Das Historiendrama – ein ebenfalls unterschätztes, filmisches Genre! (Teil 9)

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Kurz vor den wohlverdienten Festtagen soll es, obwohl die aktuelle Filmpreis-Saison sich momentan in ihrer Hochphase befindet, noch einmal um eines meiner favorisierten Filmgenres gehen. In der inzwischen neunten Ausgabe möchte ich vier hochkarätig besetzte Kinoproduktionen ins Betrachtungszentrum rücken. Während uns eine von ihnen einen Einblick in die wohlhabende, amerikanische Gesellschaft der Zeit vor dem Sezessionskrieg offeriert, wird in einer anderen der Untergang des größten, jemals auf dem europäischen Kontinent existenten Reiches beleuchtet. Des Weiteren soll auch die leinwandbezogene, paarweise Rezeption der aus meiner Sicht bedeutendsten Regentin der gesamten Weltgeschichte, nach der sogar ein ganzes, glorreiches Zeitalter benannt worden ist, in Form eines Vergleichs nicht länger unberücksichtigt bleiben…

Die Erbin (OT: The Heiress)

Auf den ersten Blick entspricht das vor unglaublichen 65 Jahren veröffentlichte, von Kritikern wie Publikum gleichermaßen gefeierte Drama „Die Erbin“ sicherlich eher einer Mischform aus Kammerspiel, Melodram, Kostümfilm und Charakterstudie als dem Typus eines klassischen Historiendramas, insbesondere weil keine geschichtlich bedeutsame Person darin vorkommt. Dennoch hat mich primär die Konzentration auf gesellschaftliche Faktoren eines engen Zirkels der gehobenen Gesellschaft New Yorks des 19. Jahrhunderts dazu bewegen, Wylers Werk in diese Reihe einzuordnen. Der gesellschaftliche Rahmen sowie die psychologische Skizze individueller Emanzipation würden darüber hinaus genug Anknüpfpunkte für die heutzutage noch in den Kinderschuhen steckende geschichtliche Genderforschung bieten. Das Porträt basiert auf dem Bestseller und bedeutsamsten epischen Werk „Washington Square“ von Henry James. William Wyler, der durch sagenhafte zwölf Nominierungen am häufigsten für einen Oscar vorgeschlagene Regisseur aller Zeiten, drehte mit „Ben Hur“, „Mrs. Miniver“ und „Ein Herz Und Eine Krone“ weitere filmische Attraktionen, doch insgesamt kann sich aus meiner Sicht keiner der Genannten mit der ganzheitlichen und nachwirkenden Perfektion dieser Literaturverfilmung messen.

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Das Porträt rund um die aufgrund ihrer Unbedarftheit und Naivität ungeliebte Arzttochter Catherine Sloper, welche sich unsterblich in einen charmanten Bonvivant verliebt und schlussendlich eine bittere Enttäuschung erleben muss, durch die sie schließlich über sich hinaus wächst, zeichnet sich nicht nur durch eine stilsichere Werk- und Kontexttreue aus, sondern auch durch eine zurückhaltende, gleichermaßen dichte Atmosphäre, die es einem erlaubt, tief in die Psyche der anfangs gehemmten Protagonistin einzudringen. Ihre Gefühlsturbulenzen in Form des „Zwischen-den-Stühlen-Sitzens“ werden durch die konsequente Zeichnung der einzelnen Figuren und deren konträren Beweggründen nachfühlbar, gleichermaßen aber auch die strengen Etiketten, Ambitionen sowie die Kavalierstouren und Heiratsgebote der höheren, angloamerikanischen Sozietät. Insbesondere der Umstand, ebendiesen Ansprüchen der eigenen Eltern nicht zu entsprechen, muss als multipel übertragbare Komponente aufgefasst werden. Die Dialoge beleuchten sowohl die alltäglichen und romantischen Sequenzen perfekt, dennoch sind sie vor allem in den aus psychologischer Perspektive dramatischen Momenten gekennzeichnet von einer messerscharfen, expressiven und teilweise frappant sarkastischen Linguistik, die sich langfristig in das Gedächtnis des Publikums einzubrennen vermag. Evident gewählt wurden kleine Abweichungen von der Vorlage, die wiederum für eine stärkere Fokussierung auf die vier wichtigsten Akteure sorgen. Die Investition von damals hoch bemessenen 3 Millionen US-$ hat sich auch auf optischer Ebene vollends gelohnt. Zu Recht brachte „Die Erbin“ der Kostümdesignerin Edith Heath, welche mit acht Oscartrophäen (!) die am häufigsten ausgezeichnete weibliche Person innerhalb der Filmhistorie darstellt, den allerersten Sieg in der erst kurz zuvor etablierten Kategorie ein, denn Kleider und Anzüge im viktorianischen Stil sind vortrefflich und stechen einem trotz des schwarz-weißen Bildes ins Auge. Das zeittypische Szenenbild ist aufwendig, tritt aber wegen seltener Ortswechsel zugunsten der inhaltlichen Konflikte bewusst in den Hintergrund. Als besonders gelungen muss auch der Widerspruch zwischen den üppigen Ausstattungselementen und der dramaturgisch ausgestrahlten emotionalen Kälte erachtet werden. Aaron Coplands Filmmusik ist ebenfalls durch und durch erstklassig, gerade weil sie ansprechend zwischen harmonischer Klavierbegleitung, anschwellenden Klängen und reduzierter Auslassung pendelt.

