Die Oscars sind vergeben und vor knapp 2 Wochen hab ich einen näheren Blick auf alle 8 nominierten Filme in der Königskategorie „Bester Film“ geworfen und sie zudem gerankt. Hier könnt ihr nochmal einen Blick auf diese werfen, wenn ihr mögt! Aber nicht nur Filme der Königskategorie haben einen Blick verdient, sondern auch jede Menge der nominierten Filme, die sich knapp geschlagen geben mussten. Folgend sollen einige davon näher betrachtet werden. Wie immer sind Kommentare Willkommen! Auch darf gerne diskutiert werden, welche davon mehr Beachtung verdient gehabt hätten. Viel Spaß!
Ammonite
Die Paläontologin Mary Anning (Kate Winslet) hat sich in ein Provinsnest an der Küste im Südwesten Englands zurückgezogen, nachdem ihr autodidaktisch gesammeltes Wissen als Paläontologin vom männlich dominierten Forschungsbetrieb hochnäsig ignoriert wurde. Bei Wind und Wetter sucht sie am Strand nach angeschwemmten Versteinerungen, jenen titelgebenden Ammoniten, die sie an Touristen in ihrem kleinen Laden verkauft. Das Schicksaal hat ihr übel mitgespielt. Nicht selten wirkt die Heldin selbst wie versteinert. Nur widerwillig stimmt sie dem lukrativen Angebot eines wohlhabenden Reisenden zu, der ein üppiges Honorar zahlt, damit sie sich für vier Wochen um seine gesundheitlich angeschlagene, junge Gattin kümmert und er ungehindert in den Urlaub reisen kann. Der frostigen Ablehnung von Mary zu Beginn, folgt bald die zunehmende Annäherung und entwickelt sich schließlich zur leidenschaftlichen Liebe. Doch das große Glück scheint bedroht, als der Gatte von Charlotte im Brief seine Rückkehr ankündigt…
Ammonite überzeugt durch großartige Wahrhaftigkeit, ohne jeglichen Kitsch. Regisseur Francis Lee setzt, wie auch schon bei seinem Leinwanddebut God´s own Country, auf atmosphärisch dichte Bilder von Kameramann Stéphane Fontaine (Jackie) und psychologisch präzisen Figuren, die mit großer Glaubwürdigkeit und Hingabe von Oscarpreisträgerin Kate Winslet und Oscar-Nominee Saoirse Ronan verkörpert werden. Bereits in der ersten Begegnung spürt man die perfekte Chemie zwischen den beiden Ausnahmeaktrissen. Kleine Gesten genügen dem famosen Schauspiel-Duo für die überzeugende Darstellung ihrer Gefühlswelten. Winzige Details unterstreichen unaufdringlich die Wahrhaftigkeit. Für Liebhaber intimer Art House Filme ein Muss.
Der Rausch (OT: Druk)
Martins Ehe ist seit Jahren eingeschlafen und auch sein Job stellt ihn nicht mehr zufrieden. Täglich schleppt sich der Geschichtslehrer in den Klassenraum um vor seinen Schüler*innen demotiviert Vorträge herunterzuleiern, bis mehrere Eltern vor Martin stehen und von ihm verlangen seiner pädagogischen Verpflichtung mehr Energie zu widmen, damit der Nachwuchs nicht durch die Prüfungen rauscht. Doch woher diese Energie nehmen, wenn der Trott des Alltags der eigenen Existenz jegliche Spannung und jeglichen Reiz nehmen? Abhilfe verspricht eine Theorie des norwegischen Psychologen Finn Skårderud, über die Martin von seinen drei Kollegen und zugleich besten Freunden aufgeklärt wird. Laut der wird der Mensch mit 0,5 Promille Alkohol zu wenig im Blut geboren. Diesen mutmaßlichen Mangel zu kompensieren, sorge für mehr Locker- und Zufriedenheit im Alltag, im sozialen und beruflichen Leben, für mehr Kraft und Lebensgeist. Angefixt von der Idee nimmt Martin am nächsten Tag auf der Schultoilette ein paar Schlücke aus dem Flachmann – und plötzlich läuft es. Sowohl im Unterricht, wo die Jugendlichen wieder gespannt seiner neuen Herangehensweise an den Stoff lauschen, als auch in seiner Beziehung. Beim nächsten Treffen mit den Kollegen berichtet Martin von seinen positiven Erfahrungen, und gemeinsam wird beschlossen, ein Langzeitexperiment zu beginnen: Alle vier wollen fortan täglich von morgens bis abends konstant einen Pegel von 0,5 Promille halten und ihre Erfahrungen dokumentieren…
