Suffragette – Taten Statt Worte (OT: Suffragette)

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In Zeiten, in denen sich die feministische Genderforschung zum anerkannten Wissenschaftszweig entwickelt hat, vielerorts Frauenquoten eingeführt werden und nahezu jeder Staat der westlichen Welt bereits über ein Staatsoberhaupt oder einen Regierungschef weiblichen Geschlechts verfügt hat, erscheint es schwerlich vorstellbar, dass den meisten Europäerinnen das Wahlrecht noch nicht einmal ein 100 Jahre per Gesetz zugesichert wird. Nun wurde ein ambitionierter Versuch unternommen, mit der Hochphase der bürgerlichen Frauenbewegung im Vereinten Königreich kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine filmisch bisher weitestgehend verschwiegene Ära unter die Lupe zu nehmen. Für die Regieführung in „Suffragette“ kam in der Tat lediglich eine relativ junge Frau wie Sarah Gavron in Frage, welche dem Zuschauer im Zuge ihrer erst zweiten Leinwandproduktion einen hochkarätig besetzten Anderthalbstünder und ein gedankenanregendes Porträt offerierte, in dem zweifelsohne viel mehr richtig gemacht wurde als falsch.

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Insbesondere die schrittweise Entwicklung vom stillen Protest der selbsternannten Suffragetten, welche die männerdominierte Welt zunächst durch öffentliches Rauchen und Versammlungen provozierten, bis hin zu der Phase des militanten, radikalen und zunehmend eigendynamisch verlaufenden Aktivismus gegen die Staatsgewalt wurde überaus wirkungsvoll und ungeschönt skizziert sowie in Gestalt der Protagonistin Maud Watts in eine greifbare Form mit Identifikationsmöglichkeit gegossen. Auch unangenehme Aspekte wie die Inhaftierung und Zwangsernährung der Hungerstreikenden wurden dabei nicht auf Kosten der Sensibilität ausgeklammert, und in konsequenten Nahaufnahmen festgehalten, während die Kameraarbeit ansonsten gelegentlich etwas mehr Feinschliff hätte vertragen können. Im Gegensatz dazu überzeugen vor allem aufwendige und passenderweise in triste Sepiatöne gehüllte Sets und Gewänder des frühen 20. Jahrhunderts, die typisch Desplat’sche Filmmusik sowie in Summe auch die Majorität der betont emanzipierten Wortgefechte, die der Masse vielleicht einen Hauch zu pathetisch beziehungsweise schwarzweißmalerisch anmuten dürften, dem konkreten, historischen Kontext aber wohl recht nahe kommen. Den unbestrittenen Dreh- und Angelpunkt findet man in der superben, facettenreichen und filmtragenden Performance von Carey Mulligan, die mich bis dato noch nicht derart fesseln konnte, nun jedoch bis ins Mark traf. Hätte der Film mehr Resonanz von Seiten der Kritiker erhalten, wäre eine Nominierung anstelle von Jennifer Lawrence aus meiner Sicht begrüßenswert gewesen. Neben einem souveränen Brendan Gleeson liefert Ben Whishaw nach „Spectre“ und „The Danish Girl“ nun bereits die dritte hervorragende Leistung innerhalb eines Vierteljahres, während die ebenso präsent agierende Helena Bonham Carter es diesmal vermochte, eine ganz andere Seite ihres Könnens darzubieten. Auch Meryl Streep kann man im Zuge einer heroischen Filmszene in darstellerischer Hinsicht beileibe nichts vorwerfen, wohl aber der zuständigen Werbeabteilung, denn die Rolle der Emmeline Pankhurst entspricht im Kontrast zu Medienkampagnen unglücklicherweise eher einem Cameo-Auftritt und hätte angesichts ihrer signifikanten Bedeutung für die Demonstrantinnen innerhalb des Drehbuchs ausgebaut werden sollen.

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Das hierzulande seit Donnerstag in ausgewählten Lichtspielhäusern laufende Drama „Suffragette“, an das ich bekanntlich überaus hohe Erwartungen gestellt habe, mag sicherlich kein minutiös packendes Meisterstück darstellen oder frei von jeglichen Mankos sein, gerade weil Teile des vorhandenen Potentials ungenutzt geblieben sind, stellt nichtdestotrotz ein in sämtlichen Grundfesten überaus essentielles Statement von ungeahnter Gegenwartsrelevanz dar. Dass nicht einmal die BAFTA-Jury Gavrons zeitdokumentarischen Film in einigen Sparten bedachte, erscheint daher angesichts der Qualität des Ensembles und der Ausstattung verwunderlich und nur bedingt gerechtfertigt. Trotz einiger Schwächen erfüllt das Werk allerdings eindeutig seinen erklärten Hauptzweck, fungiert als Appell gegen Unterdrückung jedweder Art und führt sinnbildlich vor Augen, dass spätestens im 21. Jahrhundert jeder Bürger die gleichen Ansprüche und Rechte besitzen sollte – unabhängig von dessen Geschlecht, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung.

UK 2015 – 106 Minuten Regie: Sarah Gavron Genre: Historiendrama Darsteller: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Brendan Gleeson, Ben Whishaw, Anne-Marie Duff, Meryl Streep, Natalie Press, Romola Garai, Samuel West, Adrian Schiller
UK 2015 – 106 Minuten
Regie: Sarah Gavron
Genre: Historiendrama
Darsteller: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Brendan Gleeson, Ben Whishaw, Anne-Marie Duff, Meryl Streep, Natalie Press, Romola Garai, Samuel West, Adrian Schiller
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