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Auch das kleine, aber feine Schauspielensemble beeindruckte mich bereits bei der ersten Sichtung vor mehr als zehn Jahren. Insbesondere die großartige Olivia de Havilland, welche vor die herausfordernde Aufgabe gestellt worden ist, eine reizlose Frau darzustellen, was sie – damals dreißigjährig – eindeutig nicht war, punktete durch ihre zweischneidige Einfindung in eine Figur, die anfangs einem unbeholfenen, selbstzweifelnden und naiven Mauerblümchen entspricht und dann zur herzlosen, gleichermaßen eleganten Dame heranreift. Mit hohem Maß an Facettenreichtum und Glaubhaftigkeit zeigt die hierin die vielleicht beste und fesslendste Performance ihrer nicht gerade an Höhepunkten mangelnden Karriere, speziell in den abschließenden 20 Minuten. Allein die Endszene, in der Catherine mit der Lampe und einem vielfältig deutbaren Blick die Treppe emporsteigt, ist Gold wert. Der Gegenpart, gespielt von Montgomery Clift, überzeugte bereits in seinem zweiten Hollywood-Engagement als ambivalenter Erbschleicher, während Ralph Richardson in der Rolle des geringschätzigen Vaters ebenfalls sein ganzes Können unter Beweis stellen konnte. Hinzu kam eine erfrischend quirlige Darstellung von Miriam Hopkins.

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„Die Erbin“ fungiert letztlich als eindeutiger Beweis dafür, dass für ein zeitloses, hochemotionales Meisterwerk grundsätzlich nicht mehr nötig ist als fantastische Akteure und ein gestochen scharfes Drehbuch mit tiefenpsychologischen Akzenten. Er enthält neben den Rollen in „Vom Winde Verweht“ und „Die Schlangengrube“ nicht nur einen der stärksten Auftritte von de Havilland, sondern ist darüber hinaus mein Lieblingsfilm des gesamten Jahrzehnts, der die Hälfte seiner acht Oscarnominierungen in Gewinne ummünzen konnte. Bis heute entzieht es sich meinem Verständnis, warum jedoch ausgerechnet das anspruchsvolle, perfekt adaptierte Skript keine Berücksichtigung gefunden hat, denn viel besser kann man einen Roman schlichtweg nicht auf die Leinwand bringen. Bravo!

USA 1949 - 114 Minuten Regie: William Wyler Genre: Historienfilm / Liebesdrama / Literaturverfilmung Darsteller: Olivia de Havilland, Montgomery Clift, Ralph Richardson, Miriam Hopkins, Vanessa Brown, Betty Linley, Ray Collins, Mona Freeman
USA 1949 – 114 Minuten
Regie: William Wyler
Genre: Historienfilm / Liebesdrama / Literaturverfilmung
Darsteller: Olivia de Havilland, Montgomery Clift, Ralph Richardson, Miriam Hopkins, Vanessa Brown, Betty Linley, Ray Collins, Mona Freeman

 

