Anders als in den bisherigen drei Artikeln wird es diesmal keine Gegenüberstellung zweier Werke geben. Stattdessen liegt der Fokus auf einer Koproduktion, der nach ihrer limitierten Veröffentlichung in Programmkinos bedauerlicherweise nicht die verdiente Aufmerksamkeit zuteilwurde und welche nunmehr (nach langer Wartezeit) endlich vom heimischen Sofa aus einer Betrachtung unterzogen werden kann – und es auch sollte.
The Cakemaker (OT: האופה מברלין)
„Sad and sweet, with a rare lyricism.“ So urteilte damals eine Kritikerin der New York Times über das Regiedebüt von Ofir Raul Graizer, Jahrgang 1981, und trifft damit den Nagel vollends auf den Kopf. Trotz einer äußerst vorbelasteten Historie kreierten Israel und Deutschland in enger Zusammenarbeit einen stillen, Geduld abfordernden Film mit immenser Durchschlagskraft, der sowohl poetische als auch zutiefst lebensnahe Töne effektvoll miteinander vereint und nicht nur die LGBT-Community erreichen dürfte. Im Zentrum des melancholischen Werkes steht der Berliner Bäcker Thomas, der eine Affäre mit dem geschäftsreisenden Israeli Oren beginnt, bis der Kontakt eines Tages abbricht. Um ihm wieder nah zu sein, reist er nach Jerusalem und beschreitet damit ungewollt einen neuen Lebensweg. Was sich auf dem Papier liest, wie eine typische Romanverfilmung ist allerdings gar keine und fußt stattdessen auf einem Originaldrehbuch mit enormem Gespür für das Seelenleben der Beteiligten. Zarte Regungen in Mimik und Gestik verraten dem Oberservierenden überdeutlich, wie stark den einen sein eigenes Gewissen quält, während der andere zunehmend damit hadert, einen Mann nicht aus dem Kopf vertreiben zu können, der auf einem anderen Erdteil Ehefrau und Kind besitzt. Zwar nimmt die homoerotische Romanze im Hinblick auf die Screentime einen überschaubaren Umfang ein, dennoch bleibt sie der allgegenwärtige Angelpunkt, in dem man sich (unabhängig von der sexuellen Orientierung) stets wiederfinden kann und zu denen Rückblenden wohldosiert zurückstreben. Trotz stetiger Wechsel von Dialogen in Deutsch, Englisch und Hebräisch zeigt sich einmal mehr, dass manche zwischenmenschliche Aspekte schlichtweg universelle Wahrheiten sind. Darüber hinaus ist die offerierte Dreiecksgeschichte in vielen Belangen eine äußerst lehrreiche und kulturaustauschende Erfahrung, denn nicht nur die rituelle Stringenz jüdischer Speisegesetze dürften den wenigsten außerhalb des Nahen Ostens bekannt sein. Hinzugestellt sich eine großartige Filmmusik, die wie ein Konzertstück arrangiert ist und das Drama wie ein variierender, roter Faden durchzieht. Insbesondere der überwiegend in TV-Produktionen mitwirkende Hauptdarsteller Tim Kalkhof liefert eine tiefempfundene Darbietung, der man sich nur mit äußerster Mühe entziehen kann, doch auch der gebürtigen Französin Sarah Adler gelingt es, den Zuschauer mit glaubhafter Fragilität sprichwörtlich zu entwaffnen. Dass die Academy den israelischen Beitrag als „Bester fremdsprachiger Film“ von 2018 seinerzeit leider unberücksichtigt ließ, ist somit nicht unbedingt als Sternstunde der jüngeren Oscargeschichte anzusehen. Unabhängig davon ist „The Cakemaker” trotz kleiner Reserven im Mitteilteil ein starker, nachdenklich stimmender, psychologisch dichter Genrebeitrag über Vergänglichkeit, ureigene menschliche Sehnsüchte sowie die Begrenztheit von Geheimnissen.