Retroperspektive: Meine liebe Rabenmutter (OT: Mommie Dearest)

Mommie Dearest (1981) - Turner Classic Movies
Paramount Pictures

In den 30er Jahren befindet sich die Hollywood-Diva Joan Crawford auf der Höhe ihres Erfolgs. Sie wird mit Filmangeboten überhäuft und vom Publikum verehrt. Doch ihr sehnlichster Wunsch – ein Baby – erfüllt sich nicht. Um dem Bild einer perfekten Mutter und einer heilen Familie gerecht zu werden, adoptiert sie schließlich zwei Kinder, Christina und Christopher. Hinter der makellosen Fassade eines Familienidylls sieht es aber ganz anders aus: Nicht Liebe und Zuneigung erleben die Kinder, sondern sie sind den hemmungslosen Launen und der unerbittlichen Härte ihrer Adoptivmutter ausgeliefert und dienen von Anfang an als Requisiten einer Selbstinszenierung der Diva Joan Crawford…

Joan Crawford hatte bereits einige gescheiterte Partnerschaften hinter sich, als sie zwei Kinder adoptierte. Wie es scheint, mehr aus einer Laune heraus, denn die Crawford war im Leben wie auf der Leinwand ganz Diva. Herzenswärme und echte Gefühle waren nicht ihre Stärke. Diese Kinder waren ihr Prellbock, als ihre Karriere in den 40er Jahren merklich nachließ und sie ihren Trost mehr und mehr im Alkohol suchte. Auch als sie als Frau und später Witwe eines Industriellen finanziell bestens versorgt war, hielt sie ihre Kinder ausgesprochen kurz.

Meine liebe Rabenmutter (1981) - Film | cinema.de
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1977 starb die Crawford schwerreich und rechnete noch im Testament mit ihren Kindern Christina und Christopher ab, „for reasons best known to them‘ („aus Gründen, die sie selbst am besten kennen“) wurden die beiden enterbt. Christina, selbst Schauspielerin, schrieb ein Buch über ihre Stiefmutter, das ein Weltbestseller wurde: „Meine liebe Rabenmutter“. In der Verfilmung von Frank Perry (Doc) spielt Faye Dunaway eindrücklich die Crawford in ihrem Kampf um ihre Doppelrolle als überforderte Mutter und Schauspielerin, deren Ruhm zu verblassen droht. Die öffentliche Crawford war entschlossen, glamourös und bewundernswert, aber der Film enthüllt die private Crawford als Frau, die verzweifelt Mutter sein will, die ihre Kinder adoptierte, als sie alleine lebte, und die versucht, in der zerstörerischen Film-Industrie zu überleben. Der Zorn, die lähmende Belastung und der erschreckende Abstieg in Alkoholismus und Kindesmisshandlung werden eindrucksvoll und unvergesslich dargestellt.

Dennoch waren die Rezensionen damals vernichtend, es hagelte mehrere „Razzie Awards“ und Faye Dunaways Karriere hat sich von ihrem Mitwirken am Film nie wieder erholt, dabei ist sie wirklich grandios in der Rolle, auch oder gerade auch wegen zwei Szenen, die unter Trash-Fans bis heute immer wieder zitiert werden und in denen Dunaway nahe dem overacten ist oder vielleicht sogar mehr als drüber ist, wer vermag das schon sagen. Auch der restliche Cast kann sich sehen lassen, vor allem die junge Christina spielt hingebungsvoll, so dass sie einem echt nur Leid tun kann.

Celebrating malignant movie mothers at the Brattle and Coolidge | WBUR News
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Der 4-fache Oscarpreisträger Henri Mancini (Frühstück bei Tiffanys, Victor/Victoria, Die Tage des Weines und der Rosen) steuert die Filmmusik bei, Frank Perry – der für sein Erstlingswerk David and Lisa gleich eine Oscarnominierung als Bester Regisseur  einheimste – führte Regie und auch die Kamera von Paul Lohmann (Nashville) und die Ausstattung sind mehr als solide. Was war also schief gelaufen?

Ich würde es dem Drehbuch zuschreiben, welches die Mutter-Tochter-Beziehung sehr stark subjektiv und einseitig dargestellt. Auch merkte Paramount schnell, dass das Publikum den Film als unfreiwillige Komödie ansah und änderte die Werbung in satirischer Richtung: „Meet the biggest MOTHER of them all!“ Eigentlich brillant, aber verfehlte die eigentliche Intention. Dieser Bruch zwischen ernst gemeintem Drama und komödiantischem Marketing verwirrte und verärgerte Zuschauer und der Film, weshalb die Kritiker gnadenlos urteilten und der Film bis heute als Prototyp für das Scheitern hochkarätiger Produktionen gilt. 

Fazit: Ein stimmungsvolles Filmjuwel, zu unrecht oft als Trash bezeichnet wird. Der Film dürfte den Charakter der Diva Joan Crawford relativ zutreffend beschreiben, auch wenn manches übertrieben wirkt. Man mag die Crawford mögen oder nicht, interessant ist ihre Lebensgeschichte allemal. Eine Glanzleistung von Faye Dunaway, die wirklich alles gibt und die statt des Razzies eher eine Oscarnominierung, wenn nicht sogar die Trophäe selbst verdient hätte!

USA 1981 – 129 Minuten
Regie: Frank Perry
Genre: Drama
Darsteller: Faye Dunaway, Diana Scarwid, Steve Forrest Howard Da Silva, Mara Hobel, Rutanya Alda, Harry Goz, Michael Edwards, Jocelyn Brando, Priscilla Pointer, Joe Abdullah, Gary Allen, Selma Archerd, Adrian Aron, Xander Berkeley, Matthew Campion, Carolyn Coates, Jerry Douglas, Margaret Fairchild, Phillip R. Allen, James Kirkwood Jr., uva.
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