Das Historiendrama – ein ebenfalls unterschätztes, filmisches Genre! (Teil 10)

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Aufgrund der gesteigerten Konzentration auf die diesjährigen Oscar-Anwärter sind einige Wochen ins Land gegangen, bis ich nun bei dem 10. Teil meiner illustren Geschichtsreihe angelangen konnte. In dieser „Jubiläumsausgabe“ sollen, angelehnt an die Anzahl der bedeutendsten Weltreligionen, genau fünf Produktionen im Mittelpunkt der Analyse stehen, die sich allesamt stark auf religionsgeschichtliche Sujets konzentrieren, was häufig ein heikles Unterfangen darstellt. Die erneut auf qualitativer Ebene stark differierenden, in unterschiedlichen Epochen angesiedelten Werke zeichnen sich dadurch aus, dass dem Publikum anhand der frommen Protagonisten Einblicke in die jeweilige Glaubensgemeinschaft und deren sozialen Einfluss gewährt werden – oder diese wertvolle Möglichkeit eben völlig verschenkt worden ist.

Die Dornenvögel (OT: The Thorn Birds)

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Nachdem ich im Rahmen dieser Kolumne mit „Vom Winde Verweht“, „Gefährliche Liebschaften“ und „Die Zwillinge“ bereits zwei Bestseller(-verfilmungen), die mir besonders lieb und teuer, ausführlich vorgestellt habe, fehlt in meiner Favoritenliste nun zweifellos die bekannteste Romanadaption der australischen, im Übrigen vor erst zwei Wochen verstorbenen Schriftstellerin Colleen McCullough. Die mittlerweile drei Jahrzehnte alte TV-Produktion „Die Dornenvögel“ erfreut sich nicht nur bei allen Freunden von Herzschmerz-Geschichten äußerster Beliebtheit, sondern gilt noch vor „Fackeln Im Sturm“ und „Engel In Amerika“ als höchstbewertete und bezüglich des Zuschauerinteresses mit Abstand langlebigste Miniserie aller Zeiten. Gründe dafür gibt es unzählige, vor allem aber sind sich im konkreten Fall die Vorlage und die Adaption absolut ebenbürtig, was grundsätzlich einen gewissen Seltenheitswert besitzt.

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Beginnend mit dem Jahr 1920 wird in der vierteiligen, annähernd achtstündigen Filmfassung die fiktive Lebensgeschichte der aus Neuseeland stammenden Farmerfamilie Cleary und des katholischen Geistlichen Ralph de Bricassart geschildert, die sich über ein halbes Jahrhundert und drei Generationen erstreckt. Maggie, die einzige Tochter, hegt seit der ersten Begegnung zärtliche Gefühle für den überaus ambitionierten Pfarrer und als sie zur Frau heranwächst, verliebt auch er sich in sie, wodurch der von ihm geschworene Eid auf die heiligen Gelübde zunehmend ins Wanken gerät… Im Gegensatz zur Romanfassung wurden in der Fernsehadaption die Jahre zwischen 1935 und 1954, somit der komplette Zweite Weltkrieg außen vor gelassen. Dennoch tritt der geschichtliche Kontext nie wirklich in den Hintergrund, denn neben dem amourösen Handlungsstrang sowie der familiären Chronologie im Wandel der Dekaden werden globale Zäsuren wie die Weltwirtschaftskrise oder das reformträchtige Zweite Vatikanische Konzil eingeflochten. Das komplexe Handlungsgefüge enthält neben einem klassischen Spannungsbogen so ziemlich jede erdenkbare Form zwischenmenschlicher Konflikte: Verbotene Liebe, Nebenbuhlerschaft, Missverständnisse, ein gespanntes Mutter-Tochter-Verhältnis, das zu späte Erlangen von Einsichten, eine Eheschließung aus Trotz, das Übernehmen des elterlichen Erziehungsstils sowie das lebenslange Hadern mit Gott und Konventionen. Gleichwohl gibt es eine Reihe an Schicksalsschlägen, die dafür sorgen, dass niemals Eintönigkeit entsteht – getreu der geäußerten Maxime: „Australien kann der Himmel sein, aber auch die Hölle.“ Die Dialoge rund um die Liaison, die einfach nicht sein darf, sind substantiell, trotz ihrer Theatralik realitätsnah und überdies voller Symbolismus. „Gott ist barmherzig. Er hat den Regen geschickt.“ – „Und wer schickte das Feuer?“ Allein dieser, auf eine verheerende Dürre folgende Wortwechsel zwischen Maggie und Ralph vermag es, dem breiten Publikum hochtheologische Sachverhalte, beispielsweise die Theodizee-Frage, nachvollziehbar und bildhaft darzulegen. Fortwährend wird der Schöpfer entweder als strafend oder gnädig charakterisiert, doch es obliegt allein dem Publikum, wie es sich diesbezüglich positionieren möchte. Schließlich werden die traditionellen und strengen Grundsätze des Katholizismus ebenso präsentiert wie die rituelle Faszination, welche die Institution Kirche mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten bis zur Mitte des 20. Säkulums im Übermaß ausstrahlte.