Elizabeth

„Gloriana“, „jungfräuliche Königin“, „ewige Regentin“, „Good Queen Bess“ oder „Sturmbezwingerin“ – dies sind nur einige der populären Titularien von Elizabeth Tudor, welche als Tochter Heinrichs VIII. im Jahr 1558 den englischen Thron bestieg und ihn erst nach viereinhalb Dekaden wieder räumen sollte. Die Briten verehren die glanzvolle Herrscherin noch heute in ähnlichem Maße wie die derzeit amtierende Namensvetterin. Zwar wurde insbesondere das Wirken als Förderin des Theaters und von Shakespeare’schen Werken mehrfach in Leinwandproduktionen umgesetzt, doch erst der indische Regisseur Shekhar Kapur sorgte 1998 dafür, dass auch der übrigen Welt auf filmischer Ebene ein tieferer, reflektierter Einblick in die ereignis- und intrigenreiche Elisabethanischen Regentschaft inmitten der frühesten Neuzeit gewährt wurde. „Elizabeth“ wurde für sieben Oscars nominiert und hat sich jede einzelne Nennung verdient.

Elizabeth (1998) Cate Blanchett (Screengrab)

Nach einem gigantisch inszenierten Start wird das Publikum Zeuge der politisch-gesellschaftlichen Verwicklungen zwischen 1554 und 1963. Nachdem die Despotin Mary, Elizabeths Halbschwester, kinderlos stirbt, muss diese ein schweres Erbe antreten, denn England wurde durch den konfessionellen Konflikt beinahe entzweigerissen. Der überzeugten Protestantin, welcher anfangs eine riesige Zahl an inneren Feinden gegenübersteht, werden rasch Heiratskandidaten vor die Nase gesetzt, um ihre Macht repräsentativ festigen zu können, doch mithilfe der Niederschlagung von Mordkomplotten mithilfe ihres engsten Vertrauten Francis Walsingham und der Verabschiedung eines religiösen Toleranzedikts bewies sie nicht nur Stärke, sondern auch, dass sie keinen Ehemann benötigte und sich in erster Linie mit ihrem Volk verheiratet fühlte. Die einzelnen Schritte bis zur öffentlichen Legitimierung ihres Herrschaftsanspruches wurden in ihren Grundfesten historisch einwandfrei geschildert, allerdings wurden manche Details aus dramaturgischen Gründen beigefügt und später involvierte Akteure früher datiert. So hielt man sich bezüglich der Verschwörung größtenteils an Fakten, welche für die essentielle Spannung in Form eines roten Fadens sorgt, leider wurde darin jedoch der Liebhaber und Jugendfreund der Königin eingebunden, sodass gerade seine Personenzeichnung arg verfälscht worden ist und der amouröse Strang eine Spur zu unbeholfen und süßlich ausgestaltet wurde, wenngleich es der Handlung durchaus diente. Dass der Papst Elizabeth als „Hure“ bezeichnete, entstammt ebenfalls dem Reich der Fantasie. Dennoch kommt das Drama gerade aufgrund der idealen, teils überlieferten Dialoge in Bezug auf die Ränkespiele und dem steten Fokus auf die Gefühle der Protagonistin wunderbar ohne Einbeziehung außenpolitischer Faktoren aus. Wenngleich die Auflösung der Intrige nicht ganz so überzeugend zu Ende geführt wurde wie der Aufbau es vermuten ließ, wird am Schluss der Anbruch einer neuen Epoche für den Zuschauer spürbar. Eine zwischen Düsterheit und Opulenz pendelnde Gestaltung, opulente Klängen und einer gut gewählten Kameraperspektive verbinden sich wohldosiert zu geschichtlicher Seriosität mit Unterhaltungscharakter. Sämtliche Kennzeichen der pompös ausstaffierten Hoffeste wurden exakt, aber wegen der wiederkehrend dämmrigen Grundstimmung nicht übertrieben visualisiert. Vor allem der Dreh im York Minister, dem größten Sakralgebäude der Insel, war extrem gewinnbringend und bebilderte die grandiose Krönungsszene brillant. Zum oscarprämierten, akribischen Make-Up muss man nicht viel sagen, denn die Darstellerriege ähnelte den historischen Vorbildern gesamtheitlich.

