The Nightingale – Schrei nach Rache (OT: The Nightingale)

The Nightingale Film (2018) · Trailer · Kritik · KINO.de
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Schon seit einer Weile arbeitet die irische Strafgefangene Irin Clare (Aisling Franciosi) für die britische Armee, die 1825 in Australien gegen die Ureinwohner kämpft. Während der ganzen Zeit hat sie die Misshandlungen hingenommen, die Gewalt, sogar die Vergewaltigung. Doch als Leutnant Hawkins (Sam Claflin) ihr statt der Freiheit ihr alles nimmt und sie traumatisiert zurücklässt, schwört sie Rache an ihm und seinen Männern zu nehmen. Und so nimmt sie alle ihre Besitztümer und überredet den Fährtenleser Billy (Baykali Ganambarr) dazu, sie zu der Truppe zu führen  – koste es, was es wolle…

Satte 5 Jahre ist es her als 2014 Der Babadook die Festivals und Kritiker mit seiner Mischung aus klassischem Grusel, Familiendrama und Trauerverarbeitung im Sturm eroberte und wird seitdem immer wieder als Referenz für psychologisch motivierten Horror herangezogen. Entsprechend hoch waren die Erwartungen auf ihr Nachfolgewert.

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The Nightingale – Schrei nach Rache ist ein ausgesprochen brutaler Film, eine Eigenschaft, die man eher mit Männern in Verbindung bringt. Tatsächlich ist die Geschichte um eine Frau, die Rache an ihren Peinigern geschworen hat, gerade in den ersten Minuten so unerträglich, dass man es kaum auszuhalten vermag und nicht wenige abschalten dürften bzw. aus der Vorstellungen liefen auf den Filmfestspielen auf denen das Werk uraufgeführt wurde. Teilweise hieß es sogar, die Filmemacherin würde das Leid zelebrieren. Dabei ist The Nightingale weit mehr als nur ein blutiger Rachethriller, selbst wenn der Film ungerechtfertigt manchmal darauf reduziert wird. Stattdessen befasst sich Kent auch hier ausgiebig mit der Psyche ihrer Protagonistin, der nach dem Mord an ihrer Familie nichts mehr geblieben ist. Während in den meisten Filmen dieser Art eine beträchtliche Befriedigung damit einhergeht, wenn nach und nach die menschlichen Monster beseitigt werden, da ist das hier erneut mit Horror verbunden. Ein Horror vor der eigenen Tat. Ein Horror davor, dass das Blutvergießen die Leere nicht ausfüllt, sondern vielmehr in ihrer Gänze deutlich macht. The Nightingale ist ein Film über Rache, sowie über die Vergeblichkeit von Rache.

Was den Film darüber hinaus so beeindruckend macht, ist wie Kent diese universelle Thematik mit der des englischen Kolonialismus verknüpft. Es geht hier eben nicht nur um Clare, der ein großes Unrecht angetan wurde. Stattdessen wird damit das Unrecht gespiegelt, welches gleichzeitig den Aborigines zuteilwurde, die von den weißen Invasoren versklavt wurden, getötet, ihres Landes beraubt und ist seit der Premiere in Venedig noch einmal deutlich aktueller geworden, wenn im Zuge der Black Lives Matter Bewegung auch die nach wie vor ungenügend aufgearbeiteten Verbrechen während der Kolonialzeit thematisiert werden. Billy, der anfangs nur ein Mittel zum Zweck ist, wird zum Symbol eines beraubten Volkes, eine verdrängte Erinnerung.

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Das Schicksal führt zwei Welten zusammen, die das gleiche Leid erlitten haben. Sind die beiden Hauptfiguren anfangs noch Feinde, so nähern sie sich zuverlässig an, bis die Gemeinschaft aus beidem zum Hauptthema wird. Neben der nahezu spirituellen Inszenierung ohne Score und SoundFx, welches vor allem in den Dschungelszenen zur Geltung kommt, sind es vor allem die durchweg starken darstellerischen Leistungen, die sich ins Gedächtnis brennen und zurecht mit zahlreichen Preisen gewürdigt wurden. Vor allem Aisling Franciosi, die zuvor vor allem in Serien mitgespielt hat, bleibt mit ihrer Wandelbarkeit in Erinnerung, ist mal verletzlich, dann ein wilder Berserker, anmutige Nachtigall und rassistische Urgewalt in einem. Nicht minder beeindruckend Newcomer Baykali Ganambarr in seiner ersten Filmrolle. Die Figur von Sam Claflin (Die Tribute von Panem – Catching Fire) ist im Vergleich schon sehr eindimensional, nicht mehr als ein übliches Klischee, aber auf eine so beeindruckend verabscheuungswürdige Weise verkörpert, dass man den Horrorpfaden nur zu gerne folgt – selbst wenn diese keine Erlösung bringen.

Australien 2018 – 136 Minuten
Regie: Jennifer Kent
Genre: Drama
Darsteller: Aisling Franciosi, Baykali Ganambarr, Sam Clafin, Damon Harriman, Charlie Shotwell, Michael Sheasby, Maya Christie, Claire Jones, Harry Greenwood, Magnolia Maymuru, uva.
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