Feuchtgebiete

Feuchtgebiete 3

Wenn es in den letzten Jahren einen Roman gab der die Nation gespaltet hat, dann mit Sicherheit „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche. Für die Einen war die offenherzige und direkte Sprachweise über Sexualität und mangelnde Körperhygiene ein literarischer Befreiungsschlag, für die Anderen nichts geringeres als der Untergang des Abendlandes. Ich muss gestehen, dass ich das Buch nicht gelesen habe. Ich bin zwar nicht gerade prüde, aber die ganze Diskussion und was man landläufig von der Handlung über die Medien mitbekommen hat, war mir dann doch ein wenig too much. Als dann bekannt wurde, dass es eine Verfilmung geben wird, war ich entsprechend skeptisch. Ein Film über diverse Körpersäfte und Blessuren im Analbereich, muss das wirklich sein? Der erste Trailer hatte mich darin auch noch bestätigt, trotz des durchaus seriösen Casts und Regisseurs.

Doch dann geschah etwas womit ich niemals gerechnet hätte. „Feuchtgebiete“ wurde vom Premierenpubikum der altehrwürdigen Filmfestspiele von Locarno mit standing ovations gefeiert und selbst das sonst so kritische Feuilleton hat ihn mehrheitlich nicht nur nicht verrissen, sondern im Gegenteil sogar euphorisch gelobt. Das hat dann letztendlich doch mein Interesse geweckt.
Und was soll ich sagen, der Film hat mir wirklich gefallen!

Die 18-jährige Helen Memel aus Berlin ist sexuell sehr aufgeschlossen und probierfreudig. Zudem nimmt sie kein Blatt vor den Mund, dafür lieber diverse körpereigene (und -fremde) Säfte in selbigen. Und auch mit der Intimhygiene nimmt sie es nicht all zu genau. Als sich sich bei einer missglückten Intimrasur schwer verletzt muss sie ins Krankenhaus und operiert werden.
Dort lernt sie den jungen Pfleger Robin kennen, der zugleich von ihr fasziniert ist. Und auch Helen zeigt offensichtlich Interesse.
Vom Krankenhausbett aus will sie zudem ihre geschiedenen Eltern wieder zusammen bringen, in dem sie sie zeitgleich zum Besuchstermin einbestellt. Zu ihrer Mutter, bei der sie mit ihrem kleinen Bruder lebt, hat Helen ein etwas gestörtes Verhältnis, was sich auf ein längst verdrängtes Kindheitstrauma zurückführen lässt. Bei ihrer besten Freundin Corinna findet sie jedoch Halt. …

Natürlich bietet der Film sehr viel Fäkalhumor und wartet auch mit der ein oder anderen Ekelszene auf, doch sind diese lange nicht so schlimm wie man durch die Berichterstattung im Vorfeld hätte befürchten können. Es wird wenig explizit gezeigt, das meiste spielt sich im Kopf des Zuschauers ab. Und auf diesen Szenen liegt auch nicht der Hauptfokus des Films.

Regisseur Wnendt gelingt vielmehr eine durchaus vielschichtige Tragikomödie, ein Psychogramm einer verstörten jungen Seele. Die Charakterzeichnung von Helen ist absolut schlüssig und spätestens wenn sich dem Zuschauer am Ende das bereits erwähnte Kindheitstrauma offenbart kann man auch das Ausbrechen aus allen Konventionen und das Abgrenzen zur überreligiösen Mutter sehr gut nachvollziehen.
Inszenatorisch ist „Feuchtgebiete“ auch ein Volltreffer. Die Bilder von Jakub Bejnarowicz, der bereits letztes Jahr mit „Gnade“ gezeigt hat was für ein grandioser Kameramann er ist, sind echt schön anzusehen. Die Songs und der ergänzende Score von Enis Rotthoff fügen sich ebenso gut ins Gesamtgefüge.
Richtig Spaß machen übrigens die diversen witzigen Einfälle mit denen Wnendt einige der Ekelszenen humoristisch abmildert. Hier sei z.B. exemplarisch der geniale Einsatz von „An der schönen blauen Donau“ bei der „Pizza-Szene“ erwähnt. Oder die „Trainspotting“-Reminiszenz gleich zu Beginn des Films.

Ich war wirklich positiv von „Feuchtgebiete“ überrascht und habe mich insgesamt gut unterhalten gefühlt. Kein absolutes Meisterwerk, aber ich kann den Film doch nur weiterempfehlen. Und man weiß ja auch worauf man sich im Zweifelsfall einlässt.
Ich könnte mir sogar sehr gut vorstellen, dass „Feuchtgebiete“ im nächsten Jahr auch mit der ein oder anderen Nominierung beim Deutschen Filmpreis rechnen könnte. Allen voran die unfassbar talentierte Carla Juri, die hier wirklich sehr beeindruckend spielt (auch wenn ihr Bergschweizer Akzent etwas gewöhnungsbedürftig ist), aber auch Film, Regie und Kamera wären durchaus denkbar.

Wertung40

Deutschland 2013 – 1 Std. 49 Min.
Regie: David Wnendt
mit: Carla Juri, Christoph Letkowski, Axel Milberg, Meret Becker, Marlen Kruse, Peri Baumeister & Edgar Selge
Genre: Komödie, Drama

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