Meine „Ein-Absatz-Kritiken“ (Mai & Juni 2015)

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Alice Im Wunderland (OT: Alice In Wonderland)

1

Wer kennt und schätzt diese bezaubernde und altersunabhängig faszinierende Geschichte nicht? Lewis Carrolls kunterbuntes Abenteuer, das in diesem Jahr sein 150-jähriges Veröffentlichungsjubiläum feiert und angeblich unter Einfluss psychedelischer Substanzen verfasst worden sein soll, in dessen Zentrum ein Mädchen steht, das per Zufall in einer völlig verschrobenen Fantasiewelt landet, sollte auch heute noch zum Grundinventar jeder Kindheit gehören und wurde bis dato mehr als zwanzig Mal verfilmt. Erneut entstand innerhalb des Fernsehuniversums eine besonders schöne, energiegeladene und stimmige Variante eines Meilensteins der Literaturgeschichte, gerade wenn man die überbewertete Burton’sche 3D-Version von 2010 als Gradmesser hinzuzieht. Trotz der größtenteils buchstäblichen Nähe zur Vorlage hat mir speziell die aufschlussreiche Erweiterung zu einer Lesart, in der Alice auf der Reise schrittweises, öffentliches Selbstbewusstsein erlangt, gefallen und dürfte viele Zuschauer ebenso ansprechen. Die in der Werkstatt des „Muppet“-Erfinders erarbeiteten Effekte und Staffagen sind im Vergleich zu anderen Fantasy-Miniserien ähnlich aufwendig, fantasievoll und mitreißend gestaltet worden, allerdings keinesfalls überladen, sodass stattdessen den sympathisch-skurrilen Charakteren wie der Grinsekatze, dem Hutmacher, der Herzkönigin und der Suppenschildkröte ausreichend Raum zur Entfaltung zugestanden wird, wenngleich die Laufzeit insgesamt etwas gerafft hätte werden können. Das überaus illustre Starensemble bereitet jedoch die größte Freude und neben der jungen Hauptdarstellerin sorgen Whoopi Goldberg, Miranda Richardson, Peter Ustinov und vor allem Martin Short in einer idealbesetzten Rolle für herzerfrischende, vor Charme und Spielfreude nur so sprühende Momente. Willings TV-Verfilmung erhielt insgesamt sechs verdiente Emmy-Nominierungen, wovon vier in Siege umgemünzt werden konnten und es muss als bedauerlich befunden werden, dass dieses nur relativ sporadisch ausgestrahlt wird, denn ich finde die stimmige Adaption sogar noch etwas schöner als das viel bekanntere Pendant aus dem Hause Disney.

USA / UK / D 1999 - 150 Minuten Regie: Nick Willing Genre: Märchen / Fantasy / Abenteuer Darsteller: Tina Majorino, Miranda Richardson, Martin Short, Whoopi Goldberg, Ben Kingsley, Elizabeth Spriggs, Christopher Lloyd, Pete Postlethwaite, Peter Ustinov, Robbie Coltrane, George Wendt, Gene Wilder, Ken Dodd
USA / UK / D 1999 – 150 Minuten
Regie: Nick Willing
Genre: Märchen / Fantasy / Abenteuer
Darsteller: Tina Majorino, Miranda Richardson, Martin Short, Whoopi Goldberg, Ben Kingsley, Elizabeth Spriggs, Christopher Lloyd, Pete Postlethwaite, Peter Ustinov, Robbie Coltrane, George Wendt, Gene Wilder, Ken Dodd

Der Letzte Kaiser (OT: The Last Emperor)

2

Wie Roger Ebert bereits vor fast drei Jahrzehnten urteilte, sei Bertoluccis mit Abstand bekanntestes und meistausgezeichnetes Werk zuvörderst „ein merkwürdiges Epos, da es um eine gänzlich passive Figur geht.“ Genau dieses Momentum bildet vielleicht auch den vordergründigen Reiz, wenn man sich der wendungsreichen Vita des letzten Herrschers über das Reich der Mitte namens Puyi (1906 – 1967) derart detailliert nähert wie es im Zuge dieses pompösen Monumentalfilm geschehen ist. Zwar war man stellenweise so sehr auf die glanzvolle, den visuellen Charakteristika der 17. Dynastie entsprechenden Sphäre bedacht, dass die einzelnen Personenentwicklungen eine Nuance zu steril anmuten und überdies kamen die Westmächte einmal mehr zu positiv bei der Geschichte weg, dennoch funktioniert der Bilderbogen insbesondere ab dem Zeitpunkt, in dem der Protagonist seine Exilierung erfährt, hervorragend als individuelle Parabel für Isolation und Weltfremdheit eines unmündigen, jedoch nicht gedankenlosen Individuums, das schlagartig seine Gottgleichheit verliert und letztlich als Unbedeutender inmitten des Milliardenvolkes verstirbt. „Der Letzte Kaiser“ stellt überdies dank seiner farbenprächtigen, in vielen Belangen unerreichten Ausstattung, Storaros unverwechselbarem Agieren hinter der Kamera und Gänsehaut fördernden Klängen ein regelrechtes Fest für alle Sinnesorgane dar und kann in Gestalt von John Lone und ganz besonders Peter O’Toole auch darstellerisch punkten, dennoch fehlten mir in letzter Instanz einige, genrebezogene Feinheiten, um sich beispielweise mit Attenboroughs „Gandhi“ unmittelbar messen zu können. Aus diesem Grund erscheint mir auch der so genannte „Clean Sweep“, also der Gewinn von allen neun nominierten Oscarkategorien, etwas zu hochgegriffen, wenngleich starke Konkurrenz in dieser Saison gefehlt hat. Bezüglich der Laufzeit wäre „weniger“ in der Tat einmal „mehr“ gewesen, denn in diesem Fall wäre die beeindruckende Chronologie eines Mannes im dynamischen Kaleidoskop eines brisanten Abschnitts der fernöstlichen Geschichte noch besser zum Tragen gekommen.

