Mare ist eine Frau, die so einiges durchgemacht hat in ihrem Leben – und das sieht man ihr an. Was, erfahren wir aber erst nach und nach. Auch praktisch alle anderen Figuren erleben Schicksalsschläge. Die Serie geht aber so unbeeindruckt damit um wie die Charaktere selbst: So ist das eben in Easttown. Drogensüchtige Verwandte, kaputte Beziehungen, Geldsorgen: Jeder hat hier eine Last zu tragen. Unterstützt werden diese Charakter-Porträts durch eine konzentrierte Kameraführung, die Aufnahmen wie Fotos aus einem Bildband aussehen lässt. Darunter liegt der Soundtrack von dem italienischen Komponisten Lele Marchitelli – der den perfekten Hintergrund zur Serie bildet: Mysteriös, düster und immer mit einem kleinen Unterton von Traurigkeit.

Autor Brad Ingelsby und Regisseur Craig Zobel, der alle sieben Episoden inszenierte und sich spätestens mit drei der besten Folgen von The Leftovers einen Namen machte, sind es gelungen, eine Gruppe an Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, die sonst gerne übersehen werden. Ihre Geschichten zu entschlüsseln ist der eigentliche Krimi auf dem Bildschirm. Und mit der Rolle von Mare steht endlich mal ein Typ von Frau im Vordergrund, der sonst leider ganz selten zu sehen ist: Rau, verletzlich und stark gleichermaßen, aber vor allem einfach sehr real. Das macht sie als Charakter noch spannender. Was alles, erfahren wir aber erst nach und nach, ebenso Begleiten wir sie auf ihren schmerzlichen Weg der „Heilung“. Auf den eigentlichen Mordfall, um den die Ermittlungen kreisen wird, stößt die Polizistin erst am (bitteren) Ende der ersten Folge. Ein geschickter Schachzug, da der Zuschauer die Ermordete in ihre letzten Stunden begleitet und so direkt emotional involviert ist, anstelle diese in Rückblenden und durch bloße Erzählungen von anderen Charakteren zu rekonstruieren.

Evan Peters überzeugt als junger Detective, der Mare bei ihren Ermittlungen unterstützen soll, Jean Smart liefert als Mares Mutter eine Gala-Vorstellung als Comic Relief ab, die aber auch durch tiefere Szenen punkten kann. Angourie Rice (Debüt in The Nice Guys) spielt Mares Tochter intensiv, vielfältig und dürfte sich durch ihre authentische Darstellung vor Angebote kaum retten können. Guy Pearce gibt den charismatischen Love mit bravour, wenngleich sein Charakter bis zuletzt etwas undurchsichtiger bleibt. Julianne Nicholson bekommt als Mares beste Freundin einige Szenen, die mit normalen Schauspielstandards nicht mehr zu messen sind und die ihr und Winslet einiges abverlangen. Auch David Denman als Mares Exmann, sowie Cailee Spaeny, Kate Arrington und Enid Graham empfehlen sich alle für den Emmy. Sowieso sind es gerade die kleinen Geschichten wie die von Mares Tochter, die sich in der abwesenden Familie mit dem Verlust ihres Bruders und ihrer eigenen Identität rumschlagen muss oder die von Mares Adoptivsohn und seiner drogenabhängigen Mutter die das Sorgerecht beantragt, einfach durch die Bank weg stark gespielt sind und auch im Gesamtkontext der Serie richtig gut funktionieren. Auch Phyllis Somerville wartet in ihrer finalen Darbietung, vor ihrem Tode im letzten Juli, mit einigen wunderbaren Szenen auf.

Neben dem grandios Cast, die jeder genügend Raum zur Charakterentwicklung erhalten, ist die Serie vor allem richtig gut und dicht geschrieben. Keine überzogenen Charakterentwicklungen oder Plot Twist, wobei es die Zuhauf gibt, sich aber so gut in die Handlung integrieren, dass man eigentlich nur den Hut davor ziehen kann! Vor allem der subtile Humor und die grandiose Bildsprache weiß zu begeistern., die nicht von ungefähr an True Detective, Twin Peaks und Broadchurch erinnern, sowie in der 5. Folge auch eine Hommage Das Schweigen der Lämmer beinhaltet und sich mit diesen Hochkarätern durchaus messen kann.

Es ist wirklich schwer etwas negatives zu finden, da die Serie meiner Meinung nach nicht einen Moment langweilt oder unnötige Szenen beinhaltet. Alles fügt sich nahtlos ins Andere und wartet mit einem Serienfinale auf, dass bis ins Mark erschüttert und noch lange nachwirkt. Ein Serienhighlight, was auf jede Watchlist gehört und zu den Besten der letzten Jahre gehört und zu Recht seit Wochen abgefeiert wird und man sich definitiv nicht entgehen lassen sollte, da selbst hohe Erwartungen noch übertroffen wurden! So geht TV heute, dank HBO!

Folgen-/Wertungsübersicht:

1. Miss Lady Hawk persönlich (9,0/10)
2. Väter (9,5/10)
3. Verstrickungen (9,0/10)
4. Armer Sisyphus (9,5/10)
5. Illusionen (10/10)
6. Bekenntnisse (9,5/10)
7. Sakrament (10/10)

Gesamt: 9,5/10