A Single Man

© Fade to Black

Wenn eine ursprünglich in der Musik- oder Modebranche beheimatetete Person Knall auf Fall ins Filmfach einsteigt, geht dies sicherlich in den allerseltensten Fällen gut, denn vielfach leben fantastische Leinwandproduktionen von der Erfahrung ihres jeweiligen Regisseurs. Im Falle des seit annähernd 25 Jahren erfolgreichen Designers Tom Ford darf dagegen mit Fug und Recht von einem sensationellen und zutiefst überraschenden Regiedebüt gesprochen werden – neben Mike Nichols Erstlingswerk „Wer Hat Angst Vor Virginia Woolf?“ vielleicht sogar von einem DER besten. „A Single Man“, dessen markant-geschliffenes, romanbasiertes Drehbuch ebenfalls aus der Feder von Ford stammt, wurde seinerzeit unter tosendem Beifall im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig uraufgeführt und möchte dem Publikum insbesondere vor Augen führen, wie sehr die menschliche Existenz, speziell aber jene von gleichgeschlechtlich Liebenden, von Hoffnung, Geborgenheit und Romantik bestimmt wird, andererseits aber auch von unzähligen Momenten voller Tragik, Ressentiments, innerer Kämpfe, Verunsicherung und seelischer Ödnis.

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Was Tom Ford in Form einer psychologisch dichten, bittersüßen Charakterstudie über den nach einem jähen Schicksalsschlag lethargisch gewordenen Universitätsprofessor George in Szene gesetzt hat, ist bemerkenswert. Jedes einzelne Handlungssegment, jeder lebensnahe Dialog, jeder Schnitt und jede hautnahe, detailorientierte Kameraeinstellung hat dabei einen konkreten Sinn und wird in Einklang mit der besonnenen Dramaturgie zu einer ästhetischen Einheit verbunden. Überdies zeichnen eine wohlüberlegte Farbgestaltung die träumerisch-melancholische Atmosphäre aus, die inhaltlich mehrfach von frontalen Rückblenden und nachvollziehbaren Einblicken in die jeweiligen Seelenleben der Protagonisten durchbrochen wird und in einen Schlussakt mündet, der kaum bewegender hätte arrangiert werden können. Hinzu gesellt sich neben elegant-legeren Kostümen ein zeittypisches Szenenbild, das die frühen 1960er visuell auferstehen lässt. Darüber hinaus schenkte uns Abel Korzeniowski eine ganze Palette an elegischen, emotional aufgeladenen Kompositionen zum Niederknien und speziell das sich einbrennende Stück „Clock Tick“ zeugt von absoluter Genialität. Dass das musikalische Schaffen des gebürtigen Polen allerdings kein One-Hit-Wonder gewesen ist, konnte er kurz darauf in Gestalt von „W.E.“ sowie „Nocturnal Animals“ erneut eindrucksvoll unter Beweis stellen.

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In darstellerischer Hinsicht bewegte man sich ebenfalls auf höchstem Niveau, welches Cineastenherzen höher schlagen lassen dürfte. Obschon Colin Firth für seine großartige Performance in dem nur ein Jahr später veröffentlichten Historienspektakel „The King’s Speech“ absolut zu Recht den Oscar erhielt, lässt er den Zuschauer in diesem Drama an seinem (bisherigen) Karrierehöhepunkt teilhaben, und zwar an einer intimen, authentischen und tiefempfundenen Darbietung, die einen mitten ins Mark trifft. Speziell seine Fähigkeit zur Interaktion und mühelos anmutenden, mimischen Expressivität erscheint dabei als außergewöhnlichstes Charakteristikum. Was jedoch Julianne Moore aus ihrer gerade einmal 15-minütigen, zwischen Hypertonie und Gebrochenheit schwankenden Rolle der Charley herausgeholt hat, kann nur als inspirierend und genuin betitelt werden, sodass eine entsprechende Würdigung wünschenswert gewesen wäre. Des Weiteren zeigen auch Nicholas Hoult und Matthew Goode mit ihren nuancierten Performances, dass man nicht unbedingt die Funktion des Hauptdarstellers innehaben muss, um sich ins Gedächtnis des Betrachtenden einbrennen zu können.

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Dass dieses Gesamtkunstwerk, welches den nagenden Schmerz des Verlusts der großen Liebe fokussiert und in seiner ohnmächtigen Reinform abbildet, im Kontrast zu drei Golden-Globe-Nennungen nur eine einzige, darüber hinaus unausweichliche (Darsteller-)Nominierung von Seiten der Academy erhielt, erfüllt mich insbesondere deshalb bis heute mit Unverständnis und Trübsal, weil sich „Avatar“ und „The Hurt Locker“, die von mir beide ein hohes Maß an Schelte bezogen haben, um sämtliche Hauptpreise stritten, die Abstimmungsberechtigten die zeitlose Schönheit dieses Unikats mit sozialkritischen Untertönen jedoch scheinbar nicht erkannt haben. Von ebenjener persönlichen Präferenz unberührt, ist „A Single Man“ zweifellos – sofern man bereit ist, sich auf die Geschichte einzulassen – nicht nur ein anspruchsvoller, zu Herzen gehender und gänzlich unsentimentaler Film, sondern auch ein Höhepunkt des „schwulen Kinos“.

USA 2009 - 99 Minuten Regie: Tom Ford Genre: Drama Darsteller: Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult, Matthew Goode, Jon Kortajarena, Paulette Lamori, Ginnifer Goodwin, Aline Weber, Ryan Simpkins
USA 2009 – 99 Minuten
Regie: Tom Ford
Genre: Drama
Darsteller: Colin Firth, Julianne Moore, Nicholas Hoult, Matthew Goode, Jon Kortajarena, Paulette Lamori, Ginnifer Goodwin, Aline Weber, Ryan Simpkins
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