Revenge is a dish best served cold: Sympathy for Mr. Vengeance (OT: Boksuneun naui geot)

Nach dem Erfolg mit Joint Security Area (2000), widmete sich Park Chan-wook seinem nächsten Film: Der Rachegeschichte Sympathy for Mr. Vengeance.; und der Auftakt zur The Vengeance Trilogy.

Der taubstumme Ryu (Shin Ha-kyun) verliert nicht nur seinen Job, sondern hat auch eine schwerkranke Schwester (Lim Ji-Eun), die dringend eine neue Niere braucht. Da weder Ruy, noch seine linksextreme Freundin Cha Yeong-mi (Bae Doo-na) als Spender in Frage kommen, lässt sich Ryu auf ein Geschäft mit einer Bande von Organhändler ein: Einer seiner Nieren und 10 Millionen Won gegen eine passende Niere der Blutgruppe B für seine Schwester. Leider wird er aber gelinkt und verliert nicht nur seine Niere, sondern auch das komplette Geld und steht mit leeren Händen da. Also wird fix ein Alternativplan geschmieden: Yu-sun (Han Bo-bae), die kleine Tochter des Geschäftsmannes Park Dong-jin (Song Kang-ho) soll entführt werden und gegen ein hohes Lösegeld wieder freikommen. So der Plan in der Theorie…

Sympathy for Mr. Vengeance ist eigentlich weniger die Geschichte von einem Mr. Vengeance, als von zweien. Auf der einen Seite haben wir Ryu: Er verliert nicht nur seinen Job, sondern auch seine Schwester und möchte Rache an den Organhändlern nehmen; und dann haben wir natürlich Dong-jin: Ihm hat man seine Tochter genommen und dadurch hat er alles verloren, was ihm in diesem Leben – und nach der Scheidung von seiner Frau – geblieben ist. Dass es ihm nach Rache dürstet, ist nur verständlich. Entwickelt man Sympathie für die beiden und ihren daraus resultierenden Taten? Ich würde es eher Verständnis für die jeweilige Situation nennen: Beide haben nachvollziehbare Gründe, warum sie sich an den jeweiligen Personen rächen wollen. Dass Ryu dabei logischerweise das Opfer von Dong-jin ist, macht die Sache nicht einfacher; und auch Dong-jin ist natürlich das Opfer einer Rache. Aber das erfährt er – und auch der Zuschauer – erst in den letzten Sekunden des Filmes.

Park Chan-wook beginnt seinen Film sehr gemächlich: Wir lernen die beiden Figuren Ryu und Cha Yeong-mi kennen und werden Zeuge ihres Lebens, ihrer Probleme und Sorgen. Ryu bekommt einen Tiefschlag nach den nächsten verpasst – Job weg, sein Geld an Organhändlern verloren und keine Niere für seine Schwester – und am Ende ist er so verzweifelt, dass er und seine dominante Freundin zu Entführern werden: Soll zuerst der ehemalige Boss von Ryu das Opfer werden, entscheiden sich die beiden kurzfristig um und entführen die kleine Tochter des Geschäftsmannes Park Dong-jin.

Der berühmte Funke am Pulverfass sind dann zwei aufeinander folgende Tritte in die Eier, die schmerzhaft von Chan-wook in Szene gesetzt werden: Zuerst werden wir Zeugen, wie sich Yu-sun in der Wohnung der Schwester von Ryu – die denkt, dass er der Babysitter der Kleinen ist – eine Cartoonsendung anschaut. Ryu setzt sich zu ihr und in diesen wenigen Augenblicken bekommt man alleine durch den Umgang des taubstummen Mannes und des kleinen Mädchens miteinander das Gefühl, dass sich da zwei verstehen und mögen; trotz der ganzen schwierigen Situation. Aber Chan-wook wäre nicht Chan-wook, wenn er nicht einen Knüppel dabei hätte, die er dem Zuschauer direkt zwischen die Beine wirft: Yu-sun übergibt Ryu einen Brief seiner Schwester, in dem sie offenbart, dass sie sich aus Scham über das Opfer von Ryan – Verlust der eigenen Niere und des Geldes – das Leben nehmen wird. Sofort stürmt Ryu das Badezimmer, kann aber seine geliebte Schwester nur noch leblos in der Badewanne auffinden.

Der zweite und weit schmerzhaftere Schock serviert Chan-wook direkt im Anschluss: Ryu beerdigt seine Schwester am Ufer eines kleines Sees, während Yu-sun im Auto wartet. Durch einige Zufälle kommt sie aber aus dem Auto heraus und betritt einen Steg, während der arme Ryu am gegenüber liegenden Ufer um seine Schwester trauert. Was dann folgt, ist so perfiede, so gemein und doch so brilliant in Szene gesetzt, dass sich alleine wegen dieser Szene der komplette Film lohnt: Wir hören ein permantes Klatschen der Wasseroberfläche, da ein offenbar behinderter Mann Steine vom Steg aus in das Wasser wirft. Im Vordergrund hockt Ryu und häuft Steine auf das Grab seiner Schwester und im Hintergrund sehen und hören wir die kleine Yu-sun, die nach ihm ruft. Da Ryu ja taub ist, hört er die Ruft logischweise nicht. Während wir einen letzten Blick auf das Gesicht der Schwester werfen können, hören wir weiter das Klatschen der Steine; und auf einmal ist Yu-sun verschwunden. Sie taucht einige Sekunden später leicht verschwommen im Hintergrund auf: Sie ist in das Wasser gesprungen und ruft um Hilfe, da sie im Begriff ist zu ertrinken. Sie weiß leider nicht, dass ihr keiner helfen kann und auch der Zuschauer weiß das; leider. Es werden Steine auf das Leichentuch der Schwester gelegt und dann folgt für die Dauer eines Augenschlages der leblose Körper und das bleiche Gesicht von Yu-sun, wie sie in Richtung Grund gleitet; direkt vor der Kamera und den Augen des Zuschauers. Es ist wirklich weniger als eine Sekunde, hat aber eine so große Wucht, wie man es mit einer minutenlangen Ertrink-Szene niemals erreichen könnte. Unterstützt von einer nervenauftreibenden Musik rennt Ryu den Steg entlang, als er merkt, dass Yu-sun in das Wasser gefallen ist und bleibt dann aber wie vom Donner gerührt am Ufer stehen und ist unfähig zu ihr zu schwimmen. Es ist der behinderte Mann der in das Wasser steigt und als er bei Ryu angekommen ist, versucht er nicht etwa sie retten, sondern nimmt ihre Halskette an sich! Das ist an Grausamkeit kaum noch zu überbieten. Die Szene endet damit, dass es Ryu doch irgendwie geschaft hat, die kleine ans Ufer zu bringen und wir sehen sein entsetztes Gesicht; Schnitt auf die Leiche von Yu-Sun und in der gleichen Einstellung wie eben Ryu sehen wir nun ihren geschockten Vater am Ufer stehen: Dong-jin.

