Mein letzter Artikel stand im Zeichen der schrillen 1980er. Aufmerksamen Lesern dürfte aufgefallen sein, dass das dazwischenliegende Jahrzehnt übersprungen worden ist, was nicht von ungefähr geschah. Trotz einiger großartiger Filme wie „Der Pate“ oder „Uhrwerk Orange“, die heute als Klassiker ihrer jeweiligen Genres gelten, zählt die achte Dekade des 20. Jahrhunderts schlichtweg nicht zu meinen Lieblingen, da sie zwar einen professionellen und couragierten, aber recht sterilen und wenig herzergreifenden Eindruck hinterlässt.
Aus diesem Grunde soll es diesmal um die Dekade gehen, die einen deutlich festeren Platz im persönlichen Cineasten-Herz innehat und sich – subjektiv gesprochen – durch eine höhere Dichte an Meisterwerken auszeichnet. Die geburtenstarken, umbruchs- und krisenreichen 1960er waren nicht zuletzt das Jahrzehnt, als sich die Schauspieler/innen endlich von der Übermacht der Filmstudios emanzipieren konnten und eigenständig Rollen annehmen oder ablehnen konnten sowie ein hohes Maß an Innovation und Mut in die Filmgestaltung. Die 68er-Bewegung sowie der Höhepunkt des Vietnamkrieges beeinflussten auch die Filmlandschaft nachhaltig.
Viele der gelisteten Werke sind zu Klassikern geworden, an denen sich nachfolgende Filmmacher orientierten, und genießen einen hohen Bekanntheitsgrad. Anderen wiederum wurde das gebührende Privileg, gesehen zu werden, nicht zuteil. Trotz ihrer Verschiedenartigkeit kann jedoch für alle Produktionen guten Gewissens eine uneingeschränkte Empfehlung ausgesprochen werden.
Platz 25: Die Schneekönigin (1966)
Eröffnet wird die Liste von einem kindgerechten Klassiker mit unabdingbarem Platz in der Adventszeit, der nicht zuletzt zeigt, dass Märchenverfilmungen die größte Paradedisziplin der ehemaligen Sowjetunion bildeten. Insgesamt ein Dutzend Mal auf die Leinwand gebracht, punktet die Version namens „Снежная королева“ dank eines ausschließlich aus Theaterschauspielern bestehenden Ensembles. Die aufwendige, charmante und überaus eng an die traumhafte Vorlage von Hans Christian Andersehen gehaltene, tricktechnisch charmante Adaption über die zeitlose Wichtigkeit menschlicher Wärme unterstreicht ferner, dass man für märchenhafte Stoffe niemals zu alt ist.
Platz 24: Spartacus (1960)
Während der Sklavenaufstand im Jahr 73 v.Chr. den historisch verbürgten Rahmen bildet, sind etliche der komplexen, historischen Details des damals noch recht unbekannten Regisseurs Stanley Kubrick simplifiziert worden. Ebendiese Freiheiten erweisen sich allerdings als gewinnbringend, da sie dazu beitragen, die enorme Symbolkraft des Monumentalfilms zu verstärken, der gerade zur rechten Zeit für Freiheit und Solidarität warb und darüber hinaus die Courage aufbrachte, auch vor homoerotischen Anspielungen keinen Halt zu machen. Des Weiteren beeindruckt die Bildgewalt noch heute, welche das hochantike Zeitalter wieder aufleben lassen, und speziell die Gladiatorenkämpfe und Massensequenzen übertreffen sogar jene aus „Ben Hur“. Neben Kirk Douglas als Titelfigur überzeugen vor allem Tony Curtis und Jean Simmons mit brillanten Darbietungen, während Sir Peter Ustinov gewann für die Verkörperung des Gladiatorenmeisters Lentulus völlig zu Recht den ersten seiner zwei Oscars gewann.