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Ohne die mindeste Beanstandung hat Cate Blanchett in einer ihrer ersten Filme Riesengroßes geleistet, denn angesichts eines solch heroisierten Persönlichkeit hätte die Rolle auch sehr karikaturesk oder – gegenteilig – belanglos verkörpert werden können, doch sie ist damit verschmolzen und verlieh ihr zeittypischen Geist, Vielschichtigkeit, Schönheit und Substanz. Gerade die individuelle Reifung vom lebenslustigen Mädchen zur geradlinigen, erst dritten Königin Englands wurde äußerst nachfühlbar und reflektiert dargestellt. Zwar zähle ich mich nicht zur Mehrheit, die Gwyneth Paltrow Oscarsieg als Apokalypse ansehen, fest steht jedoch, dass Blanchett ihre Aufgabe grandios und deutlich besser gemeistert hat. Zudem brillierte Kathy Burke als wahnsinnige Amtsvorgängerin, die sich wegen ihrer Protestantenhasses und Blutrünstigkeit gegenüber den Protestanten den Beinamen „Bloody Mary“ erwarb und auch Geoffrey Rush, Richard Attenborough und Christopher Eccleston leisteten souveräne Arbeit. Inmitten des sehenswerten Ensembles agierte lediglich Vincent Cassel in seiner übertrieben komödiantisch gezeichneten Rolle durchweg „over the top“.

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Zwar hapert es gerade im Hinblick auf das Drehbuch an einigen Ecken, dennoch muss „Elizabeth“ als gesamtheitlich gelungener Versuch angesehen werden, einen der spannendsten Abschnitte der britischen Geschichte für heutige Menschen lebendig werden zu lassen. Wäre „Shakespeare In Love“ nicht in derselben Saison erschienen, hätte die opulente Biographie sicherlich auch mehr gewonnen als einen einzigen Oscar. Da bin ich mir ziemlich sicher!

UK 1998 - 124 Minuten Regie: Shekhar Kapur  Genre: Historiendrama / Biographie Darsteller: Cate Blanchett, Geoffrey Rush, Christopher Eccleston, Joseph Fiennes, Richard Attenborough, Vincent Cassel, Kathy Burke, John Gielgud, Daniel Craig, Eric Cantona
UK 1998 – 124 Minuten
Regie: Shekhar Kapur
Genre: Historiendrama / Biographie
Darsteller: Cate Blanchett, Geoffrey Rush, Christopher Eccleston, Joseph Fiennes, Richard Attenborough, Vincent Cassel, Kathy Burke, John Gielgud, Daniel Craig, Eric Cantona

 

Elizabeth – Das Goldene Königreich (OT: Elizabeth: The Golden Age)

Oftmals – besonders häufig innerhalb der Animationssparte werden Fortsetzungen meines Erachtens primär deswegen fabriziert, um einen noch höheren finanziellen Erfolg verbuchen zu können. Im Falle des neun Jahre später entstandenen Historiensequels „Elizabeth – Das Goldene Königreich“ jedoch, machte ein nachfolgender Teil uneingeschränkt Sinn, da viele Details aus der 45 Jahre andauernden Regentschaft durch den Vorgänger nicht dargeboten werden konnten. Ihr Leben bot zweifelsohne genug Substanz für zwei Spielfilme, sodass nun erneut unter der Regie von Kapur das zweite Kapitel ihrer Vita aufgeschlagen wurde, welches inhaltlich den hegemonialen Machtzenit des Königreiches markierte. Allerdings hätte ich trotz hoher Erwartungen vorab in der Tat nicht erwartet, dass der bereits wirksam inszenierte Wegbereiter überboten werden würde. Deshalb bietet es sich an, die beiden Leinwandadaptionen auf allen Ebenen miteinander in Relation zu setzen…

