Regie-Altmeister Martin Scorsese begibt sich mit „The Wolf of Wall Street“ auf ein Terrain, welches wir schon seit längerer Zeit nicht mehr von ihm bewundern durften. Mit Filmen wie „GoodFellas“, „The Departed“ oder „Wie ein wilder Stier“ machte sich der 71-Jährige zur lebenden Legende. Mit seinem neuesten Werk versucht er nun an die Genialität der genannten Werke anzuknüpfen. Ob ihm dies gelungen ist, erfahrt ihr hier:
Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) ist ein junger, vom Ehrgeiz gepackter Neuling an der Wall Street, dem Ort an dem Träume binnen einer Sekunde zu Albträumen werden können. Schnell lernt er die knallharte Seite des Geschäfts kennen, weshalb er nach einem folgenschweren Börsencrash in die Niederungen der Aktientätigkeiten abrutscht. Nachdem er sich wieder gefangen und einen rühmlichen Namen gemacht hatte, gründete er die Firma Stratton Oakmont. Mit Donnie Azoff (Jonah Hill) als Geschäftspartner an seiner Seite, beginnt der Markt regelrecht zu boomen. Dies geschieht jedoch mit Mitteln, die nicht ganz der Legalität entsprachen. „Legal? Illegal? Scheiß egal!“ dürfte dabei nicht nur das Motto von Belfort gewesen sein, sondern jenes der ganzen Firma. Folgen seines Schaffens sind nicht nur millionenschwerer Luxus, exzessiver Drogenkonsum und das endlos scheinende Nachtleben eines Glamour-Boys, sondern auch die unangenehme Aufmerksamkeit, die ihn nun Seitens des FBI erwartet.
In der fünften Kollaboration zwischen Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio, begeben wir uns auf eine Ebene der cineastischen Kunst, welche von vielen Filmschaffenden nie erreicht werden kann. Um auf so einem hohen Niveau agieren zu können, vermag es viel mehr als nur ein großartiges Script, tolle Schauspieler oder einen abgebrühten Regisseur an Board zu haben. Die Art wie DiCaprio vor der Kamera agiert, die Zeilen des Drehbuchs förmlich verschlingt und Scorsese dahinter die Fehden zieht, ist in jeder einzelnen Szene und jeder noch so kurzen Sequenz dieses drei Stunden andauernden Meisterwerks, schlichtweg atemberaubend. Als Zuseher verspürt man dabei die unheimliche Präsenz Scorseses – als wäre er direkt hinter der eigenen Schulter um nicht nur die Schauspieler, sondern auch den Zuseher in die richtige Richtung zu lenken.
Die Absichten von Scorsese sind dabei nicht jene, den Zuseher in einen Schleier des Wohlbefindens zu umhüllen, sondern eher eine Geschichte in seiner kompletten Unfassbarkeit, teils auf satirische Art, zu erzählen. Dabei wird keinerlei Rücksicht auf Verluste genommen, sondern man klatscht sie, wie eine schallende Ohrfeige, direkt ins Gesicht. Das fantastische dabei ist, dass man sich immer wieder in Erinnerung rufen muss, wie alt jener Mann ist, der hierbei Regie geführt hat.
Neben der großartigen Regie-Leistung sind es aber natürlich die Protagonisten vor der Kamera, welche den stärksten Eindruck hinterlassen. Allen voran Leonardo DiCaprio spielt sich wieder einmal in einen wahren Rausch der Sinne. Selten hat man den bald 40-Jährigen so furios und mitreißend erlebt, wie hier als geldgieriger und drogensüchtiger Wall Street Broker mit Zügen zur Nymphomanie. Man merkt ihm nicht nur seine monatelange, direkte Vorbereitung mit dem echten Jordan Belfort an, welcher übrigens einen netten Cameo-Auftritt vorzuweisen hat, sondern vor allem wie wichtig ihm diese Rolle war. DiCaprio spielt sie nicht nur – er verliert sich komplett darin und in einer gerechten Welt würde dies Oscar-Nominierung Nr. 4 bedeuten.
Ebenfalls hervorragend ist der Rest des Casts: Jonah Hill, Matthew McConaughey, Kyle Chandler, Jean Dujardin und Rob Reiner fügen sich perfekt in das Gesamtbild des Films. Besonders hervorheben möchte ich allerdings eine ganz spezielle junge Schauspielerin. Die 23-Jährige Australierin Margot Robbie, welche Belforts zweite Ehefrau spielt, ist DIE Entdeckung des Films. Sie strahlt in jeder Szene und stiehlt jegliche Aufmerksamkeit zu ihren Gunsten. Eines darf man bereits jetzt sagen: man wird in naher (und hoffentlich auch ferner) Zukunft noch sehr viel von ihr sehen und hören.
„The Wolf of Wall Street“ ist einer dieser Filme, bei dem man während des Abspanns etwas ratlos zurückgelassen wird. Man grübelt, ist verdutzt und von den zig eingefangen Eindrücken geplättet. Man ringt förmlich nach Luft und weiß nicht so recht, wie man mit dem Gesehenen umgehen soll. Doch je mehr man den Film auf sich wirken lässt, egal ob bewusst oder unbewusst, umso mehr verdeutlicht sich die Genialität, die sich dahinter befindet und welche man von Scorsese auch gewohnt ist. Atemberaubendend, imposant und eindeutig der beste Scorsese seit „GoodFellas“.