Platz 23: Mary Poppins (1964)
Für manche Werke auf Zelluloid muss man einfach in der geeigneten Stimmung sein. Das Musical rund um das vom Himmel gesandte Kindermädchen bildet diesbezüglich keine Ausnahme, denn es avanciert insbesondere dann zum Feuerwerk der guten Laune, wenn man sich vollends darauf einlassen möchte. Die Academy sah das seinerzeit ähnlich und nominierte „Mary Poppins“ für satte 13 Oscars – eine Marke, die bisher lediglich drei (!) Filme übertreffen konnten. Unbeschwert, sympathisch, temporeich und gelegentlich auch reichlich grotesk inszeniert, überzeugen die Chorographien und Songs, allen voran „Supercalifragilisticexpialidocious“ und „A Spoonful of Sugar“ wie Julie Andrews in ihrem Schauspieldebüt und führen vor Augen, dass Disney seinerzeit noch über eine ganz eigene Art der magischen Unterhaltung verfügte, die erst 2018 herausragend neu adaptiert wurde.
Platz 22: Spiel mir das Lied vom Tod (1968)
Wer mich etwas besser kennt, weiß, dass Wild-West-Filme in der Rangliste meiner bevorzugten Filmgenres das absolute Schlusslicht bilden. Dennoch ist die Genialität von Sergio Leones Italowestern mit Originaltitel „C’era una volta il West“, der seit Langem Bestandteil der Popkultur ist, selbst unter diesem Blickwinkel nur mit Mühe von der Hand zu weisen. Brutal inszeniert, virtuos geschnitten und mit dem aus dem Henry Fonda, Claudia Cardinale und Charles Bronson bestehenden Dreigestirn idealbesetzt, brilliert der Zweistünder sowohl als unterhaltsamer als auch spannender Milieumythos voll von Bedachtsamkeit und Zynismus. In ewiger Erinnerung wird der analeptisch erzählte Klassiker aber nicht zuletzt aufgrund der herausragenden, weltbekannten Klänge von Ennio Morricone bleiben, der vor wenigen Wochen bedauerlicherweise verstarb.
Platz 21: Belle de Jour – Schöne des Tages (1967)
Als regelrechter Tabubruch entpuppte sich eine aphrodisierende Romanverfilmung, die unter Cineasten zu Recht Klassikerstatus genießt. Der Spanier Buñuel hinterließ uns in Gestalt von „Belle de Jour“ eine schonungslose und aufwühlende Parabel über den verführerischen, wenn auch mitunter demütigenden Ausbruch aus den Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft, die insbesondere durch die magnetisierende Performance von Catherine Deneuve zu einem Highlight wird, dem man sich nur mit Mühe entziehen kann. Als couragierter Triumph des erotischen Kinos, getragen von brillanten Kameraperspektiven, erfordert der Film im besten französischen Stil jedoch ein gewisses Maß an Geduld und geistiger Reife.
Platz 20: Rat mal, wer zum Essen kommt (1967)
Wenngleich der Pfad zur Gleichbehandlung aller noch immer nicht in Gänze abgeschlossen ist, gelten insbesondere die 1960er als wegweisendes Fundament, da mit Sidney Poitier zum ersten Mal ein Afroamerikaner den Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ erringen konnte. In inhaltlicher Hinsicht knüpft Stanley Kramers neunter Film gekonnt an die heikle Diskussion um so genannte „Mischehen“ an, dem der schwierige Spagat zwischen Komödie und Drama bestens gelingt. Leichtfüßig-ironisch erzählt, ohne dabei den ernsten Hintergrund auszublenden, ist speziell der Darstellerriege viel zu verdanken. Die Schlusssequenz entfaltet eine immense Durchschlagskraft, vor allem unter Vergegenwärtigung, dass es sich um den finalen Leinwandauftritt des bereits schwer kranken Spencer Tracy handelte und die Tränen seiner langjährigen Partnerin Katharine Hepburn somit „echt“ waren. Nur zwei Wochen nach Drehschluss verstarb er, während Hepburn nach quälend langer Wartezeit von 34 Jahren ihren zweiten Goldjungen gewann, ohne ihn (erneut) persönlich entgegenzunehmen.
