PROLOG
Ich mochte Ben Affleck eigentlich schon immer, auch wenn er nie wirklich als guter Schauspieler angesehen wurde. Das änderte sich eigentlich erst im Jahr 2006, als er in Die Hollywood-Verschwörung (OT: Hollywoodland) den ehemaligen Superman-Darsteller George Reeves darstellte und mit der Coppa Volpi als Bester Darsteller beim Filmfestival in Venedig ausgezeichnet wurde und eine Golden Globe-Nominuerung als Bester Nebendarsteller erhielt.
Im Jahr darauf drehte er mit Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel seinen ersten Film als Regisseur und überzeugte vor allem die Kritiker, nur um im Jahr 2010 vollends aus dem Schatten des gemochten, aber nicht wirklich respektierten Schauspieler herauszutreten und sich einen Ruf als handwerklich überzeugenden und visierten Regisseur zu machen: The Town – Stadt ohne Gnade. Zwar reichte es nicht für ihn selber zur Oscar-Nominerung als Beste Regiesseur, aber brachte er das Kunststück zu Stande nach Amy Ryan für Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel mit Jeremy Renner einen weiteren Darsteller zu einer Oscar-Nominerung als Bester NebendarstellerIn zu dirigieren.
Es sollte also spannend werden, was Affleck für seine dritte Regiearbeit aus dem Hut zaubern würde.
REVIEW
Schon in der Eröffnungssequenz, in der am 4. November 1979 die amerikanische Botschaft in Teheran von iranischen Studenten der Gruppierung Daneshjuyane Khate Emam gestürmt wird, zeigt sich die ganze Brillianz von Afflecks Regieführung: Statt die eh schon hektische, tumulthaltige Stimmung mit einer Jason Bourne-Gedächtniskameraarbeit noch weiter zu verschlimmern, filmt er die anfänglichen Proteste und die anschließende Stürmung der Botschaft und das gleichzeitige vernichten von Akten, wichtigen Gerätschaften und das debattieren der amerikanischen Botschaftsangehörigen sehr übersichtlich und fließend. Gerade deswegen fühlt man sich als Zuschauer mitten im Geschen und bekommt einen guten Überblick über die komplette Situation. Beendet wird alles mit der Flucht der sechs Diplomaten Robert Anders, Cora Lijek, Mark Lijek, Joseph Stafford, Kathleen Stafford und Henry Schatz, die nach einer mehrtägigen Flucht Unterschlupf im Privathaus des kanadischen Botschafters Kenneth D. Taylor. Taylor finden.
Im Anschluss werden wir sehr schön Zeuge der damaligen Arbeit der Central Intelligence Agency, die – sagen wir wie es zu der Zeit war – nicht gerade von Intelligenz und Weitblick geprägt war: Über die Möglichkeit die sechs mit Fahrrädern aus dem Iran heraus an die türkische Grenze zu bringen, bis zur Idee sie als Lehrer getarnt rauszufliegen obwohl die letzte internationale Schule schon vor einiger Zeit geschlossen wurde, bekleckert man sich nicht gerade mit Ruhm. Der von Affleck gespielte Geheimdienstoffizier Tony Mendez – zu der Zeit einer der besten Fluchthelfer der CIA – scheint da noch die beste der blöden Ideen zu haben: Man verpasst den sechs Amerikanern die Scheinidentität eines kanadischen Filmteams, das in Theran nach Drehorten für einen Science-Fiction-Films namens Argo sucht und dann ausgeflogen wird. Dazu möchte sich Mendez die Hilfe des Produzenten Lester Siegel und des Make-Up-Spezialisten John Chambers sichern.
Die Hollywood-Episode lebt dann von dem grandiosen Zusammenspiel von Alan Arkin als Lester Siegel und John Goodman als John Chambers: Vor allem Arkin als zynischer Filmproduzent der direkt bei seiner ersten Szene einen wunderbaren Dialog über den Irrsinn der ganzen Aktion bringt ist einfach ein Traum. Affleck ändert hier fast komplett den Tonfalls des Filmes, der bis zu diesem Punkt ein doch ernster CIA-Thriller war und dank Arkin und Goodman eine wunderbar humorische Note erhält und beim Auftauchen von Richard Kind sogar einen leichte Coen-Brothers-Duft versprüht. Die kleinen Gags in den geschliffen scharfen Dialogen sind treffend und die liebevolle Ausstattung – vor allem im Hintergrund – für einen Filmfan ein reiner Augenschmaus. Die Krönung dieser zweiten Episode ist dann das gemeinsame Lesens des Drehbuchs von Argo, in der wir uns am Anfang dank den verkleideten Menschen vorkommen wie bei einer SciFi-Convention. Hier bringt es Affleck zustande diese sehr komische Veranstaltung mit einer Kamerafahrt in die Küche – in der gerade eine Moderatorin des iranischen Fernsehens die Anklagepunkte gegen die amerkanischen Geisel verließt und wir eingeschnittene Szenen der Todesangst der Geiseln (gefakte Erschießungen um sie zu brechen) und der langsame Lagerkoller der Diplomaten in der kanadischen Botschaft zu sehen bekommen – die naiven Dialoge des geplanten Filmes in eine Ansprache der Hoffnung zu verwandeln und beschert dem Film seinen zweiten Gänsehautmoment. Es gibt Filmemacher die brauchen für zwei solcher Momente drei Filme. Affleck weniger als eine Stunde.
