Arielle, Die Meerjungfrau (OT: The Little Mermaid)
Bereits nach Veröffentlichung des ersten Teasers zu „Arielle“ war der Entrüstungssturm in sozialen Medien immens, insbesondere wegen der Besetzung der Hauptrolle, die ethnisch nicht dem entspricht, woran die Kinder der 80er und 90er gewöhnt waren. Neben „Der König Der Löwen“ und „Die Schöne Und Das Biest“ zählt der lose auf Andersens Märchen basierende Film über eine Nixe, die nach einem Pakt mit einer Hexe ihre Stimme hergibt, um ihrem Liebsten nah sein zu können, zu den mit Abstand beliebtesten Werken aus dem Hause Disney und erhielt zwei Oscars. Die Fallhöhe für ein Remake war dementsprechend kolossal, dennoch überzeugten nostalgische Gefühle ganze Massen bereits am Startwochenende zu einer Inaugenscheinnahme und bereits der Auftakt in 3D führt vor Augen, warum. Visuell elegant und bezüglich der Meeresbewohner mit einem Faible für Realismus gestaltet, bot das malerische Sardinien die perfekte Kulisse für Südseefeeling. Während die zeitlose Musik überaus mitreißend und mit leichten Abwandlungen arrangiert wurde, hätte es der drei Neukompositionen gar nicht bedurft, dennoch gelang es den Machern vielfach, über eine 1-zu-1-Kopie hinauszugehen, die Buchvorlage stärker in den Blick zu nehmen und für Vielfalt zu werben, während insbesondere der Schlusspart mit einer cleveren, inhaltlichen Umdeutung aufwartet. All jenen, die sich an etwaigen Logiklöchern wie einem atmenden Vogel unter Wasser stören, sei gesagt: Ihr seid vermutlich zu alt für Disney. Zudem wurde die Hauptdarstellerin im Vorfeld zu Unrecht gescholten, denn sie offeriert eine charmante Darbietung, der man genau so gerne zusieht und lauscht wie Javier Bardem und – wer hätte es vorab gedacht? – Melissa McCarthy in der Rolle der diabolisch-sarkastischen Ursula. Zugegebenermaßen sind gewisse Defizite im Hinblick auf die Dialogisierung und Gag-Dichte nicht von der Hand zu weisen, insgesamt jedoch ist „Arielle“, obwohl sie nicht an die Perfektion der Version von 1989 heranreicht, bis dato neben „Maleficent“ und „Cinderella“ die gelungenste Disney-Realverfilmung und lässt einen mit einem träumerischen Lächeln zurück.
Asterix & Obelix Im Reich Der Mitte (OT: Astérix et Obélix: L’Empire Du Milieu)
Vier Mal wurden die aus der Feder von René Goscinny stammenden Asterix-Comics bereits real verfilmt, nun startete trotz gemischten Echos der Vorgänger der nächste Streich, welcher nicht auf einem separaten Band basiert, sondern lediglich lose davon inspiriert ist. Leider hat man mit dem Versuch fast alles falsch gemacht, was denkbar ist – und das liegt bei Weitem nicht nur am Wegfall von Gérard Depardieu, der Obelix erstmals nicht mimt. Während „Asterix Gegen Caesar“ (1998) und „Mission Kleopatra“ (2002) zu meinen absoluten Kindheitshighlights zählten, strapaziert „Das Reich Der Mitte“ wohl selbst die Nerven von hartgesottenen Fans des Stoffes, während es am altbekannten Charme fast völlig mangelt. Fehlbesetzt sind nicht nur die Titelhelden, von denen einer den Veganismus für sich entdeckt – im Klinsch mit dem Verräter namens (Achtung!) „Deng-Tsin-Qin“. Als schlimmer erweist sich der Auftritt des ehemaligen Nationalspielers Ibrahimovic, dessen Funktion ähnlich schleierhaft bleibt wie die meisten der für Kinder kaum nachvollziehbaren Witze auf Sparflamme, von denen lediglich eine Handvoll amüsiert, die wiederum direkt auf das Konto von Marion Cotillard und Vincent Cassel als Kleopatra und Caesar gehen, doch auch ihnen gelingt es nicht im Alleingang, gegen das schwache Drehbuch anzukämpfen. Abgesehen von der netten Ausstattung verlässt der Film das Gedächtnis rasch wieder und man muss im Namen der Grande Nation konstatieren, dass es sich hierbei über weite Strecken um die Herabwürdigung eines Nationalheiligtums handelt.
