In Ausgabe 2 sollen zwei Werke im Fokus der Betrachtung stehen, denen hauptsächlich zwei Aspekte gemeinsam sind. Zum einen handelt es sich jeweils um deutschsprachige Kinoproduktionen mit obendrein respektablen Einspielergebnissen, auf der anderen Hand skizzieren sie jeweils Branchen, in denen Homosexualität auch heute noch vielfach totgeschwiegen wird. „Don’t Ask, Don’t Tell“ ist in ebenjenen Bereichen, die als unantastbare „Männerdomänen“ gelten, noch immer alltägliche Lebenswirklichkeit. Ebendieses Motiv fungiert als erzählerischer Ausgangspunkt für die beiden Filme, welche jeweils in Arthaus-Kinos veröffentlicht worden sind, sich aber – wie immer subjektiv gesprochen – im Hinblick auf den Eindruck und ihre psychologische Tiefe stark voneinander unterscheiden.
Freier Fall
Von den Produzenten als „deutsche Antwort auf „Brokeback Mountain“ “ angekündigt, erschien mit „Freier Fall“ ein Werk, das vielen im Verborgenen Lebenden eine Stimme verleihen dürfte und dessen Drehbuch größtenteils auf autobiographischen Erfahrungen beruht. Das dadurch lebensnah anmutende Drama schildert eine Liaison zweier aufstrebender „Freunde und Helfer“ namens Marc und Kay und erlaubt einen tiefschürfenden Blick auf einen Sektor, in dem Ausgrenzung und Vorurteile bedauerlicherweise noch immer an der Tagesordnung befindlich sind. Nicht nur die beruflichen Zwänge halten die Protagonisten auf Abstand, sondern vor allem der Umstand, dass die Ehefrau des einen ein Kind erwartet. Abgesehen von einem narrativen Schwachpunkt, und zwar dem Erliegen der Leidenschaft beim Joggen inmitten des strömenden Regens, zeichnet sich die übrige Gestaltung durch ein hohes Maß an Lebensnähe aus. Nicht nur der Satz „So haben wir dich nicht erzogen“ trifft einen bis ins Mark. Und auch die Botschaft, dass nicht die sexuelle Orientierung einen Mann zum Mann macht, tritt hervorragend zutage. Die wohldosierten Sexszenen tragen sehr sinnliche Züge und verzichten trotz Aufnahmen mittels Handkamera auf die oft gesehene (sensations-)lüsterne Ästhetik. Obwohl sich die Auswahl der Hauptrollen als langwieriges Unterfangen gestaltete, weil viele Schauspieler fürchteten, zukünftig auf „schwule Rollen“ festgelegt zu werden, bilden Hanno Koffler und Max Riemelt letztlich die Idealbesetzung und visualisieren glaubhaft den steinigen Pfad von Neugier, Anziehung, Sehnsucht, Fluchttendenzen, Leid, Selbsthass und damit einhergehender Schmerzbetäubung. Ferner überzeugt auch Kabarettistin Maren Kroyman, während Katharina Schüttler insbesondere in zwei Szenen absolut glänzen kann. Auch wenn der Film seinerzeit im Rennen um den deutschen Beitrag als „Bester fremdsprachiger Film“ unterlag, ändert dies nichts an der hohen Qualität, die man von Filmen made in Germany gemeinhin nicht gewöhnt ist, schon gar nicht, wenn es sich dabei um ein Regiedebüt handelt. Stark gespielt und einen wehmütigen Eindruck hinterlassend, kann „Freier Fall“ zu den wenigen Filmen gezählt werden, die mit den Jahren (noch) besser werden.
Mario
Bis zum heutigen Tag hat sich hierzulande noch kein einziger, aktiver Profifußballer als homosexuell geoutet, obwohl es (rein statistisch gesprochen) in jeder Mannschaft mindestens ein bis zwei von ihnen geben müsste. Diesen Aspekt greift der Schweizer Regisseur Marcel Gisler in Gestalt vom simpel betitelten „Mario“ auf und arbeitete gemeinsam mit drei Autoren an einem Film, der Anfang 2018 erschien und mittlerweile auf Netflix abrufbar ist. Genau da liegt jedoch eines der Hauptprobleme, denn es wird schnell klar, dass viele Köche den (vielversprechenden) Brei verderben können. Mario Lüthi spielt in einer U21-Mannschaft und sein Leben wird bestimmt vom Traum einer Karriere als Profi, bis er Leon kennenlernt und beide unter dem Mantel des Schweigens zunehmend weniger die Finger voneinander lassen können. Wenngleich das Gebotene interessante und überaus erzählenswerte Denkansätze wie Mobbing und die Existenz einer „Alibi-Freundin“ im Sport anstößt, werden diese selten konsequent zu Ende geführt und handlungsarme Stationen abgearbeitet. Aufgrund der dahinprasselnden Dialoge bleibt der essentielle Mitfühl-Effekt weitestgehend auf der Strecke und die Handlungselemente hinterlassen bisweilen einen nüchternen, informierenden, jedoch (mit Ausnahme von zwei Szenen) keinen involvierenden Effekt. Darüber hinaus harmonieren die beiden unerfahrenen Hauptdarsteller kaum und man kauft ihnen die emotionalen Regungen nur sporadisch ab, sodass es nahe liegt, dass die Auswahl vor allem aufgrund optischer Stimmigkeit erfolgt ist. Letztlich liefern – und auch das ist in einem nahezu ausschließlich mit Herren besetzten Werk überaus vielsagend – zumindest die beiden weiblichen Ensemblemitglieder solide Darbietungen. Auch bei größtem Wohlwollen ist das Resultat schlussendlich ein zutiefst enttäuschendes, das streckenweise ähnlich wenig Substanz wie eine zähe Telenovela bietet und den längst überfälligen Diskurs über Homosexualität im Fußball nicht voranbringt. Schade.