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Darüber hinaus entstand das mittlerweile als Feiertagsklassiker geltende Werk unter erschwerten Bedingungen – so bekam man in Australien wegen des Umstandes, dass die die Mehrheit der Beteiligten aus „Down Under“ stammen mussten, keine Drehgenehmigung, weswegen man nach Kalifornien auswich, außerdem schwoll das Budget auf das Zehnfache des ursprünglich Veranschlagten an. Das sieht man dem Ergebnis auf optischer Sphäre auch eindeutig an, schließlich wurden sämtliche Szenerien auf der Schaffarm Drogheda in Neusüdwales genau so stimmig bebildert wie die Zentrale der kirchlichen Macht oder die Metropolen Athen und London in ihren jeweiligen Dezennien. Insbesondere die vielfältigen Requisiten, Kostüme sowie das Alterungs-Make-up können kostenintensiveren Kinofilmen aus den 80ern nicht nur in allen Belangen das Wasser reichen, sondern übertreffen diese sogar. Der Kamerafokus des Mannes, der bereits für „Einer Flog Über Das Kuckucksnest“ engagiert wurde, pendelt zwischen weitläufigen Aufnahmen der reizvollen Landschaften und Nahaufnahmen hin- und her. Vermutlich stellen jedoch die zeitlosen, stilistisch virtuosen und vom Einsatz der Zither gekennzeichneten Kompositionen von Henry Mancini, welche wahrscheinlich noch bekannter als die Familiensaga selbst sind, den größten Vorzug dar, denn diese tragen sowohl den Charme des ländlichen Australiens als auch die wiederkehrende Spannung und Emotionalität direkt in das Ohr des Zuschauers.

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Letztlich ist es allerdings das außergewöhnliche Ensemble voller Theatermimen, das den Achtsünder zu einem überaus nachwirkenden Ereignis avancieren lässt. Zu dem Zeitpunkt, als ich mir meiner Orientierung noch unsicher gewesen, war ich echt in Rachel Ward verliebt, denn sie strahlte einerseits Schönheit und apodiktische Zerbrechlichkeit aus, andererseits aber auch ein schrittweise anwachsendes, reflektiertes Selbstbewusstsein. Die Chemie zwischen ihr und Richard Chamberlain, der seine vielschichtige Figur ebenfalls perfekt ausfüllte und eine Karrierebestleistung zeigte, war essentieller Weise besonders überzeugend. Neben der Intensität des Liebespaares wirkt insbesondere die hochkarätige Besetzung sämtlicher Nebendarsteller/innen wie aus einer anderen Dimension, denn das ist einfach durchgängig Schauspiel vom Allerfeinsten. Barbara Stanwyck Auftritt muss zu den besten Performances im TV-Universum gezählt werden. Das, was sie als herrische, manipulative, von unerfüllter Leidenschaft zerfressene Farmeigentümerin Mary Carson in ihrer kurzen Screentime mit Blicken und ihre unverwechselbare Präsenz leistete, konnten vermutlich nur wenige Damen – selbst inmitten der goldenen Hollywood-Ära. Wäre „Die Dornenvögel“ auf die Leinwand gebracht worden, hätte kein Weg an einem Oscar für Stanwyck vorbeigeführt. Doch auch Jean Simmons brillierte in der Rolle des kühlen Familienoberhaupts, das ihre Tochter mit Ignoranz straft und nur sporadisch Mildtätigkeit durchscheinen lässt. Zwanzig Jahre bevor er der Academy endlich ins Auge fiel, zeigte überdies Christopher Plummer bereits sein von Subtilität geprägtes Können, während Mare Winningham und Philipp Anglim als Justine und Dane, die Kinder von Maggie, schon in ihren jeweiligen Debüts sehenswerte Darstellungen zeigten und Größen wie Piper Laurie, Bryan Brown sowie Richard Kiley allesamt absolut souverän agierten.

