehlt, um das Werk abgerundet wirken zu lassen.