An Thanksgiving verschwinden die Töchter der streng gläubigen Familie Dover (Hugh Jackman und Maria Bello) und der befreundeten Nachbarn Franklin und Holly Birch (Terrence Howard und Viola Davis). Kurz zuvor wurde in der Straße ein auffälliger Wohnwagen gesichtet. Der Besitzer Alex Jones (Paul Dano) gerät direkt unter Verdacht, dass er die Mädchen verschleppt haben könnte. Diese Vermutung erhärtet sich, als dieser beim Zugriff der Polizei einen Fluchtversuch unternimmt. Alle Indizien und Ermittlungen in diese Richtung verlaufen jedoch ins Leere, woraufhin der verantwortliche Detective Loki (Grandios: Jake Gyllenhaal) gezwungen ist, Alex wieder auf freien Fuß zu setzen. Vater Keller Dover ist jedoch felsenfest davon überzeugt, dass Alex die beiden Töchter entführt hat. Aus Angst, dass den Mädchen nicht mehr viel Zeit bleibt um zu überleben, fasst Keller einen folgenschweren Entschluss: Er entführt Alex und will ihn unter Folter dazu zwingen, das Versteck der Mädchen preiszugeben…
All diese Szenen wurden zuvor bereits im Trailer gezeigt – und wieder einmal dachte man: „Na toll, schon wieder ein Filmtrailer, der uns vorab den ganzen Film vorkaut.“ Das entpuppt sich allerdings schnell als Trugschluss, da es sich im Trailer tatasächlich nur um die ersten 40 Minuten des 153 Minuten langen Hochspannungsthrillers handelt. Was dann folgt ist eine Verkettung von einzeln ausgelegten Puzzleteilen, die den Zuschauer ununterbrochen zum rätseln und mitfiebern anspornen. Die Story überrascht daraufhin immer wieder mit neuen Twists und kann mit einer Reihe großartiger Darstellungen punkten. Jake Gyllenhaal haut hier die beste Performance seiner Karriere raus. Obwohl man fast nie etwas aus Detective Lokis Vergangenheit erfährt, merkt der Zuschauer durch Gyllenhaals Spiel, dass diese nicht einfach gewesen sein muss. Sein Aussehen, die Tattoos, die Ticks und die Tatsache, dass er das Thanksgiving-Mahl alleine beim Chinesen verbringt, machen ihn zum spannendsten und rätselhaftesten Polizeibeamten der Filmgeschichte. Zudem kommt der Ehrgeiz und die Verzweiflung seines Charakters perfekt rüber. Aus meiner Sicht hat er die eigentliche Hauptrolle als ermittelnder Polizist, der mit großer Mühe versucht alle Fäden zusammenzuführen. Sollte er wieder für den Oscar nominiert werden, was ich ihm definitiv wünsche, dann hätte er zwei Nebendarsteller-Nominierungen für zwei Hauptrollen. Schade irgendwie, aber dass die Kampagne für ihn in der Nebendarsteller-Kategorie läuft, ist bereits beschlossene Sache.
Aber auch Hugh Jackman kann sich hier wirklich sehen lassen. Nach seiner Nominierung für „Les Miserables“ könnte er wieder hoffen, auch wenn das Hauptdarstellerfeld bereits ziemlich überfüllt ist. Seine Performance ist aber einfach grandios fesselnd. Als Keller Dover vermag es Jackman wirklich die Verzweiflung eines Vaters auf die Leinwand zu bringen, der vor dem Verlust seiner Tochter fürchtet und sich in Besessenheit verliert. Terrence Howard darf endlich mal wieder zeigen, was er kann und Paul Dano schafft es, dass einem wirklich kalter Schauer über den Rücken läuft. Mit der Damenriege tue ich mich etwas schwerer – vielleicht liegt das daran, dass ich von den Darstellerinnen wirklich keine einzige leiden kann bzw. gerne sehe. Viola Davis ist da noch am erträglichsten und macht ihre Sache weitestgehend gut. Maria Bello spielt in ihren Szenen, wo sie der Depression verfällt, schon relativ gut, aber andererseits nervt es den Zuschauer auch nur, wenn sie auf der Leinwand erscheint. Die Vollkatastrophe ist aber wohl Melissa Leo als Alex‘ Tante Holly Jones. Ihr Make-Up und die schlechte Perrücke verwirren zunächst und ihr Spiel wirkt gelangweilt und beliebig. Allgemein hätte ich mir für die Frauenrollen wohl andere Darsteller gewünscht. Aber das fällt letztendlich nicht so schwer ins Gewicht, da die Damen hier nur Randfiguren sind.
Letztenendes bleibt „Prisoners“ der wohl spannendste Thriller seit vielen Jahren mit zwei herausragenden Hauptdarstellern und einem überraschendem Drehbuch, dass den Zuschauer die kompletten zweieinhalb Stunden bei der Stange hält. Auch die sehr kalte und düstere Inszenierung von Denis Villeneuve („Incendies“) passt hier sehr gut ins Gesamtbild der Story und erinnert teilweise sogar an „Sieben“. Im Kino habe ich besonders die Kameraarbeit bewundert und war am Ende nicht verwundert, den Namen Roger Deakins im Abspann zu lesen. Der Typ hat’s einfach drauf. Nominiert wird er hierfür auf alle Fälle. Aber auch bei seiner 11. Chance darf er sich wohl wieder nicht so viel Hoffnung machen, da man momentan zu sehr damit beschäftigt ist, die Kameraarbeit von Emmanuel Lubezki („Gravity“) zu überschätzen.
Ein kleiner Wermutstropfen ist wohl die Schwäche des finalen Akts bzw. die Auflösung der Geschichte. Obwohl diese etwas zu plump wirkt, kann man sich durch die allerletzte Szene damit ein wenig anfreunden. Bis zum Zeitpunkt der Auflösung war ich jedoch fast geneigt eine 10 zu vergeben. „Prisoners“ bleibt damit in seiner Gesamtheit ein phänomenaler Film, der den Zuschauer in jeder Minute fesselt.
Hätte ein Regisseur mit etwas mehr Popularität, wie z.B. David Fincher, diesen Film gedreht und wäre das Ende ein bisschen anders ausgefallen, so wäre „Prisoners“ bestimmt ein sehr ernstzunehmender Oscar-Kandidat in diesem Jahr. Momentan sehe ich aber nur sehr gute Chancen für Gyllenhaal und Roger Deakins. Ohne das Ende hätte es auch das Drehbuch schaffen können. Leonardo DiCaprio war übrigens sehr lange für eine Hauptrolle im Gespräch. Ich hätte ihn in beiden Rollen sehr interessant gefunden – auch wenn die jetzigen Darsteller ihre Sache mehr als gut machen. Zum Glück ist aber Mark Wahlberg von der Rolle des Keller Dovers abgesprungen.