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Die sicherlich nicht vollends fehlerfreie, aber eindrucksvolle Handlung setzt im 27. Regierungsjahr Elizabeths ein und erstreckt sich über ein halbes Jahrzehnt bis zum Tod ihres engsten Vertrauten Walsingham. Somit finden wir erneut eine fokussierte Beleuchtung eines kurzen, wenngleich ebenso krisengeprägten Abschnittes vor, in dem man sich auf die Aspekte zur Machterhaltung konzentrierte. Die Formung eines klimaxartig arrangierten Spannungsbogens ist besonders eindringlich geglückt, denn während die unter Maria Stuart veranlasste Babbington-Verschwörung den zentralen Konflikt der ersten Hälfte bildet, geht es in der zweiten um Umstände und Höhepunkt des Konflikts mit der vormals übermächtigen Seemacht Spanien. In Form von Elizabeths ehemaligem Schwager Philipp II., der zu Recht als erzkatholischer Fanatiker gekennzeichnet wurde, erhielt die Protagonistin einen präsenten, aussagekräftigen Feind, der die Integrität des florierenden Englands zu bedrohen beabsichtigte. Durchzogen wird die geschichtsbezogene Dramaturgie von individuellen Details innerhalb des höfischen Mikrokosmos, beispielsweise der fortbestehenden Ledigkeit Elizabeths oder aber die Avancen von Seiten des Freibeuters Walter Raleigh, welcher Kartoffeln und Tabak nach Europa brachte und (laut der humorvoll eingeflochtenen Anekdote) der Königin seinen eigenen Umhang vor die Füße warf, um sie vor einer Pfütze zu bewahren. Sicherlich könnte man beanstanden, dass Personenentwicklungen abseits der „Gloria Regina“ nicht genug aufgeschlüsselt wurden und man hochkomplexe Abschnitte recht flüchtig abarbeitete, doch ich konnte damit bestens leben, da der Fokus sich augenscheinlich auf das zwiegespaltene, von Unbeugsamkeit, Menschlichkeit und dem Umgang mit Enttäuschungen gleichermaßen geprägte Seelenleben der Königin richtete. Während in „Elizabeth“ gerade die Anfangssequenz die stärkste darstellt, erscheint hierbei die abschließende halbe Stunde als nahezu perfekt, was entscheidend an der schrittweisen Zuspitzung, der Gestaltung, den scharfzüngigen Dialogen und im Besonderen an der episch angelegten Allegorie im Zusammenhang mit der finalen Schlacht, bei der im Beisein der Tudor-Monarchin die Hälfte der feindlichen Flotte zerstört wurde. Der Schlussteil jedenfalls ist aus meiner Sicht ein cineastischer Hochgenuss und enthält darüber hinaus sinngemäße, wenn auch nicht wortwörtliche Auszüge aus der weltbekannten Tilbury-Rede.

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Ein großes Problem stellt im Gegenzug der Fakt dar, dass die reale Person beim Kampf gegen die Armada bereits in ihren 50ern war, Blanchett beim Dreh aber gerade erst ihren 37. Geburtstag gefeiert hatte. Darauf zu warten, bis sie das Rollenalter erreichte, war freilich keine Option, doch dieses Momentum schwingt im Hintergrund mit, obschon die Maskenbildner ihr absolut Bestes gaben, sie zunehmend älter erscheinen zu lassen. Die Kostüme sind in ihrer Art der schiere Wahnsinn und stellen den erreichten visuellen Reiz von 1998 in den Schatten. Vermutlich müssen die ausschweifenden, detailreichen, farbgesättigten, schillernden Roben sogar als die beste Designer-Arbeit innerhalb der Filmgeschichte angesehen werden. Nicht nur so mancher Modefan wird dabei in Ekstase geraten, denn die zu Recht oscarprämierte Alexandra Byrne hat es geschafft, den mit der Zeit ausufernden Enthusiasmus der Herrscherin für erlesene Mode und folglich den Scheitelpunkt ihrer Macht für den Zuschauer sichtbar werden zu lassen. Schließlich war Elizabeth eine Exzentrikern, was die Kleidung ihres Hofstaates anbelangte und zu Lebzeiten ein ikonisches Vorbild eines ganzen Kontinents. Hinzu kommen prachtvolle Effekte im Hinblick auf den Seekrieg und eine Kameraführung, der man sich nicht entziehen kann. Krönend sind die bombastischen Klänge von Craig Armstrong, allen voran das Stück namens „Storm“. Man hat es somit verstanden, den Film extraordinär auszustatten, ohne dabei das große Ganze, und zwar die goldene, gleichwohl von vielen Widerständen durchzogene Epoche zu vergessen.

Ohne den mindesten Zweifel hat Blanchett ihre schon großartige Leistung als junge Throninhaberin überboten, denn ihr wurde die Gelegenheit zu geben, die gereifte, vor Selbstbewusstsein, göttlicher Legitimation und Zynismus strotzende Figur noch facettenreicher und erhabener darzustellen. Viele Momente, beispielsweise die Szene, in der sie sich ihren Gegnern entgegenstellt, indem sie sich mit Naturgewalten vergleicht, jagen einem eine Gänsehaut ein. Außerdem wurde durch ihr tief empfundenes Agieren deutlich wie schnell aus unerfüllter Liebe Grausamkeit erwachsen konnte. Neben einem charismatischen Auftritt von Clive Owen und einem erneut spielfreudigen Geoffrey Rush war ich besonders angetan von Abbie Cornish als konkurrierende Hofdame. Das restliche Ensemble ist trotz einiger Neuzugänge sehenswert, obwohl der erste Teil diesbezüglich die etwas stärker entfalteten Nebendarstellungen aufweist.