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„Die Dornenvögel“, den ich im Alter von elf Jahren erstmals gesehen habe, beflügelte vordergründig meine Vorliebe an tragischen Filmen mit hervorragenden Darstellungen, die einen emotional zutiefst mitreißen. Teil 1 und die abschließende Episode gefallen mir in ihrer Gesamtheit am besten, dennoch stellen die übrigen primär signifikante Verbindungsstücke auf dem wendungsreichen Weg zum Finale dar. Die Damenwelt wird sicherlich den dritten Abschnitt lieben, weil es darin zur lang aufgebauten und heiß ersehnten Liebesnacht der Hauptfiguren kommt. 1984 erhielt Dukes Miniserie bemerkenswerte 16 (!) Emmy-Nominierungen, wovon sie schließlich sechs gewann, ferner erhielt sie vier Golden-Globes bei acht Nennungen. Zu Recht, wie ich bis heute finde, denn, obwohl das Großprojekt wegen der Konzentration auf das Evozieren von Affekten vor sakraler Kulisse sicherlich nicht jede Person gleichermaßen ansprechen dürfte, handelt es sich dennoch aus meiner Sicht um eine der gelungensten Literaturverfilmungen überhaupt.

USA / AUS 1983 - 463 Minuten Regie: Daryl Duke Genre: Familiensaga / Historienfilm / Liebesdrama Darsteller: Richard Chamberlain, Rachel Ward, Jean Simmons, Barbara Stanwyck, Richard Kiley, Mare Winningham, Ken Howard, Piper Laurie, Christopher Plummer, Bryan Brown, Sydney Penny, Philip Anglim, John Friedrich, Stephanie Faracy, Earl Holliman, Barry Corbin
USA / AUS 1983 – 463 Minuten
Regie: Daryl Duke
Genre: Familiensaga / Historienfilm / Liebesdrama
Darsteller: Richard Chamberlain, Rachel Ward, Jean Simmons, Barbara Stanwyck, Richard Kiley, Mare Winningham, Ken Howard, Piper Laurie, Christopher Plummer, Bryan Brown, Sydney Penny, Philip Anglim, John Friedrich, Stephanie Faracy, Earl Holliman, Barry Corbin

Die Päpstin (IT: Pope Joan)

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Während der von mir nicht nur wegen seines prägnanten, spannungsreichen Schreibstils geschätzte Roman „Die Päpstin“ der US-Amerikanerin Donna W. Cross in ihrem Heimatland gewissermaßen bis heute ein Ladenhüter ist, zählt er in Deutschland zu den meistverkauften Büchern des neuen Jahrtausends, der nicht nur als Vorlage für einen Historienfilm, sondern inzwischen auch für ein Musical diente. Das literarische Werk darf sich aus meiner Sicht auf historischer Ebene als wertvoll bezeichnen, weil gesellschaftliche und religiöse Rahmenbedingungen im frühmittelalterlichen Frankenreich beherzigt worden sind, obwohl demgegenüber alle Indizien gegen die Existenz eines weiblichen Pontifex sprechen. Doch vielleicht bot gerade die Frage danach, was gewesen wäre, wenn es die sagenhafte Johanna von Ingelheim tatsächlich gegeben hätte, den Anreiz für die aufwendige Verfilmung unter der Regie von Sönke Wortmann.

