DAS ORIGINAL (1976):
Die „kleine“ Carrie (Sissy Spacek), die bei ihrer strengstreligiösen Mutter aufwächst, hat noch nie etwas von der weiblichen Periode gehört. So fällt sie aus allen Wolken, als sie – ausgerechnet im Sportunterricht – zum ersten Mal eine Monatsblutung bekommt. Carrie wird von ihren Mitschülerinnen verspottet, und auch von den Lehrern wird sie provoziert, was erstmals ihre telekinetischen Kräfte ausbrechen lässt. Als sich Sue (Amy Irving) für sie einsetzt und eine Lehrerin ihr hilft, gibt sie ihr Misstrauen auf. Aber ihre Mitschüler planen bereits einen weiteren hässlichen Akt auf dem Abschlussball gegen sie, doch Carrie lässt sich nichts mehr gefallen und richtet ein Blutbad an…
Soweit zur Geschichte, dessen Spoiler ihr mir hoffentlich verzeiht, da die Geschichte den Meisten eigentlich bekannt sein sollte.
Es entzieht sich meinen Verständnis, dass dieser Film als Horrorfilm bekannt ist, denn vielmehr ist er ein Psychodrama mit übersinnlichen Elementen. Diese treten immer dann in Kraft, wenn unsere Protagonistin droht, unter dem Druck zu zerbrechen. Ein Hilfeschrei sozusagen, die gewaltvolle Befreiung aus dem Klammergriff der Überforderung. Denn Carrie hat schwer zu leiden. Unter ihrer höchst fundamentalistisch-katholischen Mutter, die sie krampfhaft am Heranreifen hindert und alles ist Sünde. Die Welt ist voll davon. Somit bleibt dieses Mädchen ewig emotional wie sozial eingeschränkt, ist unfähig, gesellschaftliche Schemen zu verstehen und somit leidet sie. Unter ihren MitschülerInnen, die sie nicht nur ausgrenzen, sondern aufs Brutalste misshandeln. Alle gegen Eine. Der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt durch die gemeinschaftliche Folter des Einzelnen.
Doch dann geschieht etwas: Ein Mädchen und ein Junge stellen sich auf ihre Seite.
Es scheint wie ein Wunder. Carrie überdenkt. War sie wirklich Schuld an allem? Kann sie sich wehren? Oder muss sie das gar nicht mehr? Während dieser Coming-of-Age-Geschichte entdeckt, das Mädchen zudem ihre telekenetische Fähigkeiten.
„Carrie“ ist Perfektion pur. Sissy Spacek als Carrie und Piper Laurie als ihre Mutter liefern in diesem Genre zwei der bemerkenswertesten Schauspielleistungen der gesamten Filmgeschichte ab und waren folgerichtlich für den Oscar nominiert. Spacek zeigt so viele Facetten – verletzlich, unglücklich, glücklich, willenstark – das man als Zuschauer anfängt mit ihr zu sympatisieren, um am Ende zwischen Sympatie und Antipathie hin- und hergerissen zu werden. Piper Laurie als Carries Mutter erweist sich als unheimliche Idealbesetzung und wird selbst zu dieser Frau, die dem absoluten Wahn verfallen ist.
Dramaturgie und Inszenierung im 20-minütigem Finale sind an Gänsehaut und Brillianz kaum überbietbar, davor wird ganz allmählich die Spannung gesteigert, bis sie sich dort ganz entfalten darf.
Zeitlupe. Eine Kamera schwenkt langsam nach oben. Wir sehen ein Objekt. Wissen, was passieren wird. Wollen nicht, dass es passiert. Alle Schönheit wird mit Füßen zertrampelt und gejagt, bis auch das letzte Anzeichen qualvoll getötet wurde. Träume werden zu Alpträumen. Dieses Mädchen hat gelitten. Dieses Mädchen hat selten gelebt. Dieses Mädchen hat nur überlebt. Dieses Mädchen ist nicht des Satans jüngste Tochter. Dieses Mädchen ist ein mit Gewalt zu Fall gebrachter Engel. Dieses Mädchen ist Carrie.