UK / F / IT 1987 - 160 Minuten Regie: Bernardo Bertolucci Genre: Historiendrama / Monumentalfilm / Biographie Darsteller: John Lone, Joan Chen, Peter O’Toole, Victor Wong, Dennis Dun, Vivian Wu
UK / F / IT 1987 – 160 Minuten
Regie: Bernardo Bertolucci
Genre: Historiendrama / Monumentalfilm / Biographie
Darsteller: John Lone, Joan Chen, Peter O’Toole, Victor Wong, Dennis Dun, Vivian Wu

Der Soldat James Ryan (OT: Saving Private Ryan)

3

Ich bin fast sicher, dass ich meinen Beliebtheitsgrad mit dieser Rezension nicht zwangsläufig steigern werde, aber darum geht es in unserer Gruppe aus Filmnarren ja auch nicht in erster Linie, sondern um subjektive und objektive Argumentationen. Vor mehreren Jahren musste ich die Sichtung von Spielbergs elffach oscarnominierten Drama „Der Soldat James Ryan“ vorzeitig abbrechen, weil ich das Gefühl hatte, nicht ausreichend darauf konzentriert gewesen zu sein, doch der zweite, neuerliche Anlauf offenbarte, dass dies weniger an mir selbst lag als an dem Fabrikat selbst. An der technischen Gestaltung, insbesondere an Kamińskis effektvoller und hautnaher Handkameraperspektivierung und der größtenteils korrekten historischen Kontextualisierung der kriegsentscheidenden Operation haperte es freilich nicht, obschon wir einige, recht augenscheinliche und wegen des Oscargewinns besonders ärgerliche Schnittfehler vorfinden, nach denen man in Spielbergs Filmographie ansonsten vergeblich suchen muss. Trotz der anfänglichen Brisanz in Form einer grandiosen, an realistischer Schonungslosigkeit kaum zu überbietenden Eröffnungssequenz, die den D-Day beängstigend illustriert, erscheint das sich daraus entspinnende auffallend kaugummiartig und eindimensional. Zudem werden die Personenzeichnungen ab der Mitte des Films auf Kosten pathetischer, fast schon ideologischer Züge vernachlässigt – mit einem solchen Pathos haben sich Soldaten nie und nimmer unterhalten – und in schauspielerischer Hinsicht überzeugen in Gestalt von Hanks, wenngleich dieser vermutlich nicht die idealste Besetzung gewesen ist, sowie Giamatti und Damon zu wenige aus der Riege, zu der man nur sporadisch eine Verbindung aufbauen kann. Das Porträt mag zwar die Schrecklichkeit des schlimmsten Kampfes der Geschichte optisch verdeutlichen, doch als inhaltliches Plädoyer gegen Krieg funktioniert er nicht durchgängig, sodass es befremdlich erscheint, dass das in ebendiesem Belang perfekte Werk „Schindlers Liste“ vom selben Verantwortlichen stammt. Trotz meiner Kritikpunkte entspricht „Der Soldat James Ryan“ auf keinen Fall einer filmischen Vollkatastrophe und bietet letztlich etliche erstklassige Einzelszenen, dennoch wäre ich zweifelsohne erfreuter gewesen, wenn Spielberg seinen überfälligen, zweiten Regie-Oscar erst für „Lincoln“ erhalten hätte, denn dieser ist das aus meiner Sicht gelungenere Porträt vor dynamischer Kulisse. In der betreffenden Saison wäre jedenfalls Roberto Benigni meine kategoriale Wahl gewesen.

USA 1998 - 163 Minuten Regie: Steven Spielberg Genre: Historiendrama / Kriegsfilm / Action Darsteller: Tom Hanks, Tom Sizemore, Edward Burns, Barry Pepper, Adam Goldberg, Vin Diesel, Giovanni Ribisi, Jeremy Davies, Matt Damon, Ted Danson, Paul Giamatti, Bryan Cranston
USA 1998 – 163 Minuten
Regie: Steven Spielberg
Genre: Historiendrama / Kriegsfilm / Action
Darsteller: Tom Hanks, Tom Sizemore, Edward Burns, Barry Pepper, Adam Goldberg, Vin Diesel, Giovanni Ribisi, Jeremy Davies, Matt Damon, Ted Danson, Paul Giamatti, Bryan Cranston

Die Geisha (OT: Memoirs Of A Geisha)

4

Bereits die Ankündigung von Rob Marshalls vielfach gewürdigtem Drama „Die Geisha“ sorgte seinerzeit in Ostasien für einen handfesten Skandal, von dem die westliche Hemisphäre allerdings kaum Notiz nahm. In der Volksrepublik China wurde das Werk sogar gänzlich aus sämtlichen Lichtspielhäusern verbannt. Ursächlich dafür war das Faktum der ausnahmslosen Ensemblebesetzung mit chinesisch-taiwanesischen Darstellern, was vor allem japanische Kritiker massiv anprangerten, da die Geishas einen der wichtigsten Phänomene der Kultur des Inselvolkes darstellen. Aufgrund der interstaatlichen Feindschaft kann ich die Empörung teilweise nachvollziehen, nichtsdestotrotz haben sich im Gegenzug sowohl der jahrelang in Japan lebende Autor des adaptierten Romans als auch Drehbuchautorin Robin Swicord weit mehr als nur äußerlich mit der Materie und dem Einzelschicksal von Sayuri im historischen Kontext beschäftigt, dem man bis zum Schluss begierig folgen darf. Überdies sind die Oscartrophäen für ein solch aufwendiges Szenenbild, blendend schöne Kostüme und eine spektakuläre Kameraarbeit berechtigter Weise an dasselbe Werk gegangen, denn die gestalterischen Elemente zeugen allesamt von Perfektionsstreben und kreieren einen wahren Bilderrausch, der einen in die fremde Welt entführt, wozu auch die extraordinären Arrangements von Altmeister Williams geradezu einladen. Angesichts der fantastischen Performance von Zhang Ziyi stößt es einem darüber hinaus säuerlich auf, dass Miyoshi Umeki und Rinko Kikuchi bis heute die einzigen (!) asiatischen Schauspielerinnen sind, denen jemals eine Oscarnominierung zuteilwurde und meines Erachtens hätte Ziyi die Dritte sein müssen, denn sie verkörpert die Protagonistin mit Passion und Empfindlichkeit zugleich. Michelle Yeoh, die für „The Lady“ ebenfalls sträflich ignoriert wurde, darf man schon hierin in einer intensiven Rolle bewundern, für die sich die fernöstliche Anhängerin Madonna im Übrigen jahrelang vergeblich bewarb und auch die übrigen Akteure wie Gong Li und Ted Levine können überzeugen. „Die Geisha“ stellt somit nicht nur Marshalls mit Abstand (!) besten Film dar, sondern ist inzwischen zu einer kleinen, cineastischen Perle gereift, die gleichermaßen psychologisch dicht, spannend und kulturell lehrreich, aber auch betörend und angenehm melodramatisch ist, wenngleich ein Minimum des erzählerischen Bisses aufgrund der (wie so oft) etwas zu langen Laufzeit verloren ging.