Die darauf folgende Einhäscherungsszene im Krematorium ist ebenfalls mit der gleichen Wucht in Szene gesetzt: Wir werden hautnah Zeuge wie die Familie trauert, mal vor der Scheibe um Raum, wo wir die Schreie der Trauer der Mutter nur sehen können, und dann im Raum selber, wo sie dann zu hören sind, während Dong-jin in tiefer Fassungslosigkeit wie versteinert da steht; und auch zeigt Chan-wook am Ende wie die Leiche von Yu-sun (und ihre Puppe) verbrennt. Wobei man aber nur ihren Arm sieht, der langsam verbrennt. Trotzdem ist die Szene der passende Abschluss dieser schlimmsten Minuten des ganzen Filmes und zeigt überdeutlich das Dilemma, in das Ryu nun steckt und das Motiv für Dong-jins Rache.

Ein Vorteil des Filmes ist vor allem der überschaubare Cast und dass man genügend Zeit mit den handelnden Personen bekommt: Wir haben Ryu, Cha Yeong-mi, Yu-sun und Park Dong-jin, sowie als weitere Nebenfiguren die Schwester von Ryu, die Chefin der Organhändler und der Ermittler der Dong-jin dabei helfen soll seine Tochter zu finden. Vor allem das Trio Ryu, Yeong-mi und Dong-jin bekommen genügend Zeit um ihre Motive und Beweggründe darzulegen und werden von Shin Ha-kyun, Bae Doo-na und Song Kang-ho mit viel Gefühl und auf den Punkt passend verkörpert.

Auch sticht heraus, dass der Film nur wenig Dialog und keinen Score besitzt und man sich viel mehr auf die Bilder und vor allem die grandiose Soundkulisse verlassen muss. Überhaupt der Sound: Immer wieder hört man Vögelgezwischter, der Lärm draußen auf der Straße und viele andere natürliche Geräusche. Und dann – um die Figur von Ryu noch besser darzustellen – schlüpft man auch direkt in seine Figur und hört nicht mehr als ein permanentes Rauschen.

Was den inszenatorischen Aspekt angeht, sind mir vor allem zwei Sachen aufgefallen: Zum einen zeigt Park Chan-wook wichtige Szenen erst gar nicht (wie z. B. die eigentliche Entführung von Yu-sun), sondern springt einfach mal im Geschehen vor; und dann wäre da noch die fabelhafte Kameraarbeit von Kim Byeong-il: Ähnlich wie in demn Yasujirō Ozu-Klassiker Die Reise nach Tokyo (Tōkyō monogatari – 1953) besteht der Film fast vollständig aus unbeweglichen Kamerabildern. Diese für westliche Filmkucker vielleicht ungewohnte Herangehensweise hat aber einen großen Vorteil: Man konzentriert sich noch mehr auf die Szene, die man gerade vor Augen hat, und nimmt auch kleine Details war. Nur in Ausnahmefällen wechselt man auf fließende Bilder (wie z. B. der herausragend inzinierte Tod der kleinen Yu-sun); sonst verlässt Park Chan-wook sich voll und ganz auf seine Schauspieler und die Soundkulisse.

Leider schleichen sich aber auch kleine Längen in dem Film ein, die Park Chan-wook locker umgehen hätte können, wenn er straffer gearbeitet hätte; aber das sei ihm verziehen. Besonders die Szene in der die Leiche von Cha Yeong-mi aus der Wohnung abtransportiert wird und von der Ryu ungeplant direkt Zeuge wird, hätte man kürzer gestalten können: Hier rächt es sich fast, dass man mit einem festen Kamerabild gearbeitet hat und das einzige Mal, dass ich mir wünschte, dass man endlich zum nächsten Abschnitt der Geschichte kommt.

Mit dem ersten Film seiner The Vengeance Trilogy wirft Park Chan-wook nicht gerade leichte Kost dem Zuschauer hin; vor allem nicht für die Sehgewohnheiten von Europäern. Aber wenn man sich auf die Story, die Figuren und alles drumherum einlässt, bekommt man einen guten Blick darauf, was Park Chan-wook später noch verfeinern wird: Warum nehmen wir Rache? Was treibt uns dazu? Und was sind die Konsequenzen? Sympathy for Mr. Vengeance ist also im Endeffekt ein verdammt starker Beginn der Trilogie.

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