Platz 19: Frühstück bei Tiffany (1961)
Sieben Romane verfasste Truman Capote zeit seines nicht einmal sechs Jahrzehnte umfassenden Lebens. Ohne den mindesten Zweifel ist „Frühstück bei Tiffany“ der mit Abstand bekannteste und die zugehörige Verfilmung wohl nur Menschen auf dem Mond gänzlich unbekannt. Im nächsten Jahr wird die generationenprägende Tragikomödie bereits 60 Jahre alt und wirkt dennoch frisch und gegenwartsrelevant wie eh und je. Wenngleich es sich definitiv nicht um die beste Darstellung von Audrey Hepburn handelt, ist es auf jeden Fall ihre einflussreichste und unterhält für zwei Stunden köstlich. Weiterhin tritt die bittersüße, entscheidend von den Klängen Henry Mancinis verfeinerte Produktion den Beweis an, dass ein Übermaß an Sentimentalität gelegentlich eine Bereicherung darstellt und genau deswegen verzeiht man es auch, dass der Film im Gegensatz zur literarischen Vorlage in ein Happy End mündet. Den stärksten Eindruck hinterlässt der couragierte Klassiker allerdings als Spiegel des weiblichen Selbstbewusstseins, das sich spätestens Anfang der 1960er zunehmend vom Traditionalismus entfernte.
Platz 18: Pippi Langstrumpf (1969)
Wohl kaum eine andere Autorin des 20. Jahrhunderts dürfte die (Lese-)Sozialisation von Heranwachsenden so sehr geprägt haben wie Astrid Lindgren. Ihre Kinderbücher sind schlicht und ergreifend universelle Meilensteine und so verwundert es auch nicht, dass die Verfilmung rund um das freche, rothaarige und allein in der Villa Kunterbunt lebende Mädchen mit ellenlangem Namen auf ähnlich hohem Niveau rangiert wie die Buchvorlage. Die Koproduktion von Schweden und der BRD ist ein altersunabhängiger Klassiker voller Witz, Lehrhaftigkeit und Kurzweile, lässt aber trotz der kindgerechten Machart ungemein viel Raum für Themen, die alle betreffen. Weder davor noch danach hat ein Kinderfilm-Klassiker Diskurse über traditionelle Erziehungsmodelle, kindliche Selbstbestimmung und Gender-Ideale angeregt. Dass auch die Darstellerriege unbändige Spielfreude versprüht und die Musik und das Szenenbild die Kindheit wiederaufleben lassen, bildet somit nur das Sahnehäubchen.
Platz 17: James Bond 007: Goldfinger (1964)
Obwohl „Goldfinger“ nach „Dr. No“ und „Liebesgrüße aus Moskau“ bereits der dritte Einsatz von Sean Connery als Agent im Auftrag Ihrer Majestät war, bildete er in vielerlei Hinsicht den außergewöhnlichen Startpunkt für die Konsolidierung der Marke „James Bond“, an dessen erzählerischem Grundkonstrukt sich nahezu alle Nachfolger unverkennbar ein Beispiel nahmen. Überwiegend in der Schweiz und in Florida gedreht ist vor allem im Hinblick auf die handwerkliche Gestaltung ein Quantensprung gelungen, außerdem überzeugt das Werk als gelungener Genre-Spagat voller augenzwinkernder und frivoler Einschübe. Als Herzstück fungiert jedoch das berüchtigtste Antagonistenpaar in der Geschichte des Franchises und in der Tat erwies sich Gert Fröbe als ultimativer Bösewicht. „Goldfinger“ blieb aufgrund seins Unterhaltungscharakters eine wegweisende, lange unerreichte Episode der Reihe, welcher in qualitativer Hinsicht erst der fast ein halbes Jahrhundert veröffentlichte Teil Nummer 23 namens „Skyfall“ das Wasser reichen konnte.