USA 2005 - 145 Minuten Regie: Rob Marshall Genre: Historiendrama / Romanze / Literaturverfilmung Darsteller: Zhang Ziyi, Ken Watanabe, Michelle Yeoh, Gong Li, Kōji Yakusho, Ted Levine, Youki Kudoh
USA 2005 – 145 Minuten
Regie: Rob Marshall
Genre: Historiendrama / Romanze / Literaturverfilmung
Darsteller: Zhang Ziyi, Ken Watanabe, Michelle Yeoh, Gong Li, Kōji Yakusho, Ted Levine, Youki Kudoh

Die Queen (OT: The Queen)

5

Ich nehme an, 90 Prozent aller Zeitzeugen können sich bis heute daran erinnern, in welchem Kontext sie vom tragischen Unfalltod Diana Spencers erfuhren, beispielsweise wurde ich erst am Vortag eingeschult. In „Die Queen“ wird die härteste Bewährungsprobe in der 115-jährigen Geschichte der Windsors beleuchtet, denn das unbeteiligte Auftreten der Royals führte beinahe zum Verlust der Volkslegitimation, was von Frears chronologisch, besonnen und in Form eines Mittelwegs zwischen nachdenklichem Ernst und leichter Ironie porträtiert worden ist. Der aufgrund der Einflechtung vieler Originalbilder beinahe dokumentarische Charakter wird wiederholt durch ebendiese Tragikomik, die jedoch nicht zu mutwillig anmutet und die Gegenüberstellung von Dynasten und Bürgern stets im Blick behält, sowie überaus feinsinnige Dialoge abgelöst. Gelegentlich störte mich aber die durchweg positive Grundhaltung gegenüber der Persönlichkeit von Diana, welche zweifellos eine humanitär gesinnte Frau und gewissermaßen auch Opfer der Umstände gewesen sein mag, allerdings wurde sie von den Verantwortlichen in ähnlicher Dimension zur heroischen Figur erhoben wie damals von der Weltöffentlichkeit, ohne dabei beispielsweise ihr Talent zur Medienmanipulation kritisch zu beleuchten. Demgegenüber sind die konvenierenden Klänge Desplats wie nahezu immer – abgesehen von dessen diesjährig völlig zu Unrecht ausgezeichneten Soundtrack – ein akustisches Erlebnis, das im Ohr verharrt und auch die optische Inszenierung erscheint genauso prunkvoll und detailgetreu wie es dem britischen Hof geziemt. Sicherlich sollte man eingestehen, dass ich in dieser Saison nach wie vor Judi Denchs Performance in „Tagebuch Eines Skandals“ für das schauspielerische Nonplusultra halte und die Verkörperung anderer Regentinnen Englands wie Elizabeth I. oder Victoria darüber hinaus eine größere Herausforderung bildet, doch Helen Mirren meisterte ihre Aufgabe vor allem bezüglich ihrer mimischen und gestischen Ausdrücke sehr erhaben, reduziert und authentisch, obwohl sie nach eigenen Angaben enorme Angst hatte, eine noch lebende Monarchin zu verkörpern. Darüber hinaus sorgte neben den souveränen Darstellungen von James Cromwell und Helen McCrory insbesondere Martin Sheen in der Rolle von Tony Blair für eine unerwartet positive Überraschung. Diese historische Momentaufnahme fand bei dem Königshaus indes weniger Anklang als „The King’s Speech“ und obendrein reicht sie an andere Meisterstücke von Frears wie „Philomena“ oder „Gefährliche Liebschaften“ wegen der dramaturgisch-inhaltlichen Glätte nicht heran, doch sehenswert und kurzweilig ist das Porträt, welches das dienstälteste Staatsoberhaupt der Welt in erster Instanz überaus reflektiert als loyale Dienerin der Nation präsentiert, allemal – nicht nur für Liebhaber des Genres.

UK / F / IT 2006 - 99 Minuten Regie: Stephen Frears Genre: Drama / Biographie Darsteller: Helen Mirren, Michael Sheen, James Cromwell, Alex Jennings, Helen McCrory, Sylvia Syms, Roger Allam, Tim McMullan, Alastair Campbell, Earl Cameron
UK / F / IT 2006 – 99 Minuten
Regie: Stephen Frears
Genre: Drama / Biographie
Darsteller: Helen Mirren, Michael Sheen, James Cromwell, Alex Jennings, Helen McCrory, Sylvia Syms, Roger Allam, Tim McMullan, Alastair Campbell, Earl Cameron

Ein Russischer Sommer (OT: The Last Station)

6

Helen Mirren, die Zweite. Oder eigentlich sogar die Dritte, zumindest im Hinblick auf die Zahl der bis dato von ihr erreichten Oscarnominierungen. Die britische Darstellerin bildet auch den mit Abstand größten Vorzugs der Koproduktion über den letzten Lebensabschnitt von Lew Nikolajewitsch Tolstoi, dem wohl bedeutendsten Schriftsteller Russlands. Obwohl die Schilderung der durch den bevorstehenden Nachlass turbulent gewordene Ehe der Tolstois, welche eine Brücke zur Gegenwart schlägt, in allen Facetten fein skizziert wurde, driftet mir der Fokus gelegentlich zu stark in den weniger essentiellen, unspektakulären, parallel angelegten Handlungsnebenstrang um ein anderes Liebespaar ab. Der Darstellung von McAvoy, der sein Geld praktisch immer wert ist, kann diesbezüglich kein Vorwurf gemacht werden, sondern eher dem nicht durchgängig entschlossenen Drehbuch und der stereotypen Charakterformung mehrerer Nebenrollen. Besonders stolz bin ich selbstredend darüber, dass der Dreh in meinen Heimatbundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt vonstattenging, wo sich viele wunderschöne Lokationen fanden. Weshalb jedoch Christopher Plummer, der den größten Teil der Screentime füllte und um den sich alles rankt, als NEBENdarsteller nominiert wurde, ist und bleibt ein Rätsel in meinen Augen. Daran wird erneut die häufige Willkür von Sparteneinteilungen deutlich, was allerdings nichts daran ändert, dass er wieder einmal mit scheinbarer Leichtigkeit agierte und die Charakteristika, die den raubeinigen und eigentümlichen Autor gekennzeichnet haben, sehr pointiert widerspiegelte. Aus meiner Sicht hat Helen Mirren ihre eben analysierte, preisgekrönte Leistung übertroffen, weil es ihr diesmal stärker geglückt ist, in Gestalt von Sofia Tolstoi eine leidenschaftliche, gleichermaßen spürbare Zerbrechlichkeit verströmende Figur zu kreieren. Dieses Porträt über einen betrachtenswerten Abschnitt „Prae-Putin’scher“ Slawistik ist zweifelsohne dank seiner beiden Protagonisten und einer auserlesenen Ausstattung und Belichtung sowie der Beherzigung des geschichtlichen Rahmens prädestiniert für einen poetischen Abend, dennoch hat man das inhaltliche Potential für das Niveau eines Zweistünders leider etwas unzureichend ausgeschöpft.