Vordergründig scheint sich Der Rausch für die Fragen zu interessieren, wo denn nun die Grenzen zwischen Genuss und Sucht liegen mögen, wo die Unterschiede bei der gesellschaftlichen Akzeptanz von Alkoholkonsum in verschiedenen Lebens- und Verantwortungsbereichen liegen und warum sie so willkürlich erscheinen. Eine famose Montage aus Archivbildern mit volltrunkenen Politikern scheint geradezu zu schreien: Und diesen Saufnasen vertrauen wir unsere Regierungen an, während Trinken in anderen Jobs verpönt ist? Dass im Falle von Der Rausch Pädagogen im Mittelpunkt stehen und damit Minderjährige involviert sind, treibt das Konfliktpotential des sich hier entspannenden Gedankenspiel natürlich bewusst auf die Spitze. Doch genau das macht die Angelegenheit so spannend. Hinzu kommt, dass – auch wenn hier unschwer anklagende Töne zu vernehmen sind – sich Vinterberg und Lindholm niemals auf eine moralisch-mahnende Position festlegen. Somit bleibt Der Rausch bis zum Schluss ein Film der Differenzen und Differenzierungen, der offenen Fragen, der ethischen Grautöne und charakterlichen Ambivalenzen. Ein ungewöhnliches Werk, mit einem herausragenden Mads Mikkelson, dass trotz der gelungenen Umsetzung nicht frei von kritischen Stimmen gegen den zelebrierten Alkoholkonsum sein dürfte und auch aus diesem Grund der Gewinn von 39 internationalen Filmpreisen, inkl. 4 europäischen Filmpreisen und dem Oscar für den „Besten internationalen Film“ überrascht.
The United States vs. Billie Holiday
Die afroamerikanische Sängerin Billie Holiday (Andra Day) ist eine der größten und bedeutendsten Soul- und Jazzsängerinnen aller Zeiten. Jedoch ist ihr Song „Strange Fruit“, der in grausamen Details das Unrecht der Lynchjustiz, vor allem im Süden der USA, behandelt, vielerorts ein Dorn im Auge. Ihr Manager möchte gar weiteren Ärger verhindern und ihr untersagen, das Lied bei öffentlichen Auftritten zu singen, wogegen sich Billie weigert. Ohne ihr Wissen bringt sie dies ins Fadenkreuz des FBI, die in Gestalt von Agent Harry J. Anslinger (Garrett Hedlund) auftritt und Holiday aufgrund ihres Drogenkonsums aus dem Verkehr ziehen möchte, um sie Mundtot zubekommen. Als Mittelsmann tritt der junge afroamerikanische Agent Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) soll das Vertrauen Holidays für sich gewinnen, doch der lernt die wahre Billie Holiday mitsamt ihr Leiden und ihr Trauma kennen, welche der Kampf gegen Rassismus und Ungerechtigkeit als Tribut von ihr fordern…
The United States vs. Billie Holiday ist eine Mischung aus Biopic und Drama. Lee Daniels entwirft mehr als nur das Porträt einer Künstlerin, sondern in vielen Momenten auch das Bild einer Zeit, die Anpassung forcierte, meist unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Drogen oder gegen eine feindliche Ideologie. Besonders dank seines Ensembles und der unnachahmlichen Songs Billie Holidays entsteht ein packendes Porträt über seine Heimat und dessen Geschichte, in der besonders die atemberaubende Darstellung von Andra Days einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Der verdiente Lohn waren u.a. der Golden Globe und eine Oscarnominierung. Leider wurde das Werk meiner Ansicht nach von den Kritikern zu Unrecht verrissen, hat doch weniger Längen und eine mitreißendere Geschichte als der ähnlich gelagerte Ma Rainey Black Buttom. Schon alleine für Andra Day lohnt eine Sichtung, die ein unfassbar starkes Leinwanddebüt abliefert, in der sie nicht nur gesanglich dem Original unglaublich Nahe kommt, sondern Holidays innere Dämonen bis zur Selbstaufgabe verkörpert. Durch ihre Darstellung zeigt sich das Porträt einer Frau, die sich nicht anpassen will, die gehört werden und sich für andere einsetzen will, aber in einen Kampf verwickelt ist, der zusehends aussichtslos erscheint.