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Von ebendiesem Regisseur, der sich in seiner bisherigen Laufbahn von einem Genre zum anderen hangelte, hatte ich mir vorab nicht allzu viel versprochen, doch ich war letztlich vor allem von der Umsetzung der grundlagenbasierten Intention und dem sensiblen Gespür für geschichtliche Sujets überaus positiv überrascht, denn Wortmann setzte sich legitimer Weise nicht als Ziel, die Geschichte um einen göttlichen Stellvertreter femininen Geschlechts als universelle Wahrheit anzupreisen, sondern lediglich eine bildungshungrige Frau ins Zentrum zu rücken, die inmitten des kalten, männerdominierten 9. Jahrhunderts um Selbstbestimmung kämpft, dafür allerdings gezwungen ist, sich lebenslang unter einer Maskerade zu verbergen. Der Fokus auf ihre Person in unterschiedlichen Lebensaltern ermöglicht fortwährend, sich mir ihrem Schicksal zu identifizieren, das sie vom Bauernhof, zur Religionsschule, anschließend ins Kloster und schließlich als Pilgerin nach Rom führt, wo sie durch ihr Können in den engsten Kreis des Papstes rückt. Sicherlich gibt es einige kulturelle Details, die erst für die Hochphase des Mittelalters verbürgt sind, dennoch ist das große Ganze insofern stimmig, als dass beispielsweise die barbarischen Normanneneinfälle, das klösterliche Wissensmonopol, die zunehmende Konkurrenz zwischen dem Kaiser- und Papsttum und die politischen Ränkespiele in Rom eine reflektierte Betrachtung erhalten. Das Zeitalter erscheint somit nicht wie so oft lediglich als düster, konventionell und von Krankheit, Krieg, Leid und Missionierung geprägt, sondern auch korrekter Weise als mystisch, gelehrsam und vielseitig. Demgegenüber hat man es u.a. mit der überkritischen Beschreibung der ausschweifenden Kleriker und der Männer im Allgemeinen eindeutig übertrieben. Häufig wurde darüber hinaus kritisiert, dass das Drehbuch von eindimensionalen Charakteren strotze, doch da muss ich dezidiert widersprechen, denn die meisten Figuren hätten in dieser verhältnismäßig stereotypen Epoche genau so existieren können. Ein nicht zu negierendes Manko bilden gelegentlich die Dialoge, die leider mehrfach allzu übereilt entwickelt anmuten. Das Vorhandensein einer musikalischen Untermalung voller Mannigfaltigkeit und Andächtigkeit, einer erzählenden Stimme und einer traditionellen Spannungskurve, welche in einem bewusst provokanten Ende gipfelt, stellen andererseits gewinnbringende Elemente dar. Auch die aufwendigen, ansprechenden Szenenbilder haben einen tiefen Eindruck hinterlassen und sind nicht weit von Hollywood-Niveau entfernt. Wieder einmal diente Marokko als stellvertretender Drehort für Rom, doch dies passte im konkreten Fall äußerst gut, da der Vatikan des Mittelalters sich in punkto architektonischem Prunk stark von dem unterscheidet, was wir heute mit dem Stadtstaat assoziieren. Die cinematographische Gestaltung ist ebenfalls zu loben, weil sie dem Gesehenen beinahe pittoreske Züge verliehen.

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Johanna Wokalek, bekannt geworden durch „Aimée & Jaguar“, hat ihre schwierige Aufgabe, einen Spagat zwischen den Geschlechtern durchzuführen, nicht nur optisch absolut souverän gemeistert, weil sie zudem mit Sensibilität und Charme punkten konnte. Darstellerisches Highlight ist für mich aber ohne jeden Zweifel der enthusiastisch agierende John Goodman, der hervorragend in die Rolle von Papst Sergius passte und dem man ansah, dass er mit Vollblut bei der Sache war. David Wenham bildet als Geliebter Johannas hingegen das schwächste Glied, was wohl auch daran lag, dass er sich fast überhaupt nicht vom Habitus seiner Rolle in „Der Herr Der Ringe“ abhob. Positiv hervorheben möchte ich des Weiteren viele der Nebendarsteller, denn neben Marc Bischoff und Iain Glen sowie einem gewohnt soliden Alexander Held in der Rolle des Kaisers Lothar bleibt einem vor allem Jördis Triebel als heidnische Mutter der Hauptfigur im Gedächtnis.

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Alles in allem betrachtet, reicht die Produktion sicherlich nicht an die Exzellenz der kraftvollen, komplexen und von einer Vielzahl an substantiellen, geisteswissenschaftlichen Diskursen geprägte Vorlage heran, doch sehenswert, spannend, gegenwartsorientiert und unterhaltsam ist das deutsche Mammutprojekt in jedem Fall, weswegen nichts gegen eine mehrfache Sichtung spricht. „Die Päpstin“ profitiert folglich vor allem davon, dass die Inszenierung sich unverkennbar vom Einheitsbrei der deutschen Filmindustrie abhebt.

D / IT / ES 2009 - 148 Minuten Regie: Sönke Wortmann Genre: Historiendrama / Biographie / Literaturverfilmung Darsteller: Johanna Wokalek, David Wenham, John Goodman, Anatole Taubman, Alexander Held, Iain Glen, Jördis Triebel, Claudia Michelsen, Marc Bischoff, Lotte Flack
D / IT / ES 2009 – 148 Minuten
Regie: Sönke Wortmann
Genre: Historiendrama / Biographie / Literaturverfilmung
Darsteller: Johanna Wokalek, David Wenham, John Goodman, Anatole Taubman, Alexander Held, Iain Glen, Jördis Triebel, Claudia Michelsen, Marc Bischoff, Lotte Flack

Luther

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In zweieinhalb Jahren werden evangelische Christen auf der ganzen Welt das 500-jährige Reformationsjubiläum zelebrieren, weswegen das Leben und Wirken Martin Luthers (1483 – 1546) derzeit nicht nur unter Theologen wieder verstärkt in aller Munde ist. Die filmische Rezeption über den Augustinermönch aus Eisleben, der sich gegen den Verkauf von Ablassbriefen auflehnte, das Neue Testament erstmals ins Deutsche übersetzte und damit das Gesicht von Europa für immer verändern sollte, ist mit fünfzehn Spielfilmen vielfältig, doch leider fast ebenso enttäuschend, was daran liegen dürfte, dass für die Durchdringung seiner vielschichtigen Person und Philosophie mehr als eine oberflächliche Betrachtung der Materie von Nöten ist. Eric Tills deutsch-amerikanisch-britische Koproduktion wurde unter Beteiligung eines internationalen Teams gefertigt und ist den anderen Interpretation zumindest in den hauptsächlichen Belangen überlegen.