UK / D / RUS 2010 - 112 Minuten Regie: Michael Hoffman Genre: Historiendrama / Biographie / Romanze Darsteller: Christopher Plummer, Helen Mirren, James McAvoy, Paul Giamatti, Anne-Marie Duff, Kerry Condon, Patrick Kennedy, Thomas Spencer, John Sessions
UK / D / RUS 2010 – 112 Minuten
Regie: Michael Hoffman
Genre: Historiendrama / Biographie / Romanze
Darsteller: Christopher Plummer, Helen Mirren, James McAvoy, Paul Giamatti, Anne-Marie Duff, Kerry Condon, Patrick Kennedy, Thomas Spencer, John Sessions

Erin Brockovich

7

Wenn es um filmische Porträts über Powerfrauen geht, so scheint der Grad der Polarisierung nicht nur unter den Individuen mit XY-chromosomaler Veranlagung besonders hoch zu sein. Im Falle von „Erin Brockovich“ ist und war dies nicht anders, den ich für meinen Teil jedoch für zu Unrecht belächelt halte, denn Soderbergh hat mit seiner zehnten, in fünf Oscarkategorien berücksichtigten Veröffentlichung eine völlig neuartige, unkonventionelle Form des Justizdramas von ungeahnter sozialer-psychologischer Relevanz erschaffen. Trotz der (zu) ausgedehnten Laufzeit enthält das Werk eine klar strukturierte, angenehm dokumentarische Dramaturgie und man interessierte sich ganz besonders für die jeweiligen Einzelschicksale, auch wenn für meinen Geschmack in quantitativer Hinsicht beinahe zu viele Betroffene aus Hinkley als Charaktere eingebracht worden sind. Die bissigen Dialoge zielen dagegen weniger auf politische Korrektheit als auf Realitätsnähe ab und tragen zur durchgängigen Unterhaltung bei, während auch die technische Sphäre inklusive Schnitt zu überzeugen weiß. Nach wie vor bin ich jemand, der zu den Befürwortern von Julia Roberts Goldjungen zählt. Wenngleich Ellen Burstyn eine in ihrer Art überragende Performance abgeliefert hat, kann man gerade diese beiden Rollen nur sehr schwer direkt miteinander vergleichen und, obschon Roberts ihre beeindruckendste Leistung erst dreizehn Jahre später in „Im August In Osage County“ erbrachte, sollte man sich langsam davon lösen, ihr authentisches Agieren und den daraus resultierenden einstimmigen Sieg bei den Kritikern nach so langer Zeit schmälern zu wollen. Besonders das Zusammenspiel mit Albert Finney, ebenfalls völlig zu Recht oscarnominiert für diese unterhaltsame Rolle, könnte schwerlich amüsanter und frecher sein und auch Aaron Eckhart wertete das Ensemble auf, indem er einen Vorgeschmack auf seine brillante Performance in „Rabbit Hole“ lieferte. „Erin Brockovich“ stellt somit trotz minimaler Mankos nicht nur eine fokussierte Betrachtung einer der größten, amerikanischen Umweltskandale dar, sondern auch ein gelungenes Porträt einer Frau mit privaten Turbulenzen, die pöbeln darf, folglich auch nicht zur Heiligen stilisiert wird, jedoch stringent bereit ist, es mit einem ganzen Staat aufzunehmen.

USA 2000 - 130 Minuten Regie: Steven Soderbergh Genre: Justizdrama / Biographie Darsteller: Julia Roberts, Albert Finney, Aaron Eckhart, Marg Helgenberger, Peter Coyote, Veanne Cox, Cherry Jones, Pat Skipper, Jack Gill, Mimi Kennedy
USA 2000 – 130 Minuten
Regie: Steven Soderbergh
Genre: Justizdrama / Biographie
Darsteller: Julia Roberts, Albert Finney, Aaron Eckhart, Marg Helgenberger, Peter Coyote, Veanne Cox, Cherry Jones, Pat Skipper, Jack Gill, Mimi Kennedy

Jenseits Von Afrika (OT: Out Of Africa)

8

Während viele Regisseure sich gerade in den 1980ern zunehmend darauf konzentrierten, Provokationen oder technische Innovationen auf der Leinwand zu zelebrieren, gab es auf der anderen Seite auch jene, die versuchten, traditionelle Genres beizubehalten. „Jenseits Von Afrika“ ist in ebensolcher Weise ein hervorragend traditioneller Historienfilm und man könnte ihn mit Fug und Recht als „substantiellen Edelkitsch“ betiteln, der allerdings weitaus mehr als eine gefühlsduselige Dreiecksbeziehung schildert, sondern eben auch einen würdevoll-reflektierten Blick auf die spätkolonialistische Ära wirft. Im konkreten Fall dienen die wenigen geschichtlichen Modifikationen aus der Vita der dänischen Autorin und Farmerin Karen Blixen tatsächlich der Handlung, die sich wiederum durch nachdenkenswerte Wortwechsel und eine außerordentliche Palette an Metaphern auszeichnet. So steht der Zug für den Lauf des Lebens und die Natur für die Vielseitigkeit unseres Planeten im Kontrast zum oft egoistischen Vorgehen der westlichen Menschheit und Karens Erkrankung erinnert uns an die unvermeidbare Vergänglichkeit. Häufig bedarf es, analog zur Realität, auch keiner ausschweifenden Worte, insbesondere in der grandiosen zweiten Filmhälfte. John Barrys elegische, von virtuosen Geistesblitzen beseelten Kompositionen zählen für mich zu den schönsten Filmmusiken aller Zeiten und ich kann nicht sagen, wann ich jemals während einer heimischen Sichtung aufgrund der Harmonie zwischen den Bildern und der akustischen Untermalung eine derartige Gänsehaut bekommen habe wie in jenem Moment, als Karen und Denys über die kenianische Wildnis fliegen, wozu auch die fantastische Kameraführung maßgeblich beitrug. Wäre Geraldine Page nicht bereits sieben Mal zuvor leer ausgegangen, hätte Meryl Streep vermutlich schon zwei Dekaden und zehn (!) Nominierungen vor dem Erscheinen von „Die Eiserne Lady“ ihren dritten Oscar abstauben können, denn sie kommt Blixen nicht nur frappierend ähnlich, sondern offerierte selten ein höheres Maß an Sensibilität. Während Brandauer seiner Rolle passender Weise einen nonchalanten, arroganten Zug verlieh, zeigte Redford eine Leistung, von der man heute nur noch träumen kann. Dass große Liebesgeschichten nicht zwangsläufig für die Ewigkeit bestimmt sein müssen, hat Sydney Pollack dem Zuschauer mit dieser stimmigen, bestens ausgestatteten Biographie aufgezeigt. „Jenseits Von Afrika“ ist dankenswerter Weise ein durchgehend poetischer und ruhiger Film, auf den man sich wegen der Länge einlassen wollen muss und der für mein Befinden sieben berechtigte Oscarstatuetten erringen konnte und folglich nicht von ungefähr auf den vorderen Rängen der schönsten Liebesfilme des „American Film Institute“ rangiert.