Wolfwalkers
Irland, Mitte des 17. Jahrhunderts: Die Bevölkerung des Dorfes Kilkenny versucht im Auftrag des despotischen Lord Protectors Oliver Cromwell die naheliegenden Wälder zu roden, um mehr Platz für die Landwirtschaft zu erhalten. Doch das führt immer wieder zu gefährlichen Begegnungen mit einem Wolfsrudel, der sich dort aufhält. Und so wird der englische Jäger Bill Goodfellowe herbeigeordert, um die unliebsamen Nachbarn zu entsorgen, welche die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Dessen Tochter Robyn wiederum kennt keine Furcht, träumt davon, einmal wie ihr Vater eine große Jägerin zu werden und schleicht sich zu dem Zweck selbst in den Wald – zum großen Ärger ihres Vaters. Dabei lernt sie eines Tages Mebh kennen, ein wildes kleines Mädchen, das bei den Wölfen lebt und sich selbst in einen verwandeln kann. Schnell schließen die zwei Freundschaft, die jedoch auf eine harte Probe gestellt wird, denn in dem Dorf arbeiten sie bereits an einem Plan, alle Wölfe zu vernichten …
Wolfwalkers ist voller Leben, ein Fest der Farben, vor allem wenn wir in die Perspektive der Wolfmenschen wechseln, bei der sich bunte Gerüche durch die Luft schlängeln. Inhaltlich im Spannungsfeld strenger Regeln und explosivem Freiheitsdrang, mit mythischer Überhöhung der Natur und steht dabei klar in der Tradition anderer ökologisch bestimmter Werke, wie Prinzessin Mononoke drängt sich auf, bei dem ebenfalls der Mensch die Natur zurückdrängt und zerstört. Moore und sein Co-Regisseur Ross Stewart haben ein Märchen geschaffen, das wie seine vorangegangenen Filme tief in der keltischen Mythologie verwurzelt ist und von der Entfremdung der uns umgebenden Natur erzählt. Wolfwalkers ist nicht nur ein Film über einen Kampf, sondern auch über eine Freundschaft, die keine Grenzen kennt. Wenn die beiden unbekümmert durch den Wald tollen, dann geht das mit einer derart positiven Energie einher, mit einer solchen Freude am Moment, am puren Sein, dass man alles drumherum vergisst und wieder das Glück eines Kindes spürt, welches mit staunenden Augen die Welt erkundet. Einen Zauber findet in dem, was uns umgibt und den wir zu schnell wieder verlieren. Ein magisches Filmjuwel für jung und alt, der anstelle von Soul den Oscar verdient gehabt hätte!