Platz 16: Das süße Leben (1960)
Die so genannte „High Society“ gilt gemeinhin nicht unbedingt als Gesellschaftsschicht, in der existenzielle Fragen eine sonderliche Bedeutung beigemessen wird. Ebendiesen Kontrast machte sich der in insgesamt vier verschiedenen Oscarkategorien nominierte Federico Fellini zunutze und schuf inmitten der Gassen der ewigen Stadt ein zeitloses und wehmütiges Lehrstück, das optisch, darstellerisch und inszenatorisch in ähnlichem Maße zu überzeugen weiß. Elegant zwischen Komödie, Drama und Sozialsatire pendelnd, hat das Gebotene nichts von seinem involvierenden Charakter verloren und etablierte ganz nebenbei Begriffe wie „Paparazzi“ im internationalen Sprachgebrauch. Die Szene, in der Anita Ekberg in Abendgarderobe in den Trevi-Brunnen steigt, sorgte nicht nur im erzkatholischen Italien für regelrechte Aufschreie, stellt aber einen DER ikonischen Momente der 1960er dar, doch angesichts der deklassierenden, noch immer brandaktuellen Botschaft wäre es frevelhaft, den Film nur darauf zu reduzieren.
Platz 15: Doktor Schiwago (1965)
Auf dem lange Zeit als unverfilmbar geltenden Spätwerk „Doktor Živago“ von Boris Pasternak basierend, bebildert die Leinwandadaption nicht nur die dynamischste, umwälzungsreiche Ära der russischen Historie, beginnend ab dem Zusammenbruch des Zarenreichs, sondern zeichnet sich durch ein enormes Gespür für ebenjene außergewöhnlichen Menschen aus, die darin gelebt haben könnten. Retrospektiv-auktorial und dennoch überaus lyrisch erzählt, wird das Publikum zum Augenzeugen einer bedingungslosen Liebschaft gegen alle Widerstände. Neben einem Starensemble, unter denen sich oscarwürdige Darbietungen von Omar Sharif, Julie Christie und Geraldine Chaplin versammeln, sind sowohl die bombastisch in Szene gesetzten, winterlichen Szenenbilder und detailreichen Kostüme als auch die elegischen Kompositionen alter Schule jeweils wahrgewordene Träume.
Platz 14: Letztes Jahr in Marienbad (1961)
Von den insgesamt vier gelisteten, französischen Kinobeiträgen ist „Letztes Jahr in Marienbad“ sicherlich der mit Abstand sperrigste und in erster Linie ein Highlight für alle Freunde der avantgardistischer Stoffe und erhebt Erinnerungslücken zur Kunstform. Gewohnte, lineare Erzählebenen wurden von Regisseur Alain Resnais komplett über Bord geworfen und die nur aus vier Personen bestehende Darstellerriege bleibt dem Zuschauer nicht nur namentlich anonym und weit entfernt, worin im Grunde der Reiz der Parabel liegt. Insbesondere das visuell hochglanzpolierte, barocke Umfeld entfaltet ätherische Qualitäten erweckt den Eindruck eines realen Überbaus, während die darin eingebettete Handlung vollkommen offen lässt, ob es sich bei dem Gezeigten um Fiktion, Reminiszenz, Illusion oder Wahrheit handelt. Darüber zu entscheiden, obliegt allein der Interpretation des (geduldigen) Betrachtenden.
Platz 13: West Side Story (1961)
Nach dem Gewinn von zehn (!) Academy Awards übertrumpfte die Leinwandadaption von Leonard Bernsteins Bühnenmusicals „West Side Story“, das motivisch den Spuren von „Romeo & Julia“ folgt, kein geringeres Meisterwerk als „Vom Winde Verweht“. Ein enthusiastisches, stimmlich bemerkenswertes Ensemble, aus dem vor allem die Damen hervorstechen, wird zum Dreh- und Angelpunkt des aufwendigen Klassikers. Auch wenn der Oscarsieg von George Chakiris sicherlich mehr als diskutabel ist, erweiterte „West Side Story“ nicht nur genreintern die Grenzen des Umsetzbaren und besitzt noch heute eine wegbereitende, magisch-mitreißende Ästhetik. Zu den grandios choreographierten und interpretierten Songs wie „I Feel Pretty“, „Maria“, „America“ und „Somewhere“ erübrigen sich nähere Beschreibungen. Ob tatsächlich die Notwendigkeit einer Neuverfilmung besteht, wird sich alsbald zeigen, denn Steven Spielbergs Remake ist für Weihnachten 2020 angekündigt, sofern die Corona-Pandemie es zulassen sollte.