USA 1985 - 160 Minuten Regie: Sydney Pollack Genre: Historiendrama / Biographie / Romanze Darsteller: Meryl Streep, Robert Redford, Klaus Maria Brandauer, Malick Bowens, Michael Kitchen, Joseph Thiaka, Stephen Kinyanjui, Michael Gough, Suzanna Hamilton, Rachel Kempson
USA 1985 – 160 Minuten
Regie: Sydney Pollack
Genre: Historiendrama / Biographie / Romanze
Darsteller: Meryl Streep, Robert Redford, Klaus Maria Brandauer, Malick Bowens, Michael Kitchen, Joseph Thiaka, Stephen Kinyanjui, Michael Gough, Suzanna Hamilton, Rachel Kempson

Kids

9

Vor genau zwanzig Jahren bei den Filmfestspielen von Cannes wurde das Erstlingswerk von Larry Clark unter Produktionsaufsicht von Gus van Sant uraufgeführt, konkurrierte prompt um die „Goldene Palme“ und wurde weiterhin für insgesamt vier Independent-Spirit-Awards nominiert. Obgleich „Kids“ nicht optimal gealtert ist und wegen der Zurschaustellung von sexuellen Handlungen Minderjähriger massiv in die Kritik geriet, kann er sowohl als nachwirkende, fernab des Regelfalls zu verortende Milieustudie der allzu achtlosen New Yorker Jugendkultur mit all ihren mannigfachen Einflüssen als auch als Mahnwerk für einen verantwortungsbewussten Umgang in Bezug auf „Safer Sex“ angesehen werden. Es fehlt jedoch trotz der brisanten Thematik um einen Aufreißer, der anstrebt, so viele jungen Mädchen wie möglich die Unschuld zu rauben, vermehrt an dramaturgischer und inszenatorischer Raffinesse, denn das Sujet hätte nicht nur die Abbildung des voradoleszenteren Jargons vertragen können, sondern auch ein paar mehr substantiellere Dialoge, gerade weil Identifikationsflächen zu den Charakteren durchaus vorhanden sind. Zudem ist der Blick auf HIV als Erkrankung doch noch auffallend von der panischen Haltung der 1980er geprägt und der kolportierte Pessimismus muss daher eher als aufrüttelndes Sinnbild verstanden werden, während viele der Soundtrackbeiträge sich gewinnbringend in ebendiese Stimmung einfügten. Die Jungdarsteller, allesamt auf Initiative des Regisseurs besetzte Laien, von denen tragischer Weise drei im wahren Leben an einer Überdosis starben, bieten in ihren Debüts sehenswerte, größtenteils ungekünstelte Leistungen, allen voran Chloë Sevigny, die ihre Ängste im Zuge der HIV-Infektion glaubhaft transportieren konnte. Trotz augenscheinlicher Defizite möchte ich von einem größtenteils kompromisslosen Porträt über eine seit Jahren zunehmend emotional verkümmernde Generation sprechen, doch man sollte sich dieses unbedingt in der Originalfassung anschauen, weil die deutsche Synchronisation ein absolutes Desaster ist. Demzufolge erscheint „Kids“ ambitioniert, aber trotz der veräußerten, nüchtern-kühlen Härte handelt es sich letzten Endes doch nur um leicht überdurchschnittliche Ware, war insofern aber nicht ganz unwichtig innerhalb des filmischen Kanons der Dekade, als dass sie damals einen notwendigen, öffentlichen Diskurs in Gang brachte.

USA 1995 - 91 Minuten Regie: Larry Clark Genre: Jugenddrama Darsteller: Leo Fitzpatrick, Justin Pierce, Chloë Sevigny, Rosario Dawson, Yakira Peguero, Jon Abrahams, Harold Hunter, Sajan Bhagat
USA 1995 – 91 Minuten
Regie: Larry Clark
Genre: Jugenddrama
Darsteller: Leo Fitzpatrick, Justin Pierce, Chloë Sevigny, Rosario Dawson, Yakira Peguero, Jon Abrahams, Harold Hunter, Sajan Bhagat

Mäusejagd Auf Der Titanic (OT: La Leggenda Del Titanic)