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Die Handlung schildert in flüssiger und insbesondere bezüglich der Figurenentwicklungen plausibler Manier die Geschehnisse zwischen 1505, als sich das berühmte, missionierende Stotternheimer Gewittererlerbnis ereignete und dem Reichstag zu Augsburg, auf dem die „Confessio Augustana“, das erste evangelische Glaubensbekenntnis, dargelegt worden ist. Diese Eingrenzung macht grundsätzlich Sinn, weil sie die unmittelbaren Auswirkungen auf Luthers Kirchenkritik beleuchten. Von der gesicherten Geschichtsschreibung ist die betreffende Adaption in vielen Belangen unglücklicherweise aber recht weit entfernt. Als bedauernswert erachte ich die unreflektierte Herangehensweise an den sogenannten „Thesenanschlag“, denn es dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, dass Luther nicht mit Hammer und Nagel bewaffnet an die Kirchenpforte zu Wittenberg spaziert ist, sondern die Thesen am 31.10.1517 nur an mehrere Kirchenfürsten des Reiches versendete. Auch wenn ebendieser Aktion ein hochsymbolischer Stellenwert zukommt, hätte ich da etwas mehr Akkuratesse erwartet. Zudem wird suggeriert, dass mit Anbruch des Jahres 1530 die Religionsfreiheit rechtlich etabliert worden sei, was jedoch einen Trugschluss darstellt, da bis zur freien Konfessionswahl noch mehr als 100 Jahre ins Land gingen, bevor der Westfälische Frieden den Dreißigjährigen Krieg und die reformatorische Phase beendete. Mehrere Kritiker monierten des Weiteren, dass Papst Leo X. wie ein früher Weihnachtsmann aussähe, allerdings entspricht seine Optik witzigerweise der Realität, wohingegen er nicht erst Ende der 1520er, sondern bereits 1521 völlig verschuldet starb, was entweder vergessen wurde oder aber aus Gründen der Komprimierung geschah. Dass spannend aufgebauten Ereignisse wie die Wittenberger Unruhen, der Bauernkrieg, das Wirken von Aleander und Melanchthon oder die Veröffentlichung weiterer lutherischer Schriften zwar datierungsbezogen durcheinandergeworfen wurden, sich nichtsdestotrotz an den Fakten orientierten, würde letztgenannte Mutmaßung stützen. Speziell die Gegebenheit, dass Luther die Kirche nicht zu spalten beabsichtige, sondern lediglich erneuern wollte, kommt endlich einmal adäquat zum Vorschein. Gleiches trifft auf die feinfühlige Dialogisierung der geistig-sozialen Aufbruchstimmung, die nach 1517 Manifestation fand oder aber den Umstand, dass die Reichsstände sich unter starkem Einfluss des Kirchenstaates befanden, zu. Folglich geschahen manche Vereinfachungen und Fehler aus dramaturgischen Gründen. Etliche Momente, beispielsweise Luthers Aufforderung zum Thesenwiderruf, haben sogar episches Ausmaß, andererseits fehlte es einer Handvoll Szenen an Substanz und Aussagekraft, was besonders schade ist, da die Laufzeit mit zwei Stunden doch recht knapp ist und der Erzählrahmen übereilt wirkt. Hingegen schuf die ausgewogene Synthese des Drehs an Originalschauplätzen (z.B. auf der Wartburg) mit zeittypischen, nicht zu überladen gefertigten Kostümen und Kulissen sowie reduzierten, von choralartigen Gesängen dominierten Kompositionen eine geeignete Atmosphäre, um modernen Menschen den damaligen Geist zugänglich zu machen.

