Mit bis heute rund 30 Millionen verkauften Exemplaren zählt „Im Westen Nichts Neues“ zu den bedeutendsten, meistübersetzten, deutschsprachigen Romanen der Weltliteratur und wurde im 20. Jahrhundert zwei Mal verfilmt. Bei der dritten Adaption, die seit Kurzem zeitgleich in Kino und auf Netflix veröffentlicht wurde, handelt es sich jedoch um die allererste made in Germany. Vermutlich dürfte kein Film dieser Welt den unbändigen Schrecken eines Krieges mit Millionen Opfern 1 zu 1 realistisch darzustellen imstande sein, doch Edward Berger unternimmt diesbezüglich einen beachtlichen, handwerklich nahezu perfekten Versuch, der trotz der enormen Lauflänge aufgrund herausragender Einzelszenen zu fesseln weiß und als offizieller Kandidat Deutschlands im Rennen um den Oscar als „Bester Internationaler Film“ ausgewählt wurde.
Die aufwändigen Dreharbeiten fanden nahezu ausschließlich auf tschechischem Boden statt, und zwar Monate bevor man den Ausbruch des Ukraine-Kriegs hätte vorhersehen können und doch wirkt das Werk in jeder Phase wie ein mahnender, konsequenter Appell gegen das, was sich aktuell leider wieder auf unserem Kontinent ereignet. Die anfängliche Vaterlandseuphorie der freiwillig in den Krieg gezogenen, jungen Männer weicht abrupt, denn die Kampfhandlungen an der Westfront sind sogar für Genrefans gelegentlich nur mit tiefem Durchatmen zu ertragen und von bestialischer, unverschleiernder Brutalität. Der dröhnenden, wiederkehrenden, musikalischen Untermalung hätte es daher in vielen Sequenzen gar nicht bedurft, da das Gesehene und die Dialoge oftmals ganz allein für sich sprechen. Insbesondere der Schlussteil hat ambivalente Züge, denn obwohl er den sinnlosen Aktionismus in den letzten Stunden vor dem bereits vereinbarten Waffenstillstand geradezu erschreckend beleuchtet, wird durch die Abänderung eines inhaltlichen Fragments im Vergleich zur Vorlage der Titel bedauerlicherweise ein wenig ad absurdum geführt, wenngleich der Mut zu künstlerischen Freiheiten etwas Lobenswertes ist. Felix Kammerer in der Hauptrolle liefert bereits in seinem Leinwanddebüt (!) eine herausragende Leistung und wird zur Identifikationsfigur, während der in Jena geborene Albrecht Schuch ebenfalls stark auftritt und selbst Daniel Brühl in den Schatten stellen kann, der für meinen Geschmack etwas zu dick aufträgt.
In Summe stellt die Produktion einen gelungenen, spannenden Genrebeitrag mit starkem Ensemble dar, in dessen Mitte vor allem die Botschaft steht, dass es in militärischen Auseinandersetzungen wohl niemals wahre Gewinner gibt. Aufgrund dessen, dass er jedoch Geduld abfordert und nicht in allen Belangen brilliert, sei jedoch an dieser Stelle die Filmvariante von 1979 sowie auch „1917“ von Sam Mendes etwas mehr ans Herz gelegt. Es erscheint jedoch nicht nur wegen des Aktualitätsbezugs äußerst realistisch, dass „Im Westen Nichts Neues“ Chancen hat, als erster deutscher Beitrag seit 4 Jahren für den begehrtesten Filmpreis der Welt nominiert zu werden.