
Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) kann kaum glauben, was da geschieht. Eigentlich wollte er seinen besten Freund Colm Doherty (Brendan Gleeson) pünktlich um 14 Uhr abholen, um mit ihm in den Pub zu gehen. So wie er jeden Tag um 14 Uhr bei ihm vorbeikommt, um mit ihm in den Pub zu gehen. Aber Colm will nicht in den Pub gehen. Zumindest nicht mit Pádraic. Genauer will er überhaupt nichts mehr mit diesem zu tun haben und beendet vom einen Tag zum nächsten die Freundschaft. Für Pádraic, der sonst nicht viel hat und dessen Leben auf der irischen Küste von wenigen Ritualen geprägt ist, geht damit eine Welt unter. Klar, da sind auch noch seine Schwester Siobhán (Kerry Condon) sowie der Dorfidiot Dominic Kearney (Barry Keoghan). Doch Pádraic ist fest entschlossen, diese Geschichte nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern für seine Freundschaft zu kämpfen, koste es, was es wolle…
Allzu oft dreht Martin McDonagh leider keine Filme, doch wann immer sich der britisch-irische Regisseur und Drehbuchautor, dessen Karriere beim Theater begann, mit einem neuen Werk zurückmeldet, darf man sich auf ein absolutes Highlight freuen! Nach (s)einem Oscar prämierten Kurzfilm und seinem gefeierten Filmdebüt Brügge sehen… und sterben? (2008) und der Groteske 7 Psychos (2012) folgte 2017 das preisgekrönte Three Billboards Outside Ebbing, Missouri – den ich in dem Jahr als Besten Film des Jahres erachte. Erneut fünf Jahre später gab es nun wieder Nachschub und McDonagh liefert mit The Banshees of Inisherin wieder einen Hochkaräter ab, vor allem schauspielerisch! So wurde die Tragikomödie allein bei den Golden Globes für alle vier Schauspielpreise nominiert plus Drehbuch, Filmmusik, Regie und Film. What a Package! Und jeder davon wäre zu rechtfertigen.

McDonagh lehrt uns in Banshees nichts für selbstverständlich zu nehmen. So steht im Mittelpunkt der Geschichte eine langjährige Freundschaft, die vom einen Tag zum nächsten plötzlich nicht mehr existiert. Grundlos geschieht so etwas nicht, davon sind Pádraic und die anderen überzeugt. Anfangs ist dann auch ein Running Gag, dass darüber diskutiert wird, was der Protagonist getan hat, das Colm zu dem Freundschaftsentzug bewogen haben könnte. Dabei ist die Antwort ebenso einfach wie grausam: Colm hat einfach keine Lust mehr und empfindet seinen täglichen Gesprächspartner als Zeitverschwendung. Eigentlich müsste die Geschichte damit zu Ende sein. Doch bei The Banshees of Inisherin geht es damit erst richtig los, wenn beide Seiten unerbittlich darum kämpfen: Die eine für den Erhalt der Freundschaft, die andere für deren Ende.
Das ist völlig absurd, weshalb der Film durchaus nachvollziehbar als Komödie bezeichnet wird. Und doch ist The Banshees of Inisherin einer der traurigsten Filme der letzten Zeit. So hat McDonagh eine ganze Reihe von Figuren vereint, die alle auf ihre Weise unglücklich sind, verloren auf einer Insel, auf der es Alkohol und Klatsch gibt, Tiere und Rituale. Aber keine Perspektive. Colm versucht sich durch die Musik zu retten. Siobhán muss gleich ganz die Insel verlassen. Dominic rennt einer Liebe hinterher, die er nie haben wird. Nur Pádraic schien mit dem Status Quo – 14 Uhr, Pub, Tiere – glücklich zu sein. Bis ihm dieser weggenommen wurde und er auf einmal keinen Sinn mehr sieht. Natürlich hatte sein Leben schon vorher keinen Sinn. Aber entweder merkte er das in seiner kleingeistigen Gutmütigkeit nicht oder es störte ihn nicht weiter.

Daraus hätte man einen Film machen können, in dem Figuren sich ihrer Probleme bewusst werden, sich konstruktiv damit auseinandersetzen und am Ende bessere Menschen werden. Gott sei Dank ist The Banshees of Inisherin nicht so ein Film geworden. Stattdessen stößt McDonagh seine Hauptfiguren immer weiter in den Abgrund, wenn sie auf absurde Weise am Leben scheitern. Irgendwann weiß man dann schon gar nicht mehr, ob man darüber lachen kann und will oder gar darf. Zu düster ist das, was auf der Insel geschieht. Zu düster ist auch das zeitliche Setting, wenn der Film immer wieder den Bezug zu dem irischen Bürgerkrieg 1923 herstellt. Auch dort standen sich Freunde plötzlich als Feinde gegenüber, kämpften erbittert miteinander, ohne dass es einen plausiblen Grund dafür geben würde. Das ist es auch, was bei der Tragikomödie zurückbleibt: die Sinnlosigkeit. Und eben der Schmerz, wenn mehr und mehr zu Bruch geht, alle zunehmend verlieren und kein Hoffnungsschimmer am Horizont zu entdecken ist, so oft man auch um 14 Uhr dagegen antrinkt.
Alles in allem ein sehr runder Film, der mit starken Dialogen und absurder Komik aufwartet. Besonders zu erwähnen, ist das herausragende Schauspiel des gesamten Casts, sowie die großartige Kameraarbeit und der Filmscore von Carter Burwell. Ein ganz besonderer Film, der eher Cineasten gefallen dürfte als dem Mainstreampublikum. Für mich ein Highlight des (noch) jungen Filmjahres, der bei einer Zweitsichtung sogar von 8/10 auf 8,5/10 angehoben werden könnte!