Platz 12: Ekel (1965)
Obwohl die Strömung des klassischen „Film noir“ bereits Ende der 1950er abebbte, entstand unter der Regie des damals erst 31-jährigen Roman Polański mit leichter Verspätung ein weiterer Gattungsvertreter, dem unglücklicherweise nicht die verdiente Würdigung zuteil geworden ist. Ähnlich wie der titelgebende Affekt bewegt sich auch die filmische Eigenkreation rund um die in Isolation gefangene Carole auf einer Ebene, in welcher der Zuschauer das düstere Geschehen observiert, obwohl er es phasenweise gar nicht erträgt. Entstanden ist eine vielseitig deutbare Parabel und ein unbequemer, schwarzseherischer Psychothriller mit Anleihen eines Horrorstreifens, das sich der menschlichen Einsamkeit ebenso widmet wie unverarbeiteten Kindheitstraumata sowie den Abgründen, die sich daraus ergeben können. Grandios ist dabei ein weiteres Mal die virtuose Darbietung von Catherine Deneuve.
Platz 11: Die Reifeprüfung (1967)
„Sie versuchen doch jetzt, mich zu verführen, nicht wahr?“ Dies dürfte eine der bekanntesten Filmfragen aller Zeiten sein. Dass die 1960er als die Dekade der Enttabuisierung schlechthin gelten, zeigt sich auch anhand der zugehörigen, zweiten Regieführung von Mike Nichols, denn erstmals überhaupt näherte man sich dem pikanten Sujet einer Liaison zwischen einem jungen Mann mit Mutter und Tochter zugleich. Spitzhumorig und angriffslustig arrangiert, erscheint speziell das Skript wie ein aufbäumender Triumphzug und läutete die Ära des „New Hollywood“ unterhaltsam ein. Während Dustin Hoffman bereits mit seinem ersten Schauspielengagement erahnen ließ, dass ihm eine lange, fruchtbare Karriere bevorstand, liefert ganz besonders Anne Bancroft eine herausragende, laszive und elektrisierende Performance in der Rolle des Mrs. Robinson, die von mehreren Kolleginnen (u.a. Doris Day) abgelehnt worden ist. Die ebenfalls noch recht ungewöhnliche Verwendung von zeitgenössischen Popsongs als Filmmusik rundet die temporeiche Inszenierung auch auf akustischer Ebene gelungen ab.
Platz 10: Cleopatra (1963)
Bis heute ist „Cleopatra“ der inflationsbereinigt kostenintensivste Film der Geschichte und wird umrankt von zahlreichen Legenden. Auch wenn die aufwendigen Dreharbeiten sich wegen des desolaten Zustandes von Elizabeth Taylor um Monate verzögert haben sollen, ändert es nichts daran, dass sie in der Rolle der ägyptischen Monarchin ein triumphales Meisterstück abliefert, das der mächtigsten Frau der Antike ein würdiges und obendrein faktenorientiertes Denkmal setzt und eine opulente, von Akkuratesse und blendenden Schauwerten gleichermaßen gekennzeichnete Chronik veredelt. Aufgrund der enormen Lauflänge von annähernd vier Stunden dürfte das Werk allerdings vor allem bei historienaffinen Zuschauern den größten Eindruck hinterlassen und staubte vier hochverdiente Oscars ab. Unvergessen bleibt der heroische Einzug Kleopatras in Rom.