Die letzte Stunde beschäftigt sich dann mit der eigentlichen Durchführung der Flucht aus Teheran. Hier ziehen Affleck und sein Drehbuchautor Chris Terrio die Spannungsschraube bis zum Anschlag an: Zuerst durch eine Szene auf dem Markt von Theran, wo die sechs Filmemacher das erste Mal in ihren Rollen überzeugen müssen und der eigentlichen Flucht über den Teheraner Flughafen. Gerade in dieser Sequenz zeigt sich die ganze Brillanz des Films: Wir wissen, dass die Flucht eigentlich gelingt, aber trotzdem fiebern wir die ganze Zeit mit der kleinen Gruppe mit. Vor allem Scoot McNairy hat hier einen sehr schönen Moment, als er – obwohl er am Anfang die größten Zweifel an der ganzen Aktion hatte – die iranischen Soldaten davon überzeugen kann, dass es sich bei den sieben Personen wirklich „nur“ um ein kanadisches Filmteam handelt. Die komplette Szene – von dem Eintreffen der Gruppe am ersten Kontrollpunkt bis zum Abheben der Swissair-Maschine in Richtung Freiheit – ist an Spannung kaum zu überbieten und meisterhaft von Affleck in Szene gesetzt. Ja: Am Ende hatte ich sogar Tränen in den Augen, als die Stewardess über Lautsprecher verlautete, dass man den iranischen Luftraum gerade verlassen hatte.
Schauspielerisch lebt der Film natürlich von seinen starken Nebenfiguren, weil sich Affleck als – zumindest auf dem Papier – Hauptdarsteller nicht zu sehr in den Mittelpunkt drängt, sondern als Regisseur weiß gerade seine Nebenfiguren richtig in Szene zu setzen: Wir haben das brillante Duo bestehend aus Alan Arkin und John Goodman, die ich gerne nochmal in einem Film zusammenspielen sehen möchte; Bryan Cranston gibt den hemdsärmeligen CIA-Vorgesetzten von Affleck und kann vor allem in einer kleinen aber feinen Szene bei der Flucht vom Flughafen sein meisterhaftes Können zeigen; die sechs Diplomaten hätte man auch als Schauspielkanonenfutter in Szene setzen können, aber Tate Donovan, Clea DuVall, Scoot McNairy, Rory Cochrane, Christopher Denham und Kerry Bishé verleihen der Gruppe eine sehr schöne Dynamik und Leben und bringen es fertig, dass man mit ihnen mitfiebert; und auch über die kleinen Szenen mit Victor Garber, Kyle Chandler, Philip Baker Hall, Bob Gunton, Richard Kind und dem grandiosen Željko Ivanek habe ich mich sehr gefreut. Und selbstverständlich kann auch Affleck mal wieder als Schauspieler überzeugen, obwohl seine Hauptstärke natürlich in seiner Tätigkeit als Regisseur lag.
Die Musik von Alexandre Desplat ist passend, kommt aber nicht ganz an seine großen Werke heran. Rodrigo Prieto gibt dem Film ein sehr edles, zeitgeschichtlich-realistisches Aussehen und muss sich für keine Sekunde hinter den Arbeiten von z. B. Janusz Kaminski in München verstecken. Das gleiche gilt für den Schnitt von William Goldenberg, der Zurecht mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, genau wie das Drehbuch von Chris Terrio. Dass gerade Affleck für seine Regiearbeit übergangen wurde, wird noch in einigen Jahren schwer auf der Academy haften bleiben, aber zumindest konnte er den Oscar für den Besten Film in Empfang nehmen. Trotzdem wäre der Regie-Oscar nicht unverdient gewesen.
EPILOG
Mit Argo reiht sich Ben Affleck in die Reihe der großen Zeitgeschichts-Regisseure wie Stone und Spielberg ein und steigert sich mit seiner dritten Regie-Arbeit noch weiter als man schon bei The Town – Stadt ohne Gnade dachte. Ein spannender und stellenweise sehr unterhaltsamer Film, der rein vom Thema her auch staubtrocken und fade in Szene gesetzt werden konnte. War der Oscar für den besten Film gerechtfertigt? Auf jeden Fall! Well done, Mr. Affleck! Well done!
USA – 2012 – 2 Std. 0 Min.
Regie: Ben Affleck
mit Ben Affleck, Bryan Cranston, Alan Arkin, John Goodman, Victor Garber, Tate Donovan, Clea DuVall, Scoot McNairy, Rory Cochrane, Christopher Denham, Kerry Bishé, Kyle Chandler, Chris Messina, Željko Ivanek, Titus Welliver, Keith Szarabajka, Philip Baker Hall, Bob Gunton, Richard Kind, Taylor Schilling
Genre: Tragikomödie, Thriller, Drama, Historie