Im Zentrum der fast dreistündigen Verfilmung von Eurgene O´Neills gleichnamigem Bühnenstück steht die Familie Tyrone, eingefangen an einem einzigen Tag, der zugleich ein ganzes Leben spiegelt. Die Handlung spielt sich fast ausschließlich im Wohnzimmer des Familienhauses ab – ein beengter Ort voller Erinnerungen, Schuldzuweisungen und unausgesprochener Wahrheiten, die wie ein Sturm durch die Dialoge fegen…
Meisterregisseur Sidney Lumet (Die 12 Geschworenen, Hundstage, Network, uva.) gelingt ein psychologisches Kammerspiel von erschütternder Intensität. Katharine Hepburn liefert hier eine ihrer ergreifendsten Performances als Mary Tyrone, die in ihrer Morphiumsucht versinkt – geisterhaft, verletzlich, entrückt. Ihre Darstellung ist nicht laut, sondern innerlich zerrissen, sie schwankt zwischen mütterlicher Wärme und schmerzhafter Entfremdung. Jeder Blick, jedes Zittern in ihrer Stimme erzählt mehr über gebrochene Träume als Worte es je könnten. Ralph Richardson als James Tyrone Sr., ein geiziger, einst gefeierter Schauspieler, ringt mit seinem Stolz und seiner Ohnmacht gegenüber dem familiären Zerfall.

Jason Robards und Dean Stockwell als die beiden Söhne Jamie und Edmund – der eine zynisch und verbittert, der andere krank und sensibel – vervollständigen dieses eindrucksvolle Quartett. Ihre Dialoge sind messerscharf, aber nie bloß intellektuell – sie atmen Verletzung, Liebe, Wut und tiefe Scham. Dass alle vier Darsteller:innen 1962 beim Filmfestival von Cannes gemeinsam den Darstellerpreis erhielten, war nicht nur ein historischer Moment, sondern ein klares Zeichen: Hier agierte kein Ensemble, hier verschmolzen vier Individuen zu einer einzigen zerbrechenden Familieneinheit.
Sidney Lumet gelingt das Kunststück, die Theaterherkunft des Stoffs nicht zu kaschieren, sondern zu seinem Vorteil zu nutzen. Er inszeniert zurückhaltend, aber mit absolutem Vertrauen in die Kraft von Text, Raum und Spiel. Die Kamera beobachtet mit stiller Intensität, zieht sich manchmal zurück, bleibt dann wieder lange auf den Gesichtern – sie urteilt nicht, sie lässt atmen. Die Atmosphäre ist stickig, schwer, beinahe klaustrophobisch, und doch fesselt sie durch jede feinfühlige Nuance.

Der Film behandelt Themen wie Sucht, Krankheit, familiäre Erwartungen, zerbrochene Träume und die Unmöglichkeit, einander wirklich zu erreichen – universelle Themen, verpackt in einem sehr persönlichen Drama. O’Neills Text ist literarisch dicht, fast poetisch, aber unter Lumets Regie verliert er nie den emotionalen Zugang. Long Day’s Journey into Night ist kein leichter Film – aber ein notwendiger. Es ist ein Porträt familiärer Liebe, das ebenso von Hoffnung durchzogen ist wie von Enttäuschung, Krankheit und dem langsamen Gift der Verdrängung.
Fazit: Long Day’s Journey into Night ist kein Film für einen leichten Abend – aber ein Werk von großer Tiefe, getragen von vier darstellerischen Höchstleistungen. Lumet hat hier kein Kino der großen Gesten geschaffen, sondern eines der stillen Tragödien, das lange nachhallt. Es ist ein Film über Menschen, die einander lieben, aber daran scheitern, es auszuhalten.

Regie: Sidney Lumet
Genre: Period Drama / Tragödie
Darsteller: Katharine Hepburn, Ralph Richardson, Jason Robards, Dean Stockwell, Jeanne Barr