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Aus all diesen Gründen finde ich die Adaption von 2007 im direkten Vergleich zum Vorläufer entgegen des Kritikertenors nicht nur ebenbürtig, sondern summa summarum in mehreren Aspekten überlegen. Wenn man das Für und Wider beider Porträts über eine der bedeutendsten europäischen Herrscherinnen direkt gegenüberstellt, wird jedoch klar, dass man sich in beiden Fällen auf sehr hohem Niveau bewegte. Angesichts so mancher Rezensionen muss ich daher anzweifeln, dass die Fortsetzung tatsächlich von allen gesehen worden ist. Letztlich stellt jedoch „Elizabeth – Das Goldene Königreich“ eine beeindruckende, spannend ausgearbeitete Wiedergabe eines starken Frauenmoments in der Weltgeschichte dar, der sicherlich nicht nur Philipp von Spanien in Angst versetzt haben dürfte. Man darf nun gespannt sein, ob es zu einer erneuten Fortsetzung kommt, in der die Frage nach der Thronfolge bebildert werden könnte. „God Save The Most Glorious Queen!“

UK / F 2007 - 114 Minuten Regie: Shekhar Kapur  Genre: Historiendrama / Biographie Darsteller: Cate Blanchett, Clive Owen, Rhys Ifans, Samantha Morton, Geoffrey Rush, Abbie Cornish, Eddie Redmayne, Tom Hollander, Jordi Mollà, Malcolm Storry
UK / F 2007 – 114 Minuten
Regie: Shekhar Kapur
Genre: Historiendrama / Biographie
Darsteller: Cate Blanchett, Clive Owen, Rhys Ifans, Samantha Morton, Geoffrey Rush, Abbie Cornish, Eddie Redmayne, Tom Hollander, Jordi Mollà, Malcolm Storry

Die Letzte Legion (OT: The Last Legion)

Mir tut es schon fast leid, dass es wieder ein Werk, das im Altertum spielt, ist, welches von mir gnadenlos abgewatscht werden muss. Aber: Nur fast! 🙂 Ganz im Stil von „Alexander“ wurde ein weiteres Mal das komplette Potential eines Epochenübergangs verschenkt, denn anhand von Doug Leflers „Die Letzte Legion“ wurde augenscheinlich und krampfhaft versucht, eine obskure Mischung aus Historienepos, Actiongemetzel und Fantasiefilm als Blockbuster zu verkaufen, um möglichst viele, anspruchsarme Geschmäcker anzusprechen. Wer nun ein Freund derartiger Produktionen ist, kann sich den Anderthalbstünder natürlich gern einmal selbst antun, ich hingegen fühlte mich trotz ohnehin nicht allzu hoher Erwartungen nach der beinahe vorzeitig abgebrochenen Sichtung in etwa so entzückt wie nach einer besonders schwerwiegenden Wurzelbehandlung…

