Roma

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Nach seiner mit sieben Oscars prämierten Weltraum-Odyssee „Gravity“ drehte Regisseur Alfonso Cuaron mit ROMA wohl seinen persönlichsten Film und räumte bereits zahlreiche Kritikerpreise und den Hauptpreis in Venedig ab! In sehr ästhetischen und komplett durchkomponierten Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er das Leben einer Mittelstands-Familie und deren Haushälterin in der Titel gebenden mexikanischen Hauptstadt ROMA in den frühern 70-er Jahren. Ob das Werk die vielen Lorbeeren wirklich verdient hat und als einer DER Oscarfavoriten gehandelt werden kann, möchte ich mit Euch näher betrachten…

Wenn ein Regisseur eine bunte, tobende Stadt wie Mexiko-City in schwarz-weiß abfilmt, ist dies schon sehr ungewöhnlich und müssen wohl nostalgische Gründe dahinter stecken. Vor allem wenn man bedenkt, dass es heutzutage Schwarz-Weiß-Produktionen weitaus schwerer haben Zuschauer zu generieren und sich Produktionsfirmen daher meistens dagegen aussprechen. Aber nicht nur auf schillernde Farben verzichtet der zweifache Oscarpreisträger, sondern auch auf eine künstliche Dramaturgie und inhaltliche Aufblähungen, so dass ein finanzieller Erfolg nicht im Vordergrund bei diesem Projekt gestanden haben kann, dessen Mut ich als medienkritischer Filmwissenschaftler an dieser Stelle sehr begrüßen möchte.

Auf formeller Ebene kann man ROMA nichts vorwerfen, alles ist auf höchstem Niveau umgesetzt. Die Kamera- und Tonarbeit, sowie der Filmschnitt dürfen als Top-Anwärter für die kommende Oscarverleihung gesehen werden und durch den Szenenaufbau und die herausragende Schauspielführung dürfte auch dem zweiten Regieoscar von Alfonso Cuaron kaum noch etwas im Wege stehen. Besonders beeindruckt haben mich die letzten 40 Minuten, indem die „politischen Unruhen“ [Um nicht spoilern zu müssen, verzichte ich hier bewusst auf nähere Ausführungen] so in die Handlung eingebaut wurden, dass es mir den Atem verschlagen hat. Was Neuentdeckung Yalitza Aparicio zudem in ihrem Leinwanddebüt i diesem letzten Drittel abliefert ist schon erstaunlich und hat mich tief berührt.

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Kommen wir nun zu den Defiziten. Eigentlich ist dies nur Meckern auf allerhöchstem Niveau. Lediglich der Verzicht auf einen größeren Handlungsrahmen dient den wenigen kritischeren Stimmen als Angriffsfläche. Dieser sei so figurbetont, dass dies zuweilen als spärlich rüberkommen mag, was er bei näherer Betrachtung letztendlich aber nicht ist. Die Figuren werden über zwei Drittel eingeführt, indem ihr Alltagsleben gezeigt wird, ihre Beziehungen und ihre Probleme, um erst im letzten Drittel diese Erzählart bricht und man dann unweigerlich erkennen muss, wie man in die Welt des Figuren bereits eingebunden wurde. Meine immensen Erwartungen hat ROMA bei der Erstbetrachtung zwar nicht komplett erfüllt, hat mich der Schlussakt jedoch so berührt und mitgerissen, dass ich ihm die kleinen Längen im ersten Drittel verzeihen mag.

Alfonso Cuaron hat mit ROMA in summa summarum einen unaufgeregten, gar stillen Film gedreht, der sich mit dem Leben einer zurückhaltenden Persönlichkeit beschäftigt und jegliche Klischees geschickt umschifft, als diese unerwartet Schwanger wird und sich ihr Leben droht radikal zu verändern. Auch wenn in großen aufwendigen Totalen erzählt wird, bleibt stets eine innere Ruhe, die im starken Kontrast zu der Erzählweise steht, wie sie vornehmlich stattfindet. Das ROMA trotz hauptsächlichen Verzichts von Close-ups und Filmmusik eine Intimität wie kein anderer Film in diesem Jahr schafft ist besonders beachtlich.

Abschließend möchte ich NETFLIX noch ein großes Lob aussprechen, die solche Hochglanz-Arthaus-Produktionen vermehrt unterstützen möchte. Natürlich kann und muss man vielleicht sogar kritisieren, dass nahezu alle Studios nur noch auf Blockbuster-Filme ohne jeglichen Mehrwert ihren Fokus legen, aber sofern eine Kinoauswertung nicht ausgeschlossen bleibt, sofern ein Streaminganbieter Filme wie ROMA produziert, kann ich damit leben. In Zukunft würde ich mir aber generell wieder wünschen, dass mehr Wert auf gut erzählte Geschichten gelegt wird, als auf austauschbare Massenware und dass sich die Sehgewohnheiten wieder dahingehend ändern, dass sich die Menschen wieder mehr Zeit nehmen sich richtig auf ein Werk einzulassen. ROMA ist auf jeden Fall ein Weg zurück in die richtige Richtung und eine Ode an eine glanzvolle Ära Hollywoods.

USA 2018 – 135 Minuten
Regie: Alfonso Cuarón
Genre: Drama 
Darsteller: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Verónica García, uva.

 

 

 

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