Philomena

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Nachdem Heidi und Heiko bereits mehr oder weniger ausführlich über „Philomena“, einen der diesjährigen und von meiner Seite überaus heiß erwarteten Anwärter für die Trophäe in der Kategorie des „Besten Films“ berichtet haben, möchte ich dazu auch noch ein paar warme Worte verlieren. Der britische Regisseur Frears, der vor nunmehr zweieinhalb Jahrzehnten mit „Gefährliche Liebschaften“ einen meiner Lieblingsfilme aller Zeiten schuf, erzählt hier eine Geschichte, deren Thematik fast nicht berührender hätte ausfallen können. Zwar ist es ihm in der Gesamtheit nicht ganz gelungen, ebendiese Bestmarke zu übertreffen, doch zweifelsohne ist dabei ein sehenswertes Werk entstanden, das sehr lange nachwirkt, zumal ein unmittelbarer Vergleich der beiden Dramen sich ohnehin schwierig gestalten würde…

Ich möchte „Philomena“ als die wohl gelungenste Tragikomödie seit einer halben Ewigkeit bezeichnen. Die Balance zwischen fein nuanciertem, weit von Anstößigkeit entferntem Humor und realitätsnaher Emotionalität ist bis zur Perfektion gelungen! Wie bereits festgestellt, sprach der Film die Herzen des Publikums auf allen Ebenen vollends an, sodass man bis zur letzten Sekunde aufmerksam blieb und das Schicksal der Hauptdarstellerin mit Interesse mitverfolgte, was auch der genreübergreifenden Inszenierungsart zu verdanken ist. Besonders die ausführliche Charakterzeichnung der einzelnen Protagonisten sowie ihrer Beweggründe gefiel mir, trotz der Vielfalt an Schauspielern, extrem gut. Auf kontextuelle, dogmatisch-religiöse Sujets innerhalb der Gesellschaft vor 50 Jahren wurde ebenso nachvollziehbar eingegangen wie auf den Sensationsjournalismus der heutigen Zeit. Es oblag allein dem Zuschauer, darüber zu urteilen – und es ist vor allem Frears hoch anzurechnen, dass er einen nicht in die eine, oder die andere Richtung zu drängen beabsichtigt.

Steve Coogans Leistung als Drehbuchautor muss besonders hervorgehoben werden. Die Story lebt von ungemein unerwarteten Wendungen und gleichermaßen von geistreichen, teilweise spritzigen Dialogen. Den Handlungsverlauf hatte ich mir anfangs zwar völlig anders vorgestellt, doch gerade dies sorgte für eine sich steigernde Intensität. Obgleich Coogan mich auch in darstellerischer Hinsicht durchaus positiv überrascht hat, ist es ihm hervorragend gelungen, tatsächliche Ereignisse originalgetreu, aber nicht weniger kreativ zu adaptieren. Aus diesem Grund kann seine Arbeit als Autor um ein Vielfaches höher eingeschätzt werden, weswegen es mich freuen würde und auch vollkommen gerechtfertigt wäre, wenn dieser Oscar in der kommenden Nacht an ihn und Jeff Pope geht. Auch Gesichtspunkte, die sich auf die tolle Kamera- und Schnittarbeit beziehen (vor allem innerhalb der Rückblenden), möchte ich lobend erwähnen. Natürlich auch Desplats musikalische, ebenfalls zu Recht oscarnominierte Untermalung. Die Scores des Franzosen sind ja nahezu immer fantastisch, trotzdem wäre ich noch zufriedener gewesen, wenn man den schönen Klängen in einer größeren Anzahl an Szenen hätte lauschen können.

Das, was den Film aber ohnehin durchgängig trägt, ist die erneut brillant auftretende Judi Dench. Nach all den Jahren, in denen sie fast ausschließlich eiserne, grausame oder unsympathische Damen verkörperte, konnte sie in der Rolle der Philomena Lee zeigen, dass sie insbesondere Gefühle aller Art virtuos und unvergleichlich facettenreich transportieren kann, und das mit nahezu 80 Lebensjahren. Dies ist meines Erachtens neben jener in „Tagebuch Eines Skandals“ die beste Performance ihrer ohnehin fruchtbaren Karriere und ich würde ihr den Oscar wirklich wünschen, wenn es Blanchett in dieser Saison nicht gegeben hätte. Gerade die beiden geadelten Briten Dame Judi Dench und Sir Michael Caine sind für mich die besten Exempel dafür, dass die gesamte Schauspielwelt sich von britischen Darstellern des klassischen Theaters, welche in diesem Alter sind, eine ganze Menge abschauen kann. Vielen anderen fehlt jedoch die Leichtigkeit und Authentizität, der wir hier gewahr werden können. Der einzige wirkliche Kritikpunkt bezieht sich auf einige der anderen Mitglieder des Ensembles. Zwar gefielen mir die Kurzauftritte von Mare Winningham – sie wird für mich wohl immer die Justine O’Neal aus „Die Dornenvögel“ bleiben – und auch Michelle Fairley, doch andere Darsteller agierten für meinen Geschmack ein bisschen zu steif und hölzern. Dies trifft z.B. auf Cathy Belton (Schwester Claire) und ganz besonders auf Sophie Kennedy Clarke als junge Philomena zu, denen leider es etwas an Überzeugungskraft mangelte.

Doch dies kann nur als kleiner Schönheitsfehler angesehen werden. „Philomena“ ist letztlich, und dahingehend stimme ich meinen Kollegen voll und ganz zu, ein wunderschöner, facettenreicher und für nahezu jeden Menschen ansprechender Film mit Lebensweltbezug, der es vermag sowohl zu berühren als auch zu unterhalten.


UK 2013 – 98 Minuten
Regie: Stephen Frears
mit Judi Dench, Steve Coogan, Michelle Fairley, Barbara Jefford, Mare Winningham, Peter Hermann, Sophie Kennedy Clarke
Genre: Drama

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