Der weiße Tiger
Von klein auf wurde der in einem kleinen Dorf aufgewachsene Balram Halwai (Adarsh Gourav) dazu erzogen, anderen Menschen zu dienen. Und so geht sein größter Wunsch in Erfüllung, als er zum persönlichen Fahrer von Ashok (Rajkumar Rao) und seiner Frau Pinky (Priyanka Chopra-Jonas) wird, die gerade aus New York nach Indien zurückgekehrt sind. Diese sind von der unbeirrbaren Unterwürfigkeit Balrams irritiert, war ihr Leben in den USA schließlich ganz anders. Mit der Zeit spielt sich das Verhältnis aber ein, jeder hat seine Position gefunden. Doch dann geschieht eines Tages ein großes Unglück, was in Balram einen Denkprozess in Gang setzt und ihn erkennen lässt, dass dieses festgelegte System nicht die einzige Möglichkeit ist…
Bei der Netflix-Produktion Der weiße Tiger handelt es sich um eine rasant komödiantische und unsentimental inszenierte Romanadaption über die indische Gesellschaft und dem Raubtierkapitalismus als einzigem Ausweg. In unzähligen Kontrasten verdeutlicht das Werk den Übergang des Kastensystems in eine Zweiklassengesellschaft. Keine Spur von der Romantik Bollywoods, nur die herz- und erbarmungslose Realität eines zerrissenen Landes auf der Schwelle zu westlichen Allmachts-Illusionen. Daraus hätte man einen sehr wütenden Film machen können, der die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten bitter anklagt. Aber auch eine zum Kitsch neigende Wohlfühl-Tragikomödie wäre denkbar gewesen, wenn es doch um jemanden geht, der eben diesen Graben überwindet und trotz aller Widerstände seinen Weg macht. Der weiße Tiger ist keins von beidem. Stattdessen hält die Adaption den Ton der Vorlage bei, die mit beißendem Spott genüsslich ein Land seziert, das von Widersprüchen bestimmt ist. Das ist unterhaltsam und spannend, scheut sich dabei nicht davor zurück, auch richtig hässlich zu werden. Der verdienter Lohn war u.a. eine Nominierung für das adaptierte Drehbuch und eine Nominierung für den Hauptdarsteller Adarsh Gourav bei den „englischen Oscars“, den BAFTAS.
Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga
Seit ihrer Kindheit schon lieben Lars Erickssong (Will Ferrell) und Sigrit Ericksdottir (Rachel McAdams) den Eurovision Song Contest. Ihr großer Traum: Sie wollen einmal selbst dort teilnehmen! Dafür erhalten die beiden viel Spott, keiner nimmt die beiden und ihr Duo Fire Saga ernst. Nicht einmal Erick (Pierce Brosnan), der Vater von Lars, hält viel von den musikalischen Gehversuchen der beiden. Doch dann scheint sich ihr Traum doch noch zu erfüllen, als sie aufgrund einer Verstrickung von Zufällen die einzigen sind, die ihre Heimat Island dort repräsentieren können. Sie werden auch mit offenen Armen empfangen, gerade von Alexander Lemtov (Dan Stevens), einem überaus attraktiven russischen Sänger, der ein Auge auf Sigrit geworfen hat …
Will Farrell gehört definitiv nicht zu meinen Favoriten und hier hat er nicht nur eine der beiden Hauptrolle inne, sondern auch das Drehbuch geliefert. Entsprechend skeptisch war ich , doch im Großen und Ganzen ist ein solides Werk herausgekommen, der ein wenig über das Fehlen des ESC im letzten Jahr hinwegtrösten konnte. Denn auch wenn die Netflix-Produktion dem Thema mit viel Ironie begegnet, ist sie gleichzeitig eine Liebeserklärung. Die Story ist dabei eher zweitrangig, denn was wirklich zählt, ist die Musik: Jedes ESC-Klischee ist dabei und melodisch absolut treffend umgesetzt worden. Wir haben die verrückten Metal-Bands, Vikinger-Oper-Songs, die grandiose und tadellose Popsängerin, das Folklore-Pärchen, den animalischen Russen, peinliche Rapper und natürlich mit Fire Sage selbst, das trashige Duo aus einem „unbekannten“ Land. Jeder Song hat ESC- und irgendwie auch Hit-Potential, der Fuß wippt mit, ob man will oder nicht und mit „Husavic“ hat es sogar der beste Song aus dem Film zu einer Oscarnominierung gebracht. Lobend erwähnt werden muss auch das ESC-Medley Mitten des Films, indem ehemalige ESC-Finalisten, sowie Sieger einen starken Flashmob abliefern. ESC-Fans werden hier besonders ihre Freude dran haben!