Wie so oft sind es die Eröffnungswerke namhafter Filmfestspiele, die besonders lange im Gedächtnis von Kritikern und Cineasten bleiben. „Parallele Mütter“ wurde letzten September in Venedig mit stehenden Ovationen bedacht und heimste vor Kurzem für seine Musik und Hauptdarstellerin Penélope Cruz jeweils Oscarnominierungen ein. Seit dieser Woche darf man auch hierzulande dem „Warum“ auf den Grund gehen und kann zum Beobachter eines leidenschaftlichen, dichten Dramas voller Relevanz und Eleganz werden, das – typisch für Regisseur Pablo Almodóvar – nicht der breiten Masse gefallen will und sich dezidiert an ein gereiftes, geduldiges Publikum richtet.
„Bei mir war es ein Unfall, aber ich bereue es nicht.“ Dieser (allzu häufig gehörte) Ausspruch der Hauptfigur Janis wird zum Credo des Porträts zweier Frauen unterschiedlicher Generation, deren Entbindung intim und frei von Voyeurismus skizziert wird. Überdies bieten das pulsierende, frühlingshafte Zentrum Madrids sowie Szenenbilder in gesättigten, kontrastreichen Farben die perfekte Umgebung, fungieren aber letztlich doch nur als ästhetische Hülle, denn die bis ins kleinste Detail durchdachten Kameraeinstellungen sind auffallend emotionsfokussiert und schweifen nur flüchtig von den Gesichtern der Akteure ab. Neben einer Musikgestaltung vom Aller-Allerfeinsten halten vor allem die starken, lebensnahen und ungekünstelten Wortwechsel dem Betrachter stets den sinnbildlichen Spiegel vor und treffen genau deswegen oft mitten in die Magengrube. Gleiches trifft auf die in vielfacher Hinsicht überraschende, irritierende Schlussszene zu. Für die Rolle der alleinstehenden Enddreißigerin erhielt Penélope Cruz, die bereits zum siebten Mal im Auftrag von Almodóvar vor der Kamera stand, vollkommen zu Recht ihre vierte Oscarnominierung und liefert eine eindringliche Performance, die ähnlich fesselt wie ihre gerühmte Darbietung in „Volver“. Man kann förmlich in ihren Augen sowohl Schmerz als auch Zerrissenheit ablesen und dem Zuschauer wird eindrucksvoll vor Augen geführt, wie signifikant und wirkungsvoll Körpersprache und Mimik sind. Hätte sie nicht schon einen Goldjungen in der Schrankwand stehen, würde sie ihn spätestens jetzt erhalten (müssen). Das Ensemble agiert durchgehend als Einheit, doch neben Cruz ist es vor allem Milena Smit, welche in ihrer erst zweiten Leinwandtätigkeit eine überaus beeindruckende Performance voller Präsenz und Involvierung offeriert.
Unmittelbar nach „Leid & Herrlichkeit“ liefert Almodóvar bereits die zweite Glanzleistung in Folge und kreierte weitaus mehr als eine Illustration ungewollter Schwangerschaften. Es handelt sich nicht nur um eine eindringliche Bebilderung verschiedener (weiblicher) Lebensentwürfe, sondern eine universelle Parabel über Vielfalt und menschliche Verlustängste. Warum beim Allmächtigen Spanien dieses geniale Werk nicht als offiziellen Oscarbeitrag ausgewählt hat, muss man nicht nachvollziehen können. Bravo, España!