Nur 25 Drehtage hat es gebraucht, bis „Dallas Buyers Club“ vollständig im Kasten war. Ob diese Kürze grundsätzlich ein Indikator für oder gegen die Qualität eines Films ist, vermag ich zwar nicht zu sagen, fest steht aber, dass im Vorfeld wohl niemand sechs Oscarnominierungen für den Independentfilm prognostiziert hätte. Jean-Marc Vallée, der zuletzt das opulente Historiendrama „Young Victoria“ inszeniert hat, nahm sich diesmal einem hoch spannenden, fast schon dankbaren Sujet der Zeitgeschichte an, befriedigte meine Erwartungen dennoch größtenteils nicht.
„Dallas Buyers Club“ hätte dank erkennbar guter Ansätze nämlich ein wirklich toller Film werden KÖNNEN, wenn Drehbuch und Regie die Randfiguren und -situationen mit der gleichen Sorgfalt bedacht hätten, die sie den beiden Hauptdarstellern widmen. Trotz oder gerade wegen klarer, undifferenzierter Rollenverteilungen empfand ich den Film im Allgemeinen als deutlich zu nüchtern und bisweilen trotz der thematischen Brisanz nicht dramatisch genug. Weder gab es innerhalb des vorhersehbaren Handlungsverlaufes überraschende Wendungen, noch hatte man als Zuschauer die Möglichkeit, sich mit den Protagonisten in irgendeiner Art und Weise zu identifizieren. Dies verhinderte vor allem der kühle, beinahe schon dokumentarische Erzählstil. Zudem werden vor allem auf die Charakterzeichnung des transsexuellen Rayon mancherlei unerwünschte Klischees bedient und soziologische oder mit der Immunschwäche korrelierende Probleme der Zeit zwar angesprochen, doch es wurde letztlich nur sehr skizzenhaft und oberflächlich mit ihnen umgegangen. Fast nichts davon wurde konsequent zu Ende geführt. Einige Szenen, z.B. die Diagnose-Sequenz, haben dennoch eine ungewöhnlich nachhaltige Wirkung und ich hätte mir flehentlich gewünscht, dass ich dieser Beispiele mehr hätte nennen können.
Darüber hinaus enttäuschten mich auch die (dahinplätschernden) Dialoge weitgehend, sodass ich mich schon frage, wie es insbesondere zur Nominierung des Drehbuchs gekommen ist. Viele Kritiker meinten, die Wortwechsel seien besonders lebensnah und würden nahezu spontan gewählt wirken, doch ich halte sie für nichts anderes als gewöhnlich und uninspiriert. Hinzu kam eine aus meiner Sicht zu wackelige Kameraführung, dafür jedoch eine effektive Schnittarbeit. Warum die Arbeit der Maskenbildner ebenfalls nominiert wurde, hängt aus meiner Sicht wahrscheinlich damit zusammen, dass die Academy generell gern Make-Ups körperlich Kranker mag. Das hat ja bereits (jedoch völlig zu Recht) in Bezug auf „Philadelphia“ funktioniert. In diesem Jahr gab es dahingehend, wie schon mehrfach erwähnt, mindestens drei verdientere Kandidaten.
Zwei Aspekte, abgesehen von einer netten Song-Zusammenstellung, sorgten dafür, dass ich dem zeitweise langatmigen Film überhaupt bis zum Ende gefolgt habe, und zwar Matthew McConaughey und Jared Leto. Ersterem stand ich immer recht abschätzig gegenüber, doch ich muss offen zugeben: Er hat seine Sache unerwartet gut gemacht, wenn ich auch gleich hinzufügen möchte, dass ich sowohl die Leistung von DiCaprio, als auch die von Ejiofor, als auch die von Dern, und im Übrigen auch die unglücklicherweise nirgends berücksichtigte Darstellung von Michael Caine um Einiges stärker fand. Doch der Platz auf der Oscarliste ist im Gegenzug als gerechtfertigt anzusehen, das steht außer Frage. Vor allem die physischen Leiden der Erkrankung und die impulsiven Regungen brachte er nämlich zutiefst glaubhaft herüber, sodass es glücklicherweise nicht nur die optische Transformation war, die ihn interessant werden lässt. Weil er jedoch als raubeiniger, vorurteilsbeladener Draufgänger auftrat und sich diese Rolle bis zum Schluss kaum wandelte, fühlte ich trotz seines furchtbaren Schicksals fast gar nicht mit ihm mit. Das ist für ein Drama natürlich fatal! Nichtsdestotrotz trägt dafür aber nicht McConaughey, sondern wiederum die pauschalierende Charakterzeichnung die Hauptschuld. Jared Leto dagegen ist DAS unanfechtbare Highlight des Streifens. Seine Performance kann schlichtweg nur als kleine „Sensation“ betitelt werden. Sowohl die humoristischen Momente als auch die tragischen gehen nahezu allesamt auf seine Kosten. Er brillierte einfach in jeder einzelnen Szene und wirkte dabei zu keinem Zeitpunkt verkrampft oder so, als spiele er angestrengt, sondern triumphierte mit einer sehr eigenen Leichtigkeit über seine ebenfalls nicht ideal entwickelte Rolle. Er war Lichtjahre besser als drei seiner Mitnominierten. Der Oscarsieg müsste und sollte an ihn gehen oder an Fassbender, denn die beiden haben ein ähnlich hohes Niveau erreicht. Jennifer Garner hat dagegen leider erneut das geboten, was ich von ihr erwartet habe: Nicht viel. Sie spielte die Rolle der Ärztin zwar bemüht, agierte allerdings hölzern sowie wenig authentisch und zeigte darüber hinaus ein weiteres Mal nur zwei Gesichtsausdrücke. Dem übrigen, durschnittlichen Cast wurde zur Entfaltung wenig Raum gegeben.
Was bleibt, ist ein lediglich durchschnittliches Drama, das ich in seiner Gesamtheit für sehr überbewertet halte und welches eklatante Schwächen aufweist, über die auch die beiden männlichen Schauspieler nicht hinwegtäuschen können. Für mehr Nachhaltigkeit, Qualität und auch Emotionalität hätte es eines besser durchdachten Skriptes und einer tiefgreifenderen Beleuchtung der Protagonisten und des Kontextes bedurft. Schade!
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Regie: Jean-Marc Vallée
Genre: Drama / Biographie
Darsteller: Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner, Denis O’Hare, Steve Zahn, Dallas Roberts