Wieder einmal möchte ich mich zu einem Arthaus-Film äußern, der ins Rennen für eine Nominierung als „Bester Fremdsprachiger Film“ gegangen ist. Chile, in der vergangenen Saison in ebendieser Kategorie erstmals nominiert, wählte kürzlich „Gloria“ als offiziellen Oscar-Beitrag aus. Angesichts des Umstandes, dass die Hauptdarstellerin im Februar auf der Berlinale als Beste Darstellerin prämiert worden ist, hatte ich eine ungeheure Erwartungshaltung an Sebastián Lelios Tragikomödie. Diese konnte, um es vorwegzunehmen, leider nicht erfüllt werden – aus mehreren Gründen…
Thematisiert wird die Geschichte der 58-jährigen, geschiedenen und im Büro arbeitenden Gloria, welche in ihrem Bekanntenkreis beliebt ist und lebensfreudig auftritt. Weil die Dame sich dennoch gelegentlich einsam fühlt und ihre Kinder zudem längst flügge geworden sind, wächst in ihr zunehmend das Bedürfnis nach Spaß, unkonventionellen Erlebnissen und neuen Erfahrungen, welche nicht unbedingt alterstypisch erscheinen. Sie geht häufig tanzen, lernt verschiedene Männer kennen und schläft mit ihnen – so auch mit dem gleichaltrigen Rodolfo. Obendrein probiert sie illegale Drogen.
Gute Ansätze sind vielfach vorhanden, keine Frage! Doch leider sind es nur Ansätze. Das Potential der Thematik wurde in meinen Augen viel zu wenig genutzt, was sowohl an der Arbeit des Regisseurs, des Drehbuchautors und der Darsteller liegt. Zwar erachtete ich den durchgängigen Fokus auf die Protagonistin und die Alltagssorgen und -nöte einer älteren, sympathisch anmutenden Frau grundsätzlich als interessant und in unserer heutigen Gesellschaft auch als überaus betrachtenswert, nichtsdestotrotz entstand zwischen den einzelnen Handlungsstationen oftmals nichts anderes als pure Langeweile. Zweifelsohne ist die Dialogarmut hierbei als Hauptgrund anzuführen, wodurch viele Szenen (und der Film im Allgemeinen) überlang wirkten, während einige Nebensequenzen schlichtweg unnötig gewesen sind. Auch das Verhältnis zwischen Drama und Komödie war meines Erachtens zu unausgewogen. Der Filmhumor zündete leider mitunter ebenfalls nicht. „Gloria“ hätte mit einer anderen Umsetzung ein nachwirkendes Feelgood-Movie werden können, aber diese Chance wurde auf inszenatorischer Ebene schlichtweg vertan, woran die unzureichende Rollenentwicklung sowie die schwammige Intention Schuld tragen. Dass man auch im fortgeschrittenen Lebensalter Spaß und, ausgelöst von der Verliebtheit, Sorgen haben kann, war mir jedenfalls bei Weitem zu unbefriedigend und oberflächlich. Hinzu kommt, dass der Zuschauer über diverse Hintergründe, so etwa über die Ursachen der sich verkomplizierenden Beziehung zwischen Gloria und Rodolfo, nichts erfährt.
Positiv und wertungshebend erwähnen kann ich im Gegenzug den Umgang mit dem bisher wenig beleuchteten und Vorurteilen unterliegenden Sujet „Erotik im Alter“. Es gab eine Fülle an Momenten, in denen bewusst „nackte Haut“ gezeigt worden ist, sodass man dem chilenischen Werk zumindest eine gewisse, konsequente Ehrlichkeit in Bezug auf die Sexualität der beiden Hauptcharaktere zusprechen kann. Gefallen haben mir darüber hinaus einige, kleine Feinheiten. Beispielsweise sah ich es als einen schönen und bewusst gewählten Einfall, dass die Kamera sich fortdauernd nur auf Gloria konzentrierte und demgegenüber kurzzeitig auftauchende Figuren verschwommen erschienen. Hinzu kommt eine angenehme Zusammenstellung an guten Songs als Hintergrundmusik sowie eine Handvoll intelligenter Dialoge und lustiger Szenen, vor allem die Paintball-Szene.
Vielfach wurde in den letzten Monaten davon gesprochen, dass Paulina García den Film mit ihrer unvergleichlichen Präsenz dominiere und somit stets für den Zuschauer lebendig halte. Dies blieb mir jedoch in der Gesamtheit verborgen. Zwar zeigte sie mehrere verschiedene Facetten und spielt die Sympathieträgerin, doch die grinsenden Gesichtsausdrücke kamen gelegentlich unecht herüber. Dagegen konnte García negative Emotionen deutlich besser und glaubhafter transportieren und glänzte gerade dort. Gleichwohl ist ihre Leistung allerdings, verglichen mit der Hauptdarstellerin in dem ebenfalls von mir rezensierten, ausländischen Film „Mutter & Sohn“ lediglich durchschnittlich, obschon ich insbesondere ihre offenherzigen Szenen anerkenne. Dass Kritiker gerade wegen ihrer Rolle von einem „Jahr der starken Frauen“ innerhalb von fremdsprachigen Kinoproduktionen sprechen, kann ich nur bedingt bestätigen – zumindest nicht anhand dieses konkreten Beispiels. Die übrigen Ensemblemitglieder bewirkten unglücklicherweise wenig Abwechslung und agierten alles in allem blass und hölzern.
„Gloria“ ist sicherlich kein filmischer Totalausfall. Aber nach all der positiven Resonanz auf der Berlinale hatte ich mir deutlich mehr erwartet und war letztlich enttäuscht über die langatmige Gestaltungsweise. Auf die Nominierungsliste schaffen es hoffentlich gelungenere Werke mit einer plausibleren Erzählabsicht.