Oh Boy

REVIEW
Ich gebe gerne zu, dass ich von dem Debüt von Jan Ole Gerster sehr überrascht war; und zwar in positiver Art und Weise. Dachte ich am Anfang ich bekomme jetzt eine in Berlin angesiedelte, in Arthouse-SW gedrehten Hipster-Film serviert, belehrte mich Gerster am Ende eines besseren: Oh Boy ist ein wunderbarer Beweis, dass der deutsche Film im Stande ist mit den charmanten und kunstvollen Filmen unserer französischen Nachbarn mitzuhalten und seine Geschichte stimmig, sowie mit witzigen als auch ernsten Momenten zu erzählen.

Der große Pluspunkt ist natürlich der Hauptdarsteller Tom Schilling, dessen Schauspiel absolut überragend ist. Sein Niko Fischer erinnert dabei leicht an Zach Braffs Andrew Largeman in Garden State, dessen Grundtenor Oh Boy sogar tief im Herzen gleicht: Es geht um einen jungen Mann, der seinen Platz im Leben sucht und dabei mit seinen kleinen Macken und der Liebe klar kommen muss. Außerdem versucht er den ganzen Tag über seinen Kaffee zu bekommen, den er am Morgen noch abwies: Wie kann man so jemanden nicht mögen?

Neben Schilling reihen sich Marc Hosemann als bester Freund und Wegbegleiter, die bezaubernde und nicht auf dem Mund gefallene Friederike Kempter als ehemalige Klassenkameradin mit „leichten“ Problemen bezüglich der seelischen Bearbeitung ihres Kindheitstraumata (sie wog damals etwas mehr) in die – sagen wir mal feste – Darstellerriege ein und werden dabei unter anderem von Justus von Dohnányi als in seiner Ehe gefangener Nachbar von Niko, Ulrich Noethen als Nikos golfender Vater, Frederick Lau – der von Kempter in einer meiner Lieblingsszenen mal ordentlich Zunder bekommt, sowie Michael Gwisdek.

Mit Ausnahme von Schilling, Hosemann und Kempter treten alle Figuren nur in einer Szene auf und das macht Oh Boy schon fast zu einem Episodenfilm: Wir begleiten Tom durch den Tag: Angefangen vom Morgen bis tief in die Nacht. Wir werden Zeuge wie seine Freundin mit ihm Schluß macht, ein Psychologe hält ihn für emotional unausgeglichen und sein Vater streicht ihm die finanziellen Zuwendungen – die eigentlich für sein Jura-Studium bestimmt waren, aber das bracht Niko bereits vor zwei Jahren ab. Niko ist ein Träumer und auch ein wenig verplant und verloren, aber ganz bestimmt kein dummer Zeitgenosse: Hier passt mal wieder der Vergleich zu Garden State, dessen Hauptfigur auch ein wenig verloren im Strom der hektischen Außenwelt daherkam.

Gerster erzählt seine Geschichte für eine Debütanten überraschend geradlinig und verfolgt sein Ziel mit eiserner Hand: Dem Zuschauer gönnt er keine wirkliche Pause um mal abzuschalten und dem Geschehen mal nicht aufmerksam folgen zu müssen. Um ganz ehrlich zu sein: Man möchte auch gar nicht abschalten, denn von Anfang bis Ende ist man in der Geschichte, in den Figuren und den Dialogen drinnen und lauscht ihnen.

Der am Anfang etwas ungewohnte SW-Stil des Films entpuppt sich dabei als weitere Stärke: Die Figuren und Berlin als weiterer Star werden dabei in ein sehr nüchternes Gewand gekleidet und man kann sich noch besser auf die Figuren einlassen. Ebenfalls positiv zu erwähnen ist die Musik von The Major Minors dessen leichter Jazz sich wie die Kamera an den Film anschmiegt und den Zuschauer für sich einnimmt.

EPILOG
Es muss nicht immer Schweiger oder Bully sein: Mit Oh Boy wandelt Jan Ole Gerster auf kunstvollen Pfaden und verzaubert mit seiner Mischung aus französischen Flair, dem Charme einer US-Indie-Dramedy wie Garden State und dem manchmal schnodderigen deutschen Lebensstils nicht nur die Kritiker, sondern bestimmt auch die meisten Zuschauer. Es besteht Hoffnung für den deutschen Film. Dank solcher Filmemacher wie Jan Ole Gerster.

Deutschland – 2012 – 1 Std. 28 Min.
Regie: Jan Ole Gerster
mit Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Justus von Dohnányi, Katharina Schüttler, Arnd Klawitter, Martin Brambach, Andreas Schröders, Katharina Hauck, Ulrich Noethen, Frederick Lau, Steffen Jürgens, Michael Gwisdek, Robert Hofmann und Inga Birkenfeld
Genre: Komödie, Drama

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