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Die Darstellerleistungen lassen sich größtenteils nicht beanstanden. Joseph Fiennes liefert – das hätte ich vorab nicht erwartet – eine durch und durch überzeugende Performance und schaffte es, vor allem die von Zweifeln, Wahrheitsstreben und Auflehnung erwirkte, innere Zerrissenheit stringent sichtbar werden zu lassen, sodass er die Rolle des bekanntesten Reformators souverän füllte. Besonders herausstechend ist der allerletzte Leinwandauftritt von Peter Ustinov, welcher die Idealbesetzung für den Kurfürsten von Sachsen bildete und uns mit einer Mischung aus Präsenz und Leichtigkeit ein Abschiedsgeschenk zuteil werden ließ. Molina glänzte als Ablassprediger Johann Tetzel, während auch Ganz und Carrière als Kleriker sehenswerte Akzente setzen konnten.

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Summa summarum ist die Verfilmung von 2003 aufgrund eines konventionellen, stellenweise recht holprig umgesetzten Drehbuchs zwar sicherlich keine allumfassende Glanzleistung, aber dennoch überwiegen die intentionalen und gestalterischen Vorzüge. Eric Tills „Luther“ muss somit als eine der wenigen Verfilmungen angesehen werden, die speziell den theologischen Grundgedanken von Nächstenliebe und einem positivistischen Gott, der sich durch Gnade und Vergebung auszeichnet, gerecht wird und den Zuschauern vor Augen führt, auch in Zeiten des größtmöglichen Widerstands zu den eigenen Überzeugungen zu stehen.

USA / D / UK 2003 - 118 Minuten Regie: Eric Till Genre: Historiendrama / Biographie Darsteller: Joseph Fiennes, Claire Cox, Sir Peter Ustinov, Jonathan Firth, Alfred Molina, Bruno Ganz, Uwe Ochsenknecht, Benjamin Sadler, Mathieu Carrière, Jochen Horst
USA / D / UK 2003 – 118 Minuten
Regie: Eric Till
Genre: Historiendrama / Biographie
Darsteller: Joseph Fiennes, Claire Cox, Sir Peter Ustinov, Jonathan Firth, Alfred Molina, Bruno Ganz, Uwe Ochsenknecht, Benjamin Sadler, Mathieu Carrière, Jochen Horst

Königreich Der Himmel (OT: Kingdom Of Heaven)

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Neben dem fragwürdigen Auftreten des Klerus im Dritten Reich markieren die sieben, zwischen 1095 und 1270 von Seiten des christlichen Abendlandes durchgeführten Kreuzzüge, die mehrere Millionen Menschenleben forderten, mit dem Hauptziel, Jerusalem von den verhassten Juden und Muslimen zu befreien und wirtschaftlich zu vereinnahmen, ein weiteres trauriges Kapitel der langen Kirchenhistorie, das es wert ist, darüber zu diskutieren. In Ridley Scotts Verfilmung, die vor nunmehr zehn Jahren erschienen ist, steht der Schmied Balian von Ibelin im Zentrum, der im 12. Jahrhundert auf Umwegen zum ritterlichen Defensor des Heiligen Landes avanciert. Dies mochte – genau wie der vielseitig deutbare Titel – auf dem Papier überaus interessant klingen, doch unglücklicherweise ist das Ergebnis meines Erachtens voll von Enttäuschungen.

