Heute zeigte das Lichtspielhaus meines Vertrauens im Rahmen der von mir hoch geschätzten Arthaus-Filmreihe das Drama „Mutter & Sohn“. Dieses wurde im Februar auf der Berlinale mit dem Hauptpreis, dem Golden Bären ausgezeichnet und wurde vor Kurzem offiziell als Oscar-Kandidat für den „Besten Fremdsprachigen Film“ erwählt. Wie hoch die Chancen für eine letztendliche Nominierung des osteuropäischen Werks stehen, lässt sich schwerlich voraussagen, zumal ich die anderen Beiträge nahezu allesamt (noch) nicht kenne, allerdings hat sich der Kinobesuch summa summarum durchaus gelohnt.
Erzählt wird die Geschichte der 60-jährigen, durch das Vermögen ihres Mannes gut situierten Cornelia (Luminița Gheorghiu), welche sich stets um das Wohl ihres einzigen Sohnes Barbu (Bogdan Dumitrache) sorgt. Dieser wiederum entfernt sich durch das alles kontrollierende und intolerante Verhalten zunehmend von seiner Mutter, was auch daran liegt, dass sie seine Lebensgefährtin nicht akzeptiert. Als Barbu bei überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursacht, bei welchem ein Junge zu Tode kommt, versucht sie ihm beizustehen, schreckt aber, getrieben von übersteigerter, fragwürdiger Mutterliebe und der Angst vor einer möglichen Gefängnisstrafe nicht vor Erpressung und Manipulation zurück. Das Mutter-Sohn-Verhältnis wird somit zusätzlich auf eine harte Probe gestellt.
Dem Regisseur Netzer ist es meinen Augen gut gelungen, ein überaus realitätsnahes und von intelligenten Dialogen durchzogenes Gesellschaftsporträt zu zeichnen, das allerdings in seiner Erzählart doch etwas gewöhnungsbedürftig wirkt und keinesfalls die Masse ansprechen dürfte. An die nüchterne, beinahe dokumentarische Herangehensweise sowie die durchgängige, zu Beginn des Filmes überaus wackelige Handkamera-Perspektive muss man sich jedenfalls erstmal gewöhnen. Dennoch war ich über die unverschleierte Ehrlichkeit und die krasse Gegenüberstellung von Armut und Reichtum positiv überrascht. Sowohl die sich zuspitzenden Familienkonflikte als auch Bestechungsthematik halten trotz aller Dialoglastigkeit die Spannung aufrecht. „Mutter & Sohn“ funktioniert in erster Linie als soziologisch-kritisches und nicht zuletzt drastisches Machwerk, welches auf die heiklen Zustände innerhalb des wohl korruptesten Staates der EU hinweisen möchte und anprangert, dass man seinen Kopf als vermögender Mensch schneller aus der Schlinge ziehen kann. Das Sujet der gestörten Eltern-Kind-Beziehung hätte für mein Empfinden noch etwas ausgebaut werden können. Auf das oftmals obligatorische, abmildernde Happy-End wurde jedoch glücklicherweise verzichtet und vor allem im letzten Drittel wurde die Situation der Angehörigen des toten Kindes authentisch und sehr einfühlsam als Gegenpol zum vorher Erzählten beleuchtet. Darüber hinaus ist die Arbeit der Cutter und Synchronsprecher lobend hervorzuheben, das komplette Fehlen einer Filmmusik mochte ich im Gegenzug allerdings nicht unbedingt.
Die nahezu in jeder Szene auftauchende Hauptdarstellerin Luminița Gheorghiu überzeugte in der Rolle der resoluten Mutter mimisch, gestisch und dialogisch und bewies einen enormen Facettenreichtum. Dies liegt vor allem an der Entwicklung ihrer Figur – von einer Frau, die zu Beginn von rein egoistischen Motiven geleitet und letztlich von den Emotionen und ihrer eigenen Verdrossenheit überwältigt wird. Den Nebendarstellern wurde zwar verhältnismäßig wenig Raum zur Entfaltung gegeben, dennoch agierten besonders der lethargische Sohn und die Schwiegertochter der Protagonistin authentisch.
Insgesamt möchte ich „Mutter & Sohn“ trotz einiger unnötiger Längen und inszenatorischer Defizite als ambitioniertes Beispiel des osteuropäischen Kinos mit einer vorbildlichen Intention bezeichnen, das vom Zuschauer jedoch eine gewisse Geduld abverlangt. Speziell, aber sehenswert! Ich bin gespannt auf die internationale Konkurrenz!