Und Der Zukunft Zugewandt

© Neue Visionen

„Sealed Lips“, so lautet der passende, internationale Titel, der unter anderem bestimmt wurde, weil sich das auf die Nationalhymne der DDR anspielende Werk „Und Der Zukunft Zugewandt“ in der engeren Auswahl für die diesjährige Entsendung Deutschlands als „Bester Internationaler Film“ befand. Ins Rennen geschickt wurde schlussendlich zwar „Systemsprenger“, dennoch bedeutet die Präferenz der Jury von „German Films“ keineswegs, dass es sich bei dem Historiendrama über eine junge Kommunistin, die gemeinsam mit Ehemann und Tochter unschuldig im Gulag landete, nicht um einen Film handelt, der keine internationale Beachtung verdient hat. Insbesondere im 30. Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer erweist sich Bernd Böhlichs erst vierte Leinwandproduktion als wichtiger, nachdenklich stimmender Beitrag über ein bisher größtenteils ausgeklammertes – oder, besser gesagt, verschwiegenes Kapitel gesamtdeutscher Geschichte, das nicht nur mittels seines Schauspielensembles zu überzeugen weiß und gestern seinen offiziellen Kinostart erlebte.

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Die Geschichte von Antonia wird in einem Zeitraum von 1952 bis 1989 beleuchtet und fokussiert sich vor allem auf die Folgen ihres Martyriums. So werden die menschenunwürdigen Zustände im nordwestsowjetischen Lager in der Nähe des Polarmeeres als unmittelbarer Start schonungslos skizziert, sind aber dennoch auch im Folgenden stets in bedrohlicher und greifbarer Form präsent. Eingefangen von dynamischen, unruhigen Kameraperspektiven und unterstützt von einer entsättigten Farbgestaltung liegt das inszenatorische Interesse stets dezidiert auf der psychologischen Ebene. Äußerungen wie „Die Wahrheit ist das, was unserer Sache nützt.“ oder „Wenn schon das halbe Leben beschissen war, warum sollte man die andere Hälfte dann auch noch darüber reden?“ sind Mittelpunkt eines bewegenden Verstehensprozesses. Dieser führt dem Publikum einerseits vor Augen, wie Ostdeutschland scheinbar fließend von einer Diktatur in die nächste abglitt, anderseits aber auch die Brutalität, sich in einem System wiederfinden zu müssen, das einem Unsägliches zugefügt hat. Das „Irgendwann“ im Hinblick auf den Pakt des Schweigens wird zum unerreichbaren Fluchtpunkt, was die ideal platzierte Vorausblende eindrucksvoll unterstreicht. Selbst für epochenaffine Zuschauer ist insbesondere der thematisierte Stalin-Kult nur schwer mitanzusehen. Mit Ausnahme eines inhaltlichen Fehlgriffs gegen Ende des Zweistünders beweist Böhlich, seines Zeichens eigentlich Kriminalregisseur, ein enormes Gespür für die geschilderte Ära und offeriert Momente von geradezu gespenstischer Stille. Anzulasten ist Böhlichs Werk, dass er aus Gründen der Neutralitätswahrung hin und wieder einen Hauch zu kompromissorientiert und nüchtern daherkommt, im Gegenzug zählt hingegen ebenjene Sequenz, in der eine der Gulag-Insassinnen sich entschieden des Mundverbots wiedersetzt, zum stärksten Moment. Insbesondere die Mimik der Hauptdarstellerin Alexandra Maria Lara spricht Bände. Ihr gelingt es mit eiserner Konsequenz, nicht ins Overacting zu verfallen, stattdessen wird der Zuschauer zum Zeugen einer glaubhaften, zutiefst bewegenden Visualisierung des erlittenen Leides und dem Versuch des Ertragens und Neubeginns. An ihrer Seite agierend, zeigt auch Robert Stadlober eine charismatische, überaus sensible Leistung, während Stefan Kurt in der Rolle des „Sekretärs für Agitation und Propaganda“ vor allem mit Zurückhaltung punktet.

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Entstanden ist summa summarum eine eindringliche, melancholische Chronologie, die jedoch ein gewisses Maß an Geduld und Einfühlungswillen voraussetzt. Auch ohne eine Berücksichtigung von „Und der Zukunft Zugewandt“ als deutscher Oscarbeitrag geht das Drama deutlich über den Normtypus deutscher Vergangenheitsbewältigung hinaus. Wenngleich der Kern des Drehbuchs trotz Anlehnung an wahre Ereignisse fiktional ist, so beschleicht einen dennoch fortwährend das Gefühl, dass das Gesehene samt den Konsequenzen exakt so hätte passieren können, was zweifelsohne ein essentieller Maßstab für einen Genrevertreter auf gelungenem Niveau sein dürfte.

D 2018 – 108 Minuten
Regie: Bernd Böhlich
Genre: Historiendrama
Darsteller: Alexandra Maria Lara, Stefan Kurt, Robert Stadlober, Barbara Schnitzler, Karoline Eichhorn, Carlotta von Falkenhayn, Stefan Lochau, Jürgen Tarrach, Peer Jäger, Jochen Nickel, Peter Kurth, Swetlana Schönfeld
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