Platz 9: Faust (1960)
Goethes „Faust – Der Tragödie erster Teil“, urveröffentlicht im Jahr 1808, dürfte nahezu allen als unabdingbare Pflichtlektüre des Deutschunterrichts bekannt sein und gilt nicht von ungefähr als eines der bedeutendsten Dramen der Literaturgeschichte. Die inzwischen exakt sechzig Jahre alte Verfilmung überzeugt nicht nur als herausragende, konsequent werkgetreue Bühnenwiedergabe und verzichtet auf unnötige Neudeutungen und Schnörkel, sondern brilliert vollends dank der universellen Vorlage und der beiden Hauptdarsteller. Speziell Gustav Gründgens merkt man an, dass er mit der diabolischen Figur des Mephistopheles nach unzähligen Theateraufführungen förmlich verschmolzen ist.
Platz 8: Jules und Jim (1961)
Einer der bedeutendsten Vertreter der „Nouvelle Vague“, der im Jahr veröffentlicht wurde, als John F. Kennedy US-Präsident wurde, ist, wie zeitgenössische Kritiker es treffend feststellten, ein überaus „intelligenter Film, der in keine Schablone passt“. François Truffauts „Jules und Jim“ erzählt von der Freundschaft zweier grundverschiedener Männer, die inmitten des Paris des „Fin de Siécle“ ihrer Leidenschaft nach Literatur und attraktiven Frauen verbindet. Das Gebotene transportiert nicht nur das Lebensgefühl der „Bohème“ eindrucksvoll für die Nachwelt, sondern entspinnt eine leidenschaftliche Dreiecksbeziehung, die nach Ausbruch des Weltkriegs zunehmend wehmütiger und düsterer anmutet und lediglich in ein tragisches Finale münden konnte. Eine grenzenlos harmonische Gestaltung mit beeindruckend fließender Wirkungsästhetik sowie hervorragende Dialoge garnieren die Genremischung, während die zwei Herren sowie die Grande Dame Jeanne Moreau von Anfang an involvierende Leistungen offerieren, denen es in keiner Minute an Authentizität und Einfühlungsvermögen mangelt. Letztlich hinterlässt nicht nur der Titel den Beigeschmack, dass das beidseitige Objekt der Begierde doch nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Platz 7: Die Hexe und der Zauberer (1964)
Die insgesamt achtzehnte abendfüllende Disney-Produktion ist zugleich einer der gelungensten, die leider gemeinhin nicht die verdiente Anerkennung gefunden hat. „Die Hexe unter der Zauberer“, inszeniert von einem gebürtigen Deutschen, erweckt die Artus-Legende zum Leben und verleiht ihr sowohl eine Menge zeitlosen Humors als auch Lehrreichtum und versteht es, das Publikum altersunabhängig anzusprechen. Liebevoll handgezeichnet und durchzogen von stimmungsvollen Musikstücken, kann insbesondere das vor Ideenreichtum sprühende Magierduell zwischen Merlin und Madame Mim als einer der magischen Disney-Momente gezählt werden, während der Kauz Archimedes die Sympathien an sich reißt.
Platz 6: Psycho (1960)
„Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter.“ Dieses mittlerweile zum geflügelten Wort avancierte Zitat skizziert das zynische Grundkonstrukt des wohl gelungensten Horrorfilms aller Zeiten rund um den mutterfixierten Motelbesitzer Norman Bates, der seinerzeit regelrechte Entrüstungsstürme hervorrief. Nicht nur aufgrund der wohl berüchtigtsten Duschszene überhaupt ist Hitchcocks Werk ein Meisterwerk des Suspense, das auch nach sechzig Jahren nichts von seiner schockierenden Sogwirkung verloren hat. Die voyeuristische Montage, in der vor allem aufwühlende Schnitte und der erstklassige Musikeinsatz dominieren, ist ein vielschichtiges Mosaik aus Stilmitteln und wiederkehrenden Motiven und man darf dankbar sein, dass dieser Film lediglich in Schwarzweiß über die Leinwand flimmerte.