10

Zugegeben: Bereits die deutsche Transkription des Titels war eigentlich aussagekräftig genug, doch eine solch dramatisches Ausmaß hatte ich wahrlich nicht befürchtet, schon gar nicht von einem niedlich anmutenden, italienischen Zeichentrickfilm, der bisweilen im Nachmittagsprogramm läuft. Ein vorrangig auf animierte Serien spezialisiertes Regieduo ist verantwortlich für eine eine mit Ausnahme von wenigen unterhaltsamen Momenten abstruse, flatterige Mixtur aus zwischen Belanglosigkeit und Umnachtung schwankenden Umdeutungen bezüglich der Jungfernfahrt der RMS Titanic aus der Perspektive von Mäusen und anderen animalischen Wesen. Der eigenwillige Zeichenstil wirkt uninspiriert, größtenteils sogar äußerst lieblos und besonders in jenen Augenblicken unstimmig, in denen wir animierte Szenenübergänge vorfinden. Hinzu kommt, dass sämtliche Charaktere entweder sterbenslangweilig, derart nervig, dass man meint, die Grafiker hätten etwas eingeworfen oder aber uncharmante, schlecht kopierte Abziehbilder aus Camerons unmittelbar zuvor erschienenen Katastrophenfilm sind. Nicht einmal die Synchronisation oder aber die musikalische Untermalung kann als halbwegs gelungen oder bemüht befunden werden. Diese glücklicherweise weitestgehend in Vergessenheit geratene Produktion lehrt dem geneigten Betrachter vor allem, dass aus Gründen der Vernunft über manche Ereignisse einfach keine heiteren Kinderfilme gedreht werden sollten, denn „Mäusejagd Auf Der Titanic“ wirkt insbesondere hinsichtlich des stümperhaften Endes, in dem ein Riesenkraken (!) die Havarie einläutet, vollkommen unsensibel und pietätlos angesichts der Tragik eines Unglücks, bei dem 1500 unschuldige Menschen ihr Leben verloren. Obwohl dieser historische Rahmen der Hauptzielgruppe selbstverständlich wenig bis überhaupt nicht bewusst sein dürfte, hätte man sich sowas verkneifen müssen. Das auf Spielfilmlänge aufgeblasene, überwiegend unspannende Abenteuer mit fragwürdiger Moralvermittlung vermag aber ohnehin nicht einmal die Kleinsten begeistern.

IT / USA 1999 - 84 Minuten Regie: Orlando Corradi & Kim J. Ok Genre: Zeichentrickfilm / Abenteuer
IT / USA 1999 – 84 Minuten
Regie: Orlando Corradi & Kim J. Ok
Genre: Zeichentrickfilm / Abenteuer

Plötzlich Im Letzten Sommer (OT: Suddenly, Last Summer)

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Damals im Wortlaut von einem Zeitgenossen als „lächerliches und eintöniges Potpourri aus Inzest, Homosexualität und Psychiatrie“ verrissen, gilt das auf einem unkonventionellen, nicht minder brillanten, von autobiographischen Färbungen durchzogenen Bühnenstück von Tennessee Williams basierende Psychodrama heute als Geheimtipp unter den düsteren Theaterverfilmungen made in Hollywood. Auch ich schätze sie sehr, was allerdings nicht allein dem Engagement der großen Katharine Hepburn zu schulden ist, sondern viel mehr dem vielschichtigen, multilateral deutbaren Inhalt voll von Aspekten wie Schizophrenie, Elternkomplexen und sogar Kannibalismus. Angesichts dieses unheilvollen, in Einklang mit der an- und abschwellenden Musik fortwährend kriminalistisch inszenierten, auffallend dialoglastigen und verhältnismäßig handlungsarmen Werk muss der Zuschauer jedoch wirklich bereit sein, sich auf die Wortwechsel einzulassen, um die breite Palette an Zwischentönen vollends erfassen zu können – und genau dies wird so manchem eventuell nicht gefallen. Gerade das Bestreben, nicht „Everbody’s Darling“ zu sein, lässt dieses Kammerspiel zu einem Leckerbissen avancieren, das entscheiden von seiner Atmosphäre und seinen tiefenpsychologischen Darstellungen lebt. Witziger Weise erhielt Hepburn den Part der Violet erst nach einer Absage von Vivien Leigh, doch Erstere glänzt gerade hierin mit spürbarer Eiseskälte in einer ihrer meisterhaftesten Rollen. Elizabeth Taylor und Montgomery Clift, im Privaten zeitlebens enge Freunde, arbeiteten zum dritten und letzten Mal vor der Kamera miteinander. Souverän agiert Clift als Gehirnchirurg, wenngleich lange nicht so brillant wie in „Das Urteil Von Nürnberg“ und „Ein Platz An Der Sonne“, gelegentlich merkt man ihm die Folgen seines schweren Autounfalls von 1957 sogar an. Taylor dagegen gab die wahnsinnig Gewordene einmal mehr mit absoluter, emotionaler Hingabe und erhielt zu Recht ihre dritte Oscarnominierung in Folge. Da beide Damen, welche dazu beitrugen, das Spektrum weiblichen Schauspiels zu erweitern, als Hauptdarstellerinnen nominiert wurden, liegt der Verdacht nahe, dass sie sich gegenseitig einen beträchtlichen Stimmenanteil abspenstig gemacht haben dürften. „Plötzlich Im Letzten Sommer“ mag sicherlich nicht das Format des Jahrhundertopus‘ „Endstation Sehnsucht“ haben, erscheint aber insbesondere im Hinblick auf die Entstehungszeit ähnlich visionär und couragiert sowie letztlich als überdeutlicher Appell gegen die umstrittenen Lobotomien.

USA 1959 - 114 Minuten Regie: Joseph L. Mankiewicz Genre: Psychodrama Darsteller: Elizabeth Taylor, Katharine Hepburn, Montgomery Clift, Albert Dekker, Mercedes McCambridge, Gary Raymond, Mavis Villiers, Patricia Marmont, Joan Young
USA 1959 – 114 Minuten
Regie: Joseph L. Mankiewicz
Genre: Psychodrama
Darsteller: Elizabeth Taylor, Katharine Hepburn, Montgomery Clift, Albert Dekker, Mercedes McCambridge, Gary Raymond, Mavis Villiers, Patricia Marmont, Joan Young

Sister Act – Eine Himmlische Karriere (OT: Sister Act)