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Zunächst stieß es bei mir auf Verwunderung, dass der Zweieinhalbstünder zwischen 1184 und 1187 spielt, denn genau diese Jahre bilden ausnahmsweise ein friedliches Intermezzo zwischen dem Zweiten und dem Dritten Kreuzzug. Die Vita des Protagonisten orientiert sich darüber hinaus nur äußerst lose an der Vita des Namensgebers und seinen teils unzureichend recherchierten Zeitgenossen, sodass bereits die grundlegende historische Ebene einige Wünsche offen lässt. Dessen ungeachtet finden wir aber leider auch eine Reihe von standardmäßigen, redundanten Wortwechseln mit wiederholten Floskeln à la „Gott will es!“, welche abseits der Schlachtsequenzen für Langeweile sorgen und den konstruierten, pathetischen und überlangen Inhalt nicht aufzuwerten imstande sind. Skurriler Weise erweckt die Grundintention ferner den Eindruck, als sei der Griff zum Schwert in Gottes Namen eine legitime Form der Pilgerreise, um zur eigenen Religiosität zu finden, was wohl nicht nur so manchen Historiker in Rage versetzen dürfte. Hinzu kommen – trotz der Einbringung vieler Charaktere unterschiedlicher Herkunft – wiederholte Verwischungen, was die europäischen wie nahöstlichen Ethnien anbelangt, beispielweise werden die Ritter des Tempelordens genau wie Sultan Saladin, der Befehlshaber der Kurden, einseitig als Bösewichte charakterisiert, während fast alle Hauptpersonen übertrieben heroisch erscheinen. Des Weiteren wirkt die Liebesromanze zwischen Sybilla und Balian gewissermaßen willkürlich und stellte somit womöglich nur eine Zutat dar, um auch ein paar Frauen in die Kinosäle zu locken. Als zweifelsohne lobenswert empfand ich demgegenüber die Intention, Werte des friedlichen Zusammenlebens aufzugreifen, die trotz des mittelalterlichen Settings angesichts der aktuellen politischen Lage eine brisante Aktualität erhalten. Auch wenn die Charaktere anderer Glaubensgemeinschaften und deren Vorstellungen ebenfalls unzureichend gezeichnet worden sind, hat man wenigstens beachtet, dass weder Christen, Juden und Muslime innerhalb dieser Phase aufgrund ihres angestrebten, universalen Wahrheitsstrebens frei von Schuld waren. Die Filmmusik war generell in Ordnung, obschon sie kaum nachwirkende Höhepunkte aufwies, wohingegen die fokussierte Kameraarbeit, die aufwendigen, stilsicheren Sets und die souveränen Effekte nur in Ansätzen bemängelt werden können, da sie die fremdartige Welt visuell eindrucksvoll bebilderten. Doch die kostspielige Gestaltung allein reichte mir im konkreten Fall eben nicht. Auch das Ensemble las sich vorab einfach nur wunderbar, doch letzten Endes wurden die Fähigkeiten nahezu aller Darsteller verschenkt, denn weder Neeson, Irons noch Thewlis wurde genug Raum geboten, sich darstellerisch zu entfalten, weshalb lediglich Eva Green einige starke Szenen offeriert. Orlando Bloom, physisch und psychisch zu schwach für den Charakter eines Kriegers, zeigt eine bestenfalls durchschnittliche Performance, der es an Glaubwürdigkeit fehlt, sodass das Publikum sich nur selten mit seiner Lage identifizieren möchte.

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Ich kann mich des wohlbegründeten Eindruckes nicht verwehren, dass Ridley Scott seine beste Schaffensphase vor langer, langer Zeit hatte und wir, bezogen auf die Filmografie seit „Gladiator“, wohl keine engen Freunde mehr werden. „Königreich Der Himmel“ mag zugegebenermaßen nicht derart misslungen wie „Alexander“ oder „Die Letzte Legion“ sein, doch inzwischen häufen sich die Indizien, dass es im 3. Jahrtausend nicht mehr möglich zu sein scheint, einen würdigen Monumentalfilm auf die Beine zu stellen. Eine Journalistin der ZEIT brachte es seinerzeit treffend auf den Punkt: „Wenn sich die großen Epen nicht mehr für ihre eigentliche Basis interessieren, dann helfen auch die schönsten Schauwerte nichts.“

USA / E / UK / D 2005 - 138 Minuten Regie: Ridley Scott Genre: Monumentalfilm / Historiendrama / Action Darsteller: Orlando Bloom, Eva Green, Jeremy Irons, Brendan Gleeson, Liam Neeson, Ghassan Massoud, Edward Norton, David Thewlis, Marton Csokas
USA / E / UK / D 2005 – 138 Minuten
Regie: Ridley Scott
Genre: Monumentalfilm / Historiendrama / Action
Darsteller: Orlando Bloom, Eva Green, Jeremy Irons, Brendan Gleeson, Liam Neeson, Ghassan Massoud, Edward Norton, David Thewlis, Marton Csokas

Little Buddha

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Bekanntermaßen genießt der Buddhismus eine religionskulturelle Sonderstellung, denn als einzige der fünf globalen Glaubensgemeinschaften ist er sich von einer zyklischen Weltanschauung gekennzeichnet, die ohne die Existenz eines schöpferischen Mediums auskommt. Gleichwohl verehren die rund 500 Millionen Anhänger ihren geistigen Begründer Siddhartha Gautama (563 – 483 v.Chr.) beinahe gottähnlich, dem Oscarpreisträger Bernardo Bertolucci vor inzwischen zwanzig Jahren ein historisches Drama mit markanten Gegenwartsbezügen widmete. „Little Buddha“ entstand unter hohem finanziellen Aufwand, dennoch versagen die Verantwortlichen aus meiner Sicht auf so ziemlich jeder vorstellbaren Ebene, weswegen die Koproduktion ein prädestiniertes Beispiel dafür darstellt, wie man einen religiös motivierten Film lieber nicht ausgestalten sollte.