——————————————————
Im folgenden möchte ich erstmal die 8 gravierendsten Unterschiede benennen, die mir sofort ins Auge gestochen sind, weitere können gerne im Kommentarfenster ausgeführt werden, um dann mit meiner Kritik fortzufahren:
-
Julianne Moore hat als Margaret White (Carries Mutter) entschieden mehr Screen-Time bekommen. Vermutlich, weil die Figur so brilliant von Piper Laurie verkörpert wurde. Julianne Moore liefert eine fast ebenbürtige Leistung ab und ist in meinen Augen das Einzig Positive an der Neuverfilmung. [NEUTRAL]
-
Die Eröffnungsszene (Carries Geburt) startet mit Moore, während im Original Sissy Spacek in der Mädchendusche ihre erste Periode bekommt. Könnte man neural bewerten, da Margaret White Carrie nach der Geburt allerdings umbringen wollte, würde ich das als Negativ einstufen, da die Bindung zwischen diesenbeiden Figuren von Anfang an als Negativ suggeriert wird. Carrie ist kein Wunschkind! [MINUS]
-
Im Finale kommt Sue Snell in Carries Zuhause und versucht Carrie von ihrem Treiben abzubringen. Erfährt von Carrie, dass sie mit einem Mädchen Schwanger ist und wird von Carrie aus dem Haus „befördert“. Unnötig, schwachsinnig. [Bewertung: MINUS]
-
Chris Hargensen, Antagonistin und „Anführerin“ der Mädchen-Clique in Carries Highschool war im Original differenzierter dargestellt und hatte auch gute, sagen wir mal sentimentalee Seiten. Im Remake ist sie einfach nur böse, was ihre Figur blass und und eintönig macht! Davon abgesehen wurde aus dem blonden Mädchen, ein Brünettes, aber darüber kann man hinwegsehen. [MINUS]
-
Die technischen Errungenschaften aus dem 21. Jahrhundert, wie Handy Computer, etc. sind Teil der Neuverfilmung. Produktionstechnisch bewegt man sich von einer klassischen Kameraführung weg zu „Shaky Cams“, etc. Musikalisch hatte der alte mehr Charme, durch Songs aus der Filmhandlung verwnedet wurden, hier dröhnen auch schon mal epochale Geiger und Streicher über die Filmhandlung. Das Original hatte dadurch auch mehr Charme, aber da will ich mal nicht so sein und bewerte das [NEUTRAL].
-
Subtiler Horror weiß das Blut passend zu dosieren. Ist das Finale im Original von 1976 schon recht deftig, legt Carrie nun gefüllt die ganze Stadt in Schutt und Asche, was okay wäre, da es so in der Vorlage von Stephen King steht, aber hier verkommt das gesamte Finale zur Effekthascherei, inkl. dem „Blutkübel“ auf dem Abschlussball, der natürlich in einer Montage gleich 3x auf Carrie herunterfällt. Ganz klares [MINUS]!
-
Schafft es Sissy Spacek mit einem Augenaufschlag Gegenstände glaubhaft zu bewegen, verrenkt Chloe nahezu ihren kompletten Körper und „overacted“ damit nahezu alle Telekinese-Szenen. Schrecklich. Klares [MINUS].
-
Chloe ist für die Figur Carrie eigentlich viel zu hübsch. Es wird nicht glaubhaft rübergebracht, warum dieses Geschöpf keiner mag. Spaceks Carrie ist eine graue Maus, die erst beim Abschlussball aufblüht, um ihr dann ein diabolisches Antlitz zu verleihen. [MINUS].