Book Club 2: Ein Neues Kapitel (OT: Book Club: A New Chapter)
Fast fünf Jahre nach Veröffentlichung von „Book Club – Das Beste Kommt Noch“ erschien vor einigen Wochen ein Sequel, das maßgeblich auf Betreiben der vier Hauptdarstellerinnen in Angriff genommen wurde. Das Quartett in fortgeschrittenem Alter erfüllt sich nach den Entbehrungen der Pandemie mit einer Italienreise einen lang gehegten persönlichen Lebenstraum und lernt trotz der Dekaden voller Erfahrungen jeweils viel über das eigene Selbst. Nicht nur die spürbare Eingespieltheit der vier Damen, von denen drei mindestens einen Oscar gewannen, sondern auch der Ortswechsel vom Eigenheim hin zu traumhaften, dankbaren Schauplätzen in Bella Italia (Rom, Venedig & Florenz) tut dem Gebotenen gut und verleiht Kurzweile. Abgesehen von dem berechenbaren Finalpart ist die Fortsetzung – entgegen der gängigen Regel – sogar besser gelungen als der Vorgänger. Wenngleich Jane Fonda nach gefühlten Jahrzehnten eine andere deutsche Synchronstimme erhielt, entschädigt insbesondere, dass alle Frauen mit Leichtigkeit und Freude bei der Sache waren, ohne sich etwas beweisen zu müssen. Stets sticht allerdings Candice Bergen hervor, welche die Sympathien und Lacher an sich zu reißen versteht. Witzig und leichtfüßig – so stellt man sich wohl gemeinhin einen angenehmen, sommerlichen Wohlfühlfilm vor.
Die Rumba-Therapie (OT: Rumba La Vie)
Oftmals im Leben sind es die Schicksalsschläge, die den Menschen zum Umdenken bewegen. So geht es auch dem busfahrenden Mittfünfziger Tony, der ein tristes Leben als einsamer Wolf führt, bis ihm ein Herzinfarkt vor Augen führt, das Leben zu nutzen und mithilfe der Anmeldung in einem Tanzkurs verdeckten Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen. Zugegebenermaßen ist insbesondere die Anfangssequenz in erzählerischer Hinsicht mehr als holprig geraten, jedoch ändert sich dies spätestens ab dem ersten Drittel aufgrund der feinsinnigen und geduldigen Gestaltungsweise inmitten einer für ein gereiftes Publikum gefertigten Tragikomödie. Gespickt mit feurigen Tanzszenen und etlichen witzigen Szenen, verliert die Genremischung nie aus den Augen, dass es sich dabei um eine Geschichte handelt, die das Leben selbst hätte schreiben können, weswegen es auch nicht überrascht, dass die Vorpremiere im hiesigen Lichtspielhaus eine Mehrzahl an positiven Reaktionen generieren konnte. Neben zwei großartig interpretierten, traditionellen Liedern, die den bittersüßen Geist von España transferieren, wissen vor allem die charmanten Darbietungen sowie Michel Houellebecq als sarkastischer Arzt zu überzeugen, was ein Verzeihen in Bezug auf den hübschen, wenngleich ein wenig vorhersehbaren Schlussteil erlaubt.
Divertimento – Ein Orchester Für Alle (OT: Divertimento)
Eine erfolgreiche Karriere als Dirigentin und Cellistin einzuschlagen – das ist der seit Kindheitstagen gehegte Traum der beiden Schwestern Zahia & Fettouma. Einerseits gestaltet sich dies aufgrund ihres Geschlechts, andererseits aber auch aufgrund ihrer Herkunft aus Nordafrika als schwieriges Unterfangen. Auf wahren Ereignissen beruhend, appelliert das filmische Porträt vielfach an Gleichberechtigung und Durchhaltevermögen, lässt allerdings dabei ein hohes Maß an Potential an der Straßenecke liegen und wirkt narrativ des Öfteren eher „adagio“ als „allegro“. Trotz einer guten Kameraarbeit und interessanten Farbgestaltung sowie nachdenklich stimmenden Untertönen im Hinblick auf migrationsbedingte Konflikte ist die Dramaturgie mitunter so ruhig, dass sie phasenweise langweilt. Die Qualität der orchestral adaptierten Musik ist in erster Linie den großen Komponisten der letzten 300 Jahre zu verdanken, deren musikalisches Erbe universell ist. Darstellerisch sticht ganz besonders Niels Arestrup in der Rolle des ruppigen Maestros hervor, während die größtenteils unerfahrenen Jungschauspieler/innen vielfach unbeholfen und blass agieren. Außer dem im Epilog genannten statistischen Fakt, dass gerade einmal sechs (!) Prozent aller weltweit tätigen Dirigenten weiblichen Geschlechts sind, mangelt es daher leider an Mehrwert, um über bloße Ambitionen hinauszugehen. Außerdem hatte der Film das Pech, aufgrund seines Sujets unweigerlich in Konkurrenz mit Todd Fields „Tár“ zu treten, mit dem er sich schlussendlich nicht annähernd messen kann.