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Nach Jahren habe ich mir einmal wieder, dank einem dezentem Hinweis von Heiko, eine der vielleicht beliebtesten Komödien der gesamten 90er mit der wohl göttlichsten und schrägsten Verkörperung einer Nonne wider Willen samt der Fortsetzung zu Gemüte geführt und war im Falle des ersten Teils so zufrieden wie eh und je. Wie viel man aus einem an sich simplen, sich wohldosiert zwischen Krimi, Musikfilm und Komödie bewegenden Drehbuch formen kann, beweist Regisseur Ardolino hier mit einem harmonischen, kurzweiligen Film und einem Übermaß an Herz, Charme, augenzwinkerndem Wort- und Situationswitz sowie Temporeichtum. Trotz der textuell tiefreligiösen Gospels in hervorragender Akustik sorgen die nach und nach optimierten Chrorauftritte jedes Mal aufs Neue auch bei glaubensfernen Zuschauern einfach für hymnenhafte Lebensfreude. Umso bedauerlicher mutet es an, dass das inzwischen seit neun Jahren aufgeführte Musicalfassung (wohl aus eigentumsrechtlichen Gründen) kein einziges dieser wunderbaren Lieder à la „Salve Regina“ und „I Will Follow Him“ enthält. Obwohl man in den Dialogen gelegentlich unverkennbar spitze Aphorismen sowie viele Sequenzen, in denen man Tränen lachen darf, vorfindet, wurde das Alltagsleben und die tiefe Frömmigkeit in klösterlichen Mauern aber im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen nie der Lächerlichkeit preisgegeben, sondern würdevoll betrachtet. Wohl niemand hätte Deloris van Cartier glaubhafter und ergötzlicher spielen können als Sympathieträgerin Whoopi Goldberg, nicht einmal die zeitweilig in Betracht gezogene Bette Midler. Neben Harvey Keitel, einer gut aufgehobenen, aufgedrehten Kathy Najimy und Mary Wickes in einer ihrer letzten Filmrollen wertet vor allem Maggie Smith als strenge Leiterin des Konvents die Darstellerriege enorm auf. Die verhältnismäßig niedrige Bewertung des zweifach für einen Golden Globe nominierten Klassikers auf vielen führenden Filmportalen hat mich im Übrigen doch mehr als überrascht, ändert an meiner Meinung jedoch wie immer nichts, denn „Sister Act“ ist und bleibt aus meiner Sicht ein Highlight des Genres. Gelobt sei der Herr! 🙂

USA 1992 - 100 Minuten Regie: Emile Ardolino Genre: Komödie / Musikfilm Darsteller: Whoopi Goldberg, Maggie Smith, Kathy Najimy, Wendy Makkena, Mary Wickes, Harvey Keitel, Bill Nunn, Joseph Maher, Carmen Zapata, Pat Crawford Brown
USA 1992 – 100 Minuten
Regie: Emile Ardolino
Genre: Komödie / Musikfilm
Darsteller: Whoopi Goldberg, Maggie Smith, Kathy Najimy, Wendy Makkena, Mary Wickes, Harvey Keitel, Bill Nunn, Joseph Maher, Carmen Zapata, Pat Crawford Brown

Sister Act 2 – In Göttlicher Mission (OT: Sister Act 2: Back In The Habit)

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Wenn der erste Teil eines Erfolgsproduktes regelrecht einen Publikumshype auslöste, ist es mit Fortsetzungen sprichwörtlich immer „so eine Sache“ und es war in der Tat war nahezu unmöglich, die Güte der Komödie von 1992 erneut zu erreichen. In dem von einem anderen Regisseur realisierten Sequel wird die inzwischen erfolgreiche Showsängerin Deloris erneut dazu überredet, in den Habit zu schlüpfen, um an einer maroden High School unter kirchlicher Aufsicht Musik zu lehren. Die Grundidee von aufsässigen Schülern, die erst durch das Chorsingen ihre „Null-Bock“-Einstellung ablegen, war durchaus gut gemeint und spricht jüngere Zuschauer an, allerdings bildete diese naheliegende Handlung nicht unbedingt mein Lieblingsszenario, weswegen vor allem das Drehbuch nicht die energetisch-mitreißende Qualität des Vorgängers besitzt. Zudem fehlte es in an der gesanglichen Interaktion des liebgewonnenen Nonnenchores, wenngleich zwischen den im zweiten Part erneut auftauchenden Charakteren die darstellerische Chemie erneut stimmte, sie allesamt charismatische Leistungen liefern und insbesondere Goldberg ähnlich spiellustig auftrat. Mit „Ain’t No Mountain High Enough“ tauchte der mit Abstand gelungenste der Songs leider erst im Abspann auf, doch auch „Joyful, Joyful“ kann sich aufgrund der sichtbaren Sangesfreude und Dynamik der Beteiligten hören und sehen lassen, einige der Gesangsszenen wurden sogar kurzerhand gänzlich improvisiert. Die Dialoge und Gags konnten zwar nicht ausnahmslos zünden, nichtdestotrotz kam keine Langeweile auf, wofür einige witzige Neuzugänge innerhalb des Ensembles wie der spätere Oscargewinner James Coburn und ein wunderbar selbstironischer Thomas Gottschalk verantwortlich sind. „Sister Act 2“ stellt, entgegen vieler Kritikermeinungen, keinen schlechten Film dar, dennoch verschwindet er für mein ohnehin kritisches Befinden, was Komödien anbelangt, ein bisschen im Pool durchschnittlicher Genreware, da die Spontaneität des Vorgängers teilweise auf der Strecke blieb. Ich bin den Machern dennoch in gewisser Dankbarkeit verbunden, denn das Engagement von Lauryn Hill brachte ihre Musikkarriere erst richtig ins Rollen. Einen dritten Teil wird es im Übrigen aufgrund des Ablebens vieler Kolleginnen nicht geben, wie Goldberg vor wenigen Wochen konstatierte, was vielleicht als gut befunden werden kann, denn manchmal geht einfach nichts über das Bewährte.

USA 1993 - 107 Minuten Regie: Bill Duke Genre: Komödie / Musikfilm Darsteller: Whoopi Goldberg, Kathy Najimy, Maggie Smith, Barnard Hughes, Mary Wickes, James Coburn, Michael Jeter, Wendy Makkena, Lauryn Hill, Jennifer Love Hewitt, Thomas Gottschalk
USA 1993 – 107 Minuten
Regie: Bill Duke
Genre: Komödie / Musikfilm
Darsteller: Whoopi Goldberg, Kathy Najimy, Maggie Smith, Barnard Hughes, Mary Wickes, James Coburn, Michael Jeter, Wendy Makkena, Lauryn Hill, Jennifer Love Hewitt, Thomas Gottschalk