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Allein die grundlegende Storyausformung um einen, als kleiner Junge wiedergeborenen Lehrmeister mithilfe von deplatzierten Rückblenden, die den Erzählfluss des historischen Strangs hemmen, erscheint unplausibel und hanebüchen. Auf Kosten der einzigartigen Spiritualität der im sechsten, vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Gemeinschaft werden fadenscheinige, esoterische Hausfrauenweisheiten präsentiert, die den Kern der Sache verfehlen, auch wenn man sich noch so krampfhaft bemühte, dies auf visueller Ebene zu verschleiern. Lehren wie der „achtfache Pfad“ oder die „vier edlen Wahrheiten“ finden zwar Erwähnung, bleiben dem Publikum trotz unverkennbarer, missionierender Züge aber fortwährend seltsam entfernt. Die beinahe zeitlupenartig langsame Erzählweise mag sicherlich jene meditative Ruhe ausstrahlen, die auch Buddhas Weltanschauung in sich trägt, doch die zweieinhalb Stunden fühlten sich im Nachhinein eher an, als wären es fünf gewesen. Angelastet muss diese ausschweifende Langatmigkeit vor allem der Dialogisierung werden, welche sich insbesondere in allen Sequenzen, die in Seattle spielen, auf schrecklichstem, debilem Seifenopern-Niveau bewegte, weswegen ich für besser gehalten hätte, wenn man die Sphäre der Gegenwart außen vor gelassen hätte, um wenigstens das eindrucksvolle Leben des historischen Siddharta entsprechend zu würdigen. Auffällig ist darüber hinaus die Art der Farbgestaltung, die beispielsweise im augenscheinlich kopierten Meisterwerk „Gandhi“ durchgängig ätherische Qualitäten verströmte. Hier jedoch wirkt diese gemeinsam mit der Tricktechnik leider kitschig, übersättigt und künstlich, schließlich dienen die blau- und gelbstichigen Bilder nicht als Metapher zur Abbildung konträrer Stimmungen, sondern muten einfach nur billig an. Zwar werden ein paar essentielle Denkanstöße geliefert, die allerdings niemals zu Ende geführt werden oder das Publikum emotional involvieren, weil die Figurenentwicklung weitestgehend flach und naiv ausfällt, weswegen man sich letztlich fragt, was einem Bertolucci eigentlich darlegen wollte. Im Prinzip bilden der uneingeschränkt hörenswerte Soundtrack von Sakamoto sowie die kunstvollen, unaufdringlichen, südasiatischen Kostüm- und Requisitendesigns die einzigen Aspekte auf breiter Flur, die in Erinnerung bleiben und ich als überdurchschnittlich bezeichnen würde. Obschon ich mir von den Schauspielerleistungen nicht viel versprochen hatte, schaffte es das Ensemble dennoch, diese überschaubare Erwartungshaltung zu unterbieten. Speziell die „Performances“ von Chris Isaak und Bridget Fonda – Ersterer erhielt mit Recht eine Nominierung für die „Goldene Himbeere“ – spotten teilweise jeder tiefer gehenden Beschreibung, denn nahezu alle Nebendarsteller ratterten ihren Text apathisch herunter und wirkten stellenweise unfreiwillig komisch. Rein optisch hat Keanu Reeves zwar in die Rolle des „Erleuchteten“ gepasst, doch auch er wirkte gewissermaßen desorientiert, gelangweilt und unglaubwürdig, anstatt sich in den Charakter einzufühlen. In jedem Fall wird dies offiziell die letzte filmische Chance sein, die ich Reeves einräumen werde. Auch die Besetzung von Chinesen als Figuren, die eigentlich aus Zentralindien stammen, wirkt in kultureller Hinsicht ein weiteres Mal überaus unglücklich gewählt.

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Folglich hat der Macher des neunfach oscargekrönten Epos’ „Der Letzte Kaiser“ dieser tristen Verfilmung weder sich noch dem Publikum einen Gefallen getan. Trotz der ambitionierten Ansätze wird letzten Endes absolut nicht nachvollziehbar, was die Vorstellungen und Besonderheiten der viertgrößten Weltreligion sind, sodass das britisch-französische Werk vorrangig uninspirierte, pseudobuddhistische Philosophien veräußert und „Little Buddha“ letztlich aufgrund eines lahmenden Drehbuchs und der schlechten Darsteller den Todesstoß erleidet.

UK / F 1993 - 140 Minuten Regie: Bernardo Bertolucci Genre: Historiendrama / Biographie Darsteller: Keanu Reeves, Bridget Fonda, Chris Isaak, Alex Wiesendanger, Ying Ruocheng, Sogyal Rinpoche
UK / F 1993 – 140 Minuten
Regie: Bernardo Bertolucci
Genre: Historiendrama / Biographie
Darsteller: Keanu Reeves, Bridget Fonda, Chris Isaak, Alex Wiesendanger, Ying Ruocheng, Sogyal Rinpoche
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