Spätestens seit Nicole Kidman, inzwischen im 58. Lebensjahr befindlich, im vergangenen September im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig den Preis als beste Darstellerin ergatterte und das National Board Of Review „Babygirl“ als einen der 10 stärksten Filme des Jahres aus 2024 listete, erwachte die Neugier, gepaart mit gewisser Skepsis. Allzu stur nach der Prämisse „Sex Sells“ vorzugehen, erwies sich in jüngster Vergangenheit dank „50 Shades Of Grey“ oder „365 Tage“ auf der Leinwand eher als laues Lüftchen mit einer überschaubaren Dosis an Relevanz & Anspruch statt als ekstatisches Erlebnis. Gegenteilig sieht es im Hinblick auf die Independentproduktion der Niederländerin Halina Reijn aus, denn das Werk über ein pikantes Verhältnis am Arbeitsplatz meistert nicht nur elegant den schwierigen Spagat zwischen mehreren Genres, sondern legt den Fokus vor allem auf die Ambivalenz eigener Bedürfnisse, ohne sie jemals anzuprangern.
In „Babygirl“ schlittert die im scheinbar perfekten Familienidyll gebettete, erfolgreiche Geschäftsfrau Romy in eine Affäre mit einem blutjungen Praktikanten, die sich mit hohem Maß an Geduld und Fingerspitzengefühl schrittweise zuspitzt und Aspekte wie Selbstverwirklichung, Hierachie- & Dominanzstreben, der Reiz des Unbekannten sowie (unvermeidbare) Eifersucht einbezieht. Im Zuge dessen werden gängige Vorurteile und das ein oder andere Freud’sche Denkmuster sowohl bestätigt, umgedeutet als auch komplett aufgebrochen und mit erotischen Motiven angereichert, die so alt sind wie die Menschheit selbst und sich in der Realität unabhängig vom Geschlecht und Lebensalter der jeweiligen Akteure abspielen könnte. Wenngleich die Beweggründe der Protagonistin nicht immer vollumfänglich plausibel wirken und eine der Szenen zu früh arrangiert wurde, tritt besonders eindringlich hervor, dass die Auslebung von Fantasien oft wie ein Sprung über den Graben innerer Hemmnis ist – und sich genau deswegen allzu häufig nicht zugestanden wird. Die variable Kameraführung ist wohlgewählt und erzeugt im Zusammenspiel mit limitierten Schnitten eine Atmosphäre voller Intimität, lässt jedoch wiederholt Raum für scharfzüngige Untertöne am Zahn der Zeit. Speziell der Soundtrack erweist sich darüber hinaus als experimenteller, kontrastreicher Geistesblitz, denn dieser enthält neben minimalistischen Eigenkompositionen auch den geschickt eingeflochtenen „Father Figure“ von George Michael, während mit dem Club-Track „Crush“ schließlich in einer dröhnend-hypnotischen Atmosphäre voller Entfesselung mit dezenten Thriller-Qualitäten gipfelt. Die Momente, in denen Romys Fassade voll von Professionalität und Kontrolle allmählich bröckelt und Sehnsüchte spürbar hervorbrodeln und sich zunehmend verselbständigen, zählen zu den nachhallendsten des Films und zeugen von der enormen Glaubwürdigkeit der Hauptdarstellerin, die selten zuvor mit ähnlicher Courage zu sehen war, im wahrsten Sinne einen (Seelen-)Striptease liefert und sogar Raum für altersbedingte Selbstkritik zulässt. Die betont blickfokussierte Chemie zwischen Kidman und ihrem 29 Jahre jüngeren Filmpartner Harris Dickinson, der für den Part des Verführers die perfekte Nonchalance und Frechheit an den Tag legt, ist in der Tat eine sehr explosive, zunehmend toxische und zieht sich wie eine Zündschnur durch die zweistündige Laufzeit. Und auch Antonio Banderas kann in der Rolle des gehörnten Ehemanns mehrfach punkten.
„Babygirl“, der hierzulande ab dem kommenden Donnerstag offiziell in den hiesigen Lichtspielhäusern einer Betrachtung unterzogen werden darf und ein gewisses Maß an innerer Reife & Einlassungswillen voraussetzt, dürfte vermutlich maßgeblicher aufgrund seiner Unverblümtheit weder jedermanns noch „jederfraus“ Sache sein und die Sehgewohnheiten & Gemüter der jeweiligen „Voyeure“ in zwei Lager teilen. Sympathisanten von kammerspielartigen Dramen wird die Spartenmixtur jedoch zu überzeugen wissen – insbesondere all jene, die sich in dem gebotenen Konstrukt wegen der ein oder anderen Vorerfahrung wiederfinden.