Platz 5: Das Urteil von Nürnberg (1961)
Neben „Die Zwölf Geschworenen“, „Zeugin der Anklage“ und „Kramer gegen Kramer“ zählt auch Stanley Kramers „Das Urteil von Nürnberg“ zum Kanon der mit Abstand gelungensten, zeitlos signifikanten Gerichtsdramen, dessen größter Vorzug seine fehlerfreie Dramaturgie ist. Die Filmchronik beleuchtet die zwischen 1945 und 1949 durchgeführten Schauprozesse gegen die „Hauptverbrecher“ des NS-Regimes und setzt sich anhand fiktiver Charaktere mit der Frage nach der individuellen Schuld vor dem Hintergrund des Befehlsnotstandes sowie dem (Nicht-)Wissen der Bevölkerung auseinander. Aufgrund der Setgebundenheit entstand eine klaustrophobische Atmosphäre, die von einschneidenden Dialogen, psychoanalytischen Einblicken und authentisch-dokumentarischem Material durchbrochen wird. Größter Pluspunkt des Kammerspiels sind jedoch zweifelsohne die Leistungen der Darstellerriege. Während Maximilian Schell für die Rolle des aalglatten Verteidigers als einer der wenigen deutschsprachigen Schauspieler mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, hinterlassen die Auftritte von Judy Garland und Montgomery Clift als Geschädigte aber den meisten Eindruck und können lediglich als Sensationen bezeichnet werden.
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Platz 4: Lawrence von Arabien (1962)
Unter den Besten des Jahrzehnts darf eine Produktion natürlich nicht fehlen, die sich unter Filmfans noch immer im kollektiven Gedächtnis befindet und deren musikalische Arrangements einem schon nach Sekunden Gänsehaut über den Körper jagt. „Lawrence von Arabien“, gefilmt an Originalschauplätzen in Jordanien liefert, nicht nur nostalgische Bilder des Maghreb, sondern wählte den idealen Mittelweg zwischen historischer Chronik und intensiver Charakterstudie. Ironischerweise erhielt Peter O’Toole ebenjene Rolle, welche ihm Weltruhm und Karriereschub einbringen sollte, nur zufällig, da der ursprünglich vorgesehene Montgomery Clift sie abgelehnt hatte. Eine gewisse Verklärung im Hinblick auf die Vita des porträtierten Offiziers T.E. Lawrence (1888-1935) ist schwerlich von der Hand zu weisen, nichtdestotrotz ist der authentische Lehrcharakter ebenso hoch wie der über fast vier Stunden konsequent gehaltene Spannungsbogen. Das orientalische, grandios besetzte Wüstenepos blieb in vielen Belangen unerreicht und heimste vollkommen berechtigt insgesamt sieben Oscartrophäen ein.
Platz 3: Was geschah wirklich mit Baby Jane? (1962)
Oftmals sind es ebenjene Filmwerke, die nach ihrer Premiere harsche Kritik hervorriefen und sich rückblickend als provokant-satirischer Paukenschlag entpuppen. So ist es auch im Falle von „Was Geschah Wirklich Mit Baby Jane?“, der seiner Zeit schlichtweg voraus war und exzessiv vor Augen führt, wie weit Neid den Menschen treiben kann. Das effektvoll zwischen intensiver Psychostudie und groteskem Kammerspiel mit Hitchcock’schem Couleur pendelnde Drama beschäftigt sich mit der zerstörerischen Beziehung zweier Schwestern, die ein düsteres Geheimnis verbindet, das scheibchenweise enthüllt wird. Je schärfer die Wortwechsel werden, desto mehr glänzen die beiden, stets auf Augenhöhe agierenden Hauptdarstellerinnen und erzeugen eine nervenzerreißende Atmosphäre, die nicht nur im bitterbösesten Lachen der Filmgeschichte ufert. Die schwesterliche Kriegsführung mutet für den Zuschauer gerade deswegen besonders real an, weil Bette Davis und Joan Crawford sich auch privat alles andere als wohlgesonnen gegenüberstanden.
