Marla Grayson (Rosamund Pike) hat einen verantwortungsvollen, überaus wichtigen Job und seit sie zusammen mit ihrer Partnerin Fran (Eiza González) ein System entwickelt, das vermögende alte Menschen von ihr als Betreuerin so abhängig macht, dass sie frei über deren Geld verfügen kann, auch einen sehr einträglichen. Ihr neuestes Opfer ist Jennifer Peterson (Dianne Wiest), die sehr vermögend ist und dabei keinerlei Familie hat – eine ideale Kandidatin für Marlas übliche Betrügereien. Nur dass es sich bei ihr nicht um eine übliche harmlose alte Dame handelt. Tatsächlich ist sie, im Geheimen, die Mutter eines russischen Gangsters (Peter Dinklage) und der hat nicht vor tatenlos mitanzusehen, wie man ihm Mutter und Geld wegnimmt…
Die Menschen werden immer älter, dabei zugleich immer hilfs- und pflegebedürftiger, was in einer Gesellschaft, in der Familien eben nicht mehr selbstverständlich füreinander sorgen, zu einem großen Problem werden kann. I Care a Lot, aus dem Hause Netflix, nimmt diese Entwicklung, macht daraus aber nicht das zu erwartende Sozialdrama. Stattdessen handelt es sich hier um eine schwarze Komödie mit Thrillerelementen, die aufzeigt: Wo immer es eine Lücke im System gibt, findet sich jemand, der bereit ist diese auszunutzen. Skrupel hat Marla keine. Sie lässt Menschen einsperren, raubt ihnen Familie und Besitz, nur um sich selbst zu bereichern, während sie sich selbst als Wohltäterin präsentiert.
Tatsächlich zeigt der Film etwa im ersten Drittel seine größte Wirkung, solange er sich auf die nur schwer zu ertragenden Geschäfte von Marla konzentriert. Nicht nur dass I Care a Lot eine beißende Abrechnung mit dem Amerikanischen Traum ist, der hier als bloße Ausbeutung Schwächerer entlarvt wird. Es gelingt zudem, trotz der offensichtlichen Übertreibungen, ein Szenario zu entwerfen, das realistisch genug erscheint, um Angstzustände auszulösen. Das Publikum muss mitansehen, wie ein Mensch entmündigt und damit entmenschlicht wird. Obwohl Jennifer Peterson im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte ist, ist sie gegenüber einem System machtlos, das dem Individuum jedes Mitspracherecht verweigert und dies auch noch als Fürsorge verkauft – bitterer geht es kaum.
Allerdings begnügte sich Regisseur und Drehbuchautor J Blakeson (Die 5. Welle) nicht damit, einen durch und durch korrupten Kapitalismus satirisch zu dekonstruieren. Mit dem Eintreffen des russischen Mobs kippt die Geschichte, aus der schwarzen Komödie wird zunehmend ein Thriller. Auch das ist unterhaltsam, solange I Care a Lot ein ungleiches Duell zeigt. Neben dem Versuch von Marla, die alte Frau zu brechen, bedeutet das vor allem, dass die Gangster versuchen müssen, innerhalb eines zivilen Rahmens zu agieren und ihre Macht zu demonstrieren, ohne dabei gleich aufzufallen – ein Balanceakt, den ihre Widersacherin natürlich erkennt und ebenfalls genüsslich ausnützt.
Später verrennt sich I Care a Lot für einige Geschmäcker wohl etwas zu sehr in diesen Zweikampf. Einen Streit eskalieren zu lassen, ist dabei andererseits natürlich schon immer irgendwo spaßig, zumal man hier auch neugierig sein darf, wer denn nun am Ende die Oberhand behält – und auf welche Weise. Die Handlungen der Figuren haben zwar dann nur noch peripher etwas mit der Handlung zu tun, but who cares, wenn das so ein Spaß macht? Schade ist nur, dass Miss Peterson selbst aus dem Spiel genommen wird. Interessant ist dabei jedoch, dass man als Zuschauer letztendlich gar nicht weiß, wen man hier noch anfeuern soll und ob man überhaupt jemanden anfeuern soll. Wo Filme mit Gangstern als Hauptfiguren zumindest versuchen, sie sympathisch zu machen, gibt es hier niemanden, der wirklich dafür in Frage käme. Das ist eigentlich etwas mutiges, aber definitiv nichts massentaugliches mehr.
Man kann von den Entwicklungen halten was man möchte, eines kann aber niemand abstreiten: Rosamund Pike ist eine Spezialistin der Doppelzüngigkeit, wenn sie mit einem durch und durch falschen Lächeln Grausamkeiten als Dienst am Menschen verkauft und hat dafür jüngst eine Golden Globe-Nominierung erhalten. Peter Dinklage wiederum gewinnt seiner Rolle als zunehmend verzweifelter Gangsterboss eine Emotionalität ab, die Marla trotz eines halbherzigen Versuches später fehlt. Abgerundet wird der Spaß durch einen herrlich schmierigen Auftritt von Chris Messina als Verbrecheranwalt und natürlich der zweifachen Oscarpreisträgerin Dianne Wiest, die ebenfalls das Spiel mit der trügerischen Fassade beherrscht. I Care a Lot ist in summa summarum ein sehenswerter Film, bei dem Vergnügen und Schrecken erschreckend nahe beieinander liegen und wenn man gegen Ende die Logikbrille etwas lockerer sitzen lässt, ein Heidenspaß ist!