Im August In Osage County (OT: August: Osage County)

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Lange hat es gedauert, bis ich die Literaturverfilmung des mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Bühnenstückes von Tracy Letts endlich zu Gesicht bekommen durfte. (Ein Hoch auf die späten, deutschen Starttermine!) Denn bekanntermaßen schaue ich Streifen mit Meryl Streep IMMER zuallererst im Kino – und nirgendwo sonst. Dass die internationalen Kritiker „Im August In Osage County“ mit teilweise unerwartet verhaltenen Beurteilungen bedachten, ließ mir die Wartezeit beinahe noch länger erscheinen. Doch nun war es soweit! Und so viel kann ich vorweg nehmen: Manchmal ist es umso lohnenswerter, sich in Geduld zu üben, um infolgedessen doch positiv überrascht zu werden.

„Im August In Osage County“ ist zweifelsohne ein spezielles, kammerspielartig aufgebautes Machwerk, das sicherlich in erster Linie aufgrund seiner Inszenierungsart polarisiert, d.h. nicht jeden gleichermaßen anspricht. Darin geht es um eine aus dem ländlichen Oklahoma stammende Familie, die zur Beerdigung des Familienoberhauptes nach langer Zeit erneut zusammenkommt. Schnell offenbart sich, dass jeder einzelne der Protagonisten sein ganz persönliches Kreuz zu tragen hat und so mutiert die Trauerfeier zu einer unvermeidbaren, Eskalation all dessen, was sich über Jahre angestaut hat. Insbesondere der dargestellte Generationenkonflikt zwischen der depressiven, krebskranken und noch dazu drogenabhängigen Witwe und ihren drei Töchtern wurde unverklärt und trotz oder gerade wegen vieler gewollt provokativer Zuspitzungen in meinen Augen absolut realitätsnah auf die Leinwand gebracht. Nahezu alle Dialoge wirken auf den Zuschauer wie ein Hieb mit einem scharfen Messer und oftmals wusste ich nicht, ob ich nun eher weinen oder lachen sollte, weil immense Tragik und ein ebenso hohes Maß an Witzigkeit so untrennbar nah beieinander lagen. Von dieser ideal getroffnen Balance lebt der Film und das hat jedenfalls bei mir dafür gesorgt, dass manche Sätze und Sequenzen einfach nicht aus dem Kopf verschwinden wollen wie beispielsweise die kraftvolle „Fisch-Szene“. Ein solches Theaterwerk zu verfilmen, ist sicherlich ohnehin ein schwieriges Unterfangen gewesen.

Neben dem hervorragend verarbeiteten, adaptiertem Drehbuch, das sich aus meiner Sicht eine Oscarnominierung weitaus mehr verdient gehabt hätte als beispielsweise „Captain Phillips“, gefiel mir ebenfalls, dass besonders die weiblichen Handlungsträger und ihre Beweggründe sehr pointiert, aber dennoch psychologisch genau skizziert worden sind. Man empfindet natürlich Mitleid mit diesen, auf die eine oder andere Art gestörten Menschen, und kann sich, obgleich die Charaktere allesamt alles andere als Sympathieträger sind, mit ihnen identifizieren. Auf Szenen der Streitigkeiten, die einen beinahe fassungslos zurücklassen, folgen unerwartet ruhige Momente. Diese können als legitimes Gestaltungsmittel angesehen, auch wenn ich kritisch hinzufügen muss, dass John Wells’ erst zweiter Kinofilm gut und gern ein paar Minuten kürzer hätte ausfallen können. Dies bezieht sich u.a. auf die filmische Einleitung, derer es meines Erachtens gar nicht bedurft hätte, was auch auf die geballte Häufung von Schimpfworten zutrifft. Nichtsdestotrotz ist ein weiterer großer Vorzug, dass „Im August In Osage County“ nicht in das typisch-amerikanische Familienklischee abdriftet. Auf die 100 Mal gesehene Maxime: „Wir sind eine Familie und müssen demnach zusammenhalten, egal was kommt.“ wird hier bewusst verzichtet, mit dem Effekt, dass die ungeschönte Authentizität bis zum Schluss aufrecht erhalten werden konnte. Darüber hinaus möchte ich auch die effektvolle Schnittarbeit sowie den country-esken, aber stets zurückgenommenen Filmscore besonders hervorheben.

Vor allem werden Leute, die Filmqualität (so wie ich) primär an der anspruchsvollen, darstellerischen Raffinesse messen, hier voll und ganz auf ihre Kosten kommen, denn man wird dem mit Abstand besten Ensemble des Jahres gewahr. Ich könnte keinen Schauspieler nennen, dem ich nicht mindestens eine gute Leistung attestieren würde. Das Besondere an dem Cast ist die außergewöhnliche Chemie der Protagonisten zueinander – und das in sämtlichen Konstellationen, ob sie sich nun hasserfüllt, gleichgültig oder sympathisierend gegenüberstanden. Lediglich von Cumberbatch und Cooper hatte ich mir vielleicht etwas mehr versprochen, doch deren Zaghaftigkeit kann zum Teil auch der Tatsache geschuldet werden, dass ihnen wenig Raum zur Entfaltung gegeben worden ist, weil die Frauen im Zentrum standen. Meryl Streep und Julia Roberts haben sich, entgegen der oftmals erhobenen Vorwürfe, dass diese erneut aufgrund von Sympathie (und nicht von Leistung) nominiert worden sind, ihre Oscarnennung mehr als redlich verdient. Das wird wohl jeder neidlos eingestehen müssen. Die beiden Schauspielerinnen agieren in ihren sowohl psychisch als auch physisch kaputten Rollen beängstigend gut, machten absolut jede Form von Emotion erlebbar und können nahezu die gesamte Bandbreite ihres ohnehin nicht gerade begrenzten Könnens offenlegen. Zwar würde ich Blanchett ihren überaus verdienten Oscar auf keinen Fall anstelle von Streep aberkennen wollen, andererseits erachte ich Roberts’ Performance um Längen besser als Lupita Nyong’O, denn diese zeigte als Barbara Weston ihre Karrierebestleistung, unabhängig von der Diskussion, ob sie nun eher Haupt- und Nebendarstellerin war. Sie war schlichtweg perfekt! Zudem kann man auch in Bezug auf Ewan McGregor, Margo Martindale, Julianne Nicholson und ganz besonders Juliette Lewis ausschließlich lobende Worten finden, denn auch sie überzeugten auf ganzer Linie und auf vielen Ebenen.

Schlussendlich ist „Im August In Osage County“ wegen extravagant hoher Erwartungen meinerseits vielleicht nicht der Film innerhalb der zurückliegenden Saison, den ich auf die Spitzenposition setzen würde, da es einige, wenn auch minimale, Aspekte zu kritisieren gibt. Dafür ist es in meinen Augen jedoch unbestreitbar, dass die Darsteller und die Art des Umgangs mit einer unvergleichbaren Palette zwischenmenschlicher Konflikte Maßstäbe gesetzt haben, welche nicht leicht übertroffen werden können und die schwarze Komödie zu einem echten und aufwühlenden Erlebnis machen.


USA – 2013 – 2 Std. 01 Min.
Regie: John Wells
mit Meryl Streep, Julia Roberts, Chris Cooper, Ewan McGregor, Margo Martindale, Julianne Nicholson, Juliette Lewis, Tom Shepard, Benedict Cumberbatch, Abigail Breslin
Genre: Drama / Komödie

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