Platz 2: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? (1966)
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist eines der herausragenden Gesamtkunstwerke, das nicht nur bis ins Mark erschüttert und individuelle Filmpräferenzen prägte, sondern vielleicht das beeindruckendste Regiedebüt aller Zeiten darstellt. Dank der turbulenten Liaison der beiden Hauptdarsteller avancierte der Film zum Kassenschlager der 1960er wurde und ergatterte 13 Oscarnominierungen – jede davon aus gutem Grund. Basierend auf Albees gefeiertem Drama, liefert Mike Nichols einen Seelenstriptease, welcher nicht nur die vernichtende Kraft von Worten sowie die Folgen von aufgestauter Frustration widerspiegelt. Nach einer bewusst harmlos arrangierten Einführung steigert sich das nächtliche Treffen zweier Ehepaare auf engem Raum rasch zu einem derb-schwarzhumorigen, von Demütigung und verbaler Provokation gekennzeichneten, nervenzehrenden Verwirrspiel, bei dem lediglich ein Akteur die Fäden stringent in der Hand behält. Die Genialität der messerscharfen Dialoge entfaltet sich in stetig wechselnden Allianzen, psychosexuellen Anspielungen und reduzierten Phasen des Aufatmens, in denen minutiös klar wird, was alle Beteiligten geleistet haben. Dem überragenden, vierköpfigen Ensemble ist es zu schulden, dass man auch bei der zehnten Sichtung nicht wagt, die Augen auch nur für einen Lidschlag vom Bildschirm abzuwenden und insbesondere Elizabeth Taylor und Richard Burton zeigen tiefempfundene, virtuose Darbietungen wie aus einer anderen Galaxis, denen der Begriff Schauspiel beinahe nicht gerecht wird. Als der Schlusssatz, der die im Titel aufgeworfene Frage beantwortet, nach zwei Stunden fällt, möchte man als Zuschauer angesichts der gebotenen Schlachtfeldszenarien am liebsten entgegnen: „Ich auch!“
Platz 1: Der Löwe im Winter (1968)
Wie so oft im Leben, kann es nur einen geben. Im konkreten Fall gebührt die Goldmedaille einem historischen Schauspiel-Duell der Extraklasse aus dem Jahr 1968, das in vielen Belangen seinesgleichen vergeblich sucht! „Der Löwe im Winter“ bebildert ein Weihnachtsfest im Hochmittelalter und legt den Fokus auf die royalen Intrigen am Hofe von Heinrich II. (1133-1189) und seiner in Hassliebe verbundenen Gemahlin Eleonore von Aquitanien. Machtwahn, gegnerische Bündnisse und eine gehörige Portion schwarzen Humors bestimmen jeden der fein nuancierten, hochintelligenten Dialoge sowie die schrittweise anschwellenden Zwiste um die Thronfolge. Der Zuschauer wird zum Augenzeugen einer perfekten Synthese, was die Inszenierung anbelangt, welche die zeittypische, rustikale Lebensart vortrefflich illustriert und den Schauspielern ein unbändiges Maß an Raum zur darstellerischen Entfaltung lässt. Katharine Hepburn lebt die Rolle der mächtigsten Frau des Mittelalters, welche zuerst den Herrscher Frankreichs ehelichte und dann aus taktischen Gründen dessen Erzfeind, anstatt sie nur zu spielen – mit Raffinesse, Vielschichtigkeit und solcher Inbrunst, dass man niederknien möchte. Wieso sie sich ihre alternativlose Oscartrophäe ausgerechnet mit Barbra Streisand teilen musste, stellt dabei jedoch eines der großen Mysterien der Filmgeschichte dar. Lediglich Peter O’Toole vermochte es, ihrer entwaffnenden Präsenz standzuhalten, während Anthony Hopkins schon bei seinem ersten Leinwandauftritt Beeindruckendes leistet. „Der Löwe im Winter“ ist schlicht und ergreifend der Inbegriff der Vollkommenheit.