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Anfänglich geht um die Umstände des Niedergangs des aufgrund der gotischen Völkerwanderung instabil gewordenen Weströmischen Reiches, als der minderjährige und letzte Kaiser Romulus Augustulus vom Feldherren Odoaker abgesetzt wurde… Was zu Beginn noch mehr oder weniger plausibel und aus allgemeingeschichtlicher Sicht annähernd korrekt erscheint, entwickelt sich rasch zu einem wirren, unnötigen Possenspiel, welches derart zahlreiche und krasse Fehler sowie Lachhaftigkeiten enthält, dass es müßig wäre, alle aufzulisten. Dennoch dürfte allein die Synthese vom Zusammenbruch des wehrlosen Imperiums mit der legendären Artus-Sage selbst einem überzeugten Geschichtslegastheniker tausende von Fragezeichen in den Kopf jagen. Mit grundlegenden Jahreszahlen und Zusammenhängen wird vollkommen dilettantisch umgegangen – so wurde der Römische Verband im Jahr 476 aufgelöst, nicht 460 – und, während Romulus in Realität seinerzeit getötet wurde, „darf“ er hier weiterleben und flüchtet mit einigen Getreuen nach Britannien, wo man auf eine übriggebliebene Legion trifft. In Angelsachsen angekommen, entpuppt sich der ehemalige Kaiser plötzlich als derjenige, der laut Erzählung das Schwert Excalibur unter Mithilfe Merlins aus dem Stein zieht. Ah ja! Genau! Grundsätzlich mag ich sagenhafte Stoffe sehr gern, aber diese Story ist ungefähr so hirnrissig, als wäre unsere Bundeskanzlerin zugleich die Tochter der Göttin Aphrodite. Wenn man hier schon Fantastereien betreiben muss, hätte man lieber komplett auf eine geschichtliche Verankerung verzichten und stattdessen etwas Neues erfinden können. Das wäre dann aber wohl zu viel Aufwand gewesen… Allein die nichtssagenden, zwischen die Kampfszenarien gequetschten, oftmals sinnleere und ermüdende Wortwechsel sind schwer zu ertragen und nehmen jedwede Möglichkeit, irgendeine Form an Spannung zu erzeugen.

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Lieblose, wahllos zusammengewürftelte Kulissen und eine überraschend uninspirierte Filmmusik sorgen dafür, dass nicht einmal die inszenatorische Sphäre zu überzeugen weiß. Bei einem Budget von fast 70 Millionen US-$ hätte man durchaus erwarten können, dass die Szenenbilder nicht derart billig aussehen würden und man mehr liefert als einhundertfach gesehene Brustpanzer und Kleidchen aus anderen Zeitaltern. Schnitt und Kamera sind dagegen ganz in Ordnung. Schockierenderweise spotten nichtsdestotrotz nahezu alle Darstellerleistungen jeder Beschreibung. Ich liebe Colin Firth bekanntermaßen wegen seiner beiden oscarnominierten Rollen und er glänzt auch des Öfteren im Komödiengenre, aber die Rolle eines couragierten Feldherren war – man möge mir die Wortwahl nicht übel nehmen – ein Griff in die Kloschüssel, denn er blieb bis zuletzt trotz einiger Ambitionen völlig unglaubwürdig und hölzern. In den letzten Jahren hatte insbesondere auch Ben Kingsley leider ein Händchen dafür, entweder in Filmen mitzuwirken, die insgesamt nahezu perfekt waren oder aber ganz mies. Selbst sein Engagement kann keinesfalls zur Brandlöschung beitragen, gerade weil die restlichen Ensemblemitglieder allesamt agierten wie in einem flatterhaften Amateurtheater.

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Neben einer Handvoll nett anzusehender Schwertkämpfe liegt der wohl einzige Vorteil des sogenannten „Historiendramas“ darin, dass seine Laufzeit glücklicherweise nur anderthalb Stunden umfasste. Allen Beteiligen möchte ich jedoch entgegen schreien: Was habt ihr euch nur bei diesem Schund gedacht? Folglich steht weiterhin die Frage zur Diskussion, ob es im 21. Jahrhundert überhaupt noch möglich ist, Filme mit antiker Handlung gelungen zu inszenieren. Ich für meinen Teil glaube nach dem ganzen Einheitsbrei langsam nicht mehr daran… Sofern man „Die Letzte Legion“ ausschließlich im Licht eines Geschichtsfilms sieht, würde unsere bewährte Benotungsskala definitiv für die punktuelle Wiedergabe nicht mehr ausreichen. Den einen Gnadenpunkt gibt es somit mit viel Wohlwollen ausschließlich für einige ertragbare Fantasyelemente.

USA / UK / F 2007 - 99 Minuten Regie: Doug Lefler Genre: Historienfilm / Action / Abenteuer Darsteller: Colin Firth, Ben Kingsley, Thomas Sangster, Aishwarya Rai, Peter Mullan, John Hannah, Rupert Friend, Harry van Gorkum, Owen Teale, Ian Glen
USA / UK / F 2007 – 99 Minuten
Regie: Doug Lefler
Genre: Historienfilm / Action / Abenteuer
Darsteller: Colin Firth, Ben Kingsley, Thomas Sangster, Aishwarya Rai, Peter Mullan, John Hannah, Rupert Friend, Harry van Gorkum, Owen Teale, Ian Glen
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