DAS REMAKE (2013):
Ach, du meine Güte, was war das für ein Schwachsinn. Schon von vorne weg schwach, fade und scheinheilig inszeniert, entpuppt sich CARRIE als seelen- und ideenlose Fassung einer berühmten Geschichte (der ersten) aus der Feder von Erfolgsautor Stephen King. Hier wird nicht mal das Potenzial einer solchen erkannt und nur lose Eckpunkte in das Umfeld einer High School–Abschlussklasse eingebettet. Kimberly Peirce Film bietet dabei nichts spannendes, fesselndes oder interessantes. Moore gibt ihr Bestes, kann den Film aber nur bedingt kleine Highlights aufsetzen. Erschreckend blass agierend Kick-Ass Amazone Moretz, die Carrie eintönig und ohne Tiefe auszuloten vermag. Das Drehbuch ist hanebüchen, narrativ unglaublich eintönig und vorhersehbar, die Inszenierung seelenlos und austauschbar, die Schnitte und Kameraeinstellungen grenzen an ungewollter Parodie und unterdurchschnittlicher Unfähigkeit und der Soundtrack dröhnt und nervt, bis er irgendwann gar nicht mehr versucht, so etwas wie eine (nicht vorhandende) Atmosphäre zu konstruieren. Dann geht Peirce mit ihrem gesamten Team auch noch mit dem Versuch, aus dem Klassiker »Carrie« eine neumoderne Teenie-Schmonzette mit Telekinese-Elementen zu machen, völlig baden. Wir bekommen die unoriginellste Ansammlung von High School-Klischees auf einem Haufen präsentiert, das »High School Musical« wie eine Charakterstudie dagegen wirkt. Jeder Stereotyp wird abgegrast. Der Abschlussball ist das größte und wichtigste der Welt – sicherlich denken viele der amerikanischen Teenager (Mädchen) so, aber all das, den gesamten Konflikt um dieses eine Event (als ausschlaggebenden Punkt und Ort) zu scharen, grenzt schon an herablassender Lächerlichkeit. Absolut unnötige Frechheit und ein Ärgernis sondergleichen.
Ein Fazit:
Der Hund liegt bereits im Grundkonzept begraben: Einen Klassiker „fit zu machen“ für eine neue Generation, damit sich diese das jeweilige „Uralt-Original“ nicht mehr anzusehen braucht. Traurig!
Im Fall „Carrie“ ist das besonders heikel: Kimberley Pierce, die mit ihrem hervorragenden „Boys don´t Cry“ Hilary Swank zu Oscarehren führte, überführt den Stoff in das Zeitalter der Smartphones. Die Demütigungen, die Carrie ertragen muss, dürfen nun auf YouTube mitverfolgt werden. Die Erstverfilmung bediente routiniert sämtliche Horrorelemente und setzte darunter den Subtext, der den Film von 1976 erst aus dem Gros der zeitgenössischen Genre-Mitbewerber herausragen lies. Der irreführende deutsche Zusatztitel des Originals – „Des Satans jüngste Tochter“ – ergibt spätestens während des ehemals so befreienden wie erschreckenden finalen Infernos absolut Sinn. Pierces „Carrie“ ist keine effektiv überspitzte Studie menschlichen Verhaltens, der systematischen Ausgrenzung alles „Fremden“, des ganz realen Horrors des Teenager-Seins mehr, sondern nur ein handelsüblicher Teenie-Horror-Film mit Geisterbahn-Effekten, ohne doppelten Boden und „over the Top“-agierenden Darstellern. Lächerlich und wirklich ärgerlich, weil die neue Generation das Original so nie wirklich zu schätzen wissen werden und sich mit effekthascherischem, sinnfreien „Grusel“ zufrieden geben müssen, ohne dabei etwas für die eigene Ich-Werdung mitnehmen zu können.
Das Original ist ein allein stehendes Kunstwerk seiner Zeit. Der Trend alte Filme neu zu verfilmen und in die heutige Zeit zu setzten sehe ich als traurige Entwicklung und bringt das Filmgewerbe dazu keine neuen Filme anzustreben sondern sich im Ruhm der bereits gedrehten Werke zu sonnen.
HÄNDE WEG UND ZUR ORIGINAL GREIFEN!!!