Mavka – Hüterin Des Waldes (OT: Мавка. Лісова пісня)
Dass das Kino wandelbar ist und sich auf die Bedürfnisse der Gesellschaft hinzubewegen muss, zeigt der Umstand, dass in Gestalt von „Mavka“, eine volkstümliche Sagengestalt der ukrainischen Mythologie, in Originalsprache mit Untertiteln auch hierzulande seit Kurzem eine breite Leinwandpräsenz erleben darf. In dem Film geht es nicht nur um den Schutz des Naturraums, sondern auch um eine mysteriöse Heilpflanze, die von zwei eingedrungenen Personen begehrt wird – eine davon, um einen geliebten Menschen vor dem Tod zu bewahren, die andere zur Erhaltung der eigenen Schönheit. Insbesondere die gesättigte Farbgestaltung sowie die liebevolle Animation von Nymphen und Waldgeistern erfreuen die Augen, aber auch die universelle Botschaft weiß gerade in turbulenten Zeiten wie den unseren in ähnlicher Weise zu überzeugen wie die musikalische Untermalung. Lediglich die etwas deplatziert anmutenden Gesangseinlagen wären weitestgehend entbehrlich gewesen. In Summe kommen dem von einem kleinen Studio produzierten, handwerklich geschickt inszenierten Werk nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Osteuropa auch seelentröstende Qualitäten zu, doch nicht nur aufgrund dessen handelt es sich um einen der sehenswerteren Animationsfilme seit geraumer Zeit.
Renfield
Laut Guinness-Buch der Rekorde ist der berüchtigte, blutrünstige, aus Transsilvanien stammende Graf mit dem markanten Gebiss die filmisch am häufigsten porträtierte Figur der Filmhistorie. Unabhängig davon, ob von Bela Lugosi, Christopher Lee, Klaus Kinski oder Gary Oldman verkörpert, tauchte sein Gehilfe namens Renfield immer eher als Randerscheinung auf. Dies ändert sich nun, denn McKay widmet sich in seiner ersten Realverfilmung dem Co-abhängigen Diener Draculas ein reißerisches, schwarzhumoriges Porträt, das trotz gewisser Absurdität die Wichtigkeit von Autonomie und Selbstverwirklichung vor Augen führt. Unterhaltsam und bezüglich der Lauflänge ideal, fügte sich Nicholas Hoult souverän in seine zunehmend renitent ausgeformte Rolle, während Shohreh Aghdashloo nach längerer Abstinenz als Mafiachefin überzeugt und sogar Nicolas Cage eine unerwartet gute Performance bietet, weil ihm viel Raum zur Überdrehtheit zugestanden wird. Handwerklich ist das Gebotene ebenfalls überaus effektvoll gestaltet worden, vor allem die Arbeit der Maskenbildner sollte lobend erwähnt werden – mit Ausnahme weniger Kampf-Szenen, in denen weniger Hektik zweifellos mehr gewesen wäre. Nichtsdestotrotz erfüllt „Renfield“ trotz kleiner Mankos vor allem seinen Zweck, die mittelalterliche Sage ins 21. Jahrhundert zu versetzen und entfaltet dabei einen hohen Entertainment-Faktor, selbst oder insbesondere für Zuschauer/innen, die der Filmsparte sonst eher weniger zugetan sind.
Sisu
Ein ebenfalls in der Vorpremiere gezeigter Film, der im neuesten NATO-Mitglied Finnland produziert wurde, dürfte mit Sicherheit nichts für Kinogänger von zart besaitetem Naturell sein. Im Zentrum steht ein Landsmann, der in Lappland inmitten der Endphase des Zweiten Weltkrieges auf einen Batzen Gold stößt und dieses mit aller Macht gegen die faschistischen, ehemals verbündeten Besatzer verteidigt. „Sisu“ bedeutet auf Suomi so viel wie Unnachgiebigkeit oder Kampfgeist – und schnell wird klar, warum speziell dieser Titel gewählt wurde. Kapitelweise inszeniert, so wie wir es oft von Tarantino kennen, ist das Gebotene handwerklich souverän, inhaltlich jedoch von selten gesehener Kaltschnäuzigkeit und sporadisch darf man aufgrund magenumdrehender Momente, dass wegen der Altersfreigabe Kürzungen vorgenommen werden musste. Der hünenhafte, alternde Protagonist spricht während des gesamten Films nur zwei Sätze, was ein hohes Maß an Geduld vom Zuschauer abverlangt, doch abseits dessen überzeugt er als unzerstörbare Ein-Mann-Armee mit eigens übernommenen Stunts. Der finale Part ist selbst mit zugekniffenen Augen im Hinblick auf seine Realitätsferne leider einen Hauch zu absurd geraten, jedoch nicht weniger spannend. Genre-Fans dürften anhand von „Sisu“ auf ihre Kosten kommen, alle anderen werden den Anderthalbstünder als grundsolide empfinden, allerdings in Zeiten des Ukrainekriegs auch als grenzwertig, was die Zelebration von Gewalt anbetrifft.