The Boy Next Door

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Diesem kürzlich veröffentlichten Machwerk sah man seine zweifelhafte Qualität eigentlich schon beim verstohlenen Blick auf das Plakat an, doch „in meiner bekannt liebenswürdigen Art“ – um Jochen Busse zu zitieren – habe ich ihm doch eine Chance eingeräumt, wohl auch, weil ich „Genug“ mit La Lopez in der Hauptrolle seinerzeit gar nicht einmal so schlecht gefunden habe – und wurde mit anderthalb, von Fremdscham und unfreiwilliger Komik geprägten Stunden bestraft. Cohen und sein Team haben hier in meinen Augen im Prinzip alles falsch gemacht, was möglich war und das inzwischen inflationär verwendete Wort „klischeebeladen“ war selten zuvor so angebracht wie im konkreten Falle, denn zum gefühlt hundertsten Mal wurde ausgerechnet eine Lehrerin als Protagonistin gewählt, die von ihrem knackigen Nachbarsjungen, der locker ihr Sohn sein könnte, verführt und anschließend bedrängt wird. Neben dieser stereotypen Konstellation verärgerten vor allem die typisch-amerikanischen, prüden und entsetzlich gekünstelten Sexszenen und der hanebüchene Handlungsfortgang hätte schwerlich ein höheres Maß an drittklassigen Dialogen und einer faden Vorhersehbarkeit beinhalten können. Weil die Beweggründe aller Charaktere darüber hinaus stets komplett sinnentleert wirken, wird ein ernstes, hochrelevantes Thema wie das Stalken komplett ins Groteske gezogen. Mit Blick auf die kommende Verleihung der „Goldenen Himbeere“, schreit Jennifer Lopez förmlich schon jetzt lauthals „Her damit!“ Es gibt – so leid mir das auch tun mag – vermutlich Steine, die mehr Ausdruckskraft und Authentizität besitzen als sie, weswegen die Gute langsam akzeptieren sollte, dass sie ebenso wenig Schauspieltalent hat wie fast alle der austauschbaren Ensemblemitglieder, die von vorn bis hinten auf Sparflamme agieren. Ryan Guzman mag natürlich ein heißes Kerlchen sein, doch der moderate Erfolg an den Kinokassen dürfte wohl eher seiner Optik als seinen dürftigen, darstellerischen Fähigkeiten zu verdanken sein. In vielen Belangen bestehen somit Parallelen zu „Fifty Shades Of Grey“, in dessen Fahrwasser man sich anscheinend (ähnlich misslungen) auch bewegen möchte. Das einzig Positive auf breiter Flur stellte der toll arrangierte Song „Whispering“ von Alex Clare dar, doch ich hätte mir verzweifelt gewünscht, dass dieser einen Film abgerundet hätte, der ihm zumindest in Ansätzen würdig gewesen wäre.

USA 2015 - 90 Minuten Regie: Rob Cohen Genre: Erotikthriller Darsteller: Jennifer Lopez, Ryan Guzman, John Corbett, Ian Nelson, Kristin Chenoweth, Lexi Atkins, Hill Harper, Jack Wallace, Adam Hicks, François Chau
USA 2015 – 90 Minuten
Regie: Rob Cohen
Genre: Erotikthriller
Darsteller: Jennifer Lopez, Ryan Guzman, John Corbett, Ian Nelson, Kristin Chenoweth, Lexi Atkins, Hill Harper, Jack Wallace, Adam Hicks, François Chau

Unterwegs Nach Cold Mountain (OT: Cold Mountain)

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Für alle Freunde der Statistik: Nach „Nashville“ ist „Unterwegs Nach Cold Mountain“ der Kinofilm, der bis dato zusammen mit „Cabaret“ und „Titanic“ die zweitmeisten Golden-Globe-Nominierungen, nämlich acht, auf sich vereinen konnte, von Seiten der Academy reichte es immerhin für sieben Nennungen in sechs verschiedenen Kategorien. Nachvollziehen, warum insbesondere die „HFPA“ das unter hohem Kostenaufwand produzierte Drama von Anthony Minghella, welcher leider deutlich zu früh von uns ging, derart viel Liebe entgegenbrachte, kann ich vollkommen nachvollziehen – nicht nur, weil Nicole Kidman und vor allem Jude Law wieder ansehnliche Leistungen darboten. All jenen Kritikern, die das Resultat als ungenügend hinsichtlich der Rolle der Afroamerikaner in den Konföderierten Staaten bezeichnen, kann ich mich beim besten Willen nicht anschließen, weil man sich neben dem durch die angloamerikanische Urkatastrophe getrennten Liebespaar legitimer Weise auf das ebenso harte Schicksal der zurückgelassenen Frauen und die Konsequenzen des Desertierens konzentriert hat, gleichwohl ist es diesbezüglich natürlich nicht so tiefschürfend wie beispielsweise „Vom Winde Verweht“. Insbesondere die „Kraterschlacht“ vom 30. Juli 1964 wurde technisch perfekt und in all ihrer Grausamkeit dargestellt, allerdings zeigte sich infolgedessen eindrucksvoll, dass Kriegshandlungen sich in den seltensten Fällen nur auf die Front beschränken. Eine kurzfristige Raffung des stark dialogisierten Gefüges, das vom Gleichgewicht zwischen Wirklichkeitsnähe und Sensibilität bestimmt wird, hätte vermutlich gut getan, dennoch entschädigt dafür die Besetzung einer regelrechten „Crème de la Crème“ von Darstellern. Ich verwehre mich entschieden dagegen, dass Zellwegers Oscar nur eine reine Wiedergutmachung für ihre Niederlage im Jahr zuvor gewesen ist, und zwar weil sie einerseits im Jahr 2003 gegen Kidman korrekter Weise keine Chance hatte und andererseits diese raubeinige Rolle sogar mich, als einen ihrer größten Kritiker, umgehauen hat. Des Weiteren holte Natalie Portman aus ihrem gerade einmal zehnminütigen Part Erstaunliches heraus, während Sutherland und Gleeson souveräne Darbietungen zeigten und Philipp Seymour Hoffman selten unterhaltsamer agierte. Inmitten elegant fotografierter, naturbelassener, rumänischer Landschaften und unterstützt von zeittypischen Kulissen und Kostümen sowie einer fantastischen Musik samt „You Will Be My Ain True Love“ von Sting hat man dementsprechend ein im besten Sinne altmodisches und stimmiges Genreexempel inszeniert. Anstelle von „Master & Commander“ hätte man seinerzeit meines Erachtens lieber diesen, in vielen Belangen berührenden Film in den wichtigsten Kategorien nominieren sollen.

USA / UK / RO / IT 2003 - 150 Minuten Regie: Anthony Minghella Genre: Historienfilm / Liebesdrama / Kriegsfilm Darsteller: Jude Law, Nicole Kidman, Renée Zellweger, Ray Winstone, Brendan Gleeson, Eileen Atkins, Donald Sutherland, Philip Seymour Hoffman, Natalie Portman, Emily Deschanel
USA / UK / RO / IT 2003 – 150 Minuten
Regie: Anthony Minghella
Genre: Historienfilm / Liebesdrama / Kriegsfilm
Darsteller: Jude Law, Nicole Kidman, Renée Zellweger, Ray Winstone, Brendan Gleeson, Eileen Atkins, Donald Sutherland, Philip Seymour Hoffman, Natalie Portman, Emily Deschanel
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